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Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten - Roman

Boris Koch

 

Verlag Heyne, 2010

ISBN 9783641043148 , 368 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

PROLOG
Der namenlose Ritter in der roten Rüstung trieb den flügellosen Drachen voran. Es war ein schlanker, sandfarbener Drache mit unregelmäßigen schwarzen Flecken und langen, kräftigen Hinterbeinen, schneller und ausdauernder als jedes Pferd. Laut schlugen die breiten Tatzen auf die staubigen Pflastersteine der Straße, die schnurgerade auf das Kloster mit den zwölf Zinnoberzinnen zuführte.
Der Helm des hageren Ritters – der geschworen hatte, seinen Namen erst dann wieder zu führen, wenn er den großen grauen Meerdrachen von seinen Flügeln befreit hatte – war hinter den Sattel geschnallt, zwischen Schwertscheide und Packtaschen. Das unrasierte Gesicht war voller Schweiß und Dreck, er wirkte angespannt.
»Schneller!«, knurrte er und leckte sich über die ausgetrockneten Lippen. Er schmeckte Salz und Staub. »Gleich gibt es ja was zu trinken.«
Die Sonne brannte vom Himmel, kein Lüftchen regte sich. Trotzdem beschleunigte der Drache noch einmal. Auch er hatte das massive Kloster entdeckt, dessen weiße Mauern weithin leuchteten, und hielt die Augen starr auf die weitläufige und verschachtelte Anlage gerichtet, die sich auf einer felsigen Anhöhe am Ufer des sanften Firnh erhob. Hechelnd stürmten sie immer weiter und achteten nicht darauf, wie erschöpft sie waren.
Eine halbe Stunde später erreichten sie das Tor, das aufmerksame Wachen für sie geöffnet hatten. Zwei Ritter in blinkenden Rüstungen grüßten vom Wehrgang herunter, die große Fahne mit dem Symbol des Sonnengottes Hellwah hing schlaff und reglos an der Stange auf dem Tor.
Der rote Ritter sprengte in den Hof und zügelte den Drachen erst im Inneren des Klosters. Dort sprang er aus dem Sattel, zerrte ein kleines Päckchen aus der Satteltasche und gab dem Drachen einen Klaps auf die Seite. »Geh trinken, alter Junge. Hast du dir verdient.«
Der Drache tapste hinüber zu dem riesigen, im Boden versenkten Marmortrog vor den hohen Ställen. Hier landete das Regenwasser der umliegenden Dächer, das in kupfernen Rinnen gefangen und über ein ausgeklügeltes Rohrsystem in den Trog geleitet wurde. Wobei Trog eigentlich eine irreführende Bezeichnung war – es war ein Becken von sicherlich dreißig Schritt Länge und vier Schritt Tiefe, durch das die Novizen am Ende ihres ersten Monats tauchen mussten, während alle Drachen zugleich getränkt wurden. Eine kleine Mutprobe unter den Ritteranwärtern, keine vom Abt gestellte Aufgabe. Im Moment dösten dort nur zwei Drachen und ein halbes Dutzend Pferde in der Sonne.
Der Ritter verdrängte die Erinnerungen an seinen eigenen Tauchgang vor vielen Jahren, an die langen rauen Zungen, die einem Tauchenden neugierig und durstig über die bloße Haut leckten, und eilte auf die breite gewundene Treppe zu, die in den Haupttrakt des Klosters führte. Doch auf der untersten Stufe verharrte er überrascht. Oben an der steinernen Balustrade, direkt unter der leuchtenden goldenen Sonne über dem Eingang, stand der Hohe Abt; noch nie war dieser einem Boten entgegengekommen. Einen winzigen Augenblick lang zögerte der Ritter, dann erinnerte er sich der Etikette und neigte den Kopf. »Hoher Herr«, murmelte er mit trockenem Mund. Er sprach den Namen Morlan nicht aus.
»Hast du es?«, fragte der Abt, ohne die Begrüßung zu erwidern. Morlan war ein kleiner kräftiger Mann mit weißem Haar, großer Nase und eiskalten blauen Augen. Er trug die schlichte Tunika des Ritterordens, keine Rüstung, keine Kutte, und außer der goldenen Kette kein sichtbares Zeichen seiner Macht. Doch Hellwahs Segen lag auf ihm, er brauchte keine Insignien, die seinen Rang verkündeten. Jeder in seiner Nähe konnte die Kraft und Befehlsgewalt spüren, die ihm vom höchsten der Götter geschenkt worden war.
»Es war nicht leicht, Hoher Herr«, sagte der rote Ritter und blickte zu Boden. Er schluckte. »Die Wahnsinnigen haben seinen ganzen Besitz verbrannt, und die Asche hat der Wind längst verweht. Doch sein Topf ist dem Feuer nicht zum Opfer gefallen, ich fand ihn verbeult, halb geschmolzen und rußverschmiert im Wald. Ich hoffe, die Flammen und irgendwelche Tiere haben ihn nicht gänzlich unbrauchbar gemacht. Im Fall der anderen beiden war es einfacher. Als fahrender Händler habe ich mich in das ketzerische Trollfurt eingeschlichen und ein Hemd seines Freundes mitgenommen und ein Kleid des Mädchens. Sie ist wohl wirklich freiwillig mit ihm gegangen, ihre verbitterte Mutter beschuldigt den toten Vater.«
Ohne die geringste Gefühlsregung musterte ihn der Hohe Abt, schließlich nickte er. »Nun gut, dann muss es eben mit einem Topf gehen. Begleite mich zum Zwinger.«
Gehorsam folgte der Ritter dem Abt an seinem gierig saufenden Drachen und den Stallungen vorbei. Vereinzeltes Schnaufen, ein Wiehern und der strenge Geruch nach Drache und Hitze drangen heraus.
»Nachher kannst du berichten, wie viele Ketzer Trollfurt besetzt halten und wie viele der Bürger noch zum rechten Glauben stehen, seit Priester Habemaas fliehen musste. Wir werden es für König und Orden zurückerobern. Die Ketzer sind zu einer Plage geworden, die ausgemerzt werden muss. Aber zuerst erzähl mir, was du von dem Jungen weißt«, forderte der Abt.
»Nicht viel«, entgegnete der Ritter. »Oder zu viel. Zahlreiche Geschichten sind über ihn im Umlauf. Er ist ein Rebell, ein Mörder und Anhänger des dunklen Gottes. Angeblich reitet er einen geflügelten und damit verfluchten Drachen, auch seine beiden Gefährten Yanko und Nica wurden mehreren Zeugen zufolge gemeinsam auf einer solchen Bestie gesehen. Ob dies der Wahrheit entspricht, wage ich zu bezweifeln, doch es ist wohl erwiesen, dass dieser Ben den ehrenwerten Ritter Narfried und seine entzückende Jungfrau getötet hat. Ich weiß nicht, wie viele Spießgesellen ihm außer den beiden Freunden folgen, doch er hat die ganze Stadt in Aufruhr und Angst versetzt, und er hat sich nicht nur gegen das Recht, sondern auch gegen die Ketzer gestellt. Er muss tollkühn sein oder verrückt, auf jeden Fall aber gefährlich trotz seines jungen Alters von gerade mal fünfzehn Jahren. Und er hat seine Motive noch nicht offengelegt; niemand weiß, was er wirklich will, was ihn zu diesen Taten treibt. Die einfachen Leute in Trollfurt fürchten ihn und seine Rache. Unverfänglich habe ich beim Bier mit mehreren ausgewachsenen Männern gesprochen, die sich ihm nicht entgegenstellen würden, trotz der Belohnung, die der Orden auf ihn ausgesetzt hat. Sie schwören auf ihr Leben, er sei mit Samoth im Bunde, und nachts glühten seine Augen rot. Nur der Schmied wollte ihm sofort den Schädel einschlagen, der Bastard habe ihm seinen Sohn gestohlen. Er will von Anfang an gesagt haben, dass dieser Ben nichts tauge, aber er selbst sei einfach zu weich und gutherzig gewesen, nicht streng genug zu seinem Yanko. Die Belohnung interessiere ihn nicht, er täte es schließlich nicht des Geldes wegen. Bens Mutter ist vor gut zwei Jahren gestorben, eine Säuferin, der Vater schon viel länger verschwunden. Niemand hatte ein gutes Wort für diesen Jungen übrig.«
»So, so, sie haben also alle Angst.« Der Hohe Abt nickte, auf seinen Lippen zeigte sich ein dünnes Lächeln. »Das habe ich mir gedacht. Deshalb werden wir uns selbst um ihn kümmern und es nicht bei der Ächtung und Belohnung belassen.«
Inzwischen hatten sie die Außenbereiche der Klosteranlage erreicht. Ganz im Norden, direkt an der gewaltigen Wehrmauer, hinter der das Plätschern des gemächlich dahinfließenden Firnh zu vernehmen war, dessen Wasser im Sonnenlicht kristallgrün schimmerte, kauerte ein gedrungener runder Turm, der sicherlich zwanzig Schritt durchmaß und dessen Außenwand aus großen verwitterten Granitquadern bestand. In dem Gebäude befanden sich rundum hohe, vergitterte Fensteröffnungen, welche die Strahlen der göttlichen Sonne hineinließen, und im Süden war ein Durchgang aus der Mauer gebrochen, der mit einem schwarzen Fallgatter verschlossen war. Einen solch gewaltigen Zwinger besaßen nur die bedeutendsten Klöster des Drachenordens. Die Luft um ihn war kalt, obwohl die Sonne hier ebenso schien wie im vorderen Hof.
Als sich Abt und Ritter dem Zwinger näherten, drängten sich vier weiße Drachen im Eingangsbereich. Mit gewaltigen Klauen rüttelten sie an dem massiven Gestänge und sogen die Luft mit geweiteten Nüstern ein. Sie schnupperten gierig und bleckten die Zähne, scharrten aufgeregt über den ausgetretenen Steinboden und stießen sich gegenseitig zur Seite – jeder suchte die Nähe des Abts, der nur einen halben Schritt vom Gitter entfernt stand.
Der kleinste Drache maß gute fünf Schritt, der größte wohl an die zwölf. Ihr Weiß glich dem einer unberührten Eisfläche, die in der klaren Mittagssonne glitzert, ihre Schuppen waren der irdische Abglanz von Hellwahs Reinheit – sie strahlten heller als jeder Edelstein. Ihre Augen waren klein und blutrot, die Pupillen schwarze Punkte, die Mäuler riesig, selbst für Drachen; darin wuchsen drei wilde Reihen langer spitzer Zähne, unregelmäßig und klar wie Eiszapfen.
Die weißen Drachen waren so kalt, dass niemand länger auf ihnen zu reiten vermochte, kein Sattel hielt diese Kälte fern. Angeblich konnte sie jedes noch so hitzige Herz gefrieren lassen, dass es hart wurde wie Stein und bei der nächsten Erschütterung in tausend Splitter zerbarst.
Dies waren die Hunde Hellwahs, rastlose Jagddrachen, einzig dazu ausgebildet, Geächtete und Glaubensfeinde zur Strecke zu bringen, wo immer sie sich verbergen mochten. Sie waren Hellwahs Zorn und strafender Arm und bei Weitem nicht so sanftmütig wie andere Drachen.
»Wirklich bedauerlich, dass du nur diesen Topf von dem Jungen auftreiben konntest«, sagte der...