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Morgenlied - Roman

Nora Roberts

 

Verlag Blanvalet, 2010

ISBN 9783641038304 , 384 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

I
Hawkins Hollow, Maryland, Mai 2008
 
Der Traum weckte ihn im Morgengrauen, und er war stinksauer. Aus Erfahrung wusste Gage, dass er jetzt nicht mehr einschlafen konnte. Je näher der Juli rückte, je näher es auf die Sieben zuging, desto lebhafter und gewalttätiger wurden die Träume. Er hätte lieber etwas getan, anstatt sich mit Alpträumen herumzuschlagen.
Oder mit Visionen.
Seit jenem Juli damals besaß sein Körper die Kraft, sich selbst zu heilen, und Gage konnte in die Zukunft sehen. Allerdings hielt er seine Visionen nicht zwangsläufig für zuverlässig. Wenn man sich anders entschied, anders handelte, kam etwas anderes heraus.
Vor sieben Jahren hatte er vor dem Juli die Zapfsäulen am Qwik Mart abgestellt und als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme Coach Moser im Gefängnis eingesperrt. Er würde nie erfahren, ob er dadurch seinen Freunden das Leben gerettet hatte oder ob der Traum nur ein Traum gewesen war.
Aber er war kein Risiko eingegangen.
Und das hatte er auch dieses Mal nicht vor, dachte Gage und schlüpfte in Boxershorts, für den Fall, dass er nicht allein im Haus war. Er war wieder zurück, wie jedes siebte Jahr. Doch dieses Mal waren sie zu sechst, weil drei Frauen hinzugekommen waren.
Da Cal mit Quinn Black verlobt war - sie war eine attraktive Blondine, die Bücher über paranormale Phänomene schrieb -, übernachtete sie oft bei Cal. Daher konnte er unmöglich nackt nach unten gehen, um Kaffee zu kochen. Aber heute schien sich außer ihm niemand in Cals Haus im Wald aufzuhalten, auch nicht Cals großer, fauler Hund Lump. Und das war auch gut so, denn Gage zog es vor, allein zu sein, zumindest bis nach der ersten Tasse Kaffee.
Vermutlich hatte Cal die Nacht in dem Haus verbracht, das die drei Frauen in der Stadt gemietet hatten. Da Fox sich Hals über Kopf in die sexy Brünette Layla Darnell verliebt hatte, hielt er sich bestimmt auch dort auf, oder aber in der Wohnung über seiner Anwaltskanzlei. Auf jeden Fall waren sie in der Nähe, und wenn irgendetwas geschah, brauchten sie noch nicht einmal ein Telefon, um sich zu verständigen, denn Fox konnte telepathisch kommunizieren.
Gage setzte den Kaffee auf und trat auf die Terrasse.
Typisch Cal, dachte er, sein Haus genau an den Rand des Walds zu bauen, in dem ihr Leben auf den Kopf gestellt worden war. Aber so war Cal eben - er lief nicht weg, sondern hielt stand. Und es war ja auch besonders schön hier. Die grünen Wälder, die im ersten Sonnenlicht schimmerten, boten ein Bild der Ruhe und des Friedens - wenn man es nicht besser wusste. Auf dem Abhang vor dem Haus blühten Sträucher und Zierbäume, und am Fuß des Hügels plätscherte ein Bach.
Zu Cal passte das alles wunderbar, aber Gage würde in so viel ländlicher Ruhe durchdrehen.
Er ging wieder in die Küche, schenkte sich Kaffee ein und trank ihn heiß und schwarz. Mit einer zweiten Tasse ging er nach oben, als er geduscht und angezogen war, war er zu unruhig, um noch länger zu bleiben. Er nahm die Autoschlüssel und eilte hinaus. Er würde zu seinen Freunden fahren und vielleicht später noch einen kleinen Ausflug nach Atlantic City machen.
Es war eine ruhige Fahrt, Hollow war eigentlich auch ein ruhiger Ort. Nur die Vorbereitungen für die jährliche Memorial Day Parade, das Feuerwerk am vierten Juli, waren in vollem Gange. Und dann war da natürlich der Wahnsinn, der sich alle sieben Jahre im Juli über der Stadt ausbreitete.
Gage fuhr durch eine Allee, neben der der Bach floss. Dann öffnete sich der Blick auf Hügel, ferne Berge und einen zartblauen Sommerhimmel. Er fühlte sich hier nicht zu Hause, weder auf dem Land noch in der kleinen Stadt. Wenn er Pech hatte, würde er hier sterben, aber selbst das würde die Gegend nicht zu seiner Heimat machen. Außerdem baute er darauf, dass er, seine Freunde und die drei Frauen nicht nur überleben, sondern den Dämon auch besiegen würden. Und dann wäre es mit diesen schrecklichen Ereignissen ein für alle Mal vorbei.
Er fuhr am Qwik Mart vorbei und erreichte die ersten Häuser und Läden an der Main. Fox’ Truck stand vor dem Haus, in dem sich sowohl seine Wohnung als auch seine Kanzlei befanden. Der Coffee Shop und Ma’s Pantry waren bereits geöffnet. Aus der Bäckerei trat gerade eine hochschwangere Frau mit einem Kleinkind im Schlepptau, das hinter ihr her trödelte.
Da war der leere Geschenkladen, den Layla gemietet hatte, um dort eine Modeboutique zu eröffnen, eine Idee, die Gage mit einem Kopfschütteln quittierte.
Rasch warf er einen Blick auf das Bowl-a-Rama, eine Institution im Ort und Cals Erbe. Dann blickte er wieder weg. Früher einmal hatte er mit seinem Vater über dem Bowling-Center gewohnt. Es hatte nach Alkohol und Zigaretten gestunken, und er hatte in ständiger Angst vor Prügeln gelebt.
Bill Turner wohnte immer noch da, arbeitete immer noch im Bowling-Center, und angeblich war er seit fünf Jahren trocken. Gage war es scheißegal, solange der alte Mann sich von ihm fernhielt. Beim Gedanken daran schnürte es ihm die Kehle zu, und er zwang sich, an etwas anderes zu denken.
Er parkte am Straßenrand hinter einem Karmann Ghia - er gehörte Cybil Kinski, der dritten Frau im Bunde. Sie sah aus wie eine Zigeunerin und konnte ebenso wie er in die Zukunft sehen, so wie Quinn Cals Fähigkeit teilte, in die Vergangenheit zu blicken, und Layla wie Fox lesen konnte, was im Hier und Jetzt verborgen lag. Das machte sie wohl irgendwie zu Partnern, aber der Gedanke war ihm unbehaglich.
Sie war schon eine tolle Frau, dachte er, als er auf das Haus zuging. Klug, witzig und heiß. Zu einem anderen Zeitpunkt, an einem anderen Ort wäre es bestimmt unterhaltsam gewesen, sich mit ihr einzulassen, aber die Vorstellung, dass sie von einer uralten Macht und Magie zusammengeführt worden waren, ließ Gage zurückhaltend reagieren.
Er war für langfristige Beziehungen sowieso nicht geschaffen, und sein Instinkt sagte ihm, dass eine kurzfristige Affäre mit Cybil zu kompliziert wäre.
Er klopfte nicht an. Das gemietete Haus diente als eine Art Basisstation, deshalb hielt er es nicht für nötig. Musik - irgendwas Esoterisches - klang durchs Haus, und als er der Quelle nachging, stieß er auf Cybil. Sie trug eine weite, schwarze Gymnastikhose und ein Top, das ihren flachen, trainierten Bauch frei ließ. Ihre wilden schwarzen Locken hielt sie mit einem Haarband zusammen.
Ihre Zehennägel waren hellrosa lackiert.
Sie vollführte fließende Yoga-Bewegungen, die sie anscheinend mühelos in die kompliziertesten Positionen umsetzte. Eine Frau, die so biegsam war, war bestimmt auch im Bett nicht schlecht.
Sie bog sich nach hinten und legte einen Fuß hinter ihren Kopf. Ein Flackern in ihren dunklen Augen sagte ihm, dass sie ihn bemerkt hatte.
»Ich wollte dich nicht stören.«
»Ich bin gleich fertig. Geh bitte.«
Er bedauerte es zwar, das Ende der Übung nicht mitzubekommen, ging aber gehorsam in die Küche und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Die Morgenzeitung lag noch unberührt auf dem kleinen Tisch, in Lumps Hundeschüssel war kein Wasser, und es waren auch keine Anzeichen dafür zu sehen, dass der Hund bereits gefüttert worden war. Gage setzte sich und legte Solitärkarten aus. Er war bereits beim vierten Spiel, als Cybil in die Küche kam.
»Na, du bist ja früh unterwegs heute.«
Gage legte eine rote Acht auf eine schwarze Neun. »Ist Cal noch im Bett?«
»Nein, Quinn hat ihn mit ins Studio geschleppt.« Sie goss sich ebenfalls einen Kaffee ein und öffnete die Brotdose. »Ein Bagel?«
»Ja.«
Sie schnitt es sorgfältig in zwei Hälften und steckte sie in den Toaster. »Schlecht geträumt?« Sie legte den Kopf schräg. »Ich bin im Morgengrauen von einem Traum geweckt worden. Cal und Quinn auch. Von Fox und Layla habe ich noch nichts gehört - sie sind in seiner Wohnung -, aber ich nehme an, bei ihnen war es das Gleiche. Quinns Mittel dagegen sind Gewichte und Geräte, meins ist Yoga. Deins...« Sie zeigte auf die Karten.
»Jeder hat seine eigene Methode.«
»Wir haben dem großen, bösen Bastard vor ein paar Tagen gewaltig in die Eier getreten. Wir müssen damit rechnen, dass er zurückschlägt.«
»Wir sind fast verbrannt«, erinnerte Gage sie.
»Aber eben nur fast. Wir haben die drei Teile des Blutjaspis wieder zusammengefügt und ein Blutritual durchgeführt.« Sie musterte den Schnitt auf ihrer Handfläche, der bereits verheilte. »Und wir haben überlebt. Wir haben eine Waffe.«
»Von der wir nicht wissen, wie wir sie gebrauchen sollen.«
»Weiß der Dämon es?« Sie holte Teller und Cream Cheese für die Bagels heraus. »Weiß unser Dämon mehr als wir? Giles Dent hat diesen Stein vor mehr als...