dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Der Kreuzritter - Verbannung - Roman

Jan Guillou

 

Verlag Heyne, 2010

ISBN 9783641042844 , 560 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR

  • Das Rätsel der Templer - Roman
    Der Kreuzritter - Das Erbe - Roman
    Hartmut und ich - Roman
    Bullenhitze - Lenz' fünfter Fall
    Nervenflattern
    Kammerflimmern - Lenz' zweiter Fall
    Der Kreuzritter - Rückkehr - Roman
    Varus - Historischer Roman
  • Eiszeit - Lenz' vierter Fall

     

     

     

     

     

     

     

     

 

 

I
IM HEILIGEN TRAUERMONAT MOHARRAM, der im Jahre 575 nach Hijra, das die Ungläubigen Anno Domini 1177 nannten, in die heißeste Zeit des Sommers fiel, sandte Gott seine höchst merkwürdige Rettung demjenigen seiner Gläubigen, den er am meisten liebte.
Jussuf und sein Bruder Fahkr ritten um ihr Leben, und schräg hinter ihnen kam als Schutz vor den feindlichen Pfeilen der Emir Moussa. Die Verfolger, sechs an der Zahl, näherten sich stetig, und Jussuf verfluchte seinen Hochmut, der ihn hatte glauben lassen, dass so etwas nie eintreffen könnte, da er und seine Gefolgsleute die schnellsten Pferde hätten. Aber die Landschaft hier im Tal des Todes und der Dürre direkt westlich des Toten Meeres war ebenso ungastlich trocken wie steinig. Deswegen war es gefährlich, zu schnell zu reiten, doch es hatte den Anschein, als hätten die Verfolger damit überhaupt keine Mühe. Wäre einer von ihnen zu Fall gekommen, wäre das auch nicht so verhängnisvoll gewesen, als wäre dies einem der Verfolgten zugestoßen.
Jussuf entschied sich plötzlich, im rechten Winkel nach Westen auszuweichen, auf die Berge zu, wo er Schutz zu finden hoffte. Bald ritten die drei verfolgten Reiter ein Wadi steil bergauf. Doch das trockene Flussbett wurde schmaler und tiefer, sodass sie bald in einer tiefen Kluft dahinritten, als hätte sie Gott auf ihrer Flucht gefangen und würde sie nun in eine bestimmte Richtung führen. Jetzt gab es nur noch einen Weg, und dieser führte immer steiler hinauf und machte es den Reitern schwerer, das Tempo zu halten. Die Verfolger kamen immer näher und sie waren bald in Reichweite ihrer Pfeile. Die Verfolgten hatten sich bereits ihre runden, eisenbeschlagenen Schilde auf den Rücken geschnallt.
Jussuf war es nicht gewohnt, um sein Leben zu bitten. Aber jetzt, da er zwischen den verräterischen Felsblöcken auf dem Grund des Wadi immer langsamer reiten musste, kamen ihm einige Worte Gottes in den Sinn, die er atemlos und mit trockenen Lippen vor sich hin sprach: »Er, der Leben und Tod geschaffen hat, um euch auf die Probe zu stellen und euch durch eure Handlungen beweisen zu lassen, wer von euch der Beste ist. Er ist der Allmächtige. Der, der stets vergibt.«
Und in der Tat stellte Gott seinen geliebten Jussuf auf die Probe und zeigte ihm – erst als Erscheinung im Gegenlicht der untergehenden Sonne, dann mit fürchterlicher Klarheit – das Schrecklichste, was ein Rechtgläubiger in dieser schweren und bedrängten Lage sehen konnte.
Aus der Gegenrichtung kamen von oben im Wadi ein Templer mit gesenkter Lanze und hinter ihm sein Knappe. Diese beiden Feinde allen Lebens und alles dessen, was gut ist, ritten so schnell, dass ihre Umhänge wie große Drachenschwingen hinter ihnen herflatterten. Sie kamen wie die Dschinn der Wüste.
Jussuf brachte sein Pferd eilig zum Stehen und griff nach seinem Schild, den er jetzt vom Rücken nach vorne nehmen musste, um der Lanze des Ungläubigen zu begegnen. Er empfand keine Angst, sondern nur die kalte Erregung der Todesnähe, und er lenkte sein Pferd auf die steile Wand des Wadis zu, damit ihn die Lanze des Feindes nicht voll von vorn treffen, sondern ihn vielleicht nur streifen würde.
Doch da hob der Templer, der nur noch wenige Atemzüge entfernt war, seine gesenkte Lanze und gab Jussuf und den anderen Rechtgläubigen ein Zeichen, den Weg freizumachen. Das taten sie, und im nächsten Augenblick donnerten die zwei Templer vorbei und ließen dabei ihre Umhänge fallen, die flatternd in den Staub sanken.
Eilig gab Jussuf seinen Gefährten mit Handzeichen einen Befehl, und dann erklommen sie mit Mühe den letzten steilen Hang des Wadis, um zu einem Platz zu kommen, von dem aus sie alles überblicken konnten. Dort warf Jussuf sein Pferd herum und hielt an, denn er wollte erfahren, was Gott mit alldem im Sinn hatte.
Die beiden anderen wollten die Gelegenheit nutzen, um zu verschwinden. Templer und Räuber sollten die Sache unter sich ausmachen. Aber Jussuf wischte alle Einwände mit einer kurzen, verärgerten Handbewegung beiseite, denn er wollte sehen, was geschehen würde. Noch nie zuvor war er einem dieser Templer, diesen Dämonen des Bösen, so nahe gekommen und er hatte das eindeutige Gefühl, die Stimme Gottes rate ihm, die Ereignisse abzuwarten. Daran durfte ihn keine normale Klugheit hindern. Normale Klugheit hätte bedeutet, noch vor Sonnenuntergang in Richtung Al Arish weiterzureiten, bis sich schließlich die Dunkelheit wie eine schützende Decke über sie gelegt hätte. Was er jetzt sah, sollte er nie vergessen.
Die sechs Räuber hatten nicht viele Möglichkeiten, als sie bemerkten, dass sie sich nun, statt drei reiche Männer zu verfolgen, den Lanzen zweier Templer gegenübersahen. Das Wadi war viel zu schmal, um anzuhalten, zu wenden und den Rückzug anzutreten, ohne dass die Franken sie einholen würden. Nach kurzem Zögern taten sie das einzig Mögliche: sie formierten sich neu, sodass sie jetzt zu zweit nebeneinanderher ritten, und gaben ihren Pferden die Sporen.
Der weiß gekleidete Templer, der vor seinem Knappen herritt, leitete zunächst eine Scheinattacke gegen den rechten der beiden ersten Räuber ein, und als dieser sein Schild hob, um den fürchterlichen Stoß der Lanze abzuwehren, warf der Templer sein Pferd herum, was in diesem schwierigen Terrain vollkommen unmöglich erschien, und bohrte seine Lanze aus einem ganz neuen Winkel durch den Schild und Oberkörper des linken Räubers. Im selben Augenblick ließ er die Lanze fahren, um nicht selbst aus dem Sattel gerissen zu werden. Da war sein Knappe auch schon auf der Höhe des verblüfften rechten Räubers, der hinter seinen Schild geduckt auf einen Anfall wartete, der nicht kam, und daher aufblickte, worauf er aus einer gänzlich unerwarteten Richtung die Lanze des zweiten Feindes ins Gesicht bekam.
Der Weißgekleidete mit dem widerwärtigen roten Kreuz traf jetzt auf das zweite Räuberpaar, und zwar an einer Stelle, an der drei Pferde kaum aneinander vorbeikamen. Er hatte sein Schwert gezogen, und es schien zunächst, als wolle er von vorn angreifen, was weniger klug war, da er nur auf einer Seite eine Waffe trug. Aber plötzlich warf sich sein schöner Hengst, ein Schimmel in seinen kräftigsten Jahren, ganz herum und schlug nach hinten aus. Einer der Räuber wurde getroffen und aus dem Sattel geschleudert.
Der andere Räuber sah seine Chance gekommen, da er den Feind seitlich, fast von hinten, vor sich hatte. Außerdem hielt dieser das Schwert in der falschen Hand, was damit außer Reichweite war. Doch er bemerkte nicht, dass der Templer seinen Schild fallen gelassen und das Schwert in die Linke genommen hatte. Als der Räuber sich im Sattel vorbeugte, um mit dem Schwert zuzustoßen, waren sein Kopf und Hals ungeschützt dem Hieb ausgesetzt, der jetzt aus der falschen Richtung kam.
»Wenn der Kopf im Augenblick des Todes überhaupt einen Gedanken fassen kann, und sei es nur für einen Atemzug, dann ist soeben ein sehr erstaunter Kopf zu Boden gefallen«, meinte Fahkr verblüfft. Auch er folgte jetzt gebannt dem Schauspiel.
Die beiden letzten der sechs Räuber hatten die Zeit genutzt, um ihre Pferde zu wenden und flohen nun das Wadi entlang.
Unterdessen ritt der schwarz gekleidete Knappe auf den gottlosen Schuft zu, der vom Pferd des Templers aus dem Sattel geworfen worden war. Der Knappe setzte ab, nahm ruhig mit der einen Hand die Zügel des Pferdes und stieß dem taumelnden und sicher grün und blau geschlagenen Räuber sein Schwert an der Stelle in die Halsbeuge, wo der mit Stahlplatten besetzte Lederpanzer endete. Er machte keinerlei Anstalten, seinem Herrn zu folgen, der inzwischen die Verfolgung der beiden letzten Räuber aufgenommen hatte. Stattdessen band er die Zügel um die Vorderbeine des Pferdes, das er gerade eingefangen hatte, und ging dann vorsichtig hinter den beiden anderen reiterlosen Pferden her. Er redete beruhigend auf sie ein und schien sich um seinen Herrn nicht weiter zu kümmern, dem er doch hätte beistehen müssen, anstatt die Pferde der Feinde zusammenzutreiben. Wahrlich ein außerordentlicher Anblick.
»Derjenige, den Ihr dort seht, Herr«, sagte der Emir Moussa und deutete auf den weiß gekleideten Templer, der gerade weit unten im Wadi aus dem Blickfeld der drei Rechtgläubigen entschwand, »ist Al Ghouti.«
»Al Ghouti?«, sagte Jussuf fragend. »Ihr sagt das so, als müsste ich ihn kennen. Aber das tue ich nicht. Wer ist Al Ghouti?«
»Al Ghouti ist jemand, den Ihr kennen solltet, Herr«, antwortete Emir Moussa grimmig. »Er wurde uns von Gott für unsere Sünden geschickt. Er ist derjenige unter den Teufeln mit dem roten Kreuz, die manchmal zusammen mit den Turkopelen reiten und manchmal mit deren schweren Rittern. Er reitet, wie Ihr seht, einen Araberhengst wie ein Turkopel, aber trotzdem trägt er Lanze und Schwert, als säße er auf einem der langsamen und schweren Pferde der Franken. Außerdem ist er der Emir der Templer in Gaza.«
»Al Ghouti, Al Ghouti«, murmelte Jussuf nachdenklich. »Den will ich treffen. Wir warten hier!«
Die anderen beiden blickten ihn entsetzt an, sahen aber sofort ein, dass es keinen Sinn hatte, etwas einzuwenden.
Während die drei sarazenischen Reiter oben am Rand des Wadis warteten, sahen sie, wie der Knappe des Templers offenbar ganz unbekümmert die vier Pferde der Toten zusammentrieb. Dann lud er, obwohl er sehr kräftig zu sein schien, mit großer Mühe die Leichen der Räuber auf die Pferde und band sie fest, und zwar jeweils auf das Pferd, das ihnen einmal gehört hatte.
Von dem Templer und den Verfolgten, die eben noch die Verfolger gewesen waren, war nichts mehr zu sehen.
»Das ist klug«,...