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Liturgie und Poesie. Zur Sprache des Gottesdienstes

Alex Stock

 

Verlag Butzon & Bercker GmbH, 2010

ISBN 9783766641212 , 238 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz frei

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9,99 EUR


 

VI. Atem der Texte (S. 61-63)
Satzzeichen sind zunächst für den Schreiber da, als Mittel, den Lauf der Wörter zu unterbrechen, das Gefüge der Sätze grammatisch zu gliedern und ihren Aufbau übersichtlich zu machen. Aber sie sind zugleich sozusagen rhetorische Notationen für den, der laut vorliest, damit er den Rhythmus des Lesens gliedert, Pausen und Betonungen vorsieht.

Vor fünfzig Jahren hat Eugen Rosenstock-Huessy in einem Aufsatz mit dem Titel „Ein Komma“ geschrieben: „Interpunktion ist das Überbleibsel aus dem liturgischen Gesang, der ältesten Sprachschicht, hinein in seinen Erkältungszustand, in seiner Verkürzung zur Prosa . . . Ich halte dafür, dass, wie die Pausen in der Musik wichtig sind, so das Verständnis für die Interpunktion in der Prosa zum Verständnis der Logik grundlegend ist.“

Praktisch-theologisch wäre die Lehre von den Interpunktionen überall dort ein wichtiges Kapitel, wo es um den lauten Vortrag von Texten geht. Ein großer Teil der dem Volke Gottes wohlgemeint verordneten Lesungen aus dem Alten Testament und den Briefen der Apostel rauscht auch deshalb wirkungslos dahin, weil die rhetorischen Signale der Interpunktionen keine Beachtung finden.

Während die sog. „leichten Satzzeichen“ – Komma, Semikolon, Doppelpunkt – den Sprachfluss im Innern des Satzes anhalten und regulieren, dienen die sog. „schweren Satzzeichen“ – Punkt, Fragezeichen, Ausrufezeichen – mit der Abtrennung der Sätze auch zur Information darüber, welchen Status wir dem Gesagten verleihen möchten: eine Aussage, eine Frage, ein Ausruf oder eine Aufforderung. Daneben gibt es noch Sonderzeichen wie Gedankenstriche, Klammern, Aus- lassungspunkte oder Anführungsstriche, die jeweils eine besondere Form der Unterbrechung des Sprachund Gedankenstromes anzeigen.

Das gesamte System dieser Satzzeichen verdient interpunktionstheologisches Interesse. Das kann hier nur an wenigen Exempeln angedeutet werden. Theologische Orthographie bewegt sich gewöhnlich zwischen Fragezeichen und Punkt. Ganze Dogmatiken und Katechismen werden auf dieser Interpunktion errichtet, Frage und Antwort, challenge and response, der Mensch hat Fragen, ist gar selbst eine solche, wir haben die Antworten, die Antwort überhaupt. Wenn dieses Frage-Antwort-Schema dann in concreto doch nicht ganz so funktioniert, wie man es sich systematisch ausgedacht hat, ist mancherlei Schuldzuweisung im Schwange. Vielleicht müsste man einmal fragen, ob religiöse Rede ein etwas differenzierteres Interpunktionssystem verlangt als Fragezeichen und Punkt.

Ein Fragezeichen kann sich straffen, ein Punkt sich überhöhen zum Ausrufezeichen. Es ist das rhetorisch stärkste Zeichen: ein Befehl, ein Wunsch, ein emotional geladener Ausruf. In manchen Punkten steckt ein heimliches Ausrufezeichen. Sätze, die wie schlichte Aussagen daher kommen, sind versteckte Befehle, apodiktisch im Sinn, wenn auch nicht im Ton, an Widerspruch ist nicht gedacht. Die liturgische Rechtschreibung liebt das Ausrufezeichen nicht, obwohl sie es unter der Hand verwendet, ja durch die Liturgiereform sogar in größerem Umfang als zuvor: „Wort des lebendigen Gottes.(!) Dank sei Gott.(!)“, „Geheimnis des Glaubens.(!) Deinen Tod, o Herr, verkünden wir . . .(!).“ „Leib Christi.(!) Amen.(!).“ Es ist die Redegattung der Akklamationen. Ein Herold ruft, und das Volk akklamiert. Die Redegattung der Akklamation stammt eigentlich aus dem imperialen Zeremoniell, die Formen der tätigen Teilnahme des Volkes, die die neue Liturgie so engagiert ins Werk setzt, hat also nicht nur demokratische Gene.