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Radelnde Nationen - Die Geschichte des Fahrrads in Deutschland und den Niederlanden bis 1940

Anne-Katrin Ebert

 

Verlag Campus Verlag, 2010

ISBN 9783593408606 , 495 Seiten

Format PDF, OL

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2. Eigensinn im Massenkonsum: Die Arbeiter-Radfahrer (S. 321-322)

Ab der Jahrhundertwende bröckelte das exklusive Recht auf das Radfahren in Deutschland und den Niederlanden. Ein immer größer werdender Personenkreis konnte sich die stetig fallenden Kosten eines Fahrrads leisten. Zusätzlich sorgten Sozialreformen ab den 1890er Jahren in beiden Ländern dafür, dass Arbeiter und Angestellte erstmals über geregelte Sonn- und Feiertage sowie über Urlaub verfügten. Auf diese Weise wurde die Nutzung des Fahrrads, die in beiden Ländern vor der Jahrhundertwende im Wesentlichen auf den Freizeitbereich beschränkt war, auch Personenkreisen ermöglicht, die bisher über weniger freie Zeit verfügt hatten. Kurzum, zu Beginn des 20. Jahrhunderts erodierte das bisherige, bürgerliche Distinktionsmuster beim Radfahren im Massenkonsum. Neue Unterscheidungen und Konsumpraktiken mussten an dessen Stelle treten.

Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen Arbeiterorganisationen in Deutschland und den Niederlanden, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Opposition zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung konstituiert hatten. Wie machten sich die Arbeiter-Radfahrer das Massenkonsumgut Fahrrad zu eigen? Welche Werte und Praktiken verbanden sie mit dem Fahrrad und inwiefern unterschieden diese sich von den bisherigen bürgerlichen Praktiken? Erhielt der mit dem Fahrrad verbundene Emanzipationsprozess des bürgerlichen Individuums in Arbeiterkreisen eine neue Wendung? Wurde er den Arbeitern abgesprochen oder durch diese radikalisiert?

2.1 Die Anfänge des organisierten Arbeiter-Radfahrens

Am 2. August 1893 erschien im Berliner Volksblatt, der Beilage zum sozialdemokratischen Vorwärts, ein Aufruf an die »sozialdemokratischen Radfahrer Deutschlands«. Nach dem Vorbild der Arbeiter-, Gesangs-, Turn- und Vergnügungsvereine sollten sie einen »Verband über ganz Deutschland« bilden, der an verschiedenen Orten Filialen habe und »neben der Hebung des Radfahrsports« den Zwecke haben solle »uns [i.e. Radfahrer, A.E.] in den Dienst der Agitation zu stellen und uns der Partei und der Arbeiterbewegung soviel als möglich nützlich zu machen.« Am 1. und 2. Oktober 1893 beschloss in Leipzig eine Konferenz sozialdemokratischer Radfahrer die Gründung eines solchen Arbeiter-Radfahrerbundes.

Die Radfahrer lagen mit diesen Gründungsbemühungen voll im Trend. Mit der Nichtverlängerung des »Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie«, des sogenannten »Sozialistengesetzes «, das von 1878 bis 1890 die Bildung von Arbeitervereinen systematisch verhindert hatte, gründeten sich seit Beginn der 1890er Jahre zunehmend Arbeitervereine. Im Mai 1893 hoben die Arbeiter-Turner in Gera den »Deutschen Arbeiter-Turnerbund« aus der Taufe. Sie zählten damals bereits über 10.000 Mitglieder und sollten ihre Zahl kontinuierlich auf 186.958 Mitglieder im Jahr 1913 steigern.

Der Vorschlag zur Gründung eines Arbeiter-Radfahrerverbandes erntete jedoch nicht nur Beifall, sondern auch Kritik aus den eigenen Reihen. Eine Woche nach dem Kongress der Radfahrer in Leipzig prangerte der spätere bayerische Landtagsabgeordnete Johannes Timm in einem Artikel im Vorwärts unter dem Titel »Unfug« die »krankhafte Sucht« zur Gründung neuer sozialdemokratischer Vereine an und verurteilte namentlich die Bildung eines sozialdemokratischen Radfahrerverbands.