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Der Tod ist mein - Roman

J.D. Robb

 

Verlag Blanvalet, 2010

ISBN 9783641040437 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1


Es gab Menschen, für die war nicht der Tod, sondern das Leben der allergrößte Feind. Für die Geister, die wie Schatten durch das Dunkel glitten, die Junkies mit ihren blass pinkfarbenen Augen, die Fixer mit ihren zitternden Händen, war das Leben nichts weiter als eine gedankenlose Reise von einem Schuss zum nächsten, wobei die Zeit dazwischen eine Phase größten Elends darstellte.

Auch der Trip selbst war meistens voller Schmerzen, voll Verzweiflung und manchmal voll des Grauens.

Für die Armen und die Obdachlosen, die zum eisigen Beginn des Jahres 2059 im Untergrund von New York City hausten, waren Schmerz, Verzweiflung, Grauen ständige Begleiter. Für die geistig Verwirrten und die körperlich Behinderten, die durch das Sozialnetz fielen, war die Stadt nichts anderes als ein düsteres Verlies.

Natürlich gab es Hilfsprogramme. Schließlich war dies eine aufgeklärte Zeit. Das sagten zumindest die Politiker, die, wenn sie den Liberalen angehörten, stets nach teuren neuen Unterkünften, Schulen, Krankenhäusern, Ausbildungs- und Rehabilitationsmaßnahmen riefen, ohne dass es jemals einen Plan zur Finanzierung all dieser Projekte gab. Und waren die Konservativen an der Macht, beschnitten sie sogar den Minimaletat, den man Außenseitern der Gesellschaft zugestanden hatte, und schwangen große Reden über die Bedeutung der Familie und die ständige Verbesserung der Lebensqualität.

Natürlich konnten die, die bedürftig genug waren und die es ertrugen, aus der schmalen, kalten Hand der Wohlfahrt etwas anzunehmen, eine Unterkunft bekommen. Natürlich gab es Ausbildungs- und Hilfsprogramme für die Menschen, die es schafften, bei Verstand zu bleiben, bis die Mühle der Bürokratie, die die Antragsteller oft erdrückte, statt ihnen tatsächlich zu helfen, endlich mit dem Mahlen fertig war.

Doch noch immer mussten Kinder hungern, Frauen sich verkaufen, und noch immer brachten Männer andere für eine Hand voll Münzen um.

Egal wie aufgeklärt die Zeit war, die Natur der Menschen blieb so wenig kalkulierbar wie der Tod.

Für die Obdachlosen bedeutete der Januar in New York eisig kalte Nächte, gegen die mit einer Flasche Fusel oder ein paar ergatterten Tabletten nicht anzukommen war. Einige von ihnen gaben auf und schlurften zu den Unterkünften, wo sie unter dünnen Decken auf zerschlissenen Matratzen schnarchten und die wässrige Suppe zusammen mit den Scheiben faden Sojabrotes schlürften, die ihnen Soziologiestudentinnen mit leuchtenden Gesichtern auf die Teller schaufelten. Andere hielten, zu verloren oder nur zu stur, um ihr kleines Fleckchen Erde vorübergehend aufzugeben, ebenso bei Minusgraden aus.

Und viele, allzu viele, glitten während dieser bitterkalten Nächte lautlos vom Leben in den Tod.

Die Stadt hatte sie getötet, doch niemand nannte diese Akte Mord.

Als Lieutenant Eve Dallas vor Anbruch der Morgendämmerung in Richtung City fuhr, trommelte sie rastlos mit den Fingern auf dem Lenkrad. Der Tod eines Penners in der Bowery hätte nicht ihr Problem sein sollen. Er war Sache der »Mord-Light« genannten Abteilung, also der Leichensammler, die in den bekannten Obdachlosensiedlungen patrouillierten, um die Lebenden von den Toten zu trennen und die verbrauchten Körper zur Untersuchung, Identifizierung und anschließenden Entsorgung ins Leichenschauhaus zu verfrachten.

Es war ein prosaischer, unangenehmer Job, der meistens von denen übernommen wurde, die noch Hoffnung hatten, in das angesehenere Morddezernat zu kommen, oder bei denen die Hoffnung auf ein derartiges Wunder längst erloschen war. Die Mordkommission wurde nur dann gerufen, wenn der Tod eindeutig verdächtig oder infolge sichtbarer Gewaltanwendung eingetreten war.

Und, dachte Eve, hätte sie an diesem grässlich kalten Morgen nicht ausgerechnet Rufbereitschaft für einen solchen Fall gehabt, läge sie jetzt noch in ihrem schönen, warmen Bett bei ihrem wunderbaren Mann.

»Wahrscheinlich irgend so ein hypernervöser Anfänger, der auf einen Serienmörder hofft«, murmelte sie wütend.

Neben ihr riss Peabody den Mund zu einem lauten Gähnen auf. »Ich bin doch bestimmt vollkommen überflüssig hier«, erklärte sie und bedachte ihre Vorgesetzte unter ihrem schnurgeraden Pony hervor mit einem hoffnungsvollen Blick. »Sie könnten mich also an der nächsten Bushaltestelle absetzen, und dann wäre ich in zehn Minuten wieder bei mir zu Hause im Bett.«

»Wenn ich leide, leiden auch Sie.«

»Das gibt mir das Gefühl, wirklich … geliebt zu werden, Dallas.«

Eve schnaubte und bedachte Peabody mit einem schrägen Grinsen. Niemand, dachte sie, war robuster und verlässlicher als ihre Assistentin. Obwohl sie sie zu unchristlicher Zeit aus dem Bett geworfen hatte, war Peabodys Uniform wie üblich frisch gebügelt, die Messingknöpfe blitzten, und die harten schwarzen Schuhe waren auf Hochglanz poliert. Auch wenn ihr kantiges, von einem dunklen Pagenschnitt gerahmtes Gesicht etwas müde wirkte, würde sie doch alles sehen, was von Bedeutung war.

»Waren Sie nicht gestern Abend auf einem großen Fest?«, wollte Peabody jetzt wissen.

»Ja, in Ost-Washington. Roarke hat dieses Galaessen mit anschließendem Tanz für irgendeinen wohltätigen Zweck wie die Rettung der Maulwürfe oder sonst so etwas gegeben. Dort gab es genug zu essen, um sämtliche Penner in der Lower East Side ein Jahr lang zu versorgen.«

»Himmel, das war garantiert wirklich schrecklich. Ich wette, Sie mussten eins von Ihren tollen Kleidern anziehen, in Roarkes Privatjet rüberfliegen und dann auch noch Champagner trinken, bis er Ihnen zu den Ohren rausgekommen ist.«

Eve zog eine Braue in die Höhe. »So in etwa.« Sie beide wussten, dass die glamouröse Seite ihres Lebens an Roarkes Seite für sie verwirrend und vor allem Quelle steter Ärgernisse war. »Und dann musste ich auch noch mit Roarke tanzen.«

»War er etwa im Smoking?« Peabody hatte Roarke einmal in einem Smoking gesehen, und das Bild hatte sich ihr für alle Zeiten ins Gedächtnis eingebrannt.

»O ja.« Bis sie heimgekommen waren und sie ihn ihm vom Leib gerissen hatte, weil er nämlich ohne Smoking mindestens genauso anziehend für sie war.

»Mann.« Peabody schloss die Augen und wandte die Visualisierungstechnik an, in der sie schon als kleines Mädchen von ihren Hippie-Eltern unterrichtet worden war. »Mann«, wiederholte sie.

»Wissen Sie, es gibt sicher jede Menge Frauen, die es alles andere als lustig fänden, wenn ihr Ehemann die Hauptrolle in den schmutzigen Fantasien ihrer Assistentin spielt.«

»Aber Sie sind kein solcher Kleingeist. Und genau das ist es, was mir an Ihnen gefällt.«

Knurrend ließ Eve ihre steifen Schultern kreisen. Es war ihre eigene Schuld, dass ihre Lust die Oberhand gewonnen und sie deshalb nur drei Stunden Schlaf bekommen hatte. Aber jetzt war sie im Dienst.

Sie blickte auf die verfallenen Gebäude, die mit Abfall übersäten Straßen, die tiefen, narbengleichen Risse und die fetten, warzen- oder tumorähnlichen Beulen, in die der Beton und Stahl in dieser Gegend geborsten oder aufgeworfen war.

Als sichtbares Zeugnis des regen Treibens unterhalb der Straße stieg aus einem Gitter in der Erde dichter weißer Dampf. Durch ihn hindurchzufahren war, als taste man sich mühsam durch den Nebel über einem hoffnungslos verschmutzten Fluss.

Seit sie die Frau von Roarke war, lebte sie in einer völlig anderen Welt. Einer Welt aus sanft flackernden Kerzen, süß duftenden Blumen, blank poliertem Holz und schimmerndem Kristall. Einer Welt des Reichtums.

Doch kannte sie auch Orte wie den, durch den sie gerade fuhr. Wusste, dass, egal in welcher Stadt, die Mischung aus Gerüchen, täglicher Routine und Hoffnungslosigkeit immer dieselbe war.

Die Straßen waren beinahe menschenleer. Nur wenige Bewohner dieser widerlichen Gegend gingen bereits vor Tagesanbruch vor die Tür. Die Dealer und die Nutten hatten ihre Arbeit eben erst beendet und krochen nun ins Bett. Die Händler, die mutig genug waren, ihre Geschäfte in dieser Gegend zu betreiben, zogen die Gitter vor den Türen und den Fenstern ihrer Läden nicht vor Tagesanbruch hoch, und die Schwebekarrenbetreiber, die verzweifelt genug waren, ihr Glück in dieser Ecke zu versuchen, wären zweifellos bewaffnet und träten ihren Dienst ebenfalls erst, wenn es hell war, und stets nur in Zweiergruppen an.

Eve entdeckte den Streifenwagen und runzelte die Stirn, als sie bemerkte, wie halbherzig die Fundstätte der Leiche gesichert worden war.

»Warum zum Teufel haben sie noch nicht mal die Sensoren aufgestellt? Werfen mich um fünf Uhr morgens aus dem Bett und sichern noch nicht einmal den Tatort? Kein Wunder, dass sie bei den Leichensammlern sind. Idioten.«

Peabody schwieg, als Eve abrupt direkt neben dem Einsatzwagen hielt und zornig aus dem Wagen sprang. Die Idioten, dachte sie mit einem Hauch von Mitgefühl, machten sich besser auf eine Abreibung gefasst.

Bis Peabody ausgestiegen war, hatte Eve den Bürgersteig schon überquert und baute sich direkt vor den beiden elend im Wind kauernden Polizeibeamten auf.

Automatisch nahmen beide Haltung an....