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Die Chroniken von Waldsee - Prequel: Der Stern der Götter

Uschi Zietsch

 

Verlag Fabylon Verlag, 2012

ISBN 9783943570144 , 215 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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3,99 EUR


 

I


Der Prinz der Schweine



Der Herbst kam plötzlich und unerwartet an einem Spätsommertag ins Land und brachte im ersten mächtigen Sturm das Kind mit der Falkenklaue ins Dorf. Die vom Platzregen verschlammten Wege waren bereits am frühen Abend leer und verlassen, und durch die Ritzen und Astlöcher der windgebeutelten Hütten huschten vorwitzig warme, funkelnde Feuerblitze, um in der kühlfeuchten Luft zu sterben.

In den Baracken drängten sich die Kinder furchtsam in einer Ecke möglichst nah beim Feuer und beobachteten den Vater mit hungrigen Augen beim Essen. Sie durften nur die Reste erwarten, die er nicht verzehrte, und mussten dann oft noch mit den Hunden darum raufen. Die Mutter war eifrig mit der Zubereitung und dem Abtragen beschäftigt; sie konnte sich ihre Mahlzeit gerade heimlich zwischen Tisch und Herd zusammenstehlen, stets mit schlechtem Gewissen, die flinken Augen ängstlich auf den Mann gerichtet. Es kam nur sehr selten vor, dass dabei einmal das eine oder andere Wort fiel, denn zumeist war es schon Nacht, bis der Mann endlich erschöpft und hungrig nach Hause kam. Heute aber waren die Männer wegen des Sturms früh von der Arbeit gekommen, nicht so müde und schlecht gelaunt wie sonst, und da wagte schon die eine oder andere Frau ein laut ausgesprochenes Wort.

»Es ist selten«, sprach also eine Frau zu ihrem Mann, »dass wir so früh zusammensitzen können. Man kann die Tage in einem Jahr an einem Finger abzählen, an denen so etwas vorkommt.«

»Der Viehtreiber, der sich von uns Verwalter nennen lässt, wurde heute Morgen zum Fürsten auf Xav befohlen und kehrte bis jetzt nicht zurück«, brummte der Mann. »Das Wetter hat uns alle überrascht. Es ist viel zu früh, nicht einmal die Hälfte der Ernte ist eingebracht. Wir versanken innerhalb von wenigen Augenblicken bis zu den Knien im Schlamm und vernichteten mehr, als wir ernten konnten ... aber noch schlimmer waren die Tiere.«

»Warum?«, fragte sie.

»Sie waren außer Rand und Band. Wir konnten sie einfach nicht bändigen, weder Hund noch Gaul noch Vieh. Ich sage dir ... das ist ein schlechtes Zeichen. Der Sturm ... und all das andere«, antwortete er.

»Ja, ja!«, stimmte sie ihm eifrig zu. »Erst heute Morgen sah ich wieder den großen Raben über dem Dorf und ahnte schon Schlimmes. Wie oft in diesem Jahr sagte ich dir, dass ein Fluch über uns liegt! Zuerst sterben fast alle männlichen Neugeborenen, und nun die Ernte, die doch so gut zu werden versprach ...«

Der Mann stöhnte in hilflosem Zorn. »Ich weiß, warum der Verwalter beim Fürsten ist!«, stieß er hervor. »Die Abgaben sind erhöht worden, und wir hätten sie selbst mit einer so guten Ernte kaum aufbringen können! Und nun wird er die Steuern sicherlich erst recht erhöhen müssen, damit sein dickleibiger Hofstaat sich um sein Gewicht nicht sorgen muss!«

»Wir sollten ...«, begann seine Frau und verstummte erschrocken, als die Hunde plötzlich aus dem Schlaf hochfuhren, die Zähne geifernd fletschten und bellend zur Tür stürmten.

»Da, siehst du?«, rief der Mann. »Schon geht es wieder los!«

Auch die anderen Dorfhunde schlugen nun an, selbst die Pferde begannen schrill zu wiehern, Kühe brüllten in heller Panik, und das Trommeln der harten Hufe gegen die Boxen klang dumpf durch die Wände.

»Was sagte ich gerade? Toll sind sie geworden, bei Shyll, befallen von der Seuche des Wahnsinns!« Der Mann sprang auf, griff nach der kurzen Peitsche und schlug auf die Hunde ein, die dadurch nur noch rasender wurden. Ihre Augen waren blutunterlaufen, von den Lefzen troff Schaum, und sie sprangen wild um sich schnappend immer wieder gegen die Tür.

»Mel, ich habe Angst!«, rief die Frau und flüchtete zu den ängstlich weinenden Kindern.

Der Mann fluchte laut; er konnte seine Nachbarn hören, die ebenso wie er mit den Hunden kämpften; irgendwo barsten knallend Bretter, vermutlich von einer Stallwand, und der laute Schmerzensschrei eines verwundeten Tieres gellte durch das lärmende Inferno. »Mel!«, schrie die Frau auf, als die Hunde sich plötzlich gegen ihren Herrn wandten, der hastig nach einem Stuhl und dem Feuerhaken griff, fest entschlossen den Arm hob - als abrupt Stille eintrat.

Von einem Herzschlag zum nächsten verstummten die Hunde, ihre wilden Augen wurden klar, und sie duckten sich winselnd; drinnen wie draußen war es jetzt so ruhig, als wäre der Frieden nie unterbrochen gewesen.

»Da soll doch ...«, presste der Mann zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor und stieß zischend den angehaltenen Atem aus. Langsam entspannte er seine Muskeln und zögerte einen Moment, ehe er den Stuhl fallen ließ und zur Tür sprang. Die Frau, die seine Absicht vorausgeahnt hatte, stürzte ihm rasch nach und fiel ihm in den Arm. »Nein, Mel!«, flehte sie in panischem Schrecken, aber er öffnete schon die Tür.

Der Türgriff wurde ihm augenblicklich aus der Hand gerissen, ein furchtbarer Windstoß brach mit der Gewalt einer Flutwelle herein und schleuderte die beiden Menschen wie wehrloses Spielzeug zurück. Die Tür schlug zweimal heftig auf und zu, bevor sie endgültig krachend im Schloss landete. Mühsam rappelten sich der Mann und die Frau auf, Kopf und Arme waren vom Sturz blutig geschlagen, und sie stützten sich gegenseitig, von Entsetzen gepackt, während der Sturm kichernd die Hütte umbrauste und sie mit seiner schrecklichen Macht zum Erzittern brachte. Mit wachsender Angst lauschten die Menschen dem unnatürlichen Orkan, der ihnen mehr und mehr unheimliche Dinge vorgaukelte, und bald glaubten sie in dem atemberaubenden Rütteln und Pfeifen die dröhnenden Tritte einer gigantischen Bestie und einen markerschütternden, einem Blöken ähnlichen Schrei zu hören.

»Hörst du?«, hauchte die Frau zitternd und mit kreidebleichem Gesicht. »Das ... das ist Shyll ... der Widder ...« Sie begann vor Angst hysterisch zu wimmern und zusammenhanglose Worte zu stammeln. »Aber wir haben doch geopfert ... arbeiten immer ... kann er uns denn nie ... grausam ...«

»Halt den Mund!«, knurrte ihr Mann wütend. »Was schert ein Gott sich um die Gerechtigkeit!«

»Wer denn, wenn nicht ein Gott?«, schrie sie auf.

»Du sagst es«, brummte er, während er die Stühle wieder an ihren richtigen Platz stellte. »Wer denn, wenn nicht ein Gott. Wenn ein Gott sich darum scheren würde, säßen wir nicht in diesem Dreckhaufen.«

Sie hielt sich die Hände an die Ohren. »Hör auf so zu reden!«, kreischte sie. »Das ist Gotteslästerung! Shylls Zorn wird uns dadurch nur noch mehr treffen, der Druide hat uns gewarnt, hörst du, er hat uns gewarnt!«

»Schweig endlich!«, brüllte er, holte aus und schlug sie so heftig ins Gesicht, dass sie das Gleichgewicht verlor und stürzte.

»Mutter ...«, wimmerte eines der Kinder, als die Frau sich schluchzend wieder aufrichtete, »Mutter, so hör doch, der Sturm ... er lässt nach ...«

Der Vater stutzte und neigte lauschend den Kopf. »Wahrhaftig ...«, flüsterte er. Der Wind pfiff noch ums Haus, aber er war bedeutend schwächer. Der Zorn Gottes war weitergezogen. »Es ist vorbei«, sagte er erleichtert.

Die Mutter stand schwankend auf und tastete suchend nach dem Arm des Mannes. »Mel...«, wisperte sie. »Hörst du das auch?«

»Fängst du schon wieder damit an?«, entgegnete er böse und hob erneut die Hand, doch sie wich ihm aus und lief zur Tür.

»Das ist ein Kind!«, rief sie und riss die Tür auf. Ein Windstoß, der ihr fast das Kleid vom Leib riss, raubte ihr für einen kurzen Moment den Atem, aber sie achtete nicht darauf. Auf der Türschwelle lag brüllend, die winzigen Händchen zornig geballt, ein Säugling, nur in Fetzen gehüllt, schon ganz blau von der Kälte. Die Frau hob das Kind hoch und brachte es in die Hütte. Der Mann war für einen Moment sprachlos vor Verblüffung; seine Kinder nutzten die Gelegenheit, huschten aus ihrem Versteck und scharten sich neugierig um die Mutter.

»Vermutlich wurde die Mutter vom Sturm fortgerissen«, murmelte sie.

»Ja, und vorher hatte sie noch Zeit, das Kind auf unsere Schwelle zu legen!«, polterte er. »Bist du närrisch? Das ist ein Sturmkind! Willst du uns vollends ins Unglück stürzen?« Er nahm ihr das Kind weg und zerrte die Fetzen beiseite, um es zu betrachten. Für einen Moment herrschte tiefstes Schweigen in der Hütte. »Bei Gott!«, sagte der Mann schließlich betroffen. »Was ist denn das? Selbst Dämonenkinder haben kein solch schreckliches Gesicht.«

»Seht nur, die dunkle Haut ... diese Male«, flüsterten die Kinder durcheinander. »Ja, und diese Augen ... wie schwarze Höhlen ... nicht einmal das Feuer spiegelt sich darin ...«

Auch die Frau beugte sich über den Säugling. »Es ist nur eine Wunde«, erklärte sie. »Es sieht aus, als ob ein Sturmfalke seine Klauen in ihn geschlagen hätte.«

»Also doch ein Sturmkind!«, erwiderte er. »Ich werfe es wieder hinaus. Dieses Wesen ist kein Mensch.«

»Das tust du nicht!«, rief sie in einem ganz ungewohnt festen und autoritären Ton. »Vielleicht ist dies eine Prüfung! Wir dürfen dieses Kind nicht töten, was immer es auch sein mag. Überleg doch einmal, Mel. Es ist ein Knabe, und es sieht sehr kräftig aus. Wir brauchen dieses Kind! Dieses Jahr hat uns schon so viel Unglück gebracht, vielleicht wendet sich jetzt alles zum Guten. Denk an die Steuern: Es ist Gesetz, jeweils einen Sack abzuziehen, wenn im Jahr drei neugeborene Knaben überleben. Dies ist der dritte männliche Neugeborene, und es steht in keinem Gesetz, von wem er geboren werden muss!«

Der Mann überlegte lange;...