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Vier minus drei - Wie ich nach dem Verlust meiner Familie zu einem neuen Leben fand

Barbara Pachl-Eberhart

 

Verlag Integral, 2010

ISBN 9783641047535 , 352 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

"Ausgesperrt (S. 73-74)

Die ersten Apriltage waren grau und kalt, sogar in meiner Heimat, der grünen Steiermark. Auch in meinem Häuschen war es etwas ungemütlich, die Zimmer waren ausgekühlt, es roch nach Staub, in der Speisekammer hatten sich die Mäuse gütlich getan. Und doch war es der einzige Platz, an dem ich jetzt sein wollte. Meine Eltern hatten mich nach Hause gebracht. Dorthin, wo ich mich Heli und meinen Kindern am nächsten fühlte. Ich wollte allein sein. Das schlechte Wetter störte mich nicht.

Es kam mir gerade recht. So konnte ich mich einfach im Bett verkriechen und musste keinen Schritt vor die Tür tun. Ich dämmerte wie in einem zeitlosen Zustand vor mich hin. Schlief, wann ich wollte, egal, ob es Tag war oder Nacht. Helis Pyjama, Finis »Deckalein«, Thimos Plüschwalfisch waren alles, was ich brauchte. Deutlich spürte ich die Nähe meiner Familie. Im Schlaf, im Traum kam sie mich verlässlich besuchen, lebendig und fröhlich wie eh und je. Früher hatte ich am Tag eine Familie und war in der Nacht auf eigenen Pfaden unterwegs. Jetzt ist es eben umgekehrt: Ich bin am Tag allein und in der Nacht mit euch zusammen. So notierte ich es in mein Tagebuch. Ich habe immer noch eine Familie. Jetzt ist sie nur eben unsichtbar. Daran erinnerte ich mich immer wieder selbst.

Die wachen Stunden verbrachte ich lesend, schreibend, tagträumend. Geborgen und sicher in meiner selbstgeschaffenen Parallelwelt. Einatmen. Ausatmen. Die einzige Aufgabe, die ich gerade noch bewältigen konnte. Manchmal lobte ich mich dafür, dass ich sie so gut bewältigte. Es war ja schließlich nichts mehr selbstverständlich, jeder Atemzug eine Leistung. Ab und zu klopfte jemand an meine Tür. Nachbarn. Freunde, die mir etwas vorbeibringen oder nach mir sehen wollten. Es erschien mir wie ein Zeichen aus einer anderen Welt, die mir zurufen wollte: Komm zurück! Du gehörst hierher! Aber ich machte nicht auf. Noch war ich nicht bereit für die Welt, die auf mich wartete. Sie würde mir wehtun, das ahnte ich - allein schon deshalb, weil sie sich erbarmungslos weiterdrehte.

Da draußen blieb die Zeit nicht stehen. Jede verrinnende Minute drohte mich ein Stück mehr von meinem früheren Leben und von meiner Familie zu trennen. Jemandem zu öffnen, der an meine Tür klopfte - gar mit ihm zu sprechen - hätte bedeutet, mich dem Leben zu öffnen. Genau das schien mir vorerst völlig unmöglich. Außerdem hatte ich Angst. Angst vor dem großen schwarzen Loch. »Warte nur, jetzt geht es dir noch scheinbar gut, aber das Loch kommt bestimmt.«

Das hatten mir nicht wenige meiner Freunde vorausgesagt. Sie wollten damit gewiss keine düstere Prophezeiung abgeben, sondern mich vielmehr beruhigen: Du darfst abstürzen. Du darfst ins Loch fallen. Wir sind auch dann für dich da. Wie hatte man es sich vorzustellen, dieses Loch? Würde ich schreien und toben, wenn ich dort hineinfiele? Weinen, tagelang? Würde ich mich verletzen? Ich hatte keine Ahnung. Wusste nur: Ich will das alles nicht. Es war mir mehr als unheimlich. So zog ich es vor, lieber nichts zu riskieren. Im Bett würde mich das schwarze Loch nicht finden. Im Bett war alles gut und berechenbar."