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Jesaja - Prophet in Jerusalem - Eine Einführung zu Themen in Jesaja 1-39

John Barton, Christoph Bultmann (Hrsg.)

 

Verlag Edition Ruprecht, 2006

ISBN 9783767570795 , 137 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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16,00 EUR


 

4 Jesaja und das Thema Zukunft (S. 57-58)

Alltagssprachlich ist ein Prophet jemand, der die Zukunft vorhersagt. Doch Bibelwissenschaftler vertreten zu Recht die Ansicht, dass dieses Modell nur zu einem unzureichenden Verständnis der großen Propheten Israels führe. Gerade Jesaja befasste sich intensiv mit dem politischen Leben seines Volkes und mit dessen moralischer Verfassung und war zweifellos bei weitem mehr als ein bloßer Hellseher mit übernatürlicher Einsicht in die Zukunft.

Doch es bleibt wahr, dass Jesaja und alle übrigen Propheten glaubten, besser als ihre Zeitgenossen zu wissen, was die Zukunft bringen würde. Vorhersagen nehmen einen zentralen Platz in ihrer Botschaft ein. Die moderne Bibelwissenschaft hat den Aspekt prophetischer Vorhersagen nicht wirklich insgesamt infrage gestellt; vielmehr hat sie die Aufmerksamkeit auf die Frage nach der unmittelbaren Nähe der Ereignisse, die die Propheten vorhersagten, fokussiert. Es ist ganz offensichtlich, dass Jesaja von der Zukunft gesprochen hat, in dem Sinne, dass er seinen Hörern sagte, was für Ereignisse sie sehr bald erwarten könnten, was die unmittelbaren Folgen ihres gegenwärtigen Tuns sein würden; so verstanden wird niemand bestreiten, dass er sich mit der Zukunft beschäftigte. Was weniger sicher ist – und was viele Bibelwissenschaftler in den vergangenen hundert und mehr Jahren infrage gestellt haben –, ist, ob er auch über die entferntere Zukunft gesprochen hat, wie es zum Beispiel vorausgesetzt wird, wenn man sein Buch als eine Sammlung „messianischer“ Prophezeiungen betrachtet. Doch Skepsis in dieser Hinsicht sollte nicht zu der extremen Schlussfolgerung verleiten, Jesaja habe überhaupt nicht über die Zukunft gesprochen.

Bei keiner Interpretationsaufgabe beim Studium von Jesaja kann man dem Problem der Authentizität der Aussprüche entrinnen. Das ist inzwischen ein wohlbekannter Gesichtspunkt. Doch wo es um die Orakel über die Zukunft geht, entstehen es zwei besondere Schwierigkeiten.

Erstens, Entscheidungen über die mögliche Authentizität betreffen Entscheidungen über die Bedeutung einzelner Texte, und sind wiederum umgekehrt von solchen Entscheidungen betroffen. So mag ein Kommentator denken, dass alle Vorhersagen über die entfernte Zukunft sekundär seien, während ein anderer sie für authentisch hält. Wenn beide zum Beispiel in der Auffassung zusammentreffen, dass Jes 9,1-6 vom künftigen Messias handelt, dann wird der erstere den Ausspruch für sekundär, der letztere für echt halten. So weit, so gut. Doch könnte es auch sein, dass sie keine Übereinstimmung darin erzielen, was der Ausspruch bedeutet. Der erstere könnte denken, dass er keineswegs messianisch sei, sondern (zum Beispiel) sich auf die Geburt des Hiskija beziehe (dies ist eine traditionsreiche jüdische Deutung), und in dem Fall könnte er mit dem letzteren darin übereinstimmen, dass er authentisch sei, doch aus sehr anderen Gründen. (Ähnliche Probleme gibt es dabei, den Anfang und das Ende eines Prophetenspruchs zu identifizieren. Besteht zum Beispiel Jes 29,1-8 aus zwei widersprüchlichen Orakeln, von denen deshalb mindestens eines wohl kaum authentisch ist, oder ist es ein einheitliches Orakel, das für Jerusalem eine Niederlage voraussagt, auf die ein Sieg folgen werde? Welche der beiden alternativen Möglichkeiten wir vorziehen, hängt in der Regel von einer vorgängigen Vorstellung davon ab, was aller Wahrscheinlichkeit nach die Botschaft Jesajas gewesen ist – und woher gewinnen wir diese, wenn nicht durch andere Entscheidungen über genau diese Art von Fragen?) Bei solchen Kontroversen ist die Gefahr einer Zirkularität im Argumentieren so groß, dass es schwieriger als sonst ist, Zutrauen zu den Entscheidungen von Kommentatoren zu empfinden, und wir könnten den Verdacht hegen, dass es einfach keine hinreichende Grundlage für sie gibt.

Zweitens, es ist nicht so, als ob Jesaja 1-39 Orakel enthielte, die einfach sagten, „X wird passieren“. Einige von Jesajas Vorhersagen werden als solche vorgetragen, die unter der Bedingung eines bestimmten Tuns seiner Hörer stehen, andere als frei von jeder Bedingung; einige sprechen von göttlichem Gericht, andere von göttlichem Segen; einige sehen die Möglichkeit voraus, ein Unheil abzuwenden, andere sagen eine Wiederherstellung nach einer Niederlage voraus – und noch andere hoffen auf die Rettung eines „Restes“. Wenn wir Prophetensprüche beiseite lassen, bei denen der historische Kontext eine jesajanische Autorschaft sehr unwahrscheinlich macht (z.B. antibabylonische Passagen wie Jes 13), sehen wir uns immer noch einem breiten Spektrum von Vorhersagen gegenüber und verfügen über wenige, wenn überhaupt einige Kriterien, anhand derer wir entscheiden könnten, welche tatsächlich von Jesaja ausgesprochen wurden.

4.1 Fünf Typen von Vorhersagen

Wenn wir jedoch wissen möchten, was Jesaja über die Zukunft gesagt hat, gibt es keine andere Möglichkeit als nach einem Weg durch dieses Labyrinth zu suchen.