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Kismet - Kayankayas vierter Fall

Jakob Arjouni

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257601848 , 272 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

[98] 8

»Oh, nein!«

Romario sprang vom Sessel, nahm meinen Arm und half mir, mich aufs Sofa zu legen.

»Was… was ist passiert?«

»Hab die Armee der Vernunft gefunden.« Meine Stimme klang, als würde ich unter Wasser sprechen. »Hol mir ’ne Flasche Wodka und ruf den Notarzt.«

Als der Arzt etwa eine Stunde später seinen Koffer schloß, sagte er: »Das muß geröntgt werden. Fahren Sie am besten gleich ins Krankenhaus. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Wagen rufen.«

»Gebrochen?«

Er zuckte mit den Schultern. »Kann ich wegen der Schwellung nicht sehen. Wie haben Sie sich das eingehandelt?«

»Mit ’ner Dummheit.«

»Aussehen tut es, als hätte Ihnen jemand aus Versehen eine Gartenhacke oder so was ins Gesicht gehauen.«

»’n Schlagring, und nicht aus Versehen.«

»So.« Er räusperte sich. »Na ja. Wenn Sie sich noch einen Moment ausruhen wollen, bevor Sie ins Krankenhaus fahren, legen Sie Eis drauf.«

Der Arzt ging, und ich beauftragte Romario, im Supermarkt um die Ecke Alkoholnachschub und eine Ahrens-Tütensuppe zu besorgen. Dann schlief ich ein. Als ich zwei Stunden später aufwachte, saß Romario neben meinem Kopf und hielt mir ein Küchentuch voll Eis an die Wange.

[99] »Wie geht’s?« fragte er.

Ich wollte irgendwas antworten, bekam aber nichts raus und machte mit der Hand eine So-lala-Bewegung.

»Sobald du dich kräftig genug fühlst aufzustehen, ruf ich ein Taxi, und wir fahren ins Krankenhaus. Deine Suppe gab es übrigens nicht. Aber vielleicht solltest du jetzt sowieso nichts essen. Erst mal abwarten, was beim Röntgen rauskommt. Falls sie operieren müssen, meine ich.«

Ich beobachtete ihn, wie er mit besorgter Miene bemüht war, das Tuch voll Eis so zu halten, daß es kühlte ohne zu drücken. Nach einer Weile schlief ich wieder ein.

Es war kurz nach zehn, als wir aus dem Krankenhaus zurückkamen. Nichts gebrochen, aber jede Menge lädiert, was immer der Arzt damit meinte. Man hatte mir einen Verband um den Kopf gelegt, mir etwas gegen die Schmerzen gespritzt, und ich sollte die nächsten Tage im Bett bleiben. Während ich mich mit Fernbedienung und Mineralwasser auf dem Sofa einrichtete, kochte Romario in der Küche Zeug zusammen, das er auf der Rückfahrt in einem Nachtshop gekauft hatte. Schwaden von verbrannter Butter zogen aus der Küchentür. Ich lehnte mich zurück und schaltete den Fernseher an.

Nach dem Essen und nachdem ich mich wieder mal gefragt hatte, warum Romarios Berufswahl ausgerechnet auf Koch gefallen war, erzählte ich ihm vom Vormittag bei Doktor Ahrens. Er saß vor mir, wie ich mir vorstellte, daß eine meiner mir unbekannten Omas in so einer Situation vor mir gesessen hätte: die Hände zwischen die Knie geklemmt, die Höhepunkte der Erzählung eifrig abnickend [100] und trotz aller Anteilnahme immer mal wieder einen kritischen Blick auf meinen noch halbvollen Teller werfend.

»Das heißt«, schloß ich, »daß du heute nacht wach bleiben mußt.«

Romario zögerte. Da nun alles erzählt und geklärt war, schien ihm wieder sein gewohnter Tagesablauf einzufallen, worin ein regelmäßiger Schlaf zu zivilisierten Zeiten keine ganz unbedeutende Rolle spielte. »Warum?«

»Weil Ahrens rausbekommen könnte, wer ich bin, und dann wird er hier einmarschieren.«

»Hm«, machte Romario skeptisch. »Und dann? Marschier ich ihm entgegen?«

»Dann weckst du mich. Ich hab die Schrotflinte und Pistolen, und bevor die hier reinkommen, hat das halbe Viertel die Polizei gerufen.«

Er begann mit seiner heilen Hand das Geschirr zusammenzustellen. »Woher hast du gewußt, daß Ahrens was damit zu tun hat?«

»Ich hab nichts gewußt. Ich bin hingegangen, um ein bißchen rumzustochern, und plötzlich lief’s von alleine.«

Er brachte das Geschirr in die Küche und klapperte eine Weile herum. Dann kam er mit zwei Schälchen Eis zurück, gab mir eins, setzte sich wieder in den Sessel und fing an langsam vor sich hin zu löffeln.

»Okay, Romario, hab’s kapiert, du willst was sagen, also sag’s.«

»Na ja, sieh mal… Als das letzte Woche alles angefangen hat, da dachte ich, das ist eine normale Schutzgelderpressung wie sonst auch. Und du kannst mir glauben, daß ich kein Feigling bin. Von acht Erpressungsversuchen, [101] seit die Schmitz’ weg sind, hab ich bestimmt fünf abgewehrt…«

Soweit ich wußte, war Romario, was das betraf, tatsächlich kein Feigling, was mich immer ein bißchen wunderte. Ich hatte erlebt, wie er mit zwei Schlägern umgegangen war, die ihn vor versammelten Gästen ausnehmen wollten. Dabei hatte er mich an eine bestimmte Art von Großbürgertöchtern erinnert, die sich irgendwann aufmachten, die Welt jenseits von Appartements mit Gästetoiletten und Landhäusern mit Fußbodenheizung zu entdecken, und die mit einer Mischung aus Abenteuerlust, Naivität und Arroganz in die heikelsten Situationen gerieten, ohne sich dessen bewußt zu sein, und denen vielleicht genau deshalb fast nie etwas passierte. Romario jedenfalls behandelte die Schläger wie Idioten, die mal bitte darüber nachdenken sollten, wie er das Geld, das sie von ihm verlangten, einnehmen solle, wenn sie ihm mitten in der Hauptbetriebszeit dauernd im Weg rumständen. Nach einer halben Stunde und nachdem ihnen Romario mit zwei Gratis-Lambruscos den Magen verdorben hatte, zogen sie entnervt davon.

»…Und ich dachte, mit meiner Pistole und ein paar Schießstunden ginge das so weiter. Die meisten jagt man davon, aber wenn sich jemand nicht davonjagen läßt und wenn man’s verkraften kann, zahlt man eben. Bei dieser komischen Armee war es ja nur die enorme Summe, warum ich dich um Hilfe gebeten habe. Aber inzwischen denke ich – also mal vorausgesetzt, die Versicherung macht keine Probleme –, ist es besser, ich zahle. Und dann gibst du ihnen das Auto zurück, und wir vergessen das Ganze.«

»Ach ja? Und die Toten, geb ich die auch zurück?«

[102] »Du erklärst diesem Ahrens einfach, wie es war: Notwehr. In solchen Kreisen gehört so was doch dazu.«

»Aber ich gehör nicht zu solchen Kreisen. Außerdem hast du mein Gesicht vergessen. Was gibt’s dafür?«

Romario hob leicht die Schultern und druckste herum. Vielleicht dachte er, daß ein zerschlagenes Gesicht an meinem Aussehen nicht allzuviel änderte. Im übrigen glaubte ich, daß er genau wegen des Gesichts versuchte mich zum Ausstieg zu überreden. Bisher war sein Plan gewesen, die Versicherungssumme zu kassieren, eine Weile unterzutauchen und, wenn sich die Angelegenheit beruhigt hätte, irgendwo anders von neuem sein Glück zu versuchen. Die Tatsache, daß ich nicht lockerließ und er, ob er wollte oder nicht, in der Sache mit drinhing, brachte seinen Plan und nicht zuletzt auch sein Gesicht in Gefahr. Vor allem das. Die rührende, absolut selbstlos erscheinende Pflege, mit der er mich während des gesamten Nachmittags bedacht hatte, konnte ich mir nur mit einer Art umgekehrter Projektion erklären.

In dem Moment klingelte das Telefon. Romario, dankbar für die Unterbrechung, sprang auf und brachte mir den Apparat. Dann verschwand er in der Küche. Ich nahm den Hörer ab und sagte: »Hallo.«

»Hey, Kayankaya«, rief mir ein offenbar prächtig gelaunter Slibulsky ins Ohr, »du klingst, als hättest du diese scheiß Armeetypen gefunden und sie hätten dir zur Begrüßung ’nen Betonpfeiler in die Fresse geworfen.« Er lachte fröhlich, und nach dem irgendwie stickigen Abend mit Oma Romario war das wie frische Luft. »Was is los? Hast du Deborah unterm Ventilator gevögelt und dir ’n Schnupfen geholt?«

[103] »Ich hab die scheiß Armeetypen gefunden, und sie haben mir zur Begrüßung ’nen Betonpfeiler in die Fresse geworfen.«

»Wie? Ohne Witz?«

Ich erzählte ihm kurz, was passiert war und daß es mir seit der Spritze schon wieder einigermaßen gehe.

»Du hast ’n Verband im Gesicht?«

»Hm.«

»Wann kommt der runter?«

»Keine Ahnung.«

»Erkennt man trotzdem ein bißchen was von dir?«

»Was soll das werden? Ein Geständnis, daß dir was fehlt, wenn du nicht alle paar Tage ein Stück nacktes Gesicht von mir siehst?«

»Gina gibt nächsten Freitag ein Essen, richtig mit Kerzen und Tischdecke. Sie ist zur Leiterin ’ner Museumsabteilung ernannt worden. Na ja, und da kommen ’n Haufen Freundinnen und Kolleginnen von ihr. Zum Teil wirklich schicke Damen. Aber wenn man nur deine Wampe sieht, sind das für ’ne erste Begegnung nicht gerade Topbedingungen.«

»Du wirst es kaum glauben, aber im Moment…«

»Weiß schon, weiß schon: die Armee und dein Gewissen und keine Zeit undundund… Wenn du nächsten Freitag halbwegs ansehnlich bist und nicht vorbeikommst, haben wir ’n echtes Problem. Okay?«

»Okay.«

»Was vom Tangomann gehört?«

»Kann man so sagen. Heute morgen ›Kein schöner Land‹ unter der Dusche, und jetzt, wie er meine Küche auf Hochglanz bringt.«

[104] »Wieder kein Witz?«

»Nein. Er lebt, und wie.«

»Na, erzähl’s mir ein andermal, ich muß zu meinen Verkäufern zurück. Wir haben drüben ’ne kleine Party: Drei Jahre Gelati Slibulsky, wer hätte das gedacht!«

»Gratuliere. Übrigens glaube ich, du hattest recht mit den Bonbons, da ist was dran.«

»Hmhm«, machte er zufrieden, und wir verabschiedeten uns bis spätestens nächsten Freitag.

In der Küche war Romario dabei, mit einem Schwamm Kalkränder von meiner Spüle zu scheuern. Er hatte Schuhe...