dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Die Rastlosen

Philippe Djian

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257601978 , 240 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

Alkohol lockte Studenten an, und Richard hatte ihnen versprochen, dass die Bar gut bestückt sein würde – ebenso wie er den Lehrkräften gepflegtes Essen versprochen hatte, ein Fernbleiben wäre unverzeihlich.

Jeder Fachbereichsleiter, der eine Party organisierte, konnte in der Regel sicher sein, dass er nicht allein dasaß, aber er ging noch weniger Risiko ein, wenn sich der Direktor mitsamt seiner Frau die Ehre gab, seinen Champagner trank und sein Grillfleisch verschlang. Richards Garten war ziemlich gut gefüllt. Der Kerl hatte einen schönen Frühlingstag erwischt, und sein Grill brummte – zumindest hatte der Typ ein Händchen dafür, Würstchen und Hähnchenbrust zu braten.

Es war warm, die Frauen trugen Sandalen. Marianne und [121] er trafen ein, als Richard gerade eine neue Ladung Fleischspieße auflegte.

»Ich freue mich sehr, dass Sie da sind, Marc, Sie und Ihre Schwester. Ich hoffe, Sie wissen das. Ich hoffe, wir verstehen uns da nicht falsch.«

»Nein, alles in Ordnung. Was empfehlen Sie mir? Nichts allzu Fettiges, wenn’s geht.«

»Ich habe genau das Richtige für Sie. Probieren Sie das hier.«

»Sind Sie sicher?«

»Kommen Sie doch mal her, Marc, ich möchte Ihnen etwas sagen. Darf ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen?«

»Nein, Richard, lieber nicht. Ich sage es Ihnen lieber rundheraus. Ich möchte nicht, dass mir irgendjemand Geheimnisse anvertraut, egal wer. Nehmen Sie es nicht persönlich. Das ist eine Verantwortung, die ich nicht tragen will. Ich bin Schlafwandler. Fragen Sie Marianne. Ich spreche im Schlaf. Ich laufe herum und ich spreche. Ganz einfach. Wenn es um Vertraulichkeiten geht, klopfen Sie nicht bei mir an, tut mir leid. Als Vertrauensperson bin ich wertlos.«

Hinter ihnen lachten ein paar Dozenten schallend, als einige ihrer kleinen Kinder sich Grimassen schneidend mit Wasserpistolen bekämpften. Richard lächelte und drehte ein paar Koteletts um.

»Marc, ich wollte Ihnen einfach nur sagen, dass ich es sehr schätze, dass Sie gekommen sind. Wissen Sie, ich bin mir bewusst, wie sehr Sie sich bemühen. Ich versetze mich in Ihre Lage. Ich habe nie eine Schwester gehabt, aber ich versuche, mich in Ihre Lage zu versetzen.«

»Das ist nett von Ihnen. Das tröstet mich. Ziemlich [122] gelungen, Ihre kleine Party. Sie haben nicht zufällig englischen Senf da?«

Ein halbes Dutzend Studenten, die mehr oder minder zwangsverpflichtet worden waren, eilten mit Essen und Trinken von einer Gruppe zur nächsten und achteten darauf, dass die Kinder, die überall herumrannten, nicht das Haus verwüsteten, den Gashahn öffneten, sich in einem Wandschrank einschlossen oder ein Feuer legten – Richard wusste seine Stellung zu nutzen und hatte keinerlei Probleme, Arbeitskräfte aufzutreiben. Annie Eggbaum war auch dabei. Er bemerkte sie erst, als er mit ihr zusammenstieß, denn ihr Weg kreuzte sich zwischen zwei Tischen. Sie blieben kurz aneinander hängen.

»Ach, Annie, Sie sind’s?«, sagte er und achtete auf seine Hände.

Ihr Gesicht verfinsterte sich.

Als er sich ein wenig später aus einer Gruppe von Leuten wegstahl, die wegen des Tragens von Kopftüchern in der Schule das Europäische Parlament anrufen wollten, baute sie sich vor ihm auf und fragte ihn mit vor Wut rosa gefärbten Wangen, was eigentlich mit ihm los sei.

Trotz seiner mehr als zwanzig Jahre Berufserfahrung hatte er so etwas noch nicht erlebt, ein derartiges Benehmen, eine derartige Respektlosigkeit. Eine derartige Anmaßung, eine derartige Dreistigkeit. Dass er doppelt so alt war wie sie, half ihm gar nichts, sie fuhr ihn brutal an, drängte ihn in die Ecke. Er sah sich flüchtig um und ermahnte sie, leiser zu sprechen.

»Was haben Sie für ein Problem, na los, sagen Sie’s mir!«, wütete sie.

[123] In diesem Moment dachte er, dass er ihr wahrscheinlich den Hals umdrehen müsse, um sie zum Schweigen zu bringen, denn sie wurde nicht nur kein bisschen leiser, jetzt überschlug sich ihre Stimme sogar noch. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie entschieden am Arm zu packen und lächelnd beiseitezuziehen.

»Verdammt noch mal, sind Sie verrückt?«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Was ist denn in Sie gefahren? Geht es um diese Nachhilfestunden? Ist es das?«

»Sie wissen ganz genau, dass es nicht darum geht«, entgegnete sie keuchend, »stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind.«

»Wie bitte?«

»Sie haben mich sehr gut verstanden.«

»Hören Sie mal, so geht das nicht. Wenn Sie in diesem Ton mit mir sprechen, wird das böse enden, Annie. Sie sind knallrot. Haben Sie einen Sonnenstich?«

Mit einer heftigen Bewegung entriss sie ihm ihren Unterarm, den er immer noch festgehalten hatte. »Sie tun mir weh.«

»Gut möglich. Sehen Sie die Spuren in meinem Gesicht? Und ich tue Ihnen weh? Wollen Sie mich verarschen?«

Jetzt war er an der Reihe, vor Wut zu zittern, denn sie nahm nicht nur in Kauf, dass man auf sie aufmerksam wurde, sondern war auch schuld daran, dass er eine dieser gewaltigen Migränen heraufziehen spürte, auf die er abonniert war. Er kniff die Augen zusammen und fügte hinzu: »Wenn Sie einen Aufstand machen, Annie, werden Sie mir das teuer bezahlen, darauf können Sie sich verlassen.«

»Dann haben Sie etwas Respekt vor mir.«

[124] »Was? Ich habe großen Respekt vor Ihnen. Seien Sie unbesorgt. Wenn es das ist, was Ihnen Sorgen macht, kann ich Sie beruhigen.«

Sie sah ihn einige lange Sekunden wortlos an. »Ihnen ist gar nicht klar, was Sie da machen, oder? Kann das sein? Also echt, Sie flirten mit mir, Sie texten mich zu bis zum Abwinken, Sie machen ein Date mit mir aus, Sie fassen mir an die Brüste, und dann ist auf einmal Schluss? Finden Sie das normal?«

»Ich Ihnen an die Brüste gefasst? Also jetzt aber…«

»Als wir auf dieser Bank saßen.«

»Ah, ich verstehe. Das nennen Sie Ihnen an die Brüste fassen? Ich habe den Zuckerstreuer aufgefangen, das war alles. Ich habe den verdammten Zuckerstreuer aufgefangen, bevor er umgefallen ist, das war’s.«

Er ging wieder hinein, um nach ben-u-ron® zu suchen. Sie folgte ihm. »Hören Sie, Annie, seien Sie so gut, lassen Sie mich jetzt einfach in Ruhe. Wenn Sie wollen, können wir uns morgen nach dem Seminar sehen. Ich werde Ihnen ein sehr interessantes Angebot machen, was diese Nachhilfestunden angeht. Etwas Konkretes. Aber verstehen wir uns richtig, Annie. Ich kann Ihnen nicht versprechen, eine Schriftstellerin aus Ihnen zu machen. Kein Mensch hat diese Fähigkeit. Dass wir uns da richtig verstehen. Ich kann Ihnen alle Tricks und Kniffe zeigen, ich kann Ihnen helfen, den Stift zu halten, ein paar Zeichnungen zu kritzeln, aber das ist alles, was ich für Sie tun kann. Ich bin kein Zauberer, okay? Denken Sie an ein Kochrezept. Reicht es, wenn ich alle Zutaten habe? Natürlich nicht. Man muss mit dem Genius gesegnet sein. Da kann Ihr Vater seine Kumpel noch [125] so oft vorbeischicken. Das wird nichts daran ändern. Die Sache, von der wir sprechen, kann man nicht kaufen. Wenn dem so wäre, hätte ich schon längst mein Erspartes darauf verwandt, Annie. Ich wäre nicht hier und würde Literatur unterrichten, ich würde selbst welche schreiben. Das müssen Sie doch verstehen.«

Erneut starrte sie ihn an. »Hören Sie. Ich muss sagen, ich verstehe gerade kein Wort von dem, was Sie mir da erzählen. Ich will einfach nur wissen, warum ich Ihnen nicht gefalle. Ich will wissen, was das Problem ist.«

Sie waren allein im Raum, abgesehen von einigen leicht angetrunkenen Studenten, die sich gegenseitig umarmten und sie nicht im Geringsten beachteten. »Annie. Also gut. Wenn Sie gekommen sind, um mein Schädelbrummen zu verstärken, sagen Sie es mir einfach. Sagen Sie es gleich. Dann wäre das erledigt. Helfen Sie mir lieber, Aspirin zu finden. Wissen Sie, was gut wäre? Wenn wir Frieden schließen würden.«

»Sie können mich mal.«

»Gut. Das ist wenigstens eindeutig.«

Sie suchten in ein paar Schränken und Schubladen. »War-um haben Sie mir das angetan?«, fragte sie, als sie ihm eine Packung Aspirin hinhielt, die sie hinter einer Kompottschüssel herausgefischt hatte. Er dankte ihr mit einem kurzen Nicken. »Davon sollte man immer was zur Hand haben«, bemerkte er, griff nach einer Flasche Wasser und spülte die Tabletten hinunter. »Denken Sie doch mal eine Minute nach, Annie. Wissen Sie, was für mich auf dem Spiel steht, wenn man mich einer Beziehung mit einer Studentin bezichtigt? Schauen Sie sie an«, sagte er und wies auf den [126] schattigen Teil des Gartens, wo die Lehrkräfte des Instituts mit ihren Partnern standen. »Na? Was meinen Sie, wie lange es dauern würde, bis mein Kopf rollen würde? Man würde mich wahrscheinlich nicht ganz so angeekelt aburteilen wie einen alten, pädophilen Priester, aber viel würde nicht fehlen, das können Sie mir glauben. Schauen Sie sie an.«

Er senkte den Kopf. »Das Beste wäre, wenn wir nacheinander rausgingen. Dass wir es heute dabei bewenden lassen. Dass wir später noch einmal über das Ganze reden, zu einem besseren Zeitpunkt, an einem besseren Ort, wenn Sie nichts dagegen haben. Es geht mir wirklich nicht gut. Das wäre wirklich großartig von Ihnen. Ich habe mich Ihnen gegenüber so flegelhaft verhalten, dass ich mir von Ihnen kaum erhoffen kann…«

»Küssen Sie mich. Schließen Sie mich in Ihre Arme und küssen Sie mich.«

»Annie, Annie, Annie«, seufzte er. »Ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden.«

»Jetzt sofort. Sie haben drei Sekunden Zeit. Danach gilt der Deal nicht mehr.«

Er...