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Der Honig und der Stachel - Das Judentum - erklärt für alle, die mehr wissen wollen

Walter L. Rothschild

 

Verlag Gütersloher Verlagshaus, 2009

ISBN 9783641037284 , 432 Seiten

Format ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

Was will dieses Buch? In seinen wesentlichen Teilen entstand es über mehrere Jahre hinweg als Lehrmaterial für Erwachsene, als ich in der Gemeinde von Leeds in England tätig war. Es ist bestimmt für Juden, die mehr über ihr Judentum wissen wollen, ebenso wie für nichtjüdische Ehepartner und Menschen, die zum Judentum konvertieren möchten. Es stellt den Versuch dar, ihnen Dinge zu vermitteln, die man wissen sollte, um sich in einer liberalen jüdischen Gemeinde zurechtzufinden. Es ist eher als Ergänzung zu bereits vorliegenden Büchern gedacht, als dass es beansprucht, diese zu ersetzen.
Gleichwohl stellte sich heraus, dass Bücher über das liberale Judentum vor allem die Erfahrung amerikanischer Reformgemeinden widerspiegeln. Andere »Einführungen in das Judentum« geben ausschließlich die orthodoxe Sicht wieder - mit Beschreibungen, wie traditionell jüdische Familien leben (sollen) oder mit Bildern, die nur Männer beim Gebet zeigen. Außerdem gibt es eine Menge Bücher über das Judentum, aber nur wenige befassen sich mit Fragen des alltäglichen Gemeindelebens, etwa: Wer kann daran teilhaben? Wie funktioniert eine Synagoge? Wer unterhält sie? Was geschieht hinter den Kulissen? Was gehört noch zum jüdischen Lebensvollzug jenseits öffentlicher Rituale wie Hochzeiten oder Beerdigungen?
Jemand, der als Erwachsener in eine jüdische Gemeinde hineinwachsen will, muss sich einen bestimmten Jargon zulegen, sollte in der Lage sein, in einer jüdischen Zeitung zwischen den Zeilen lesen und sich in einem Gespräch im Lebensmittelladen behaupten zu können. Er muss sich damit auseinandersetzen, falls sein Kind in der Schule dafür angegriffen wird, jüdisch oder auch nicht jüdisch genug zu sein. All dies gehört zum jüdischen Alltag und wird von denen, die schon lange in der Gemeinde sind, für gegeben hingenommen. Es taucht deshalb nicht in Büchern für eine allgemeinere Leserschaft auf. Die verschiedensten Menschen mögen dieses Buch zur Hand nehmen, die mehr wissen wollen - manche aus christlichem Umfeld, einige als Atheisten, andere mit jüdischem Hintergrund. Manche mögen Deutsche sein, andere aus den Staaten der früheren Sowjetunion.
Dieser Wegweiser wurde ursprünglich auf Englisch mit Unterstützung des Rabbinatsgerichts der Reformgemeinden in Großbritannien veröffentlicht und fand bei vielen Kollegen und Gemeinden Anklang. Um es auch für die Erwachsenenbildung und die Vorbereitung von Konvertiten in Deutschland nutzen zu können, wurde es u. a. von Caroline Bechhofer, Esther Kontarsky, Anna Schmidt, Franziska Werner und Lara Zilberkweit übersetzt. Darüber hinaus wurde es einer gründlichen Revision und Erweiterung unterzogen, um es den Bedürfnissen der deutschen Gemeinden am Beginn des 21. (säkularen) Jahrhunderts anzupassen. Das bedeutet, das jüdische Leben in Europa zu erklären, wie wir es heute vorfinden - nicht nur, wie es zu biblischen Zeiten oder im Mittelalter war. Ein besonderes Problem für jene, die sich als Erwachsene bemühen, das Judentum zu verstehen, ist die Frage: »Wie macht man das richtig?« - zu beten, einen Tallit umzulegen, einen Segensspruch zu sagen, den Schabbat oder die Feiertage einzuhalten. Das bezieht sich nicht allein auf Rituale. Es gibt viele Menschen, nicht nur in Deutschland, die es gern haben, wenn ihnen genau gesagt wird, was zu tun ist, und die eine Reihe von Vorschriften wünschen. Sie suchen nach einer einfachen, aber umfassenden Liste von Halachot, die dem gläubigen Juden, der die Gebote befolgt, sagt, was zu beten ist und wann und wie, seltener: warum.
Aber das Problem besteht darin, dass das Judentum viele Facetten hat und es oft verschiedene Arten gibt, etwas »korrekt« zu tun. Ein denkender Mensch sollte die unterschiedlichen Zugänge kennen und seine eigene Wahl treffen. Es gibt verschiedene Liturgien, selbst innerhalb der traditionellen Synagogen. Nebenbei: Das Wort »orthodox« wird oft falsch gebraucht, da sich die Orthodoxie erst in Reaktion auf die Reformbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts herausgebildet hat als eine Form der jüdischen »Gegenreformation«. Raschi und Maimonides und Ibn Esra und Jehudah Halevy waren keine »orthodoxen Juden«, sondern Kinder ihrer Zeit, die ihren Intellekt und ihre Kreativität nutzten, um neue Zugänge und Analysen zu entwickeln und nicht bloß zu versuchen, unverändert an alten Formen festzuhalten. Die Gebetbücher der sephardischen Gemeinden weisen etliche Unterschiede in Form und Inhalt auf, selbst bei so zentralen Gebeten wie dem Kaddisch, und auch ihre Rituale sind verschieden. Wenn man also annähme, dass allein der aschkenasische Gottesdienst der einzig wahre sei, wäre das ziemlich töricht - auch wenn das innerhalb einer bestimmten Gemeinde vielleicht der einzig angebotene ist. In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erwarb der Verfasser das neue israelische »Standard«-Gebetbuch Rinat Jisrael - in fünf verschiedenen Fassungen (aschkenasisch und sephardisch für Israel, aschkenasisch und sephardisch für die Diaspora sowie die Version für die Edot Misrach, die Juden aus arabischen Ländern). In Berlin wird der Siddur Avodat HaSchem von der sephardischen Gemeinde genutzt. Der Seder HaTefillot, das Gebetbuch für Schabbat, Wochentage und Pilgerfeste, ist vor allem in den liberalen jüdischen Gemeinden in Deutschland verbreitet. Er ist eine Überarbeitung der englischen Reformliturgie, beruhend auf aschkenasischen und sephardischen Traditionen des 19. Jahrhunderts. Die Siddurim Sch'ma Kolenu und S'fatEmet folgen eher einem konservativ-orthodoxen Ritus, der Siddur S'fat Emet arbeitet in Fußnoten zahlreiche Unterschiede zwischen polnischen und deutschen aschkenasischen Bräuchen heraus usw.
Alle Gemeinden entwickeln ihre eigenen Minhagim, ihre Bräuche. In der einen Synagoge steht man auf, um das Sch'ma zu sagen, in einer anderen bleibt man sitzen. In einer Synagoge geht man während des Gottesdienstes umher und redet miteinander, in einer anderen bleiben alle diszipliniert in den Reihen sitzen, in einigen gibt es mehr Musik, in anderen mehr Stille. Wenn man nach dem Warum eines Brauches in einer bestimmten Synagoge fragt, bekommt man meist zur Antwort: »Tradition!« Aber -es ist nur eine Tradition, nicht die gesamte, und andere bestehende Traditionen sind genauso legitim.
Darum zielt dieses Buch nicht darauf zu sagen, was zu tun ist - allein darauf fußend, was gerade in einer einzigen bestimmten Synagoge üblich ist -, sondern es will zeigen, wo Vielfalt möglich ist und Alternativen genauso berechtigt sind. Es soll Sie befähigen darüber nachzudenken, warum Sie ein bestimmtes Gebet sagen wollen und weshalb es geschrieben wurde, warum Sie einen bestimmten Ritus ausführen wollen und die Ursachen und Bedeutungen verschiedener Themen und Vorstellungen zu bedenken. Dieses Buch will Fragen stellen und Antworten geben gleichermaßen.