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Die Abwracker - Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen

Hans-Olaf Henkel

 

Verlag Heyne, 2010

ISBN 9783641038021 , 256 Seiten

Format ePUB

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8,99 EUR

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Mit diesem Buch betrete ich Neuland. Ich möchte über die Wirtschaftkrise sprechen, die unser Leben verändern wird wie noch keine zuvor - und zwar aus ganz persönlicher Warte: Ich werde berichten, wie ich die Krise als Privatmann und als Aufsichtsratsmitglied großer Unternehmen erlebt habe. Die subjektive Innenansicht einer Katastrophe.
Damit verlasse ich den objektiven Beobachterposten, den ich in meinen letzten Büchern eingenommen habe. Ich beschreibe das, was ich selbst erlebt oder erfahren habe. Statt minuziös die Abläufe darzustellen, die zum Crash führten, versuche ich, dem Leser die Dramatik des Geschehens zu vermitteln. Nicht nur das, was sich abspielte, will ich schildern, sondern auch, wie Akteure und Betroffene es erlebt haben.
Wir begegnen dabei Menschen, die aus Naivität und Vertrauensseligkeit Milliardenwerte vernichteten. Und anderen, die dies offenen Auges betrieben, die bewährte Finanzstrukturen zerrütteten und die Wirtschaft in Schieflage brachten. Dazu gehören nicht nur die Zocker, die sich nicht an Regeln hielten, sondern auch die Politiker, die ihnen mit falschen Regeln in die Hände spielten. Weil sie Bewährtes, das ihnen anvertraut war, leichtfertig zerstörten, bezeichne ich auch sie als Abwracker.
Aber ich möchte nicht nur beschreiben, was mir während dieser Krise aufgefallen ist. Ihre Ursachen müssen deutlich benannt werden, und - um dies vorweg zu sagen - ich bin auf andere Ursachen gestoßen als jene, die täglich der Öffentlichkeit präsentiert werden. Und auch der Weg, der nach meiner Überzeugung aus der Krise herausführt, ist ein anderer als der, den die Politiker augenblicklich beschreiten. Sie scheinen auf Zeit zu spielen und übersehen dabei, dass uns keine Zeit mehr bleibt.
Zugegeben, wir haben uns an die Krise gewöhnt. Seit zwei Jahren wissen wir, dass die Weltwirtschaft aus den Fugen geraten ist, und seit über einem Jahr können wir auch bei uns die Folgen beobachten: Firmenpleiten, wachsende Arbeitslosigkeit, ein Schuldenhimalaya, der seine Schatten bis in die fernste Zukunft wirft. Wir haben uns daran gewöhnt, wie an die Erklärung, die uns für die Krise gegeben wird, und an die Maßnahmen, die man dagegen ergreift. Geduldig wie ein Kranker, der auf seinen Arzt vertraut, nehmen wir die tägliche Verschlimmerung unseres Zustandes hin und hoffen, dass uns der Arzt die richtigen Rezepte verschreibt.
Ich bezweifle, dass diese Hoffnung berechtigt ist. Denn im Fall der Wirtschaftskrise gibt es kaum gute Ärzte, die etwas von ihrem Fach verstehen, sondern nur eine Menge Leute, die uns ihre Erklärungen aufschwatzen wollen, damit wir ihnen ihre Rezepte abkaufen: Da sind die Politiker, die sich den Wählern von morgen verpflichtet fühlen, aber auf die Schuldner von übermorgen keinen Gedanken verschwenden. Da sind die Ideologen, die längst widerlegte Patentlösungen anbieten und ihr vorgeprägtes Weltbild auf jede Lage anwenden, ob es nun passt oder nicht. Und da sind die Intellektuellen, die sich in der Rolle der moralischen Instanz gefallen und lieber leidenschaftlich verurteilen als nüchtern beurteilen.
Aber zum Gesundbeten und Salbadern bleibt uns keine Zeit. Die Weltwirtschaft ist krank, schwer krank. Was bisher unternommen wurde, glich allenfalls der Ersten Hilfe, die man einem Unfallopfer gibt: Wie der Notarzt eine Beruhigungsspritze verabreicht, hat man staatliche Garantien gegeben; wie er eine Bluttransfusion vornimmt, hat man den Banken Liquidität zugeführt; und wie er Amputationen durchführt, um den restlichen Körper zu retten, hat man Giftpapiere in Bad Banks ausgelagert. Niemand würde auf die Idee kommen, all dies als echte Therapie zu bezeichnen.
Wer sich nicht mit Valium und Symptombehandlung abspeisen lassen will, der braucht einen guten Arzt. Bevor der überhaupt mit der Behandlung beginnt, wird er untersuchen, unter welcher Krankheit sein Patient leidet und wodurch sie ausgelöst wurde. Er wird eine Anamnese erstellen, also die Vorgeschichte der aktuellen Beschwerden rekonstruieren, und dann zur Diagnose übergehen, bei der die Symptome einer bestimmten Krankheit zugeordnet werden, um schließlich eine Prognose über den weiteren Verlauf abgeben zu können. Erst wenn all dies geklärt ist, kann er eine Therapie verschreiben, deren Ziel die Heilung des Patienten ist. So weit wird mir jeder Leser zustimmen, denn er hat all das gewiss schon »am eigenen Leib« erlebt.
Wir haben uns an die Krise gewöhnt, wie man sich an einen chronischen Schmerz gewöhnt. Über die Ursachen wissen wir sehr wenig - und ich fürchte, den Politikern, die sich uns täglich als Notärzte präsentieren, geht es nicht anders. Sie haben viel guten Willen und wenig gute Ideen. Ihr Aktionismus hat die Krise nicht in den Griff bekommen, was allerdings nicht weiter erstaunlich ist. Denn wer die Diagnose nicht kennt, wird zwangsläufig das falsche Mittel verschreiben. Und da fast alle staatlichen Wiederbelebungsmaßnahmen mit neuen Schulden bezahlt wurden, drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass sie die Krankheit nicht geheilt, sondern langfristig verschlimmert haben. In der Symptombehandlung waren die Politiker Teil der Lösung; in der Ursachenbekämpfung sind sie Teil des Problems geworden.
Nun gibt es durchaus eine Erklärung für die Krise, die sich bundesweit durchgesetzt hat. Jeder kennt sie, und da sie oft genug wiederholt und nachgebetet wurde, nimmt auch niemand Anstoß daran - obwohl sie, wie mir scheint, dem Urteilsvermögen unserer Multiplikatoren kein schmeichelhaftes Zeugnis ausstellt. Bei aller linksintellektuellen Geistesschärfe, die unseren Medien ein so homogenes Erscheinungsbild verleiht, kam man in Sachen Weltwirtschaftskrise lediglich zu einer dürftigen, um nicht zu sagen armseligen Erklärung, zu deren Ehrenrettung sich immerhin einwenden ließe, dass sie auf eine sehr lange, bis ins Mittelalter, ja bis in die klassische Antike reichende Tradition zurückblickt.
»Übertriebene Gier« habe die Krise verursacht, so erkannte man, so fasste es stellvertretend für alle der Dalai Lama im Sommer 2009 zusammen. Damit war eine Universaldiagnose gefunden für das universale Unglück, das uns betroffen hat. Man sprach von der menschlichen Gier im Allgemeinen, der »Gier der Manager« im Besonderen, ein aktivistischer Verein in Frankfurt entdeckte gar den »Gier-Virus«, Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier geißelte die »blinde Gier«, und Bischof Wolfgang Huber hielt zum Thema eine eigene Weihnachtspredigt. Aus seiner intimen Sicht der Dinge sprach Börsenmakler Dirk Müller sogar von einer besonders abstoßenden Giervariante, dem »Blutrausch nach immer mehr Rendite«. Ähnliche Räusche kann man meines Wissens an den Grabbeltischen bei Aldi oder Media Markt miterleben, doch da scheint nicht so viel auf dem Spiel zu stehen.