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Neuropsychologie von Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten

Angela Heine, Verena Engl, Verena Maria Thaler, Barbara Fussenegger, Arthur M. Jacobs

 

Verlag Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2012

ISBN 9783840922459 , 114 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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19,99 EUR


 

Auch die Identifizierung neuroanatomischer Merkmale normaler und gestörter Verarbeitung von Schriftsprache wird in neuerer Zeit immer wichtiger . Beim Lesen wird typischerweise ein linkshemisphärisches Netzwerk mit zwei posterioren (dorsale und ventrale Areale) und einem inferiorfrontalen anterioren Areal aktiviert (vgl . Abbildung 3) .

Die in diesem Modell beschriebene temporo-parietale (dorsale) Region, die im angularen und supramarginalen Gyrus lokalisiert ist, wird mit einem langsamen phonologie-basierten Syntheseprozess in Verbindung gebracht . Sie ist an der regelbasierten Umwandlung von Graphemen in Phoneme beteiligt und wird vor allem beim Lesen von Pseudowörtern aktiviert sowie bei Aufgaben, die eine phonologische Analyse erfordern . Vergleicht man kortikale Aktivierungen in dieser Region bei Personen mit einer LeseRechtschreibstörung mit denen normal Lesender, zeigt sich, dass sowohl beim Pseudowortlesen als auch beim Wortlesen bei der Gruppe mit LRS ein geringeres Aktivitätsniveau feststellbar ist .

Zur okzipito-temporalen (ventralen) Region gehört vor allem der posteriore fusiforme Gyrus . Diese Region wird mit einer automatisierten Wortverarbeitung im so genannten visuellen Wortformareal in Verbindung gebracht . Wird diese Region beim Lesen aktiviert, so wird angenommen, dass auf ein linguistisch strukturiertes und gedächtnisbasiertes Wortidentifikationssystem, das so genannte orthographische Lexikon, zurückgegriffen wird . Studien zeigen, dass diese Region vor allem beim Lesen von Wörtern aktiviert ist . Ist eine Lese-Rechtschreibstörung vorhanden, ist die neuronale Aktivierung in dieser Region sowohl beim Wortals auch beim Pseudowortlesen typischerweise geringer . Pugh und Kollegen (2001) nehmen an, dass die für das Lesen spezifische Funktion dieser Region nur dann entsprechend entwickelt werden kann, wenn die Funktionsfähigkeit der temporo-parietalen Region und somit der Graphem-Phonem-Konversion normal entwickelt ist . Selbst bei gut kompensierten Erwachsenen mit einer Lese-Rechtschreibstörung ist die okzipito-temporale Region in ihrem Aktivierungsmuster auffällig .

Die anteriore Region, die mit der ventralen und der dorsalen Region verbunden ist, liegt im inferioren, frontalen Gyrus und scheint vor allem in phonologische und artikulatorische Prozesse involviert zu sein . Diese Region ist vor allem beim Lesen von Pseudowörtern und bei der Übersetzung von Graphemen zu Phonemen aktiviert . Bei einer Lese-Rechtschreibstörung ist die anteriore Region sowohl beim Wortlesen als auch beim Pseudowortlesen stärker aktiviert . Es wird angenommen, dass diese relativ erhöhte Aktivierung frontaler Areale sowie rechtshemisphärischer Areale bei Menschen mit Lese-Rechtschreibstörungen teilweise mit kompensatorischen Mechanismen assoziiert ist (Vellutino, Fletcher, Snowling & Scanlon, 2004) .

Der aktuellen Leseforschung liegen eine Zahl unterschiedlicher neurokognitiver Ursachentheorien vor, die nebeneinander stehen beziehungsweise teilweise versuchen, sich gegenseitig zu subsumieren .

Im Zentrum neurokognitiver Verursachungshypothesen der Lese-Rechtschreibstörung steht die Annahme eines phonologischen Defizits . Andere Ansätze versuchen, dieses Defizit auf basale Ursachen zum Beispiel im visuellen oder auditiven Bereich zurückzuführen . Die Befundlage hinsichtlich dieser basalen Erklärungsansätze ist allerdings bis heute uneinheitlich . In einer Studie von Ramus und Kollegen (2003) wiesen alle untersuchten Probanden ein phonologisches Defizit auf, während 62 Prozent ein auditives Defizit, 25 Prozent ein motorisches Defizit und 12,5 Prozent ein visuelles Defizit zeigten . Ein zusätzlich zu einem phonologischen Defizit vorliegendes auditives Defizit verschlimmerte das Ausmaß der Lese-Rechtschreibstörung tendenziell . Während ein singuläres Defizit der phonologischen Bewusstheit immer mit einer Lese-Rechtschreibstörung verbunden war, konnte kein eindeutiger Zusammenhang zwischen motorischen oder visuellen Defiziten und dem Auftreten einer Lese-Rechtschreibstörung festgestellt werden .

Im Folgenden werden die wichtigsten Theorien zur Verursachung einer Lese-Rechtschreibstörung zusammenfassend erläutert .

2.3.1 Die phonologische Defizithypothese

Die phonologische Defizithypothese ist die am weitesten akzeptierte Verursachungsannahme (Hatcher, Hulme & Ellis, 1994; Snowling, 2000; Wimmer, 1993) . Demnach ist die Repräsentation gesprochener Sprache im Gehirn gestört und daher sowohl die Speicherung als auch der Abruf von Sprachlauten defizitär . Hinsichtlich der Auswirkungen auf das Lesen und Rechtschreiben ist anzunehmen, dass eine defizitäre Repräsentation der Sprachlaute dazu führt, dass die für schriftsprachliche Verarbeitungsprozesse notwendigen Phonem-Graphem-Korrespondenzen unterspezifiziert sind und daher keine oder nur defizitäre Einträge im orthographischen Lexikon aufgebaut werden .

Empirische Belege stammen aus Untersuchungen, die zeigen, dass leserechtschreibgestörte Personen bei Aufgaben zur Messung phonologischer Bewusstheit (vgl . Tabelle 4) deutliche Schwierigkeiten haben . Kinder, die im Kindergarten Schwierigkeiten mit solchen Aufgaben haben, zeigen später gehäuft Symptome einer Lese-Rechtschreib-Störung . Aber auch nach Beginn des Schriftspracherwerbs (und bis ins Erwachsenenalter) bleibt der Zusammenhang zwischen Leseund Rechtschreibfähigkeit und phonologischer Bewusstheit bestehen (Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 1993; Schnitzler, 2008) . Auf neuronaler Ebene wird eine Dysfunktion der linkshemisphärischen, perisylvischen Region mit gestörten phonologischen Repräsentationen beziehungsweise mit unterspezifizierten Verbindungen zwischen phonologischen und orthographischen Einheiten in Zusammenhang gebracht (Pugh, et al ., 2001) .