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Interessen um Eichmann - Israelische Justiz, deutsche Strafverfolgung und alte Kameradschaften

Werner Renz

 

Verlag Campus Verlag, 2012

ISBN 9783593418735 , 332 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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41,99 EUR

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Zum 50. Jahrestag des Eichmann-Prozesses veranstaltete das Fritz Bauer Institut im April 2011 eine Tagung über das Strafverfahren, das ein Meilenstein in der Verfolgung von Menschheitsverbrechen und ein transnationales Medienereignis zugleich gewesen ist. Die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes beleuchten in ihren Beiträgen unterschiedliche Aspekte des Prozesses, seine Auswirkungen auf die Holocaust-Historiographie und die Entwicklung des Völkerrechts sowie verschiedene Facetten der Person des Angeklagten. Adolf Eichmann und die Versuche, ihn in seinem Denken und Handeln zu beschreiben, haben heftige Debatten ausgelöst, die bis heute fortdauern.

Die Geschichte der justiziellen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland, die Vorgeschichte des Eichmann-Prozesses an den beiden Schauplätzen Jerusalem und Bonn sowie den Verlauf des Verfahrens skizziert Werner Renz (Frankfurt am Main) in seiner Einführung. Leora Bilsky (Tel Aviv) entwickelt in ihrer Studie die Theorie der politischen Justiz weiter und verortet den Eichmann-Prozess an der Schnittstelle zwischen nationalen und internationalen politischen Prozessen. Das Jerusalemer Gericht hatte gegenüber den Einwänden der Verteidigung seine Zuständigkeit zu begründen, die es nicht allein durch das israelische 'Gesetz zur Bestrafung von Nazis und ihren Helfern' von 1950, sondern auch durch Prinzipien des internationalen Rechts, unter anderem durch das Universalprinzip, legitimiert sah. Der Eichmann-Prozess gilt als Präzedenzfall für die Anwendung des Prinzips der universellen Zuständigkeit durch ein nationales Gericht.

War Eichmann in Jerusalem das Nürnberg des jüdischen Volkes, die Justiz der Opfer über den Judenmörder, die Reaktion des zionistischen Staats auf den Judenfeind, fragt sich Hanna Yablonka (Beer Sheva) in ihrem Beitrag. Yablonka arbeitet die Unterschiede zwischen dem Nürnberger Prozess gegen die sogenannten Hauptkriegsverbrecher und dem Eichmann-Prozess heraus - in historischer, juristischer und epistemologischer Hinsicht. Im Nürnberger Verfahren kam der Mord an den europäischen Juden nur peripher vor, erschien die Shoah als eine deutsche Gräueltat unter vielen. Anders im Eichmann-Prozess. Israel sah in dem Angeklagten den singulären Holocaust-Täter, gegen den die Überlebenden zeugten. Hatten die Zeugen in Nürnberg nur eine marginale Rolle gespielt, war das Verfahren in Jerusalem geprägt durch die Zeugenaussagen, die das Gesamtgeschehen der Shoah darstellten. Juden waren hier nicht nur die Opfer der deutschen Täter, sie traten auch als heldenhafte Kämpfer auf, die den Nazis Widerstand geleistet hatten. In Jerusalem erschienen die Erben der Millionen Toten vor Gericht und legten Zeugnis ab.

Ruth Bettina Birn (Den Haag) weist in ihrem Artikel nach, dass die weitverbreitete Auffassung, erst der Eichmann-Prozess habe den entscheidenden Anstoß zur bundesdeutschen Strafverfolgung von NS-Verbrechen gegeben, ein Mythos ist. Birn wertet eine bislang unbekannte Quelle aus: die 29 Berichte, die der nach Jerusalem beorderte Staatsanwalt Dietrich Zeug über den Prozessverlauf verfasst hat. Zeugs Kritik am Jerusalemer Verfahren, vor allem seine Einwände gegen das Konzept der Anklagevertretung, stellt Birn als wohlbegründet dar. Die von ihr vorgenommene Auswertung der Akten von Vorermittlungsverfahren, die von der 1958 gegründeten Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Ludwigsburg eingeleitet worden waren, belegt die von Zeug formulierten Einwände gegen das Jerusalemer Verfahren.

Im Eichmann-Prozess spielte das aus drei Richtern zusammengesetzte Gericht eine herausragende Rolle. Lisa Hauff (Berlin) porträtiert die Richter Moshe Landau, Benjamin Halevi und Yitzhak Raveh einfühlsam. Im Kaiserreich geboren, hatten die Juristen im Deutschland der Weimarer Republik (Halevi und Raveh) und in England (Landau) Rechtswissenschaft studiert. 1933 wanderten sie nach Palästina aus. Durch seine Prozessführung gelang es dem allseits hochgelobten Gericht, das überaus schwierige Verfahren in den Bahnen des Rechts zu halten.

In seinem Beitrag wertet Fabien Théofilakis (Paris) Eichmanns Prozess-Aufzeichnungen aus. Die Israel-Papiere stellen dem Autor zufolge 'Kriegsschriften' dar, von Eichmann verfasst in seinem letzten Kampf gegen die in Jerusalem versammelten 'Reichsfeinde'. Von der Richtigkeit seiner Weltanschauung vollkommen überzeugt, wollte Eichmann in der Auseinandersetzung mit der Anklagevertretung und dem Gericht seine Deutung der geschichtlichen Ereignisse im Prozess durchsetzen. Théofilakis weist nach, wie der Angeklagte auf Grundlage des Studiums der vorgelegten Dokumente mit Bedacht und durchaus mit Sachkenntnis seine Verteidigungsstrategie festlegte und seinen Verteidiger zu lenken versuchte.

Eichmann war keineswegs ein mediokrer Bürokrat, bar jeder Vorstellungskraft, gedankenlos und realitätsfern. Bettina Stangneth (Hamburg) nimmt den ehemaligen 'Judenreferenten' ernst und untersucht sein Denken, das verstanden werden muss, will man seine Untaten begreifen. Die genaue Analyse der Argentinien-Papiere (Eichmanns Handschriften aus dem argentinischen Exil) und der Gesprächsprotokolle, die 1957 im Kreis des niederländischen Journalisten Willem Sassen in Buenos Aires entstanden sind, erhellen die nationalsozialistische Weltanschauung eines Mörders. Eichmann war von der Richtigkeit seines Handelns zutiefst überzeugt, er dachte das Böse, um es tun zu können.

Die Verflechtung des Eichmann-Prozesses mit der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte erörtert Annette Weinke (Jena). Auf der Grundlage von Akten des Auswärtigen Amtes arbeitet sie die öffentlichkeitspolitische Strategie des bundesdeutschen Außenministeriums angesichts des bevorstehenden Prozesses in Jerusalem heraus. Bonn reagierte auf die Nachricht über die Verbringung Eichmanns nach Israel und die Absicht der israelischen Justiz, ihn vor Gericht zu stellen, zunächst recht gelassen. Weinke stellt das Dilemma dar, in dem sich die Bundesregierung wiederfand. Eine positive Bilanz in der Verfolgung von NS-Verbrechen konnte man nicht vorweisen. Das Nichtvorhandensein von Antisemitismus im Nachkriegsdeutschland war auch nicht zu vermelden. Bonn ging es weniger um die Aufklärung der Verbrechen und die Erforschung der historischen Wahrheit, sondern man sorgte sich dort vor allem um das Ansehen der Bundesrepublik in der freien Welt.

Die Defizite in der Holocaust-Darstellung der Jerusalemer Anklagevertretung zeigt Jürgen Matthäus (Washington, D. C.) in seinem Beitrag auf. Obschon mit Raul Hilbergs Studie The Destruction of the European Jews bereits Ende der fünfziger Jahre ein grundlegendes Werk vorlag, das die nationalsozialistische Judenverfolgung und -vernichtung als kooperatives Projekt vieler Instanzen beschrieb, hielt das Jerusalemer Gericht und insbesondere die Anklagevertretung an einer simplifizierenden Darstellung der Shoah, einer hitlerzentrierten, stark intentionalistischen Sicht fest. Mit Berlin und dem Reichssicherheitshauptamt als Zentrum seiner Tätigkeit ließ sich der Angeklagte Eichmann zum allmächtigen Architekten des Holocaust stilisieren. Matthäus gelangt zu dem Befund, dass der Eichmann-Prozess wenig zum historiographischen Verständnis des deutschen Menschheitsverbrechens beigetragen hat.

Auschwitz, Hiroshima und Nagasaki, den Judenmord und den Atomtod, hat Günther Anders zu denken versucht. Ann-Kathrin Pollmann (Leipzig) rekonstruiert in ihrem Aufsatz Anders' Auffassung, in unserer arbeitsteiligen, technisierten und automatisierten Welt sei der Mensch unfähig geworden, sich vorzustellen, was er eigentlich anstelle. Anders verband in der von Pollmann untersuchten Publikation Wir Eichmannsöhne (1964) seine Deutung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik mit der Diagnose der gegenwärtigen atomaren Bedrohung, die 'Endlösung' mit dem 'Megatod'. In Eichmann sah er einen neuen Tätertypus, dem es an Verantwortungs- und Schuldgefühl mangele, dessen unangemessenes Vorstellungs- und Wahrnehmungsvermögen das Monströse allererst möglich mache.

Ursula Ludz (München) stellt die 'Arendt-Kontroverse' in den USA und in der Bundesrepublik dar. Hannah Arendts Prozessbericht Eichmann in Jerusalem (New York 1963, München 1964), oft fehlinterpretiert und missverstanden, löste eine öffentliche Debatte aus, in der es weniger um Arendts Erkenntnisse als vielmehr um ein von den vehementen Kritikern gezimmertes Image ihres Reports ging. Einige Gegner Arendts scheuten sogar nicht davor zurück, die deutsche Ausgabe des Buches verhindern zu wollen. Ludz stellt die Kontroverse auf der Basis ihrer breiten Quellen- und Literaturkenntnis ausführlich dar. Ihr Beitrag macht deutlich, dass die Eichmann- und die Arendt-Forschung in einen fruchtbaren Dialog treten können.

Willi Winkler (Hamburg) hat durch umfangreiche Archivrecherchen ans Tageslicht gebracht, was über Jahrzehnte von interessierten Kreisen geleugnet und in der Fachliteratur ausgeschlossen worden war: Die Verteidigung Eichmanns wurde von Altnazis mitfinanziert. Robert Servatius nahm neben dem Honorar, das ihm der Staat Israel zahlte, auch Geld von alten Kameraden. Eichmanns Verteidiger schreckte überdies nicht davor zurück, mit einem NS-Verbrecher wie Alois Brunner, der unter falschem Namen in Damaskus lebte, Kontakt aufzunehmen. Besonders aufregend ist Winklers Entdeckung, dass einer der Akteure bei der Finanzierung von Eichmanns Verteidigung ein Informant des Bundesnachrichtendienstes war.