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Lichtzeit - Roman

Gary Gibson

 

Verlag Heyne, 2010

ISBN 9783641039578 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

Orion-Perseus-Arm/Milchstraße
32 000 Lichtjahre entfernt vom Galaktischen Zentrum/2375 Lichtjahre bis zur nächstgelegenen Grenze des Konsortiumraums 0,15 Rot. d. GZ seit Beginn der Feindseligkeiten (ca. 15 235 terranische Jahre) Konsortium-Standardjahr: 2542
An Bord einer Aufklärungskorvette der Shoal, die sich auf der Flucht vor Verfolgern in einem dichten, eintausend Lichtjahre messenden Gewirr aus Sternen und Wasserstoffwolken verirrt hatte, wurde ein Spion der Bandati gefoltert, indem man ihm einen Flügel nach dem anderen ausriss.
Dem Gefangenen zuliebe, der zum Atmen Luft brauchte, hatte man aus der Verhörzelle der Korvette, einer schlichten Stahlkammer, die flüssige Atmosphäre abgepumpt. Reste von kondensierter Salzlake bildeten trübe, schwabbelige Tropfen in dem Gemisch aus Sauerstoff und Wasserstoff, das nun die Kammer füllte. In der hier herrschenden Schwerelosigkeit drifteten die Tröpfchen durch den Raum wie winzige, wässrige Linsen.
Den Bandati hatte man an einer aufrecht stehenden Konstruktion fixiert, die in der Mitte der Zelle angebracht war, wo der Boden sich zu einer flachen, gestuften Mulde absenkte. Das Shoal-Mitglied, das unter dem Namen »Der-mit-tierischen-Fäkalien-handelt« bekannt war, sah den großen eisernen Stachel, den man durch den unteren Brustbereich der Kreatur getrieben hatte und der das Opfer festnagelte, ohne einen vorzeitigen Tod zu bewirken. Doch an den fortwährenden verzweifelten Anstrengungen des Bandati, sich zu befreien, merkte man, dass er beträchtliche Qualen litt.
Ein Geräusch, das sich anhörte wie Hammerschläge auf Metall, ließ die Schotten kurz erbeben und zeigte an, dass eine feindliche Angriffsdrohne die Schutzschilde der Korvette erfolgreich durchbrochen hatte. Der Händler hörte die Schadensberichte, die ihm über einen privaten Datenkanal zugetragen wurden; sehr zu seiner Erleichterung hatte es keine nennenswerten Schäden gegeben. Das konnte sich jedoch rasch ändern.
Direkt über dem Kopf des Bandati-Scouts hatte man an der Decke der Kammer Taue befestigt, deren Enden mit Haken bestückt waren; diese Haken wiederum steckten in den äußersten Rändern der fünf noch verbliebenen Flügel des Opfers. Die straff gespannten Taue zogen die Flügel weit auseinander, so dass es aussah, als sei der Bandati mitten im Gleitflug durch die dichte Atmosphäre der Welt erstarrt, von der seine Spezies ursprünglich stammte. Der Händler fühlte sich an eine Ausstellung von kleinen geflügelten, wirbellosen Tieren erinnert, die er einmal besucht hatte - viele Reihen von ausgetrockneten, an einer Wand festgepinnten Hüllen, akribisch befestigt, etikettiert und kate- gorisiert.
Die Verhörspezialisten hatten sich offenkundig in einer kreativen Laune befunden, als man sie angewiesen hatte, möglichst viele Informationen aus diesem Spion herauszuholen.
Farbig kodierte Projektionen schwebten rings um die Kreatur in der Luft und gaben Aufschluss über deren innere Struktur. Die Bandati waren Zweifüßler und glichen von der Größe und der annähernden Form her einem jungen menschlichen Erwachsenen, aber damit hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Die vier Hauptgliedmaßen des Scouts, ausgenommen die Flügel, waren lang und schmal; die Arme liefen in länglichen, dünnen Fingern aus, während der schlanke, fälschlicherweise zerbrechlich anmutende Körper mit feinen dunklen Haaren bedeckt war. Der Schädel sah aus wie ein liegendes Oval, der Mund war klein und gespitzt, und die Haut wirkte bei näherer Betrachtung wie ein zu engen Schlingen zusammengerolltes schwarzes Seil. Doch das hervorstechendste, dem Beobachter als Erstes ins Auge fallende Merkmal an diesem Wesen waren die irisierenden, halb durchsichtigen Flügel, die verglichen mit der übrigen Statur dieses Wesens übergroß schienen.
Hätte der Händler jemals eine terrestrische Fledermaus gesehen, wäre ihm sofort eine gewisse, wenn auch flüchtige Analogie bewusst geworden. Und in diesem Moment verzerrte sich der winzige Mund des Scouts in einem schrillen Schmerzensschrei, als eine schimmernde Klinge aus Energie sich durch die Bänder und Knochen eines der fünf restlichen Flügel fraß, der noch mit dem Oberkörper des Wesens verbunden war.
Die Bandati hatten nicht die Facettenaugen der Insekten, nach deren Vorbild man sie teilweise geschaffen hatte; ihre Augen waren wie schwarze Kugeln in einem mit Pelz überzogenen Gesicht, das über eine Vielzahl exotischer Sinnesorgane verfügte, welche - vor Zehntausenden von Jahren - die legendären Vorfahren der Bandati ersonnen und entwickelt hatten. Ihre Lungen waren so beschaffen, dass sie ungeheure Mengen an Sauerstoff aufnehmen konnten, um sie während des Flugs mit Energie zu versorgen.
Der Händler überwachte die Vorgänge von einem Beobachtungsposten aus, der sich gleich hinter dem Eingang zur Verhörzelle befand. Hier wurde die flüssige Atmosphäre des Schiffs durch einen Druck aufrechterhalten, der so gewaltig war, dass er einen ungeschützten Menschen zerquetscht hätte - falls sich irgendein unvorsichtiger Humanoid in einem Umkreis von ein paar Tausend Lichtjahren befunden hätte -, und ein Kraftfeld vor der Türöffnung verhinderte, dass sie wieder in die Kammer hineinfloss. Der Händler selbst war ungefähr halb so groß wie ein durchschnittlicher Mensch und besaß die Gestalt eines Knorpelfisches. Sein dunkler, kompakter Körper wies bunte Flossen und einen Schwanz auf, der sich langsam in dem ihn umgebenden Wasser wellte.
Die Verhörspezialisten der Shoal, die sich im Inneren der Zelle befanden, steckten in schützenden Wasserblasen, die von winzigen, scheibenförmigen Feldgeneratoren zusammengehalten wurden. Trader schnippte mit einem seiner Greiftentakel, und sofort lösten sich Dutzende identischer Scheiben aus den Nischen in den Wänden rings um den Eingang und formierten sich zu einem chaotischen Wirbel, ehe sie schließlich - in gleichmäßigen Abständen voneinander - den Umriss einer neuen Wasserblase bildeten, mit dem Händler in der Mitte.
Der schwamm nach vorn und durchbrach die Kraftfeldschranke, begleitet von den Scheiben, die das Wasser festhielten, das er zum Atmen benötigte. Bei seinem Eindringen in die Zelle spritzte dennoch ein wenig Flüssigkeit aus seiner Schutzblase und tropfte auf den schleimigen, glitschigen Metallboden.
Der Bandati-Spion zitterte, seine restlichen Flügel zuckten schwach, wurden aber immer noch fixiert von den Haken, die sich durch das hauchzarte Fleisch bohrten. Blut aus den Wunden des Gefangenen besudelte das Gestell, an das man ihn brutal festgenagelt hatte. Ein soeben abgetrennter Flügel lag neben diesem Aufbau, und der Händler konnte sehen, dass der Knoten aus Muskeln und Gewebe, an dem man den Flügel vom Rumpf abgetrennt hatte, schwarz verbrannt war. Ein Rinnsal aus einer grünblauen Flüssigkeit direkt unter dem Gestell ließ den Schluss zu, dass der Spion unfreiwillig seinen Darm entleert hatte.
Der Bandati gab zirpende Laute von sich, und das Shoal-Mitglied, welches das Verhör leitete, prüfte die Antwort, die automatisch annähernd in die Shoal-Sprache übersetzt wurde.