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Die Kunst, innerlich zu leben - Existenzialismus für moderne Menschen

Ted Harris, Ann Lagerström

 

Verlag Gütersloher Verlagshaus, 2009

ISBN 9783641037888 , 192 Seiten

Format ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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13,99 EUR


 

Es ist Donnerstag. Pfarrer Ted Harris hat eben Tee aufgesetzt, als ich komme, um ihn im Schulhaus am Adolf-Fredriks-Friedhof mitten in der Stockholmer Innenstadt zu besuchen. Wir sprechen über das Leben und wie erstaunlich es doch ist, dass so viele von uns sich verloren fühlen, wo doch der Alltag für die meisten so gut organisiert, sicher und reichhaltig ist.
Da beginnt er, von Soren Kierkegaard zu erzählen, dem dänischen Philosophen des 19. Jahrhunderts, der es als lebensnotwendig betrachtete, im Leben einen Sinn zu finden.
»Er meinte, dass alle Menschen eine Lebensanschauung benötigen«, erzählt Ted, »etwas, das uns morgens aufstehen lässt, das dem Dasein eine Perspektive und dem Menschen Kraft zum Leben verleiht. Ohne so etwas verlieren wir den Boden unter den Füßen und werden innerlich leer.«
»Hat er das geschrieben?«, frage ich, die ich Soren Aabye Kierkegaard bisher noch nicht viel Zeit gewidmet habe.
»Ja, und außerdem glaubte er, der Sinn des Lebens sei individuell, niemand anders außer einem selbst kann ihn formulieren.«
»Ganz alleine suchen? Aber was ist mit den etablierten Ideen, den Religionen, den Philosophien«, rufe ich Ted hinterher, der in die Küche gegangen ist, um Tee und Brote mit Tomaten, Käse und extra viel schwarzem Pfeffer zu holen. »Kann ich mich nicht auf die stützen?«
»Soren meint nein«, sagt Ted und deckt auf. »Es ist dein Leben und dein Lebenssinn, und deshalb kannst nur du eine Antwort haben. Darauf ist Kierkegaard schon früh gekommen, und dann hat er sich der Frage gewidmet, wie das denn ablaufen könnte. Wie kann man lernen, sich selbst zu verstehen, und wie kann man einen eigenen Lebenssinn formulieren? Im Laufe der Zeit wurden seine Überlegungen zu einem Weg mit drei Stadien und neun Schritten.«
»Wirklich? Ein nordischer geistiger Weg?«, frage ich erstaunt.
»Nein, nicht geistig«, erwidert der Pfarrer Ted, »nur eine Methode, nach Sinn zu suchen. Soren Kierkegaard wollte auf keinen Fall ein Prophet sein und nannte sich nicht einmal Theologe oder Philosoph. Er wollte keine Antworten bieten, hatte keine Beschreibung dessen, was wahr sein sollte, keine Analyse des Ganzen. Die neun Schritte erwuchsen aus seinem eigenen Leben, aus seinem eigenen Ringen mit den existenziellen Fragen.«
»Und worauf zielen sie ab?«
»Zu lernen, innerlich zu leben«, sagt Ted, und diese Worte setzen sich bei mir fest. Innerlichkeit, es ist lange her, dass jemand davon gesprochen hat.
»Was meinte er?«
»Innerlich zu sein«, erklärt Ted, »bedeutet, dass man dem Leben und sich selbst den höchsten Ernst entgegenbringt. Dass man sowohl die äußere wie auch die innere Wirklichkeit gründlich betrachtet und in jedem Moment zu verstehen versucht, wie alles zusammenhängt. Vergiss alles Müssen, all das, wovon andere behaupten, es sei die Wahrheit, und denke stattdessen darüber nach, was du selbst fühlst und meinst: Wer bist du, jenseits aller Vorstellungen? Was willst du aus dir selbst machen? Und was ist deine Ansicht über den Ursprung des Lebens - über das Ganze, über die Existenz selbst, das, was Soren manchmal das Nichts nennt?«
Es ist später Nachmittag geworden, und die Dunkelheit schleicht bereits um die große, weiße Kirche vor dem Fenster des Schulhauses. Ted räumt die Tassen und Teller weg und stellt alles in die Geschirrspülmaschine in der schmalen Küche.
Als er zurückkommt, frage ich, ob wir nicht ein Buch über die Methode von Soren schreiben sollten. Natürlich gibt es Regalmeter über ihn selbst und noch mehr Bücher, die versuchen, seine Gedanken zu interpretieren, aber ich würde gern über den Weg lesen - ein Buch über die Suche nach dem Sinn des Lebens und die Kunst, innerlich zu sein, geschrieben für jemanden wie mich, der in Philosophie nicht so bewandert ist. Und wenn es das Buch noch nicht gibt, dann könnten wir es doch schreiben.
»Wenn du schreibst«, sagt Ted. »Ich erzähle, und du schreibst.«
Und so haben wir es gemacht. Dieses Buch über die drei Stadien und neun Schritte des Soren Kierkegaard ist aus vielen langen Gesprächen dort im Schulhaus auf dem Friedhof entstanden. Ted hat die nicht immer ganz glasklaren Gedanken des alten Philosophen erzählt, auf Notizblöcke gezeichnet, erklärt, herausgefordert und neu interpretiert.
Ich habe geschrieben und mit Hilfe meines eigenen Lebens und dem anderer Menschen versucht, die Gedanken des Philosophen und des Pfarrers konkret und für uns, die wir heute leben, nutzbar zu machen. Und so entstand das Buch.
Nehmen wir nun also den bald zweihundert Jahre alten Philosophen an der Hand und beschreiten wir mit ihm zusammen seinen inneren Weg. Er hat schon seinen seltsamen Hut aufgesetzt, seinen unmodernen Mantel angezogen und seine Stiefel und die engen Hosen angezogen.
»Vergiss den Stock nicht, Soren, vergiss nicht, einen deiner vielen geliebten Stöcke mitzunehmen.«

Ann Lagerström

»... es gilt, eine Wahrheit zu finden, die für mich Wahrheit ist, die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will.«

Aus DEM TAGEBUCH VON SOREN KIERKEGAARD

Es beginnt mit einer Frage

Es kann an einem gewöhnlichen Tag anfangen, wie eine etwas unangenehme Ahnung. Irgendwas stimmt nicht, irgendetwas im Leben reibt sich und lässt dir keine Ruhe. Der erste Impuls ist, es schnell wegzuwischen, vor allem in unserer Zeit, wo es so vieles gibt, mit dem man sich zerstreuen kann. Aber wie man sich auch verhält, es wird doch nicht besser. Diese Ahnung kehrt wieder, und man verspürt eine diffuse Unruhe und Unzufriedenheit. Es nagt und nagt, und eines Tages, oder vielleicht spät nachts, fasst man sich ein Herz und hört, dass die Ahnung eine Frage ist, ein Satz mit sechs Wörtern:
»Was ist der Sinn des Lebens?«
Und du denkst:
Ja, was ist eigentlich der Sinn des Lebens?
Die Frage ist nicht sonderlich originell, sie ist schon jahrhundertelang, jahrtausendelang gestellt worden, seit der Urzeit, als das Wesen, das man Mensch nennt, die Fähigkeit ausbildete, sich den morgigen Tag vorzustellen. Ist das hier alles?, fragte es sich. Gibt es nicht mehr?

Zu Soren Aabye Kierkegaard, dem großen dänischen Philosophen, kam die Frage über den Sinn des Lebens früh. Das erste Mal, als er sie sich stellte, war er erst 22 Jahre alt.