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Ich koch dich tot - (K)ein Liebes-Roman

Ellen Berg

 

Verlag Aufbau Verlag, 2013

ISBN 9783841205780 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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9,99 EUR


 

Kapitel eins


Als Vivi das Dessert ins Esszimmer trug, ein Orangenparfait mit frischen Erdbeeren, ruhte der Kopf ihres Gatten in einem See aus Bratensauce. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Werners Oberkörper lag nach vorn gekippt über der Tischkante, sein Gesicht war seitlich auf dem Teller gelandet. Ein paar Saucenspritzer hatten das Tischtuch besprenkelt. Nanu, war Werner etwa eingeschlafen? Auf Zehenspitzen näherte sie sich ihm. Beugte sich über die reglose Gestalt. Sah die starren, weit aufgerissenen Augen. Dann ließ sie die Dessertschüssel fallen. Scheppernd zerbrach sie auf dem Natursteinboden. Werner atmete nicht. Er würde nie wieder atmen. Werner war tot.

Vivi rang nach Luft. Das konnte doch nicht sein. Werner war ein Baum von einem Mann, vital, kräftig und erst Mitte fünfzig. Da gab man nicht einfach mitten beim Essen den Löffel ab. Panisch musterte sie sein Gesicht. Es hatte sich bläulich gefärbt und wirkte eigentümlich verzerrt. Kein Zweifel: Er hatte sich lautlos aus dem Leben verabschiedet, das sie nun schon seit fast fünfzehn Jahren miteinander teilten.

Heiße Tränen schossen ihr in die Augen. Noch vor zehn Minuten hatten sie gestritten, weil Vivi endlich einmal wieder ausgehen wollte. In ein schönes Restaurant zum Beispiel. Werner hingegen wühlte in Chipstüten, als wären Diamanten drin, und meinte allen Ernstes, dass stundenlanges Fernsehen und literweise eisgekühltes Bier die genialsten Erfindungen der modernen Zivilisation seien. Seine Vorstellung von einem gelungenen Abend war simpel: vorher keinen Plan, hinterher keine Erinnerung.

Das war Vivi mächtig auf den Zeiger gegangen. Sie wollte auch mal was erleben, ins Kino oder essen gehen, Spaß haben. Deshalb der Streit. Die letzten Worte, die Werner gehört hatte, waren gewesen: »Ich hänge hier nicht jeden Abend auf der Couch rum und kraule dir die Klöten!« Erbittert hatte Vivi ihm den Satz entgegengeschleudert. Nun war Werner damit ins Jenseits gesegelt.

Schuldbewusst sank sie auf einen Stuhl. Mit zitternden Fingern griff sie zu ihrem Rotweinglas und stürzte den Rest darin auf einen Zug hinunter. Hatte der Streit ihn getötet? Hatte er sich womöglich so aufgeregt, dass sein chronischer Bluthochdruck zu Herzversagen geführt hatte? War er sozusagen an gebrochenem Herzen gestorben?

»Wo nix ist, kann auch nichts brechen«, flüsterte sie vor sich hin.

Nein, ein Herz, das diesen Namen verdiente, konnte man Werner beim besten Willen nicht nachsagen. Er war in den vergangenen Jahren immer mehr zum Haustyrannen geworden – schimpfend, missgelaunt und völlig charmefrei. Woran also war er dann gestorben?

Eine siedend heiße Welle überlief sie, als sie den Pfefferstreuer auf dem Tisch entdeckte. Vivi war eine exzellente Köchin, Salz und Pfeffer duldete sie nicht an ihrer Tafel. Mehr als ein Gast hatte ihre eisige Verachtung zu spüren bekommen, wenn er auf eigene Faust nachwürzen wollte. Kochen ist Kunst, sagte sie immer. Man nimmt ja auch keinen Kugelschreiber und malt damit auf der Mona Lisa rum.

Doch es war nicht gekränkte Köchinnenehre, die ihr jetzt das Blut in den Adern stocken ließ. Noch am Morgen hatte sie den alten Pfefferstreuer, den sie schon länger durch eine Hightech-Pfeffermühle ersetzt hatte, gefüllt – allerdings nicht mit Pfeffer, sondern mit Rattengift. Eine Maus hatte sich in die Küche verirrt, und sie hatte dem ungebetenen Tier das finale Festmahl bereitet: ein Stückchen Brot, eine Käserinde und ein paar Nüsse. Das Ganze hatte sie großzügig mit Rattengift gewürzt. Aus dem Pfefferstreuer. Genau dem Pfefferstreuer, der jetzt neben Werner stand.

Die Erkenntnis traf sie wie ein Fausthieb in den Magen: Sie hatte Werner vergiftet! Sie hatte ihren eigenen Mann umgebracht!

Vivi fing an zu schluchzen. Das war eine Katastrophe. Wenn alles mit rechten Dingen zuging, würde sie den Rest ihres Lebens im Gefängnis zubringen. Wer würde ihr schon glauben, dass dies ein bedauerlicher Unfall war? Die Indizien sprachen gegen sie. Das hier sah nach Mord aus, nach kaltblütig geplantem Mord. Ihre Hände krallten sich am Tischtuch fest.

»Ich bin verloren«, murmelte sie mit Grabesstimme.

Schon fast eine Stunde hockte Vivi nun am Esstisch, unfähig, auch nur einen kleinen Finger zu bewegen. Inzwischen war es fast dunkel geworden. Wie im Dämmerschlaf lag das Esszimmer da. Man konnte kaum den Tisch erkennen, eingedeckt mit feinstem Damast, edlem Silberbesteck und geschliffenen Kristallgläsern. An den Wänden hingen scheußliche Ölgemälde, wie überall im Haus, Erbstücke ihres Mannes. Der Kronleuchter über dem Tisch funkelte matt im letzten Abendlicht, das durchs Fenster fiel.

Noch immer lag Werners Gesicht im Teller. Dies war ohne Frage der schlimmste Moment in Vivis Leben – gefolgt von der Hochzeitsnacht und der letzten Krampfaderverödung. Und sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie es weitergehen sollte.

Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihrer Erstarrung. Sie zuckte zusammen. Was jetzt? Sollte sie abheben? Oder zuerst einen Notarzt bestellen? Das hättest du sofort machen müssen, schoss es ihr durch den Kopf. Vielleicht wäre Werner ja noch zu retten gewesen. Warum hatte sie nichts unternommen?

Das Telefon hörte gar nicht mehr auf zu klingeln. Und falls nun jemand ihren Mann sprechen wollte? Was sollte sie dann sagen – »Sorry, den habe ich gerade vergiftet, rufen Sie später noch mal an«?

Denk nach, ermahnte sie sich. Wenn du jetzt einen Fehler machst, kannst du den Rest deines Lebens die Gitterstäbe einer Einzelzelle zählen. Du brauchst einen Schutzengel. Oder besser, einen Schutzteufel.

Sie gab sich einen Ruck. Dann rannte sie ins Wohnzimmer, wo das Telefon stand. Eilends machte sie Licht, bevor sie abhob und sich steif auf die Couch setzte.

»Sylvia Bernburg«, sagte sie so kontrolliert wie möglich. »Wer ist da, bitte?«

»Hallo Vivi«, hörte sie die fröhliche Stimme ihrer besten Freundin Ela. »Ich bin gerade in der Stadt. Was hältst du von einem Aperol Spritz in Hugos Bar? Oder hält dich dein Werner wie üblich im Eheknast gefangen?«

Beim Wort Knast spürte Vivi einen Stich im Magen.

»Ähäää, i-ich, w-wir«, stotterte sie, »wir haben’s uns gerade gemütlich gemacht. Ein andermal vielleicht. Und nur, damit das mal klar ist: Ich bin hier nicht im Knast.« Sie schluckte. »Ich liebe meinen Mann.«

Das hatte sie seit Jahren nicht mehr gesagt. Auch deshalb, weil es nicht die geringste Veranlassung dazu gab. Sie hatte Werner irgendwie gemocht. Vertraut waren sie gewesen, eingespielt. Na gut, im Grunde hatte sie ihn zuletzt nur noch ertragen. Doch man konnte nicht vorsichtig genug sein. Am Ende würde man auch Ela befragen, wenn es zum Prozess kam. Da machte sich eine Liebeserklärung gut.

Am anderen Ende der Leitung war ein Kichern zu hören.

»Allerliebste Vivi«, gluckste Ela. »Nach drei Ehemännern kann ich es dir schriftlich geben: Die Ehe ist ein Gefängnis. Der einzige Vorteil besteht darin, dass man Sex mit dem Gefängniswärter haben kann.«

Vivi runzelte die Stirn. Das Gespräch nahm eine Wendung, die ihr bei weitem zu heikel war.

»Hm. Sehr lustig«, sagte sie. »Ich schmeiß mich dann später weg. Tut mir leid. Heute passt es nicht.« Damit legte sie auf.

Für Ela war das Leben eine einzige Party. Für Vivi dagegen fühlte sich das Leben eher wie eine Tupperparty an: außen spießig, innen hohl. Ihre Freundin lebte in Frankfurt, gut fünfzig Kilometer entfernt von dem Wiesbadener Vorort, wo Vivi hängengeblieben war. Mit Werner.

Seufzend lehnte sie sich auf der Couch zurück. Im dunkelbraunen Samt der Sitzfläche zeichneten sich zwei Kuhlen ab, eine tiefere und eine flachere. Hier hatten sie Abend für Abend gesessen. Stumm, den Blick auf den Fernsehschirm gerichtet. Die einzige Abwechslung hatte darin bestanden, dass Werner ab und zu »noch ’n Bier« grunzte. Vivi hatte es immer betreutes Fernsehen genannt.

Die Couch fliegt als Erstes raus, durchfuhr es sie plötzlich. Und dann sind die grässlichen Ölgemälde dran. Jetzt richte ich das Haus so ein, wie ich es will!

Einen Augenblick später erschrak sie über ihre Gedanken. War sie wirklich so gefühllos, dass sie schon über eine neue Inneneinrichtung nachdachte, obwohl Werner noch nicht einmal kalt war? Angestrengt horchte sie in sich hinein. Nein, da waren keine Gefühle. Keine Trauer, kein Bedauern. Hm, da war doch etwas: grenzenlose Erleichterung. Sie konnte es selbst kaum fassen.

Hätte man sie noch am Morgen gefragt, ob sie glücklich sei, so hätte sie vermutlich geantwortet: ja, irgendwie. Jetzt wurde ihr bewusst, dass die letzten zehn Jahre ihrer Ehe nur noch ein staubtrockenes Grauen gewesen waren. Die übliche Mischung aus Bequemlichkeit, Gedankenlosigkeit und Desinteresse. Ein Leben ohne Zärtlichkeit. Und ohne Sex. So viel zum Thema Gefängniswärter.

Vivi schaute an sich herab. Unter ihrer Kochschürze trug sie eine Caprihose aus grüner Seide und ein weit ausgeschnittenes weißes T-Shirt. Für ihre fünfunddreißig Jahre war sie noch ganz ansehnlich. Gut, sie war vielleicht ein wenig in die Breite gegangen, aber nicht schlecht proportioniert. Ihr volles dunkles Haar trug sie schulterlang. Und sie hatte noch immer die intensiv leuchtenden grünen Augen, die Werner einst den Kopf verdreht hatten.

Das war lange her. Obwohl Werner selbst zu Leibesfülle neigte, hatte er dauernd an Vivis Figur rumgemeckert. »Du, das Geschwabbel kann man neuerdings auch mit Strom wegzappen« oder »Nicht alles, was wächst, ist gutartig« waren noch die netteren Kommentare...