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Hunkeler und die goldene Hand - Hunkelers siebter Fall

Hansjörg Schneider

 

Verlag Diogenes, 2013

ISBN 9783257602968 , 240 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

[5] Peter Hunkeler, Kommissär des Kriminalkommissariats Basel, ehemaliger Familienvater, jetzt geschieden, lag im Solebad des Hotels Marina in Rheinfelden/Schweiz und hatte eine Depression. Er lag im Außenbecken an der Massagedüse vier, die ihm warmes Salzwasser gegen die Lendenwirbel spritzte, heraufgepumpt aus tausend Metern Tiefe, wo früher der Meeresboden gelegen hatte.

Hunkeler versuchte, ans Meer zu denken. An sich brechende Wogen, an ihr Ausrollen auf Kies oder Sand, an den Geruch von Tang. Es gelang ihm nicht, es roch nicht nach Meer hier, sondern nach Solebad.

Rechts von ihm, und das ärgerte ihn besonders, suhlten sich zwei alte Frauen, direkt vor Düse fünf. Schon gut zehn Minuten lagen sie dort, ohne Anstalten zu treffen, sich weiter zu Düse sechs bewegen zu wollen, wie man eigentlich hätte erwarten dürfen. Niemand hatte das Recht, eine Düse für längere Zeit zu blockieren. Es gab noch andere Kunden hier, die es vielleicht gerade auf diese Düse fünf abgesehen hatten. Aber darum scherten sich die beiden nicht. Die eine trug eine Badekappe mit roten Blumen, die andere eine mit blauen Schuppen. Lächerlich war das. Und natürlich redeten sie einen Dialekt aus dem Badischen. Hotzenwald vielleicht oder Dinkelberg, dachte Hunkeler mit verstecktem Ingrimm. Die schauten genau so aus, als wären sie von den einsamen Höhen jenseits des Rheins extra heruntergekommen, um Düse fünf zu blockieren. Als ob es drüben keine Heilquellen gegeben hätte.

[6] Draußen in der Mitte des Bassins crawlte ein junger Mann, von links nach rechts, dann wieder von rechts nach links. Er hatte ein beachtliches Tempo drauf, das musste man anerkennen. Am linken Oberschenkel trug er ein Tauchermesser. Auf seinen Oberarmen waren Tätowierungen zu sehen, irgendetwas Vogelartiges. Gut, der musste sich austoben. Aber musste das unbedingt hier sein, in diesem Reservat für ältere Menschen, die der Ruhe bedurften?

Hunkeler beschloss zu handeln. Er stellte die Fußsohlen hinten gegen die Bassinwand, holte Luft und stieß sich ab. Tauchend gedachte er, die beiden Hotzenwälderinnen zu umschwimmen. Da fuhr ihm der Schmerz in den Rücken, wie immer genau über den Lendenwirbeln. Fast hätte er geschrien, aber das ging nicht gut unter Wasser. Er tauchte auf und atmete durch.

»Geht’s Ihnen nicht gut?«, fragte die mit den roten Blumen auf dem Kopf. »Können wir helfen?«

»Danke Madame«, sagte Hunkeler hart und knapp, »es geht immer noch.«

Langsam ruderte er sich Richtung Düse sechs, steif wie ein Brett, sorgsam darauf achtend, dass er den Rücken nicht bewegte. Nur keine Schwäche zeigen, vor den beiden alten Frauen schon gar nicht. Er erreichte Düse sechs, hielt sich an der Querstange fest und versuchte, ruhig zu atmen.

Es war der 13. August, ein für die Jahreszeit kühler Montagmorgen, kurz nach neun. Das warme Wasser des Solebads dampfte. Nebel trieb vorbei, ein Vorbote des nahen [7] Herbstes. Ein verregneter Sommer war es gewesen. Erst ein brütend heißer Juni, dass man es in Basel kaum mehr aushielt. Dann Kälte und Regen. Eines Morgens auf dem Vita Parcours, als er sich an einer Reckstange hatte hochziehen wollen, der plötzliche Schmerz. Seither war er krankgeschrieben, abkommandiert zur Kur auf Kosten der Krankenkasse, bis auf weiteres. Was das hieß, war Hunkeler sofort klar gewesen. Man wollte ihn abschieben, direkt in die Rente.

Er gehörte also zum alten Eisen. Zu den alten Knackern, die sich in der Umkleidekabine kaum mehr selber umziehen konnten. Zu den unförmigen Leibern, die ängstlich zur Dusche tappten. Zu den Hinkebeinen, die es nur noch mit Mühe ins Schwimmbecken schafften. Und seine Gespielinnen würden fortan alte Hotzenwälderinnen mit Blumen und Schuppen auf dem Kopf sein.

Zum Glück hatte er Hedwig, dachte er. Aber hatte er sie tatsächlich? Sie war nicht an seiner Seite, sie war zur Kur in der Schönheitsfarm Helena in Todtnauberg oben auf tausend Metern Höhe, in der frischen Schwarzwaldluft. Bloß die letzte Woche der Ferien, hatte sie gesagt, zur Erholung, bevor der Kindergarten wieder aufmachte. Von was musste sie sich denn erholen? Vielleicht von Hunkeler, von seinen Altersgebrechen, von seinem Altersstarrsinn gar? Aber nein, er war noch immer beweglich, mobil in Körper und Geist. Jedenfalls fühlte er sich so, bis auf den Rücken natürlich. Aber den würde er schon wieder hinkriegen.

Er verließ Düse sechs und stakte hinüber zu einer Stelle, wo er sich hinsetzen konnte. Er lehnte sich zurück und schaute hoch ins Geäst einer Tanne. Dort oben saßen zwei Krähen, reglos, als würden sie nichts sehen und nichts hören. Der [8] junge Crawler tauchte auf aus dem Nebel, er steuerte genau auf Hunkeler zu. Im letzten Moment drehte er ab, schlug an und wendete mit kräftigem Stoß. Er trug Badehosen mit Leopardenmuster, eine Schwimmbrille und im rechten Ohr einen Brillanten.

Hunkeler hasste sich. Was tat er hier, auf was wartete er? Die warme Salzbrühe würde nichts nützen, da war er sich sicher. Sein Rücken war nun einmal kaputt. Die beiden Wirbel, die ihn plagten, hatten zu lange aneinander geschabt, da war kein Knorpel mehr dazwischen.

»Das Rückgrat ist nicht gemacht für den aufrechten Gang«, hatte ihm Dr. Neuenschwander erklärt, nachdem er ihn untersucht hatte. »Es ist im Grunde keine tragende Säule. Eher ist es konstruiert wie eine Hängebrücke, für den Gang auf allen vieren. Wenn es dazu noch einen Bierwanst tragen muss, wie Sie einen haben, nützt es sich ab, bevor Sie sterben. Damit müssen Sie leben.«

Sollte er sich vielleicht auf allen vieren durch Basels Straßen bewegen, als wandelnde Hängebrücke? Woher hatte er überhaupt den Schaden? War nicht die jahrzehntelange Arbeit auf dem Kommissariat schuld daran? Das öde Sitzen auf hartem Stuhl während der Rapporte? Hatten nicht die verschiedenen Neu- und Umstrukturierungen des Kommissariats, die sich folgten wie die Jahreszeiten, an seinem Rückgrat geschabt wie die Feile am Eisen? Wo war sein Charakter, seine Persönlichkeit geblieben? War es überhaupt noch möglich, in dieser leerlaufenden Maschinerie Rückgrat zu zeigen? Er zweifelte daran. Hier wurde mit dem groben Hobel gearbeitet, mit der elektrischen Fräse, die jede Verwachsung, jedes Astloch in Sekundenschnelle wegfraß. Ziel war einzig [9] und allein das gut geölte Laufen der Maschine, die sich Kriminalkommissariat nannte. Die Beamten waren die Rädchen darin. Wenn ein Rädchen nicht mehr einwandfrei funktionierte, wurde es ausgewechselt.

Hunkeler fand sich zum Kotzen. Warum hatte er so lange ausgeharrt in diesem üblen Männerverein? Er hätte den Dienst schon längst quittieren müssen, spätestens dann, als ihm der Schmerz zum ersten Mal so richtig in den Rücken gefahren war. Auswandern in sein Haus im Elsass hätte er sollen. Gurken und Tomaten anpflanzen. Ein paar Schweine halten, ihren Speck und Schinken in die Rauchkammer auf dem Estrich oben hängen. Behutsam Scheite in den Ofen schieben, damit stets ein bisschen Rauch im Kamin war und die Fliegen vertrieb. Ab und zu ein paar Wacholderbeeren in die Glut streuen, damit der Speck den richtigen Geschmack bekam.

Bald war Herbst, dachte er. Bald würden Eicheln und Rosskastanien von den Bäumen fallen, ein gefundenes Fressen für jede Sau. Und Hunkeler beschloss, sein Leben zu ändern.

Er schaute hinüber zu den beiden Frauen. Sie hatten sich noch keinen Meter weiterbewegt. Die eine redete, die andere hörte zu. Vermutlich waren sie bloß hier, um sich ungestört unterhalten zu können.

Rechts, gegen den Kurpark hin, tauchte hin und wieder ein Männerkopf mit rot-weiß gestreifter Badekappe aus dem Nebel auf. Er trug einen dunklen Schnauzbart, er schien zu schlafen. Er bewegte sich auch nicht, als ein alter Mann dicht an ihm vorbeischwamm, das Gesicht im Wasser. Ein geübter Taucher offenbar, der es lange ohne zu atmen aushielt. Seine Badehose schimmerte rot.

[10] Etwas später lag Hunkeler im Ruheraum, geduscht und schamponiert, mit einem vorgewärmten Badetuch um den Leib. Vor sich hatte er die Glasfront aufs Außenbecken hinaus. Im Ohr leise Musik, wie sie in Flughäfen und Pissoirs üblich war, endlos und langweilig wie die Ewigkeit. Im Rücken, dort, wo der Schmerz saß, spürte er den Knick des Liegestuhls, den irgendein Idiot konstruiert hatte, um ein rückenfreundliches Liegen zu garantieren. Davon hielt Hunkeler gar nichts, er hätte sich lieber flach auf den Boden gelegt. Aber das ging wohl nicht in diesem noblen Etablissement.

Nebenan lag ein Dutzend weiterer Badegäste auf den Stühlen, griesgrämig vor sich hin dösend. Auch der junge Crawler war da. Hunkeler hatte beim Hereinkommen genau hingeschaut. Die Vögel auf den Oberarmen waren Adler mit ausgebreiteten Schwingen.

Da hörte er Frauenstimmen kreischen. Sie kamen von draußen, vom Schwimmbecken her. »Um Gottes willen, Hilfe, Hilfe!«

Er war sofort auf den Beinen. Er trat an die Glasfront und schaute hinaus. Er sah die beiden Frauenköpfe vor Düse fünf, rote Blumen und blaue Schuppen, darunter schreckensstarre Gesichter. Ausgestreckte, kräftige Frauenarme, die etwas, das bei ihnen andocken wollte, wegstießen in die Strömung hinein. Es war ein Mann, der auf dem Bauch trieb, den Kopf im Wasser. Rote Badehose, um den Hals ein rötlicher Schimmer.

Hunkeler zögerte nicht und ging hinaus. Er sah den Mann davontreiben, mit seltsam verrenkter Kopfhaltung. Er sah eine Blutspur, er wusste sogleich, dass da eine Leiche im Wasser trieb.

[11] »So helfen Sie doch«, sagte die mit den blauen Schuppen, »tun Sie was, der ist am Ertrinken.«

Er...