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Der sterbende Sherlock Holmes und andere Detektivgeschichten - Vollständige & Illustrierte Fassung

Arthur Conan Doyle

 

Verlag Null Papier Verlag, 2019

ISBN 9783954181032 , 288 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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0,49 EUR


 

Der sterbende Sherlock Holmes1


Frau Hudson, unsere Hauswirtin in der Baker Street, war eine geduldige Frau und von großer Langmut. Nicht nur wurde ihr erstes Stockwerk zu allen Stunden des Tages und der Nacht von den zahlreichsten und oft auch zweifelhaftesten Menschen überflutet, sondern ihr Mieter Sherlock Holmes zeigte in seiner Lebensführung eine Unregelmäßigkeit und Absonderlichkeit, die ihre Geduld oft hart auf die Probe gestellt haben muß. Seine unglaubliche Unordentlichkeit, seine Vorliebe, zu den ungewöhnlichsten Stunden »Musik« zu machen, sein gelegentliches Pistolenschießen im Flur, seine qualmigen und oft recht übelriechenden wissenschaftlichen Versuche und schließlich die ganze Atmosphäre von Gefahr und Verbrechen, die ihn umgab, machten ihn sicher zu einem der unbequemsten Mieter in ganz London. Andererseits bezahlte er wie ein Fürst. Ich bezweifle kaum, daß das ganze Haus um den Preis hätte gekauft werden können, den Holmes für seine Zimmer während der Jahre bezahlte, die ich mit ihm zusammen wohnte.

Die Hauswirtin hatte den denkbar größten Respekt vor ihm und wagte nie, Einwendungen zu erheben, mochte das Benehmen meines Freundes auch mehr als nur ungewöhnlich sein. Auf ihre Art liebte sie ihn sogar, denn er war im Verkehr mit Frauen von einer merkwürdigen Höflichkeit und Liebenswürdigkeit. Er verachtete das ganze Geschlecht und mißtraute ihm, aber er war stets ein ritterlicher Gegner.

Da ich wußte, wie sehr mein Freund bei Frau Hudson in Ansehen und Achtung stand, so folgte ich sehr ernsthaft ihrer Erzählung, als sie im zweiten Jahre nach meiner Verheiratung zu mir kam und mir den traurigen Zustand Holmes’ offenbarte, in dem er sich seit kurzem befand.

»Er stirbt, Doktor Watson«, sagte sie. »Seit drei Tagen sieht man ihn dahinsiechen, und es scheint mir fraglich, ob er den heutigen Tag überleben wird. Er wollte nicht, daß ich einen Doktor hole, aber heute morgen, als ich sah, wie ihm die Knochen aus dem Gesicht stehen, und er mich mit fiebrigen Augen anstierte, konnte ich es nicht länger aushalten. ›Mit Ihrer Einwilligung oder gegen Ihren Willen, Herr Holmes, geh ich jetzt augenblicklich, einen Arzt rufen‹, sagte ich. ›Dann holen Sie mir wenigstens Watson‹, sagte er. An Ihrer Stelle würde ich keinen Augenblick verweilen, Herr Doktor, wenn Sie ihn noch lebend antreffen wollen.«

Ich war entsetzt, denn ich hatte keine Ahnung von seiner Krankheit. Überflüssig, zu bemerken, daß ich sofort nach Überrock und Hut griff und mich auf den Weg machte. Als ich mit ihr zurückfuhr, fragte ich sie nach Einzelheiten.

»Da kann ich Ihnen nur wenig sagen, Herr Doktor; er arbeitete an einem Fall drunten in Rotherhite, in einer Gasse nahe an der Themse, und von dort hat er die Krankheit mitgebracht. Er legte sich am Donnerstagnachmittag zu Bett und hat es seitdem nicht mehr verlassen. Diese ganzen drei Tage hat er weder Nahrung zu sich genommen, noch irgend etwas getrunken.«

»Um Gottes willen! Warum haben Sie nicht früher einen Arzt geholt?«

»Er hat es ja verboten gehabt, Herr Doktor. Sie wissen ja, wie streng er ist. Ich wagte nicht, seinen Befehl zu mißachten, aber er weilt nicht mehr lange unter uns, das werden Sie selber im gleichen Augenblick schon merken, wo Sie ihn erblicken. Es ist schrecklich.«

Er bot in der Tat einen kläglichen Anblick. In dem dämmerigen Licht eines nebeligen Novembertages war das Krankenzimmer ein düsteres Loch, aber was einen Kälteschauer in mein Herz dringen ließ, war dies geisterhafte, verwüstete Antlitz, das mich vom Bett aus anstierte. Seine Augen glitzerten vor Fieber, hektische Röte lag auf beiden Backen, und dunkle Krusten klebten an seinen Lippen; die skeletthaft mageren Hände auf der Decke zuckten unausgesetzt, seine Stimme war heiser und halb erstickt. Er lag gänzlich leblos da, als ich ins Zimmer trat, aber mein Anblick zauberte einen flüchtigen Freudenschimmer in seine Augen.

»Ah, Watson, es scheint, es kommen jetzt die Tage, die uns nicht gefallen«, sagte er mit matter Stimme, aber wie mir schien, mit seiner früheren Sorglosigkeit.

»Mein lieber Holmes!« rief ich und trat zu ihm ans Bett.

»Zurück! Zurück da!« sagte er mit dem scharf befehlenden Klang, den seine Stimme nur in Augenblicken der Gefahr annahm. »Wenn du näher kommst, Watson, dann schicke ich dich wieder nach Hause.«

»Aber warum denn?«

»Weil ich es will. Genügt dir das nicht?«

Ja, Frau Hudson hatte recht, er war herrischer als je. Indes war es herzbrechend, seine Erschöpfung zu sehen.

»Ich kam ja nur, um dir zu helfen«, erklärte ich.

»Gewiß! Du hilfst mir am besten, wenn du das tust, was ich dir sage.«

»Wie es dich gut dünkt, Holmes.«

Er verzichtete auf den befehlenden Ton.

»Du bist doch nicht ärgerlich?« fragte er und rang nach Atem.

Armer Kerl, wie konnte ich ärgerlich sein, wenn ich ihn in diesem Zustand der Auflösung vor mir liegen sah!

»Es ist zu deinem eigenen Besten, Watson«, sprach seine rauhe Stimme.

»Zu meinem Besten?«

»Ich weiß, was mit mir los ist. Es ist eine Kulikrankheit von Sumatra – eine Infektion, von der die Holländer mehr verstehen als wir, obwohl sie bis jetzt medizinisch noch nicht viel darüber gearbeitet haben. Eines nur steht fest: die Krankheit ist absolut tödlich und in erschreckendem Maße ansteckend.«

Er sprach jetzt mit fieberhafter Erregung, seine Hände zuckten und sprangen, als er mich abwehrte.

»Ansteckend durch Berührung, Watson – das ist es: durch Berührung! Bleib mir vom Leibe, und du bist nicht gefährdet.«

»Beim Himmel, Holmes, glaubst du denn, daß eine solche Sicherheitserwägung mich auch nur einen Augenblick zurückhalten könnte? Nicht einmal wenn der Patient ein Fremder wäre. Glaubst du, das könnte mich abhalten, meine ärztliche Pflicht gegen einen so alten Freund zu erfüllen?«

Abermals trat ich an sein Bett, aber er trieb mich mit einem Blick voll wilden Ärgers zurück.

»Wenn du dort stehen bleiben willst, dann werde ich sprechen. Wenn nicht – da ist die Tür!«

Ich habe eine so große Hochachtung vor den außerordentlichen Fähigkeiten meines Freundes, daß ich mich seinen Wünschen stets gefügt habe, auch dann, wenn sie mir völlig unbegreiflich waren. Aber jetzt waren alle meine medizinischen Instinkte wach geworden. Mochte er unter anderen Umständen mir befehlen – ich befand mich jetzt als Arzt in einem Krankenzimmer.

»Holmes«, sagte ich, »ich darf dich nicht ernst nehmen. Ein kranker Mann ist bloß ein Kind, und so muß ich dich behandeln. Ob es dir gefällt oder nicht, ich werde dich untersuchen und dem Befund gemäß ärztlich behandeln.«

Er sah mich mit geradezu giftigen Augen an.

»Wenn ich einen Doktor haben soll, einerlei ob ich mag oder nicht, dann möchte ich wenigstens einen haben, der mein Vertrauen verdient«, sagte er.

»Also ich verdiene dein Vertrauen nicht?«

»Als Freund restlos. Aber Tatsachen sind Tatsachen, Watson, und alles in allem bist du nur ein durchschnittlicher praktischer Arzt von mittelmäßiger Begabung und mit sehr begrenzter Erfahrung. Es ist schmerzlich, dir so etwas sagen zu müssen, aber du läßt mir ja keine andere Wahl.«

Das war bitter.

»Solche Worte sind deiner unwürdig, Holmes. Sie zeigen mir aber mit aller Deutlichkeit deinen wahren Nervenzustand. Jedoch, wenn du kein Vertrauen zu mir hast, so werde ich dir meine Dienste nicht aufdrängen. Ich will gehen und Sir Jasper Meek oder Penrose Fisher oder einen der ersten Ärzte Londons holen. Du mußt ärztliche Hilfe haben, und dabei bleibe ich. Wenn du glaubst, ich würde hier stehen bleiben und zuschauen, wie du stirbst, ohne daß ich dir helfe oder fremde ärztliche Hilfe bringe, dann hast du meine Freundschaft unterschätzt!«

»Du meinst es ja gut, Watson«, sagte der kranke Mann mit einem Seufzer. »Soll ich dir deine Unwissenheit nachweisen? Was weißt du denn vom Tapanuli-Fieber? Was weißt du denn von der schwarzen Formosa-Eiterung?«

»Ich habe weder vom einen noch vom anderen gehört.«

»Es gibt noch so manche unerforschte Krankheiten, so viele seltsame, pathologische Möglichkeiten, im fernen Osten, Watson.«

Er setzte nach beinahe jedem Worte aus, um Atem zu holen. »Ich habe so viel gelernt bei meinen kürzlichen Untersuchungen auf medizinisch-kriminellem Gebiet. Bei diesen Forschungen habe ich mir die Krankheit zugezogen. Du bist machtlos dagegen.«

»Du magst recht haben. Zufällig aber weiß ich, daß Doktor Airstree, die größte lebende Autorität für tropische Krankheiten, augenblicklich in London weilt. Alle deine Einwände nützen dich nichts, Holmes, ich gehe jetzt, den berühmten Arzt zu holen.« Entschlossen wandte ich mich zur Tür.

Nie erlitt ich solch einen Schock! In einem Augenblick, mit einem wahren Tigersprung, war mir der sterbende Mann zuvorgekommen. Ich hörte das scharfe Schnappen eines Schlosses. Im nächsten Augenblick war er zu seinem Bett zurückgetaumelt; dort lag er erschöpft und schwer atmend nach diesem einen fürchterlichen Energieausbruch.

»Du wirst mir den Schlüssel nicht mit Gewalt abnehmen, Watson. Nun habe ich dich, Freundchen. Du hast zu mir kommen wollen und nun sollst du hier bleiben, so lange es mir gefällt, aber ich werde dich unterhalten. (Das alles in abgerissenen Worten mit schrecklichen Atemkämpfen in den Pausen.) Du meinst es von Herzen gut mit mir. Das weiß ich natürlich sehr wohl. Du sollst auch deinen Willen haben, nur laß mir erst Zeit, wieder zu Kräften zu kommen. Nicht jetzt, Watson, nicht jetzt. Es ist vier Uhr. Um sechs Uhr darfst du gehen.«

»Das ist...