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Das Abenteuer der Inspiration - Porträts deutscher Dichter von Lessing bis Dürrenmatt

Otto A. Böhmer

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257601961 , 432 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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22,99 EUR


 

[19] Ich bin nur eine Mühle

Lessing und der Glaube an die Vernunft

Gotthold Ephraim Lessing,
geb. am 22. Januar 1729 in Kamenz (Lausitz),
gest. am 15. Februar 1781 in Braunschweig

Es ist nicht einfach für einen Dichter, einfach zu schreiben; das Komplizierte macht mehr her. Von einem Dichter, der dunkle Satzgebilde strickt, nimmt man an, daß er schlauer sein könnte als andere, gerade weil man ihn nicht recht versteht. Wer einfach schreibt, muß zudem mutig sein: Er lehnt sich weit aus dem Fenster, alles, was er sagt, kann gegen ihn verwendet werden. Der Dichter Lessing war solch ein mutiger Mann; er ließ sich nicht verbiegen, glaubte an die Vernunft im Menschen, an seine Mitleidsfähigkeit, an eine Bildung des Herzens, die mehr wert ist als kalte Gelehrsamkeit. Lessing kommt als Sohn eines Pfarrers zur Welt, der ehrgeizige Pläne hat: Der Sohn soll ein bekannter Prediger werden. Dafür unterrichtet er ihn erst einmal selbst (»versichern kann man, daß Lessing, sobald er nur etwas lallen konnte, zum Beten angehalten wurde«), gibt ihn dann auf die örtliche Lateinschule und erreicht, daß er eine Freistelle an der renommierten Fürstenschule St. Afra in Meißen erhält. Der Sohn macht brav mit, zeigt sich als hervorragender Schüler; in einer Bewertung des Lehrerkollegiums heißt es allerdings, daß er gelegentlich eine »mokante« Art habe. [20] Sein Rektor spart dennoch nicht mit Lob und findet dafür auch einen passenden Vergleich: »Er ist ein Pferd, das doppeltes Futter haben muß: Die Lectiones, die andern zu schwer werden, sind ihm kinderleicht. Wir können ihn fast nicht mehr brauchen.«

1746 geht Lessing nach Leipzig; dort studiert er zuerst Theologie und dann Medizin, beide Fächer behagen ihm nicht. Inzwischen hat er nämlich seine Liebe zum Theater entdeckt und ein Stück geschrieben (Der junge Gelehrte), das zwei Jahre später mit Erfolg uraufgeführt wird.

Vor den Büchern kommt das Leben, erkennt Lessing; Lesen ist Zeitvertreib, macht einen zuweilen klüger, geht aber nur selten zu Herzen und verursacht, wenn die Lektüre gar zu vertrackt anmutet, nur Kopfschmerzen. Nach einem weiteren zähen und somit verschenkten Nachmittag in der Bibliothek wird ihm klar, daß er etwas ändern muß; eine Existenz, wie sie sich der Vater für seinen Sohn vorstellt, kann er nicht führen. In einem Brief an die Mutter wird er grundsätzlich: »Ich komme jung von Schulen, in der gewissen Überzeugung, daß mein ganzes Glück in den Büchern bestehe. Ich komme nach Leipzig, an einen Ort, wo man die ganze Welt im Kleinen sehen kann. Ich lebte die ersten Monate so eingezogen, als ich sie in Meißen nicht gelebt hatte… Doch es dauerte nicht lange, so gingen mir die Augen auf: Soll ich sagen, zu meinem Glücke, oder zu meinem Unglücke? Die künftige Zeit wird es entscheiden.« In Wahrheit aber hat Lessing die Entscheidung der künftigen Zeit schon vorweggenommen, und er ist selbstbewußt genug, sich davon nicht abhalten zu lassen: »Ich lernte einsehen, die Bücher würden mich wohl gelehrt, aber nimmermehr [21] zu einem Menschen machen. Ich wagte mich von meiner Stube unter meinesgleichen. Guter Gott! Was für eine Ungleichheit wurde ich zwischen mir und anderen gewahr…« Ganz ohne Bücher geht es aber auch nicht, weiß der junge Lessing, der 23 Jahre später als Bibliothekar nach Wolfenbüttel berufen wird; mit den Büchern ist es wie mit den Menschen, man muß etwas genauer hinschauen, um herausfinden zu können, mit wem man gern Umgang hat und mit wem nicht. Lessing hat da für sich schon die Probe aufs Exempel gemacht; im Zweifelsfall läßt er sich lieber eine Komödie als ein Trauerspiel vorführen: »Ich legte die ernsthaften Bücher eine Zeitlang auf die Seite, um mich in denjenigen umzusehen, die weit angenehmer und vielleicht ebenso nützlich sind. Die Comoedien kamen mir zuerst in die Hand. Es mag unglaublich vorkommen, wem es will, mir haben sie sehr große Dienste getan. Ich lernte daraus eine artige und ungezwungene, eine grobe und natürliche Aufführung unterscheiden. Ich lernte wahre und falsche Tugenden daraus kennen, und die Laster ebensosehr wegen ihres Lächerlichen als wegen ihrer Schändlichkeit fliehen.« Auch in Lessings Jugendwerk Der junge Gelehrte (1748) wird diese Einsicht ans Publikum weitergegeben, als das junge Dienstmädchen Lisette dem zu Arroganz und Abgehobenheit neigenden Vielleser Damis erklärt: »Über den Büchern können Sie doch unmöglich die ganze Zeit liegen. Die Bücher, die toten Gesellschafter! Nein, ich lobe mir das Lebendige.«

Lessing beschließt, ganz Schriftsteller zu sein, ein kühner Entschluß, denn schon in Leipzig lebt er über seine Verhältnisse und muß vor seinen Gläubigern auf der Hut sein. [22] Er flieht nach Berlin, betätigt sich als Journalist für verschiedene Blätter, u.a. für Das Neueste aus dem Reiche des Witzes, eine Beilage der Vossischen Zeitung. Witzig ist Lessing, keine Frage, das fällt auf, gefällt aber nicht jedem. Immerhin kann er sich von den gröbsten wirtschaftlichen Sorgen befreien und sogar sein Studium 1752 mit dem Magisterexamen abschließen. Dort äußert er sich u.a. anerkennend über den spanischen Arzt und Philosophen Juan Huarte, der ihm als Vorbild gilt: »Er ist kühn, er verfährt nie nach den gemeinen Meinungen, er beurteilt und treibt alles auf seine besondere Art, er entdeckt alle seine Gedanken frei und ist sich selbst sein eigner Führer.« Sein eigner Herr sein, das möchte auch Lessing, was aber schwer ist in Zeiten, die sich lange, viel zu lange, an das Diktat der herrschenden Potentaten gewöhnt haben. Einer davon ist der preußische König Friedrich II., der sich aus eigenen Gnaden aufgeklärt gibt, gern französisch spricht und den Dichterfürsten Voltaire zu Gast hat. Lessing imponiert das nicht, er hat die Mechanismen der Macht durchschaut und scheut sich nicht, sie mit feinem Spott beim Namen zu nennen: »Dort, der Regent, ernährt eine Menge schöner Geister, und braucht sie des Abends, wenn er sich von den Sorgen des Staates durch Schwänke erholen will, zu seinen lustigen Räten. Wieviel fehlt ihm, ein Mäcen zu sein! Nimmermehr werde ich mich fähig fühlen, eine so niedrige Rolle zu spielen; und wenn auch Ordensbänder zu gewinnen stünden. Ein König mag immerhin über mich herrschen; er sei mächtiger, aber besser dünke er sich nicht.«

Lessing schreibt viel, gilt bald als einer der führenden deutschen Literaturkritiker. Dabei stellt er folgendes fest: [23] »Es gibt eine Art des Tadels, welche dem Getadelten Ehre macht. (…) Man schätzt jeden nach seinen Kräften. Einen elenden Dichter tadelt man gar nicht; mit einem mittelmäßigen verfährt man gelinde; gegen einen großen ist man unerbittlich. Bleibt sich dieser nicht allezeit gleich, entwischt ihm hier und da eine matte Zeile; diese matte Zeile, welche die Zierde eines mittelmäßigen Dichters sein könnte, wird unerträglich.«

Es beginnen unruhige Jahre für den Schriftsteller Lessing: Von 1755 bis 1758 ist er wieder in Leipzig, begibt sich dann auf eine Bildungsreise, die er jedoch bald schon wegen des Siebenjährigen Krieges abbrechen muß. Er kehrt nach Berlin zurück, wo es ihn aber nicht hält: Zur Verwunderung seiner Freunde wechselt er die Fronten und wird 1760 Regimentssekretär des preußischen Generals Tauentzien in Breslau. Er kann das begründen: Die Festanstellung, die er gewählt hat, verlangt wenig Einsatz, dafür läßt sie ihm Zeit zum Schreiben. Das Lustspiel Minna von Barnhelm entsteht und eine ästhetische Abhandlung mit dem Titel Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie. Minna von Barnhelm ist eine der ersten selbstbewußten Frauen auf deutschen Theaterbühnen; ihrem ein wenig steifen, zur Schwermütigkeit neigenden Verehrer Major von Tellheim, der ihr vorhält: »Sie wollen lachen, mein Fräulein. Ich beklage nur, daß ich nicht mitlachen kann«, entgegnet sie: »Was haben Sie denn gegen das Lachen? Kann man denn nicht auch lachend sehr ernsthaft sein?« Noch einmal kehrt Lessing nach Berlin zurück; dann geht er auf Reisen und arbeitet von 1767 bis 1769 als Dramaturg in Hamburg. Die Hamburgische Dramaturgie, die er entwickelt, setzt Maßstäbe für ein [24] Theater, das sich von den damaligen starren Regeln befreien will. Der Schriftsteller Lessing erweitert zudem die Arbeitsplatzbeschreibung des Kritikers Lessing, der sich an folgende Grundsätze hält: »Wenn ich Kunstrichter wäre (…), so würde meine Tonart diese sein: gelinde und schmeichelnd gegen den Anfänger; mit Bewunderung zweifelnd, mit Zweifeln bewundernd gegen den Meister; abschreckend und positiv gegen den Stümper; höhnisch gegen den Prahler (…). Der Kunstrichter, der gegen alle nur einen Ton hat, hätte besser gar keinen. Und besonders der, der gegen alle nur höflich ist, ist im Grunde gegen die er höflich sein könnte, grob.« In Hamburg scheitert Lessing, erst am Theater, das geschlossen wird, dann bei dem Versuch, sich als Verlagsbuchhändler durchzusetzen. 1770 nimmt er, der Not gehorchend, wieder eine feste Stelle an: Er wird Bibliothekar in Wolfenbüttel, wo er zwar über eine der ansehnlichsten Bibliotheken Europas wachen darf, aber einen gehobenen Hungerlohn bezieht und von den Launen seines Dienstherrn, des Herzogs von Braunschweig, abhängig ist. Zu den Büchern indes, die ihm früher für schwere Wissenslast und trockene Gelehrsamkeit standen, entwickelt er nun eine späte Herzensbindung; er erkennt, daß Bücher einer Wertschätzung bedürfen,...