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Schäfers Qualen - Kriminalroman

Georg Haderer

 

Verlag Haymon, 2012

ISBN 9783709974407 , 272 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR


 

9


Die Rezeptionistin grüßte Schäfer etwas verhaltener als am Nachmittag. Das lokale Nachrichtennetz funktionierte offenkundig – jetzt war er Polizist. Willkommen, um schnellstmöglich zwei Verbrechen aufzuklären, die dem Ansehen des Ortes schaden konnten. Andererseits könnte sein Kontakt mit dem Bösen durchaus das Chi im Hotel stören: Die anderen Gäste würden Albträume bekommen, in ihren Zimmern schreien und auch tagsüber keine Entspannung finden – neu errichteter Wellnessbereich hin oder her. Vielleicht war die Rezeptionistin aber auch nur müde. Schäfer nahm seinen Schlüssel in Empfang, wünschte ihr einen schönen Abend und ging auf sein Zimmer. Er zog die Schuhe aus, ließ sich aufs Bett fallen und schloss die Augen. Irgendwas war da mit Krassnitzer … geht mitten in der Nacht zu seiner Baustelle … schlampig angezogen und wahrscheinlich mit einer Pistole im Hosenbund. Und dann? Wird er niedergeschlagen und einzementiert. Aber von einer Verletzung am Kopf hatte Baumgartner nichts gesagt. Krassnitzer war groß und kräftig gebaut … der hätte sich sicher gewehrt. Schäfer nahm sein Mobiltelefon aus der Innentasche und suchte die Karte, die ihm Konopatsch gegeben hatte.

„Knochen! Schäfer hier. Haben sie dir den Krassnitzer schon gebracht? … Heute nicht mehr? … Ins Theater … Bist du spitz auf eine der Schauspielerinnen oder spielen sie ‚Der Tod und das Mädchen‘ … Nein … Kannst du mir morgen bitte gleich als Erstes sein Blut untersuchen … nach irgendwelchen Drogen oder Betäubungsmitteln … Ja … Danke … Du auch.“

Schäfer stand auf und ging auf den Balkon. Recherchieren, Leute befragen, Archive durchwühlen … er wusste, dass ohne diese Arbeit nichts vorwärtsging. Dennoch empfand er diese Phase der Ermittlungen als quälend. Kein Verdächtigenkreis, keinerlei Anhaltspunkte, so gut wie nichts, mit dem er den heißer werdenden Topf in seinem Kopf füllen konnte. Und trotz seiner Erfahrung pendelte er zwischen Ungeduld, Verzweiflung und Versagensangst. Er schaute auf den Wilden Kaiser, der sein schroffes Profil in den Abendhimmel zeichnete. Über all dem das ungute Gefühl, dass es mit den beiden Morden noch nicht vorbei war. Er ging zurück ins Zimmer, nahm seinen Laptop aus der Tasche, klappte ihn auf und fuhr ihn hoch. Eine Viertelstunde starrte er auf das leere Dokument, das er „Kitzbühel“ benannt hatte. Dann klappte er den Laptop wieder zu, zog sich seine Schuhe an und verließ das Zimmer.

Nach seinen Erfahrungen vom Nachmittag fragte er an der Rezeption nach, ob die Wirtschaftskammer noch im selben Haus wie in seiner Jugend untergebracht war, was ihm der Nachtportier bestätigte. Nach ein paar Minuten betrat er das Foyer des Siebzigerjahre-Baus, der noch immer mit denselben orangen Plastikschalensitzen ausgestattet war, die durch die grelle Neonbeleuchtung noch hässlicher wirkten. Er stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf, wo sich der Mehrzwecksaal befand. Dort hatten in seiner Jugend auch Konzerte und Theaterveranstaltungen stattgefunden, die allein durch das sterile Ambiente des Raums zum Scheitern verurteilt gewesen waren.

Auf dem Gang standen ein Dutzend Reporter und der Bürgermeister, der die Anwesenheit der Medien sichtlich genoss. Schäfer nickte den Journalisten zu, gab dem Bürgermeister die Hand und betrat den Saal, der bis auf seine Kollegen, den Haustechniker, vier weitere Journalisten und zwei Kameraleute leer war. Eigenartig, dachte er sich. Entweder war Kitzbühel in der Interessensliste mehrere Plätze nach unten gerutscht oder es gab inzwischen eine presseinterne Regelung, dass erst ab drei Toten ein entsprechendes Engagement erforderlich wäre. Er begrüßte seine Kollegen und ersuchte Kern, die Reporter hereinzubitten. Nachdem sich diese auf den Stühlen im vorderen Drittel des Saals niedergelassen hatten, trat Schäfer ans Rednerpult, überprüfte das Mikrofon und begann seinen Bericht. Auf die anschließenden Fragen der Journalisten wusste er nur wenig zu antworten – wofür diese angesichts der kurzen Ermittlungszeit auch Verständnis aufbrachten. Nach der Zusicherung, dass sie bei neuen Ergebnissen sofort informiert werden würden, ließen sie ihn in Ruhe.

Kaum hatte Schäfer das Pult verlassen, stand der Bürgermeister von seinem Sessel auf und ging ans Mikrofon, um seine Sichtweise der Dinge darzutun. Was sich in etwa so anhörte, als wäre das Ganze nur eine leicht übertriebene Inszenierung eines Stücks aus dem Bauerntheater und trotz der bedauerlichen Todesfälle überhaupt kein Grund, die Bevölkerung oder gar die Gäste in Panik zu versetzen, die ja vor allem in Kitzbühel weilten, weil dies hier ein Ort der Geborgenheit war, an dem man sich vor den Widrigkeiten des Lebens sicher wähnte, was natürlich auch weiterhin der Fall sein würde, dafür gäbe er sein Wort, und dass er kein Mann leerer Versprechungen wäre, zeige sich ja schon daran, dass er seinen guten Freund Oberst Kamp umgehend bewogen hätte, den so erfahrenen wie erfolgreichen Major Schäfer nach Kitzbühel zu holen, dem er vonseiten der Gemeinde jegliche Unterstützung zusichere und ihn gleichzeitig ersuche, das Vertrauen, das diese Stadt in ihn setze, mit vollem Einsatz zu würdigen.

Jetzt ist es Zeit für den Tusch, dachte Schäfer, murmelte ein Dankeschön, erklärte die Pressekonferenz für beendet und verließ den Saal. Als er auf der Straße stand, überlegte er, wo er zu Abend essen könnte. Sein Magen knurrte, die letzte Mahlzeit war schon eine Weile her. Er entschied sich für ein Wirtshaus im Stadtzentrum. Nach Ereignissen dieser Größenordnung würden sich die Einheimischen bestimmt zusammenrotten, um in ausufernden Gesprächen und mit rauen Mengen Alkohol die allgemeine Aufgewühltheit zu besänftigen. Und wenn er, der seit Jahren nicht mehr hier gewesen war, die schwere Holztür aufdrückte und in die Gaststube trat: Würde der Klavierspieler abrupt zu spielen aufhören? Schäfer schob sich zwischen einer Gruppe italienischer Touristen und den umhereilenden Kellnern zur Bar, wo er sich mit dem Rücken zum Stammtisch neben einen in sich gekehrten Trinker stellte. Er bestellte ein großes Bier und ein Paar Würstel mit Kren. Das plötzlich leiser werdende Gespräch hinter seinem Rücken konnte nur bedeuten, dass er erkannt worden war. Sehr gut.

„Du bist der Kommissar“, stellte sein Nachbar lakonisch fest und wandte sich wieder seinem Glas zu.

„Kommissar gibt’s keinen“, erwiderte Schäfer und biss in das erste Würstel, „zumindest nicht bei uns. Ich bin Major. Und du?“

„Sepp Rohrschacher. Nur Sepp.“

Schäfer aß schweigend seine Würstel fertig. Die Stimmen hinter ihm waren wieder lauter geworden, wenngleich jeder ein Ohr an der Bar hatte.

„Und?“, wandte sich Rohrschacher ihm erneut zu.

„Ich habe keine Ahnung“, interpretierte Schäfer die Frage als eine seinen Fall betreffende, „zwei Kitzbüheler tot … mehr als tot, würde ich sagen … da ist einer ziemlich sauer auf die beiden gewesen.“

„Da gibt’s mehr als einen“, gab Rohrschacher zurück und sah mit sichtlichem Missfallen, dass sich einer der Stammtischsitzer neben ihn gestellt hatte, um an der Bar ein Bier zu bestellen.

„Wenn ich auf den Kellner warte, verdurste ich noch“, lud sich der Neuzugang ins Gespräch ein.

„Auch kein schöner Tod“, gab Schäfer sein Einverständnis.

Das Hinzutreten eines Dritten löste Rohrschacher, der nun um seine Alpharolle im Dialog mit dem Major fürchtete, sehr plötzlich in seiner anfänglichen Sprechhemmung. „Was die beiden Dreck am Stecken gehabt haben, das geht nicht einmal auf die Haut von deinen überzüchteten Rindern. Damals, weißt du noch, der Obernauer, der hat sich erschossen, wegen dem Krassnitzer, weil ihm der das Haus weggenommen hat, der Saukerl, ganz hinterfotzig war das, und der feine Herr Bürgermeister, der war da auch nicht unbeteiligt, das sag ich dir.“

Der andere nickte stumm und trank vom Bier, das ihm der Schankbursch hingestellt hatte.

„Und der Steiner … keinen Deut besser, immer dabei, wenn’s irgendwo was zu holen gegeben hat. Glaubst, der hat sich sein Schloss da oben gebaut mit dem, was er als Installateur verdient hat? Saubande, die. Hat’s endlich einmal die Richtigen erwischt.“

„Den Steiner haben’s ans Kreuz gehängt, am Karstein oben, stimmt’s?“, wandte sich der Mann neben Rohrschacher an Schäfer.

Der nickte nur, worauf Rohrschacher sofort wieder das Wort ergriff: „Ja das passt, der Jud, der hinterfotzige.“

Schäfer sah ihn ernst an und Rohrschacher bemerkte sofort kleinlaut: „Nichts gegen unseren Herrn Jesus, der hat ja nichts dafür können!“

„Der Steiner war also Jude“, sagte Schäfer,...