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Mord ist ihre Leidenschaft - Roman

J.D. Robb

 

Verlag Blanvalet, 2010

ISBN 9783641040383 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1


Für die Aufklärung eines Mordes brauchte man Zeit, Geduld, Engagement und Toleranz gegenüber dem täglichen trübsinnigen Einerlei. Lieutenant Eve Dallas war jemand, der all diese Dinge besaß.

Sie wusste, dass es nichts davon bedurfte, um einen Mord zu begehen. Allzu häufig wurde einem Menschen aus einem Impuls heraus, im Zorn, aus Spaß oder schlicht aus Dummheit das Leben geraubt. Letzteres war ihrer Meinung nach der Grund, weshalb ein gewisser Charles Michael Renekee von einem Typen namens John Henry Bonning aus dem Fenster einer Wohnung im zwölften Stock eines Hauses in der Avenue D geworfen worden war.

Sie hatte Bonning vor sich im Verhörraum und nahm an, dass sie in spätestens zwanzig Minuten ein Geständnis von ihm hätte und dass er nach einer weiteren Viertelstunde sicher hinter Schloss und Riegel säße und ihr Bericht fertig geschrieben bei ihrem Vorgesetzten läge. Vielleicht käme sie doch noch rechtzeitig nach Hause.

»Komm schon, Boner.« Dies war die Sprache, in der sich die erfahrene Polizistin mit dem altgedienten bösen Buben unterhielt. Auf möglichst niedrigem Niveau, doch damit kannte sie sich aus. »Tu dir selbst einen Gefallen, mach ein Geständnis und dann kannst du auf Notwehr und verminderte Schuldfähigkeit plädieren. Bis zum Abendessen können wir die Sache abgeschlossen haben. Wie ich höre, kommen heute Abend in der U-Haft Pasta Sorprese auf den Tisch.«

»Ich habe ihn nicht angerührt.« Bonning presste seine wulstigen Lippen aufeinander und trommelte mit seinen langen, fetten Fingern auf den Tisch. »Das Arschloch ist einfach gesprungen.«

Seufzend setzte sich Eve an den kleinen Metalltisch im Verhörraum A. Sie wollte nicht, dass Bonning einen Anwalt forderte und dadurch ihre Arbeit unnötig erschwerte. Sie musste ihn davon abhalten, die Worte auszusprechen, ihn weiter in die bereits eingeschlagene Richtung lenken und schon hätte sie die Sache unter Dach und Fach.

Zweitklassige Drogendealer wie Bonning waren alle gleichermaßen bescheuert, früher oder später jedoch würde er jammernd einen Rechtsbeistand verlangen. Es war stets das gleiche alte Spiel, ebenso zeitlos wie die Sünde des Mordes selbst. Während inzwischen das Jahr 2058 seinem Ende entgegenstolperte, verlief die Jagd auf Mörder grundlegend nach demselben Schema wie noch in grauer Vorzeit.

»Er hat also einfach einen Satz aus dem Fenster gemacht. Nur - aus welchem Grund?«

Bonning legte seine Affenstirn in nachdenkliche Falten. »Vielleicht weil er verrückt war?«

»Möglich, Boner, aber mit dieser Antwort bist du immer noch nicht für die zweite Runde des Spielchens Führ-dieBullen-hinters-Licht qualifiziert.«

Es dauerte ungefähr dreißig Sekunden, bis er dämlich grinste. »Witzig. Wirklich witzig, Dallas.«

»Ja, ich habe bereits erwogen, mich nebenberuflich als Komikerin zu versuchen. Aber, um auf meinen Hauptberuf zurückzukommen, ihr beiden habt in deinem tragbaren Labor in der Avenue D irgendwelche Erotika zusammengebraut, und urplötzlich kam Renekee - verrückt, wie er nun einmal war - auf die glorreiche Idee, durch das geschlossene Fenster zu springen, zwölf Stockwerke tiefer auf dem Dach eines Taxis aufzuschlagen, dadurch dem auf der Rückbank sitzenden Touristenpaar aus Topeka einen Heidenschrecken einzujagen, und schließlich sein Hirn auf der Straße zu verspritzen.«

»Mann, war das ein Aufprall«, erklärte Bonning mit einem beinahe ehrführchtigen Lächeln. »Wer hätte das gedacht.«

Sie hatte nicht die Absicht, ihn wegen vorsätzlichen Mordes dranzukriegen, und wäre bereits zufrieden, liefe die ganze Sache nach Verhandlung mit dem Pflichtverteidiger auf Totschlag hinaus. Drogendealer, die einander an die Gurgel gingen, entlockten Justitia nicht einmal ein erwartungsfrohes Schmunzeln. Sicher säße er wegen des Handels mit illegalen Drogen länger als wegen der von ihm begangenen Tötung. Selbst, wenn man beides zusammennähme, wanderte er bestimmt nicht länger als drei Jahre in den Kahn.

Sie kreuzte die Arme auf den Tisch und beugte sich nach vorn. »Boner, sehe ich vielleicht dumm aus?«

Bonning, der die Frage ernst nahm, sah ihr ins Gesicht. Sie hatte große braune Augen, doch ihr Blick war alles andere als weich, und auch ihr hübscher, voller Mund drückte statt warmer Sanftmut kühle Härte aus. »Wie ein Bulle«, stieß er schließlich widerstrebend aus.

»Gute Antwort. Also versuch am besten nicht, mich zu verarschen. Du hattest einen Streit mit deinem Partner, er hat dich genervt und, indem du seinen knochigen Arsch aus dem Fenster geworfen hast, hast du eure berufliche und private Beziehung ein für alle Mal beendet.« Ehe Bonning nochmals leugnen konnte, hob sie eine Hand. »So sehe ich die Sache. Ihr habt euch gezofft, eventuell wegen der Gewinne, wegen der Verkaufsmethoden, wegen irgendeiner Frau. Ihr beide seid immer wütender geworden. Möglicherweise hat er dich angegriffen. Da war es doch wohl logisch, dass du dich gewehrt hast, oder etwa nicht?«

»Man hat ja wohl das Recht, sich zu verteidigen«, stimmte Bonning ihr kopfnickend zu. Die Geschichte schien ihm zu gefallen. »Aber wir haben nicht gestritten. Er hat einfach versucht zu fliegen.«

»Und woher stammen deine blutige Lippe, dein blaues Auge und die aufgerissenen Knöchel?«

Bonning verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. »Ich hatte eine Schlägerei in einer Kneipe.«

»Wann? Wo?«

»Wer kann das jetzt noch sagen?«

»Du solltest es können. Und du weißt, dass du es sagen können solltest, denn wenn wir das Blut, das wir von deinen Knöcheln haben, untersuchen, finden wir bestimmt auch Blutspuren von Renekee darin. Und wenn wir seine DNA an deinen fetten Fingern finden, werde ich auf Mord plädieren - und das heißt lebenslangen Knast.«

Er blinzelte verwirrt, als wäre diese neuerliche, verblüffende Wendung zu viel für sein geplagtes Hirn. »Also bitte, Dallas, das ist doch totaler Schwachsinn. Sie werden niemanden davon überzeugen, dass ich dem alten Chuckaroo ans Leder gehen wollte. Schließlich waren wir beide alte Kumpel.«

Eve sah ihn reglos an und zog dabei ihr Handy aus der Tasche. »Dies ist deine letzte Chance. Wenn ich meine Assistentin die Untersuchungsergebnisse holen lasse, bringe ich dich wegen vorsätzlichen Mordes vor Gericht.«

»Es war kein Mord.« Er wollte dringend glauben, dass sie bluffte. Doch ihr Blick war unergründlich und so leckte er sich aufgeregt die Lippen. »Es war ein Unfall«, brachte er schließlich vor, doch Eve schüttelte den Kopf. »Ja, wir haben miteinander rumgeblödelt und dabei ist er… gestolpert und kopfüber aus dem Fenster gefallen.«

»Jetzt fängst du an mich zu beleidigen. Ein erwachsener Mann fällt nicht schlicht aus einem Fenster, das einen Meter über dem Boden anfängt.« Eve schaltete ihr Handy ein. »Officer Peabody.«

Innerhalb von Sekunden erschien auf dem kleinen Bildschirm Peabodys rundes, regloses Gesicht. »Ja, Madam.«

»Ich brauche die Ergebnisse der Blutuntersuchung von Bonning. Schicken Sie sie mir direkt in den Verhörraum - und melden Sie dem Staatsanwalt, dass ich einen Mordfall für ihn habe.«

»Halt, warten Sie, nicht so schnell.« Bonning fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. Er schien ein paar Sekunden mit sich zu kämpfen. Sie brächte ihn ganz sicher nicht wegen vorsätzlichen Mordes hinter Gitter. Doch er wusste, dass Dallas in dem Ruf stand, auch wesentlich größere Fische als ihn erfolgreich aus dem Wasser zu ziehen.

»Du hast deine Chance bekommen, Boner. Peabody.«

»Er hat mich angegriffen, genau, wie Sie gesagt haben. Ging einfach auf mich los. Ich werde Ihnen sagen, wie's passiert ist, Scheiße. Ich will eine Aussage machen.«

»Peabody, warten Sie noch etwas. Informieren Sie den Staatsanwalt, dass Bonning eine Scheißaussage machen will.«

Peabodys Miene blieb so reglos wie zuvor. »Sehr wohl, Madam.«

Eve schob ihr Handy zurück in die Tasche, faltete die Hände auf dem Tisch und bedachte Bonning mit einem beinahe warmen Lächeln. »Okay, Boner, und jetzt erzählst du mir schön langsam, was passiert ist.«

Fünfzig Minuten später schlenderte Eve in Richtung ihres winzigen Büros auf der Hauptwache der New Yorker Poli zei. Sie sah aus wie eine Polizistin - nicht nur wegen des umgehängten Waffenhalfters, der ausgelatschten Stiefel und der verblichenen Jeans, sondern vor allem wegen ihres Blicks, eines Blicks, dem nur selten etwas verborgen blieb. Ihre Augen hatten die Farbe alten Whiskeys und blinzelten nur selten. Ihr Gesicht war kantig, mit vorstehenden Wangenknochen, einem überraschend vollen Mund und einem kleinen Grübchen mitten auf dem Kinn.

Sie hatte einen langgliedrigen, weichen Gang - denn jetzt hatte sie Zeit. Zufrieden mit dem erfolgreichen Abschluss des Verhörs fuhr sie sich mit den Fingern durch die kurz geschnittenen Haare und nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz.

Sie würde den Bericht erstellen, Kopien an die zuständigen Stellen schicken und dann endlich Feierabend machen. Es hatte sie noch nie gestört, dass durch das streifige, schmale Fenster hinter ihrem Rücken um diese Zeit des Tages unablässig das Rumpeln der altersschwachen Lufttaxis und das Rattern der Hubschrauber der Verkehrswacht an ihre Ohren drang. Schließlich waren diese Geräusche typisch für New York.

»Computer an«, befahl sie und zischte, als der Bildschirm schwarz...