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Dumm gelaufen

Jason Starr

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257601954 , 288 Seiten

3. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

[5] 1

Als der stämmige, italienisch aussehende Typ im Nadelstreifenanzug Vincent’s Fish Market an der Ecke Flatbush Avenue und Avenue J betrat, legte Mickey Prada die Daily News beiseite, die er gerade las, und sagte: »Das Übliche, stimmt’s?«

»So isses, Kleiner«, sagte der massige Typ lächelnd.

Während Mickey ihn bediente – ein Pfund gekochte Shrimps und ein Döschen Cocktailsauce –, zog der Mann ein Blatt Papier heraus und hielt es Mickey vor die Nase.

»Ist das zu fassen?«, sagte er. »Ich muss heute zum Scheiß-Gericht.«

Auf dem Blatt stand eine Menge geschrieben, doch Mickey konnte nur in einer Ecke die Großbuchstaben OK in roter Schrift erkennen, ehe der Mann es wieder wegsteckte.

»Unfassbar, dass ich mit diesem Scheiß meine Zeit vergeuden muss«, fuhr der Typ kopfschüttelnd fort. »Aber ich komme ungeschoren davon. So wie immer.«

Mickey tippte den Betrag in die Kasse. Als er dem Mann das Wechselgeld auf seine fünfzig Dollar rausgegeben hatte, streckte der die Hand aus und sagte: »Ich bin übrigens Angelo. Angelo Santoro.«

[6] Mickey wischte sich an seiner schmutzigen weißen Schürze die Hand ab und schüttelte Angelos Pranke.

»Mickey. Mickey Prada.«

An diesem Abend war Mickey bei seinem Freund Chris und sah sich auf dem neuen Farbfernseher in Chris’ Zimmer das Eishockeyspiel zwischen den Islanders und den Flyers an. In einer Werbepause erzählte Mickey Chris von Angelo Santoro und dem Gerichtsdokument.

»Egal was du machst, leg dich mit diesem Typ nicht an«, sagte Chris.

»Wie meinst du das?«, fragte Mickey.

»OK, Blödmann. Du weißt doch, was OK bedeutet, oder?«

Mickey schüttelte den Kopf.

»Organisierte Kriminalität, Trottel. Dein Freund Angelo ist ein Mafioso.«

»Nun mach mal ’n Punkt«, sagte Mickey.

»Glaub mir«, sagte Chris. »Ich kenn mich da aus.«

Als Angelo ein paar Tage danach wieder in den Fischladen kam, sah Mickey ihn sich genauer an. Wie alt Angelo war, ließ sich schwer sagen, weil er pechschwarze, wahrscheinlich mit Brylcreem gefärbte Haare hatte, doch er sah aus wie vierzig, vielleicht ein paar Jahre älter. Und er hatte auf jeden Fall etwas Mafiamäßiges an sich. Was nicht nur an den nach hinten gegelten Haaren und den schicken Klamotten lag, sondern auch an seinem Auftreten, immer dieses halbe Lächeln, und dann sein Gang, der eher ein Stolzieren war.

Mickey behandelte Angelo freundlicher als sonst – er [7] lächelte, erkundigte sich nach seinem Befinden, packte noch ein paar Garnelen mehr in den Behälter. Auch Angelo war freundlich, redete über die Wahlen im nächsten Monat, prophezeite, dass Reagan Mondale fertigmachen würde.

An der Kasse, als Mickey den Betrag eintippte, sagte Angelo: »Du bist also Footballfan, Kleiner?«

»Stimmt«, sagte Mickey. »Woher wissen Sie das?«

»Hab dich neulich mit dem jungen Schwarzen reden hören, der hier arbeitet. Und glaubst du, dass die Jets es dieses Jahr schaffen?«

»Ich hoffe es«, sagte Mickey.

»Das wird schwer«, sagte Angelo, »so wie die Dolphins zurzeit spielen – sieben Siege, keine Niederlage. Aber der junge O’Brien macht ’n ziemlich guten Eindruck, und sie haben ’ne tolle Verteidigung. Ich hab übrigens Dauerkarten.«

»Echt?«, sagte Mickey.

»Ja, schon seit 68.«

»Haben Sie die Jets in dem Jahr gesehen, als sie den Super Bowl gewonnen haben?«

»Ich war bei jedem Spiel, auch beim Finale.«

»Sie waren dort

»Zwölfter Januar 1969. Orange Bowl, Miami, Florida. Fünfte Reihe, an der Vierzig-Yard-Linie.«

»Ach du Scheiße«, sagte Mickey.

»Du hättest an dem Tag Namath sehen sollen, Kleiner, seine Pässe zu Maynard und Sauer.« Angelo tat, als würfe er einen Football. »Echt traurig, dass ihn seine Knie im Stich gelassen haben, sonst wäre er heute noch [8] Quarterback. Hey, keine Ahnung, ob du Interesse hast, aber zu dem Spiel Jets gegen Giants im Dezember kann ich nicht gehen. Wenn du meine Karten willst, kannst du sie haben.«

»Ich weiß nicht«, sagte Mickey. »Ich würd echt gerne hin, aber ich kann’s mir wohl kaum leisten.«

»Leisten? Wer hat denn was von leisten können gesagt? Ich schenk dir die Tickets.« Angelo grinste.

»Ist schon okay. Ich meine, Sie müssen das echt nicht machen.«

»Hey, beleidige mich nicht«, sagte Angelo, auf einmal ernst. »Ich sagte, ich schenke dir die Karten, und ich werde dir die Karten schenken. Ist das Mindeste, was ich für meinen Lieblingsfischverkäufer tun kann.«

»Okay«, sagte Mickey. »Wenn Sie wirklich wollen.«

Angelo lächelte wieder breit. »Das Spiel ist erst im Dezember – vorher sehe ich dich sicher noch oft. Ich bringe die Karten demnächst mal vorbei.«

»Danke«, sagte Mickey.

»Na dann, mach’s gut«, verabschiedete sich Angelo.

Am nächsten Montag filetierte Mickey nachmittags auf der Arbeitsfläche hinter den Verkaufstresen Flundern. Nachdem er die Schuppen abgekratzt hatte, machte er einen kurzen Schnitt unter der einen Vorderflosse, direkt hinter den Kiemen, dann einen längeren Schnitt bis hinunter zur Schwanzflosse. Das Gleiche wiederholte er auf der anderen Seite des Fisches, dann zog er die Karkasse heraus, schob die Filets beiseite und nahm sich den nächsten Fisch vor.

[9] Mickey zerlegte gerade eine Flunder, als Mrs. Ruiz den Laden betrat.

»Wie geht’s Ihnen heute, Mrs. Ruiz?«

»Sehr gut, Mickey.«

»Was darf ich Ihnen geben?«

»Haben Sie Muscheln?«

Mickey rollte seinen rechten Hemdsärmel hoch, spannte den Bizeps an und sagte: »Jawoll.«

Als Mrs. Ruiz das Geschäft wie üblich mit zwei Pfund Miesmuscheln und zwei Pfund Venusmuscheln für ihre Paella verlassen hatte, kam Charlie nach vorn, einen großen Ghettoblaster auf der Schulter.

»Mach den Scheiß aus«, sagte Mickey.

»Also echt«, sagte Charlie, »sogar Weiße mögen diese Musik.«

»Ich mein’s ernst«, sagte Mickey.

Charlie drehte leiser. »Stimmt ja – du bist Italiener. Du stehst auf diesen John-Travolta- und Bee-Gees-Scheiß. Am Wochenende machst du dich bestimmt schick wie Deney Terrio und drehst deine Donna-Summer-Mucke auf. Gib’s zu, das ist die Wahrheit. Leugnen ist zwecklos.«

Als Charlie anfing, mit der Musik mitzusingen, musste Mickey unwillkürlich grinsen. »And don’t ever come down… Freebase!«

Charlie sang weiter, während Mickey in die nächste Flunder schnitt.

»Mickey Prada, wie geht’s?«

Mickey drehte sich um, und da stand Angelo, in einem seiner Nadelstreifenanzüge, auf der anderen Seite des [10] Verkaufstresens. Angelo hatte sich etwa eine Woche nicht mehr in dem Fischgeschäft blicken lassen, und Mickey war erstaunt, dass er seinen Namen noch wusste.

»Wie geht’s denn so?«, sagte Mickey. »Hey, Angelo, das hier ist Charlie.«

Charlie und Angelo begrüßten einander, dann drehte Charlie die Musik leiser und ging einen anderen Kunden bedienen, der gerade den Laden betreten hatte.

»Du weißt, warum ich hier bin«, sagte Angelo zu Mickey.

»Kommt sofort.«

Während Mickey die gekochten Shrimps in einen Ein-Pfund-Behälter füllte, sagte Angelo: »Prada. Das ist nicht sizilianisch, oder?«

»Nö, mein Großvater kam aus dem Norden«, antwortete Mickey.

»Milano?«

»Da in der Gegend.«

»Eh, was soll’s?«, sagte Angelo. »Norden, Süden, du stammst nun mal aus der alten Heimat, nur das zählt. Verrat mir noch eins, Kleiner. Was willst du aus deinem Leben machen?«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich meine: Du arbeitest hier in einem Fischgeschäft. Gehst du auch zur Schule?«

»Ich mache ein Jahr Pause, dann gehe ich aufs Baruch College in Manhattan.«

»College?«, wiederholte Angelo, als hätte er das Wort noch nie gehört. »Was willst du da lernen?«

»Ich will Buchprüfer werden«, sagte Mickey.

[11] »Buchprüfer?«, sagte Angelo. »Du wirst doch nicht etwa Steuerfahnder fürs Finanzamt, oder?«

Mickey lachte. »Nö, ich will in der Privatwirtschaft arbeiten. Bei einer Firma wie Ernst & Young oder so.«

»Tja, das klingt doch gut«, sagte Angelo, »nehme ich an. Aber falls du mal was anderes suchst, kannst du mit mir reden, okay? Wenn du dich mit Zahlen auskennst, kann ich dich irgendwo unterbringen, wo du nicht schlecht verdienst. Kennst du dich mit Zahlen aus?«

»Sie meinen Lottozahlen und so?«, fragte Mickey.

Angelo nickte.

»Ein bisschen«, sagte Mickey. »Ich spiele zwar nicht selbst, aber –«

»Das ist in Ordnung«, sagte Angelo, »lass es besser bleiben. Wie stehen die Chancen, beim Lotto die richtigen Zahlen zu tippen, so was wie zigtausend zu eins? Es ist wahrscheinlicher, dass ich heute sterbe, als dass ich die richtige Zahl erwische. Ich spreche von der anderen Seite des Geschäfts. Wenn du von Mathe Ahnung hast, kennst du dich doch mit Wettquoten und so was aus, stimmt’s?«

»Danke. Aber ich werd wohl einfach weiter hier arbeiten… bis ich wieder mit dem Studium anfange.«

»Ey, deine Entscheidung«, sagte Angelo. »Du machst das, was du tun willst. Ich sag nur, du bist ein fähiger Kerl – du wirst es bestimmt mal weit bringen. Ich glaube auch nicht, dass du dafür studieren musst. Ich glaube, du könntest sofort loslegen, wenn...