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Rainer Maria Rilke - Gesammelte Werke

Rainer Maria Rilke

 

Verlag Edition Lempertz, 2012

ISBN 9783939284482 , 639 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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2,99 EUR


 

Gebete der Mädchen zur Maria


Mach, dass etwas uns geschieht!
Sieh, wie wir nach Leben beben.
Und wir wollen uns erheben
wie ein Glanz und wie ein Lied.

Du wolltest wie die andern sein,
die sich scheu in Kühle kleiden;
deine Seele wollte seiden
ihre müden Mädchenleiden
weiterblühn am Lebensrain.
Aber tief aus deinem Kranken
wagte eine Kraft zu ranken,
Sonnen lohten, Samen sanken:
und du wurdest wie der Wein.

Und jetzt bist du süß und satt
wie ein Abend auf uns allen,
und wir fühlen, wie wir fällen,
und du machst uns alle matt.

Schau, unsre Tage sind so eng
und bang das Nachtgemach;
wir langen alle ungelenk
den roten Rosen nach.

Du musst uns milde sein, Marie,
wir blühn aus deinem Blut,
und du allein kannst wissen, wie
so weh die Sehnsucht tut;

du hast ja dieses Mädchenweh
der Seele selbst erkannt:
sie fühlt sich an wie Weihnachtsschnee,
und steht doch ganz in Brand.

Von so vielem blieb uns der Sinn,
gerade von dem Sanften und Zarten
haben wir irgendein Wissen:
wie von einem geheimen Garten,
wie von einem samtenen Kissen,
das sich uns unter den Schlummer schiebt;
wie von etwas, das uns liebt
mit einer verwirrenden Zärtlichkeit,

aber viele Worte sind weit.

Viele Worte sind aus den Sinnen entflohn
und aus der Welt.
Haben sich horchend um deinen Thron,
wie um einen steigenden Ton,
Mutter Maria, gestellt;
und dein Sohn
lächelt sie an:

Sieh deinen Sohn.

Dein Garten wollt ich sein zuerst
und Ranken haben und Rabatten
und deine Schönheit überschatten,
damit du mit dem muttermatten
Lächeln gern mir wiederkehrst.

Da aber - als du kamst und gingst,
ist etwas mit dir eingetreten:
das ruft mich zu den roten Beeten,
wenn du mir aus den weißen winkst.
Unsre Mütter sind schon müd;
und wenn wir sie ängstlich drängen,
lassen sie die Hände hängen,
und sie glauben fernen Klängen:
Oh, wir haben auch geblüht!

Und sie nähen an den weißen
Kleidern, die wir schnell zerreißen,
in dem staubigen Stubenlicht.
Wie sie sich so treu befleißen,
und da sehn sie unsre heißen
Hände nicht.

Und wir müssen sie dir zeigen,
wenn die Mutter nicht mehr wacht;
und sie werden in der Nacht
wie zwei weiße Flammen steigen.

Ich war einmal so kinderkühl:
da traf mich alles wie ein Bangen.
Jetzt ist mir jede Angst vergangen,
nur diese wärmt mir noch die Wangen:
ich fürchte mich vor dem Gefühl.

Es ist nicht mehr das Tal, darin ein Lied
wie schützend seine lichten Schwingen breitet,
es ist ein Turm, der vor den Fluren flieht,
bis meine Sehnsucht hoch vom Saume sieht
und zitternd mit der fremden Stärke streitet,
die sie so selig von den Zinnen zieht.

Maria,
du weinst, - ich weiß.
Und da möcht ich weinen
zu deinem Preis.

Mit der Stime auf Steinen
weinen.

Deine Hände sind heiß;
könnt ich dir Tasten darunterschieben,
dann wäre dir doch ein Lied geblieben.

Aber die Stunde stirbt ohne Vermächtnis

Gestern hab ich im Traum gesehn
einen Stern in der Stille stehn.
Und ich fühlte: Madonna sprach:
Diesem Stern in der Nacht blüh nach.

Und ich nahm alle Kraft zu Rat.
Grad und schlank aus des Hemdes Schnee
streckte ich mich. - Und das Blühen tat
mir auf einmal weh.

Wie kam, wie kam aus deinem Schoß,
Maria, so viel Lichte los
und so viel Gram?
Wer war dein Bräutigam?

Du rufst, du rufst, - und du vergisst,
dass du nicht mehr dieselbe bist,
die mir in Kühle kam.

Ich bin ja noch so blumenjung.
Wie soll ich auf den Zehn
vom Kindsein zur Verkündigung
durch alle deine Dämmerung
in deinen Garten gehn?

Deiner ernsten Engel einen
stell am Rand der Sehnsucht hin
und befiehl ihm, dass er meinen
Schwestern sagt: ihr werdet weinen;
Denn es sind die Rosenreinen
allen Prüfungen und Peinen
wie ein Spiel von Anbeginn.

Weil sie überwunden wähnen,
was die Kindheit kindisch litt,
gehn sie lächelnd zwischen Zähnen,
und sie tragen keine Tränen
in die neuen Leiden mit.

Oh, dass wir so endlos werden mussten!
Immer noch Entfalten um Entfalten,
und wir haben unsrer Kälte Krusten
lange, lange für den Grund gehalten.

Und ob wir uns aneinander binden
und in Furcht uns immer fester fassen
und uns langsam, wie von Brunnenwinden,
weiter in uns selber gleiten lassen:

Keine kann mit ihren blassen, blinden
Händen tastend unsre Tiefen finden.

Mir wird mein helles Haar zur Last,
als wäre drin verwühlt
ein dunkler Limonenast,
der schon in seinem Blühn verblasst
und schwerer wird, weil er schon fast
erfüllt den Frühling fühlt.

Nimm du von mir
die bange Zier!
Du bist noch kühl und grün,
weil unter deinen Dornen dir
die Mädchenmyrten blühn.

Und in allen alten Jahren
war ich feierlich und froh
wie die schönen Engelscharen,
die um deine Wunder waren:
meine Mutter glich dir so.

Und ich bin erst traurig, seit
ihre Küsse mir verblassten;
und mein Horchen und mein Hasten
und mein Ahnen ist ein Tasten
nach der neuen Zärtlichkeit.

Sie sagen alle: du hast Zeit,
was kann dir fehlen, Kind?
Mir fehlt ein goldenes Geschmeid.
Ich kann nicht gehn im Kinderkleid,
wenn alle schon so brautbereit
und hell und heilig sind.

Nichts fehlt mir als ein wenig Raum,
ich bin in einem Bann,
und immer enger wird mein Traum.
Nur Raum, dass aus dem Seidensaum
ich hoch bis in den Blütenbaum
die Hände heben kann.

Wird dieses ungestüme, wilde
Hinsehnen meinen Schwestern schwer,
so flüchten sie zu deinem Bilde,
und du entbreitest dich, du Milde,
und bist vor ihnen wie das Meer.

Du flutest ihnen sanft entgegen,
sie retten sich auf deinen Wegen
in deine Tiefen hin - und sehn,
wie sich die Wünsche leiser legen
und als ein blauer Sommerregen
auf weichen Inseln niedergehn.

Nach den Gebeten:

Ich aber fühle, wie ich wärmer
und wärmer werde, Königin,
und dass ich jeden Abend ärmer
und jeden Morgen müder bin.

Ich reiße an der weißen Seide,
und meine scheuen Träume schrein:
Oh, lass mich Leid von deinem Leide,
oh, lass uns beide
wund von demselben Wunder sein!

Unsere Träume sind Marmorhermen,
die wir in unsere Tempel stellen,
und sie mit unseren Kränzen erhellen
und sie mit unseren Wünschen erwärmen.

Unsere Worte sind goldene Büsten,
die wir in unsere Tage tragen,
die lebendigen Götter ragen
in der Kühle anderer Küsten.

Wir sind immer in einem Ermatten,
ob wir rüstig sind oder ruhn,
aber wir haben strahlende Schatten,
welche die ewigen Gesten tun.

Es ist noch Tag auf der Terrasse.
Da fühle ich ein neues Freuen:
wenn ich jetzt in den Abend fasse,
ich könnte Gold in jede Gasse
aus meiner Stille niederstreuen.

Ich bin jetzt von der Welt so weit.
Mit ihrem späten Glanz verbräme
ich meine ernste Einsamkeit.

Mir ist, als ob mir irgendwer
jetzt leise meinen Namen nähme,
so zärtlich, dass ich mich nicht schäme
und weiß: ich brauche keinen mehr.

Das sind die Stunden, da ich mich finde.
Dunkel wellen die Wiesen im Winde,
allen Birken schimmert die Rinde,
und der Abend kommt über sie.

Und ich wachse in seinem Schweigen,
möchte blühen mit vielen Zweigen,
nur um mit allen mich einzureigen
in die einige Harmonie.

Der Abend ist mein Buch. Ihm prangen
die Deckel purpurn in Damast;
ich löse seine goldnen Spangen
mit kühlen Händen, ohne Hast.

Und lese seine erste Seite,
beglückt durch den vertrauten Ton,
und lese leiser seine Zweite,
und seine Dritte träum ich schon.

Oft fühl ich in scheuen Schauern,
wie tief ich im Leben bin.
Die Worte sind nur die Mauern.
Dahinter in immer blauern
Bergen schimmert ihr Sinn.

Ich weiß von keinem die Marken,
aber ich lausch in sein Land.
Hör an den Hängen die Harken
und das Baden der Barken
und die Stille am Strand.

Und so ist unser erstes Schweigen:
wir schenken uns dem Wind zu Eigen,
und zitternd werden wir zu Zweigen
und horchen in den Mai hinein.

Da ist ein Schatten auf den Wegen,
wir lauschen, - und es...