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Der Kreuzritter - Aufbruch - Roman

Jan Guillou

 

Verlag Heyne, 2010

ISBN 9783641042837 , 512 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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I
IM JAHR DES HEILS 1150, als die gottlosen Sarazenen, der Abschaum der Erde und die Vorhut des Antichrist, den Unsrigen im Heiligen Land viele Niederlagen beigebracht hatten, senkte sich der Heilige Geist auf Frau Sigrid hinab und schickte ihr eine Offenbarung, die ihr Leben veränderte.
Vielleicht könnte man auch sagen, dass diese Offenbarung ihr Leben verkürzte. Ganz sicher ist, dass sie danach nie mehr die Gleiche war wie zuvor. Weniger sicher ist, was der Mönch Thibaud lange Zeit später schrieb, dass nämlich in dem Augenblick, in dem der Heilige Geist sich Sigrid offenbart habe, in Wahrheit der Grundstein für ein neues Reich oben im Norden gelegt worden sei, das man später einmal Schweden nennen werde.
Es war am Tiburtiustag, den man als ersten Sommertag bezeichnete, und an dem im Westlichen Götaland das Eis zu schmelzen begann. So viele Menschen wie an diesem Tag waren in Skara noch nie versammelt gewesen, denn es war keine beliebige Messe, die jetzt gelesen werden sollte. Der neue Dom sollte endlich eingeweiht werden.
Die Zeremonien waren schon in ihrer zweiten Stunde. Die Prozession hatte dreimal die Kirche umrundet, und zwar unendlich langsam, da Bischof Ödgrim ein sehr alter Mann war, der mühsam dahinwankte, als wäre es seine letzte Wanderung. Außerdem schien er ein wenig verwirrt, da er das erste Gebet in der geweihten Kirche in der Volkssprache statt auf Lateinisch gesprochen hatte:
»Gott, der Du alles unsichtbar bewahrst,
doch für die Erlösung der Menschen Deine Macht sichtbar werden lässt,
nimm in diesem Tempel Deine Wohnung und herrsche hier,
damit alle, die sich hier zum Gebet versammeln,
Deines Trostes und Deiner Hilfe teilhaftig werden.«
Und tatsächlich ließ Gott jetzt seine Macht sichtbar werden, ob nun um der Erlösung der Menschen willen oder aus anderen Gründen. Es war ein Schauspiel, das kein Mensch im ganzen Westlichen Götaland je gesehen hatte: die blitzenden Farben der Bischofshabite aus goldenem Zwirn, hellblaue und dunkelrote Seide, betäubende Düfte aus den Weihrauchgefäßen, die die Domherren bei ihrem Rundgang im Kirchengewölbe schwenkten. Dazu erklang eine Musik, die so himmlisch war, dass kein Ohr im Westlichen Götaland so etwas je vernommen haben konnte. Und wenn man den Blick hob, war es, als schaute man zum Himmel hinauf. Es war unbegreiflich, dass die burgundischen und englischen Baumeister so hohe Gewölbe erschaffen konnten, ohne dass alles einstürzte, und sei es aus keinem anderen Grund, als dass die Eitelkeit, die es bedeutete, bis zu Ihm hinauf bauen zu wollen, den Herrn hätte erzürnen müssen.
Frau Sigrid war eine praktisch veranlagte Frau. Manche sagten gerade deshalb, sie sei hart. Sie hatte zunächst keinerlei Lust verspürt, sich auf die beschwerliche Reise nach Skara zu begeben, da der Frühling zeitig gekommen war und die Wege sich in tiefen Morast verwandelt hatten. Außerdem empfand sie Unruhe bei dem Gedanken, in ihrem jetzigen gesegneten Zustand in einem Wagen zu sitzen und auf den schlechten Straßen durchgeschüttelt zu werden. Mehr als etwas anderes in ihrem irdischen Leben fürchtete sie die baldige Geburt ihres zweiten Kindes. Und sie wusste sehr wohl, dass die bevorstehende Domweihe bedeutete, dass sie stundenlang auf dem harten Steinboden stehen und hin und wieder zum Gebet niederknien musste, was in ihrem Zustand eine Qual war. Was die vielen Regeln des kirchlichen Lebens betraf, so war sie wohlbewandert, sicherlich mehr als die meisten großen Männer und deren Töchter, die sie in diesem Augenblick um sich herum sah. Dieses Wissen hatte sie gewiss nicht aus Gläubigkeit oder aus freien Stücken erworben. Als sie sechzehn Jahre alt war, hatte ihr Vater nicht ganz unbegründet den Eindruck gewonnen, dass sie einem Verwandten aus Norwegen, der jedoch von allzu geringer Herkunft war, ein unangemessen großes Interesse entgegengebracht hatte, das zu Dingen hätte führen können, die nur in der Ehe etwas zu suchen hätten, wie ihr Vater das Problem barsch zusammengefasst hatte. Man hatte sie für fünf Jahre in ein Kloster in Norwegen geschickt, aus dem sie wohl nie mehr herausgekommen wäre, wenn sie nicht einen kinderlosen Onkel im Östlichen Götaland beerbt hätte, wodurch sie zu einem Menschen geworden war, den man lieber verheiratete, als ihn ins Kloster zu stecken.
Sie wusste also, wann man aufstehen und wann man niederknien, wann man die Paternoster und Ave-Maria mitleiern musste, die einer der Bischöfe da vorn vorsprach, und wann jeder sein eigenes Gebet zu murmeln hatte. Bei jedem Gebet, das sie selbst sprechen musste, betete sie um ihr Leben.
Gott hatte ihr vor drei Jahren einen Sohn geschenkt. Es hatte zwei Tage und zwei Nächte gedauert, ihn zu gebären; zweimal war die Sonne auf- und wieder untergegangen, während sie in Schweiß, Angst und Schmerz badete. Da wusste sie, dass sie sterben würde, und das wussten am Ende auch all die guten Frauen, die ihr beistanden. Sie hatten den Priester unten in Forshem kommen lassen, und er hatte ihr die Absolution erteilt und die letzte Ölung gegeben.
Nie wieder, hatte sie gehofft. Nie wieder diesen Schmerz, nie wieder diese Todesangst, betete sie jetzt. Das war ein selbstsüchtiger Gedanke, das wusste sie sehr wohl. Es war schließlich nicht ungewöhnlich, dass Frauen im Kindbett starben, und der Mensch sollte unter Schmerzen geboren werden. Sie hatte jedoch den Fehler begangen, zur Heiligen Jungfrau zu beten, gerade sie zu verschonen. Überdies hatte sie versucht, ihre ehelichen Pflichten so zu erfüllen, dass es nicht zu einem neuen Kindbett führte. Ihr Sohn Eskil war schließlich ein wohlgestalter und flinker kleiner Knabe mit allen Fähigkeiten, die Kinder haben sollen.
Die Heilige Jungfrau hatte sie natürlich gestraft. Die Menschen hatten die Pflicht, fruchtbar zu sein und sich zu mehren, und wie konnte man erwarten, erhört zu werden, wenn man ausgerechnet darum bat, selbst von dieser Verantwortung entbunden zu werden? Jetzt warteten also neue Qualen, das war gewiss. Und dennoch betete sie immer wieder darum, glimpflich davonzukommen. Um zumindest die weit geringere und weniger elende Pein zu lindern, viele Stunden lang immer wieder aufzustehen und niederzuknien, hatte sie ihre Leibeigene Sot taufen lassen, damit sie sie in Gottes Haus mitnehmen und sich auf sie stützen konnte. Sots große schwarze Augen waren aufgerissen wie bei einem scheuenden Pferd von all dem, was sie hier zu sehen bekam, und wenn sie zuvor noch keine richtige Christin gewesen war, würde sie es jetzt wohl werden.
Drei Mannslängen vor Sigrid standen König Sverker und Königin Ulvhild. Die beiden ächzten unter der Last ihres Alters, und es fiel ihnen zusehends schwerer, ohne allzu viel Keuchen oder unpassende Laute des Allerwertesten immer wieder aufzustehen und niederzuknien. Sigrid befand sich jedoch ihretwegen im Dom und nicht für Gott. König Sverker schätzte weder ihre norwegischen und westgötischen Sippen noch die norwegischen und folkungischen Sippen ihres Mannes sonderlich hoch. Und jetzt, im hohen Alter, bot dem König das jenseitige Leben Anlass zu Misstrauen und Besorgnis. Es hätte zu Missverständnissen führen können, der großen, gottgefälligen Kirchenweihe des Königs fernzubleiben. Wenn ein Mann oder eine Frau mit Gott nicht im reinen war, ließ sich das möglicherweise mit Ihm selbst ausmachen. Sich mit dem König zu überwerfen, hielt Sigrid für schlimmer.
Doch als der Gottesdienst nun schon die dritte Stunde dauerte, begann sich in Sigrids Kopf alles zu drehen, und das beständige Niederknien und Aufstehen fiel ihr schwerer und schwerer. Das Kind in ihr trat und bewegte sich immer heftiger, als wollte es protestieren. Sie hatte das Gefühl, als würde der gelblich bleiche, blank geschliffene Kalksteinboden unter ihr schwanken, und sie glaubte zu sehen, wie er Risse bekam, als wollte er sich öffnen und sie plötzlich verschlingen. Da tat sie das Unerhörte. Sie ging resolut und mit raschelndem Seidenkleid zu einer leeren kleinen Seitenbank und setzte sich. Alle sahen es, auch der König.
Gerade als sie erleichtert auf die kleine Steinbank im Seitenschiff niedersank, zogen die Mönche von Lurö ein. Sigrid wischte sich Stirn und Gesicht mit einem kleinen Leinentuch ab und winkte ihrem Sohn dort hinten bei Sot aufmunternd zu.
Da begann der Gesang der Mönche. Sie waren schweigend und wie im Gebet mit gesenkten Häuptern durch den Mittelgang nach vorn geschritten und hatten sich ganz hinten beim Altar aufgestellt, wohin die Bischöfe und ihre Gehilfen sich jetzt zurückzogen. Zunächst klang es nur wie ein dumpfes, schwaches Murmeln, dann ertönten plötzlich laute Knabenstimmen; einige der Mönche von Lurö trugen braune statt weißer Kutten und waren ganz offensichtlich noch Knaben. Ihre Stimmen stiegen wie helle Vögel zu dem gewaltigen Deckengewölbe empor, und als sie so hoch hinaufgetragen worden waren, dass sie den ganzen gewaltigen Raum erfüllten, fielen die dumpfen Männerstimmen der Mönche ein, die das gleiche sangen und doch wieder nicht. Sigrid hatte Gesänge für zwei und drei Stimmen gehört, doch dieser Chor war mindestens achtstimmig. Es war wie ein Wunder, da schon drei Stimmen sehr schwer zustande zu bringen waren.
Sigrid starrte ermattet und mit aufgerissenen Augen dorthin, wo sich das Wunder ereignete. Sie lauschte mit ihrem ganzen Ich, mit ihrem ganzen Körper, bis die Anspannung sie erzittern ließ und ihr schwarz vor den Augen wurde, sodass sie nicht mehr sah, sondern nur noch hörte – so als müssten auch ihre Augen ihre volle Kraft für das Hören einsetzen. Es kam ihr vor, als verschwände sie, als würde sie in Töne verwandelt und zu einem Teil der heiligen...