dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Gossip Girl 3 - Alles ist mir nicht genug

Cecily Ziegesar

 

Verlag cbj Kinder- & Jugendbücher, 2010

ISBN 9783641034450 , 256 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

5,99 EUR


 

»Wenn sie ein Stück größer wäre, könnte er sein Kinn auf ihren Möpsen ablegen«, lästerte Blair Waldorf, die ihren Exfreund Nate Archibald beim Engtanz mit Jennifer Humphrey beobachtete, einer etwas zu kurz geratenen, dafür aber umso vollbusigeren Neuntklässlerin, wegen der Nate sie vor ein paar Wochen unerfindlicherweise abserviert hatte. »Nur würde er dann wahrscheinlich ersticken.«
Zum Glück hatte Blair das Abendessen vorsorglich geknickt, sonst hätte sie jetzt auf direktem Weg die Damentoilette aufsuchen müssen, um vor lauter Ekel abzukotzen.
Serena van der Woodsen, Blairs älteste und zugleich neueste beste Freundin, schüttelte verwundert den blassblonden Kopf. »Ich kapier es immer noch nicht«, sagte sie. »Nichts gegen Jenny, aber für mich war immer klar, dass Nate zu dir gehört. Ihr wart das perfekte Paar. Absolut schicksalsmäßig dafür bestimmt, euer Leben lang zusammenzubleiben.«
Komisch, dass ausgerechnet Serena das sagte. Immerhin hatten sie und Nate in den Sommerferien nach der zehnten Klasse zum ersten Mal Sex gehabt - ja, miteinander, und das auch noch hinter Blairs Rücken. Man sollte meinen, wenn zwei Menschen füreinander bestimmt gewesen wären, dann sie. Aber die Sache mit Nate hatte sich, wie alle bisherigen Männergeschichten von Serena, als kurzes Strohfeuer entpuppt. Mit Blair und Nate war es etwas anderes - die waren immer eine feste Institution gewesen, so wie der Portier in der Lobby des Hauses auf der Fifth Avenue, in dem Serena wohnte. Dass sie nicht mehr zusammen sein sollten, überstieg Serenas Vorstellungsvermögen. Die beiden waren das lebende Beispiel für eine funktionierende Zweierbeziehung gewesen, und dass jetzt doch alles so den Bach runtergegangen war, machte Serena etwas Angst.
Blair griff nach ihrem Champagnerglas und kippte es in einem durstigen Zug. Die beiden Mädchen saßen allein an einem der mit weißem Musselin und schwarzem Taft gedeckten großen runden Tische im feudalen Ballsaal des St. Claire Hotels, wo der alljährlich im Dezember stattfindende Black-and-White-Ball bereits voll im Gange war. Mädchen mit weißen Federn im Haar und bodenlangen schwarzen Abendkleidern von Versace oder Dolce & Gabbana tanzten mit jungen Männern in Smokings, die Tom Ford für Gucci entworfen hatte; über ihnen hing von der Decke eine riesige mit schwarzen und weißen Rosenknospen dekorierte Kugel.
Blair durchlebte gerade ein extremes Déjà-vu. Es war erst einen Monat her, dass ihre Mutter einen polternden, verschwitzten und übergewichtigen Losertypen namens Cyrus Rose geheiratet hatte. Die Hochzeitsfeier hatte genau hier stattgefunden, in diesem Saal. Und das ausgerechnet an Blairs siebzehntem Geburtstag, dem Tag, an dem sie eigentlich zum ersten Mal mit Nate hatte schlafen wollen. Sie hatte sich stundenlang gestylt und dabei jede Sekunde ihrer bevorstehenden Entjungferung mental durchgespielt. Leider hatte sie dann zufälligerweise mitgekriegt, wie Nate in der Hotellobby mit der Kleinen aus der Mittelstufe rummachte, und ihr war klar geworden, dass es letztendlich scheißegal war, wie unwiderstehlich sie in ihrem schokobraunen Brautjungfernkleid von Chloe aussah, wie seidig ihre Haare glänzten oder wie hoch ihre Manolo Blahniks waren. Nate war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, die Ballonbrüste dieser kraushaarigen Vierzehnjährigen abzufingern, um Blair auch nur zu bemerken.
Es war bei weitem der schrecklichste Geburtstag in Blairs Leben gewesen, aber davon würde sie sich nicht unterkriegen lassen. Sie nicht. Das lag ihr nicht.
Mhm, ja klar.
»Ich glaub nicht mehr an Schicksal«, sagte sie zu Serena und knallte ihr Glas so heftig auf den Tisch, dass beinahe der Stiel abgebrochen wäre. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die langen dunkelbraunen Haare, die erst wenige Stunden zuvor im Red Door Salon von Elisabeth Arden von ihrem neuen Lieblingsfrisör Antoine nachgeschnitten worden waren.
Serenas meerblaue Augen blitzten spöttisch, als sie lachte. »Ach, und wieso redest du dann immer davon, dass Yale dein Schicksal ist?«
»Das ist was anderes«, behauptete Blair störrisch.
Blairs Vater war Yale-Absolvent, und Blair hatte schon immer davon geträumt, später auch dort zu studieren. Da sie zu den Jahrgangsbesten an der Constance-Billard-Schule gehörte und bis zum Anschlag außerschulisch engagiert war, hatte sie selbstverständlich angenommen, Yale würde sie mit Handkuss aufnehmen. Aber dann war sie während ihres Auswahlgesprächs unter dem Druck zusammengebrochen und hatte sich in Blair-die-Meisterin-der-dramatischen-Pose-aus- der-Filmdose verwandelt. Sie hatte dem Dozenten die herzzerreißende Geschichte ihrer Mutter vorgejammert, die nach der Scheidung von Blairs schwulem Vater jetzt einen quasi Unbekannten heiraten wolle, weshalb Blair es nicht erwarten könne, endlich auf die Uni zu kommen, um dort ein ganz neues Leben zu beginnen. Zu guter Letzt hatte sie sich sogar auf die Zehenspitzen gestellt und den Mann auf die eingefallene, stoppelige Wange geküsst!
Blair sah sich selbst gern als Heldin eines Fünfzigerjahre-Schwarz-Weiß-Films im Stil ihres Idols Audrey Hepburn und das war ihr diesmal zum Verhängnis geworden. Nach dem verpatzten Gespräch musste sie sich wie jede x-beliebige Bewerberin dem normalen Auswahlverfahren in Yale stellen und sogar ihren Vater bitten, der Uni einen Auslandsstudiengang in Frankreich zu stiften, um ihre Chancen zu erhöhen. Gut standen sie trotzdem nicht.
Sie zog die Flasche Roederer Cristal aus dem silbernen Champagnerkübel und schenkte sich nach. »Schicksal ist was für Loser«, sagte sie wegwerfend. »Das ist bloß eine billige Ausrede dafür, die Dinge einfach laufen zu lassen, statt sie zu steuern.«
Hm. Hätte sie doch bloß gewusst, wie man die Dinge steuerte, ohne sich dabei gründlich in die Scheiße zu reiten.
Serenas Konzentrationsfähigkeit war schwächer entwickelt als die eines frisch geborenen Welpen, und sie hatte schon zu viel getrunken, um noch ein so ernstes Gespräch führen zu können. »Lass uns heute mal ausnahmsweise nicht über die Zukunft reden, okay?« Sie zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch über Blairs Kopf hinweg. »Dieser blonde Typ, mit dem Aaron sich unterhält, starrt dich übrigens schon seit zehn Minuten an.« Sie schlug die langen, sagenhaft schmalen Finger vor den Mund und kicherte. »Oops. Wenn man vom Teufel spricht.«
Blair drehte sich um und sah, dass ihr dreadlockiger Veganer-Stiefbruder Aaron Rose und ein auffallend großer Typ mit blonder Stachelfrisur und einem eindeutig maßgeschneiderten Armani-Smoking auf ihren Tisch zukamen. Aarons Begleiter trommelte sich im Gehen mit den Fingerspitzen nervös auf die Oberschenkel und hielt den Blick fest auf seine glänzenden schwarzen Prada-Schuhe geheftet, als fürchtete er, über die eigenen Füße zu stolpern. Auf der Tanzfläche hinter den beiden wiegten sich hip gestylte betörende Mädchen und extrem schnieke Jungs eng umschlungen zu irgendeinem Song von Beck.
»Bau Blair mal ein bisschen auf«, sagte Serena zu Aaron. »Sie hat schon wieder Zukunftsangst.«
Blair verdrehte die Augen. »Wer hat die denn nicht?«
Aaron verzog mitfühlend die vollen roten Lippen. Er war mit Blair und Serena hergekommen, hatte die beiden aber bald bei Zigaretten und Champagner allein gelassen, um seinen Freund zu suchen. Dabei war Blair wegen der Hochzeit ihrer Eltern und des vermasselten Bewerbungsgesprächs in Yale zurzeit ziemlich gestresst und dünnhäutig und brauchte gerade jetzt besonders viel moralische Unterstützung. »Tut mir Leid, dass ich mich so schlecht um euch kümmere. Hast du Lust zu tanzen, Blair?«
Blair ignorierte seine Frage. Sah sie etwa aus, als wollte sie tanzen? Stattdessen guckte sie Aarons Freund an. »Und wer bist du?«
Der blonde Hüne mit den hellbraunen Augen lächelte. Seine Zähne strahlten sogar noch weißer als sein Smokinghemd. »Ich bin Miles. Miles Ingram.«
Aha. Sohn des berühmten Gastronomen Danny Ingram, dem diverse In-Restaurants und Nachtclubs wie das Gorgon in New York und das Trixie in L.A. gehörten, um nur zwei zu nennen.
»Er ist auf der Bronxdale bei mir in der Klasse«, erklärte Aaron. »Wir wollen eine Band gründen. Miles spielt Schlagzeug.«
Blair nippte an ihrem Champagner und wartete darauf, dass einer der beiden etwas nicht total Einschläferndes sagte.
Miles spielte auf der Rückenlehne eines freien Stuhls ein Drumsolo und lächelte auf Blair hinunter. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so hübsch bist.«
Der Typ war ja ganz süß, aber seine Trommelei hatte extremes Nervpotenzial.
Blair lächelte nicht. Sie nahm einen weiteren Schluck Champagner. Wahrscheinlich hatte Aaron Miles erzählt, sie sei die volle Hexe, und er dachte, sie hätte eine Warze auf der Nase und Haare auf den Zähnen.
Ganz falsch. Aaron redete nur deshalb nicht gern über seine neue Stiefschwester, weil er sie nicht mit anderen teilen wollte. Ja, ja, tupft euch den Sabber aus den Mundwinkeln - dazu später mehr.
Aaron strich sich über seine kurzen Dreadlocks. »Und das ist Serena.«
Miles betrachtete Serenas makellose Züge, ihre meerblauen Augen und ihren gertenschlanken Körper, der in einem Traumkleid von Gucci steckte. Er ließ seinen Blick fast einen Moment zu lang auf ihr ruhen - es war aber auch schwierig, ihn loszureißen - und sagte dann zu Aaron: »Komisch. Du hast mir nie erzählt, dass Blair so schön ist.«
Aaron zuckte mit den Schultern und guckte unbehaglich.
»Sorry.«
Blair und Serena zündeten sich neue Zigaretten an und warteten weiter darauf, dass irgendetwas total Verrücktes passierte. Wobei es ja nach Blairs Aussage von gerade eben eigentlich an ihr gewesen wäre, den Lauf der Dinge zu steuern.
Aaron räusperte sich. »Und du willst wirklich nicht tanzen?«, fragte er noch einmal.
Blair bemerkte, dass er keine Fliege umgebunden hatte. Sein Kragen stand offen und das Smokinghemd hing über der Hose. Wahrscheinlich wollte er mal wieder demonstrieren, wie unangepasst er doch war. Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und blies ihm den Rauch ins Gesicht. »Nein, danke.«
Der Beck-Song war zu Ende, und die Leute drängten an ihre Tische zurück, um sich weiter voll laufen zu lassen.
»Meine Füße sind kurz vorm Absterben!«, jammerte Kati Farkas, ließ sich gegenüber von Blair auf einen Stuhl fallen und riss sich die hochhackigen Sandaletten von den Füßen.
»Meine sind schon tot!«, klagte Isabel Coates, die auf den Stuhl daneben sank.
In den anderthalb Jahren, die Serena weit entfernt in New Hampshire im Internat verbracht hatte, waren Isabel und Kati nicht von Blairs Seite gewichen. Sie hatten sich zu dritt bei Sephora Lippenstifte gekauft, hatten im Le Canard zu dritt Cappuccinos getrunken und, ja, sie waren auch zu dritt aufs Klo gegangen. Blair war die Szenekönigin der New Yorker Jungschickeria, und weil Kati und Isabel überall mit ihr auftauchten und allerorten den roten Teppich ausgerollt bekamen, waren sie sich selbst fast wie Berühmtheiten vorgekommen. Kurz vor Columbus Day war dann Serena aus ihrem Nobelinternat geflogen, nach NYC zurückgekehrt und hatte ihnen Blair wieder ausgespannt, worauf Kati und Isabel in ihre alte Langweilerexistenz zurückgesunken waren.
»Wieso tanzt ihr eigentlich nicht?«, fragte Kati.
Blair zog eine Grimasse. »Keine Lust.«
Isabel seufzte. »Wir müssen doch nur noch die blöden Halbjahresprüfungen nächste Woche überstehen«, tröstete sie Blair, weil sie den angeödeten Unterton in ihrer Stimme irrtümlich für Erschöpfung hielt. »Und dann sind endlich Weihnachtsferien.«
»Ihr habt echt so ein Glück, dass ihr in die Sonne könnt«, maulte Kati. »Ich darf wie immer in Aspen Ski fahren - superätzend.«
»Sei doch froh. Ich muss mit meinen Eltern in unserem Ferienhaus in Connecticut rumhocken«, sagte Isabel.
Serena strahlte. »Ich freu mich schon. Das wird so geil.«
Kati und Isabel funkelten sie missgünstig an.
Blair und Serena flogen nämlich über Weihnachten in die Karibik. Blairs Mutter und Aarons Vater unterbrachen ihre
Flitterwochen-Kreuzfahrt, um die Feiertage mit Blair, Aaron und Blairs kleinem Bruder Tyler im exklusiven Resort »Isle de la Paix« auf der Insel St. Barts zu verbringen. Sie hatten jedem der Kinder erlaubt, noch jemanden mitbringen, und da sich Blair und Serena während der Hochzeit ihrer Mutter auf der Damentoilette wieder versöhnt hatten, war Blairs Wahl auf sie gefallen.
Silvester würden sie natürlich wieder in New York sein. Kein rechtschaffenes Partygirl über zwölf verbringt die Neujahrsnacht woanders und schon gar nicht mit den Eltern.
»Ja, das wird genial«, stimmte Blair ihr mit zufriedenem Lächeln zu. Sie sah sich schon sonnenöltriefend in ihrem neuen Missoni-Bikini im strahlend weißen Muschelsand liegen, die Hälfte des Gesichts hinter einer enormen ChanelSonnenbrille verborgen und von knackigen Boys in Surfershorts mit exotischen Cocktails in Kokosnussschalen versorgt. Sie konnte Yale und Nate und ihre Mutter und Cyrus vergessen, während sie sich von der heißen Inselsonne milchkaffeebraun brutzeln ließ. Natürlich wusste sie, dass Kati und Isabel vor Neid vergingen, weil sie nicht eingeladen worden waren, aber ehrlich gesagt ging ihr das komplett am Arsch vorbei.
Nur noch eine Woche bis zum Abflug.
In diesem Moment tauchte Chuck Bass hinter Blair auf und legte seine warmen Pranken auf ihre nackten, sehnigen Tennisspielerinnen-Schultern. »Ich bin gerade an Nate und der Kleinen aus eurer Schule vorbeigekommen. Die stehen da hinten in einer Ecke und begrapschen sich«, verkündete er, als würde das irgendwen interessieren.
Der dunkelhaarige Chuck sah ziemlich gut aus, wenn man auf den Typ Rasierwassermodel stand. Abgesehen davon war er der sexbesessenste Junge im gesamten New Yorker Stadtgebiet. Im Oktober hatte er versucht, sich an Serena ranzumachen, als sie in der Suite seiner Eltern im Tribeca Star
Hotel betrunken weggedämmert war, und in derselben Woche hätte er die kleine Jenny Humphrey auf der Kiss on the Lips-Party in einer Kabine der Damentoilette um ein Haar splitternackt ausgezogen. Chuck war ein widerlicher Schleimbeutel, aber die Clique duldete ihn, weil er einer von ihnen war. Er ging auf eine exklusive Jungenschule, hatte als Grundschüler bei Arthur Murray Tanzstunden genommen, bei Asphalt Green Tennis spielen gelernt und die Sommerferien immer in Südfrankreich verbracht. Er wurde auf die begehrtesten Partys eingeladen, bekam die angesagtesten Designerteile vor allen anderen angeboten und war der geborene Jetsetter - wie sie alle. Wenn Chuck von jemandem eine Abfuhr bekam, probierte er es umgehend noch mal. Er war erschütternd unerschütterlich.
Blair versuchte, seine Hände mit einem gereizten Schulterzucken loszuwerden. »Na und?«
Chuck ließ die Hände an Ort und Stelle. »Nate hat dich noch originalverpackt abgegeben, stimmt's?« Er begann, ihre Schultern zu kneten. »Ich hab mir überlegt ^ vielleicht sollte ich dich in die Geheimnisse der Liebe einführen?«
In Blair sträubte sich alles. Bis zu diesem Augenblick hatte sie nie ein echtes Problem mit Chuck gehabt, aber jetzt verstand sie, warum Serena ihn so hasste. Sie schob mit einem Ruck ihren Stuhl zurück, entwand sich Chucks Griff und stand auf. »Ich geh mal pinkeln«, informierte sie die Runde, ohne Chuck auch nur eines Blickes zu würdigen. »Und danach will ich hier weg. Wir können ja bei uns zu Hause weiterfeiern.«
Aaron strich sich etwas betreten über die Dreadlocks und machte einen Schritt auf sie zu. »Hey, alles okay?«, erkundigte er sich besorgt.
Seine Softie-Nummer nervte Blair plötzlich fast so sehr wie Chucks Schleimerei.
»Ja, klar. Alles bestens.«
Sie drehte sich um und marschierte, so weit es die ultrahohen Christian-Louboutin-Plexiglas-Stilettos und das knatschenge Gucci-Kleid erlaubten, im Stechschritt durch den Raum, den Blick starr nach vorne gerichtet, um sich den Anblick von Nate mit seiner kleinen Ginny oder wie sie hieß zu ersparen.
Die meisten Ballgäste strebten derweil aufgeregt flüsternd wieder der Tanzfläche zu. Wahrscheinlich trat gleich Flow auf - der heißeste Sänger der jüngsten Musikgeschichte. Aber Blair war das egal. Im Gegensatz zu den meisten anderen Mädchen ließen Celebrities sie völlig kalt. Kein Wunder. In dem Dauerfilm in ihrem Kopfkino war sie selbst ein Star. Und zwar der größte, den sie kannte.
Jenny schwebte schon den ganzen Abend in einer Art seliger Trance. Nate, der einen neuen Smoking von Donna Karan trug, hatte sie vor dem Black-and-White-Ball im Taxi abgeholt und war mit ihr ins Bond gefahren, wo er sie zu Sushi und viel zu viel Sake eingeladen und ihr einen kleinen sternförmigen Türkisanhänger von Jade Jagger geschenkt hatte. Seine grünen Augen schimmerten im Kerzenschein, und seine honigbraunen Haare waren so vollendet verwuschelt, dass Jenny mit ihrer geistigen Kamera ein Polaroid nach dem anderen von ihm schoss, um morgen früh gleich nach dem Aufstehen ein weiteres Nate-Porträt für ihre Sammlung zu malen.
Aber das Schönste war, dass Nate sie auf dem Ball nicht herumgeschleift und mit lauter Leuten gequatscht hatte, die sie nicht kannte. Selbst von seinen überdrehten Kumpels Jeremy Scott Tompkinson, Anthony Avuldsen und Charlie Dern wurden sie in Ruhe gelassen. Endlich hatte sie Nate mal ganz allein für sich, und er schien glücklich, sie einfach nur in einer stillen Ecke in den Armen zu halten und zu küssen.
Jenny schaute verzückt zu ihm auf. »Sag mal, kennst du dieses Bild von Gustav Klimt - >Der Kuss Nate runzelte die Stirn. »Glaub nicht.«
»Klar, das kennst du. Das ist echt superberühmt. Jedenfalls erinnert mich das alles gerade voll daran.«
Nate zuckte mit den Achseln und guckte zur Tanzfläche. »Ich glaub, jetzt tritt gleich der Sänger von 45 auf.«
Jenny lehnte sich an die Wand. Bevor sie Nate kannte, hätte sie sich vor Aufregung nass gemacht, wenn sie die Chance gehabt hätte, einen Star wie Flow aus allernächster Nähe zu sehen, aber jetzt wollte sie nichts anderes als Nate ungestört weiterküssen.
»Na und?« Sie kicherte und wischte sich mit dem Finger über den Mund, wobei sie darauf achtete, ihr pinkfarbenes MAC-Lipgloss nicht zu verschmieren. »Boah, das war gerade echt voll schön«, sagte sie leise.
»Was denn?« Nate sah sich zerstreut im Saal um.
»Ich hab noch nie jemanden so lang geküsst«, gestand Jenny.
Nate guckte wieder auf sie herunter und lächelte. Bevor er sie zu Hause abgeholt hatte, hatte er sich schnell einen kleinen Joint reingezogen, dessen Wirkung noch nicht ganz abgeflaut war. Nettes Kleid, das Jenny da anhatte. Lang und schwarz, hinten und vorne reichlich tief ausgeschnitten und mit fetten weißen Rüschen am Saum, die um ihre zarten Knöchel wogten.
Jenny hatte es bei Century 21 gekauft. Einem Laden mit reduzierter Designermode für Schnäppchenwütige und modische Blindgänger, die sich alles andrehen lassen, solange ein Designerlabel draufklebt, selbst wenn die Teile eindeutig zweite Wahl sind oder geschmacklich so was von daneben, dass man sie nirgendwo loswird - außer eben bei Century 21.
Für das Kleid schuldete Jenny ihrem Vater das Taschengeld der nächsten vier Monate, aber das hatte sie Nate nicht erzählt. Er fand, dass sie wie ein kleiner schwarz-weißer Engel aussah. Ein Engel mit dem hervorragendsten Paar Glocken, das ihm je untergekommen war. Er zog sie an sich und ließ seine Hände über ihre blassen, babypopo-zarten Arme gleiten. Jenny fühlte sich auch sehr gut an, weich und warm wie frisch gebackenes Brot in einem Fünf-Sterne-Restaurant.
Der DJ legte den aktuellen Charthit von 45 auf, »Korrupt Me«, und wie aus dem Nirgendwo kam in diesem Moment Flow auf die Tanzfläche geschlendert. Auf dem roten T-Shirt unter seinem Smokingjackett stand in weißen Großbuchstaben BE KIND, und er lächelte sein berühmtes scheues Lächeln, das ihn zu einem der begehrtesten Männer des Planeten machte. Seine Mutter war ein dänisches Dessous-Model und sein Vater ein Kaffeebaron aus Jamaika. Flow sah aus wie eine gebräunte, blauäugige Ausgabe von Jim Morrison, dem Sänger der Sixties-Kultband »The Doors«. Sobald er hinter das transparente Rednerpult trat, verebbte die Musik und die Menge johlte und klatschte. Jenny schob ihre kleine Hand in Nates große, und die beiden traten aus ihrer Kuschelecke heraus, um besser zu sehen.
»Cool, dass ihr euch heute alle in Schale geworfen habt und hierher gekommen seid, um euer Geld für eine echt gute Sache zu spenden, nämlich Flow riss sein Jackett auf und deutete auf sein Shirt, und es gab genug Ballbesucher, die sich nicht zu blöd dazu waren, wie die letzten Schwachköpfe begeistert »Be Kind!« zu grölen.
Genau in diesem Moment drückte Blair die Tür der Damentoilette auf - und musste feststellen, dass Nate und Jenny direkt vor ihr standen und Händchen hielten. Jenny steckte in einem geschmacklosen Omakleid von zweifelhafter Herkunft, das hinten rumschlabberte und obenrum alles rausquetschte. Sie und Nate sahen aus wie zwei Landeier, die sich für ihren Abschlussball aufgebrezelt hatten.
Blair schob die schmalen Träger ihres Kleides zurecht und kniff die rubinrot lackierten Lippen zusammen. Je schneller sie von hier wegkam, desto besser. Andererseits konnte sie sich auch nicht davonschleichen wie irgendeine bedauernswerte, sitzen gelassene Ex-Freundin. Verdammt noch mal, sie hatte schließlich ihren Stolz.
O ja. Den hatte sie.
»Ich möchte vor allem auch dem Organisationskomitee des Balls unter der Leitung von Blair Waldorf und Serena van der Woodsen danken«, las Flow von dem Zettel in seiner Hand ab. »Hey«, rief er dann. »Wie wär's, wenn ihr beide den Leuten erzählt, wie viel Geld zusammengekommen ist?«
Alles verrenkte sich die Hälse nach Serena und Blair.
Serena stieß einen spitzen Schrei aus und lief ohne zu zögern mit wehendem Blondhaar leichtfüßig über die Tanzfläche zum Rednerpult. Überwältigt von ihrem Anblick, wich Flow einen Schritt zurück. Serena beugte sich über das Mikro. »Komm schon, Blair!«, rief sie in Saal. » Wo bleibst du?«
Blair spürte die erwartungsvollen Blicke der Menge auf sich. Sie rang sich ein Lächeln ab und verließ ihren Platz vor der Damentoilette, um direkt an Nate und Jenny vorbeizurauschen.
Nate sah ihr mit offenem Mund hinterher. War sie schon immer so groß gewesen und hatte sie schon immer diesen knackigen Apfelarsch gehabt? Ihre langen Haare glänzten, und ihre Haut schimmerte so seidig, dass er sie berühren wollte. Sie sah verdammt scharf aus. Nein, viel besser als scharf. Er war auf einmal verwirrt. Am liebsten hätte er Blair am Arm festgehalten und gesagt: »Komm zurück. Irgendwas ist hier falsch gelaufen.« Aber da drückte Jenny seine Hand. Als er zu ihr hinuntersah, versank er in ihren seelenvollen braunen Augen, vor allem aber in ihrem abgrundtiefen Dekolletee, und Blair war vergessen.
Nate war ein bisschen wie ein dämlicher Cockerspaniel.