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Die Ungehorsame - Historischer Roman

Andrea Schacht

 

Verlag Blanvalet, 2010

ISBN 9783641049164 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

  • Was will man mehr
    Schicht im Schacht - Die dämlichsten Todesfälle
    Abschalten! - Warum mit Atomkraft Schluss sein muss und was wir alle dafür tun können
    Stinas Entscheidung - Roman
    Die Jahre mit Jan - Roman
    Der Postpubertist - Das ultimative Überlebenshandbuch für Eltern
    Hannas Töchter - Roman
    Lillemors Rätsel - Roman
  • Wer Wind sät
    Titos Brille - Die Geschichte meiner strapaziösen Familie
    Im Schatten des Kauribaums - Roman
    Die fernen Stunden - Roman
    Julia - Roman
    Die Zeit der Zugvögel - Roman
    Geliebte Tochter - Roman

     

     

 

 

Er hatte das Gefühl für die Zeit verloren, die er schon in der Finsternis der Höhle lag. Gefesselt, verwundet, auf felsigem Boden. Dabei hatte er gehofft, in der alten Mine Zuflucht zu finden, aber der andere hatte ihn gefunden und überwältigt.
Er würde wiederkommen, ohne Zweifel, denn noch hatte er ihm nicht verraten, was er wissen wollte. Ein kluger Mann, ihn hier im Ungewissen zu lassen. Dadurch hatte er genügend Möglichkeiten gehabt, sich auszumalen, welches Schicksal ihm bevorstand.
Gnade war nicht darunter. Nur der sichere Tod.
Die Frage war, wie qualvoll er zu sterben bereit war.
Und wem diese Qual etwas nützte - vermutlich weder den Toten noch den Mächtigen.
Dass der andere jedoch willens war, ihm jegliche Form von Qual angedeihen zu lassen, dessen war er sich sicher.
Hatte er selbst einen Vorteil davon, wenn er sein Wissen preisgab?
Einen schnellen Tod?
Vielleicht.
Über gewisse Phasen verlor er das Bewusstsein, dann aber schreckten ihn Schmerzen auf. Jemand zerrte ihn an seinen Fesseln hoch, und ein grelles Licht blendete seine an die Finsternis gewöhnten Augen.
'Und, hast du es dir überlegt, mein Lieber?«
Trotz aller Benommenheit kochte bei dem süffisanten Ton die Wut in ihm hoch. Er unterdrückte sie. Es galt zu spielen.
'Wer gibt dir die Gewähr, dass ich dir die richtigen Daten nenne?«
Seine Stimme war heiser vom Durst und dem langen Schweigen.
»Das Wissen darum, dass, wenn es die falschen sind, mein
Freund, deine Teuersten und Liebsten nicht lange deinen Tod beweinen werden.«
Leider ein sehr kluger Mann, der um seine Verwundbarkeit auch in diesem Fall wusste. Er schwieg, beobachtete.
Der andere hatte, wie schon zuvor, einen Dolch in der Hand, und was er damit zu tun gedachte, war ihm aus vorherigen Unterhaltungen durchaus klar. Jetzt hielt er die Klinge in die Flamme der Petroleumlampe.
»Ich denke, wir beginnen mit dem rechten Auge. Du brauchst es in der Dunkelheit hier ja nicht.«
Wie viele Qualen ertrug ein Mann?
Wahrscheinlich war er ein Feigling.
Er nannte ihm Längen- und Breitengrad.
Der andere lachte und warf das rot glühende Messer in den Schutt an der Wand.
»Kluger Junge. Das gibt dir eine Frist von - sagen wir-zehn Tagen. Leb wohl!«
Der Mann ging davon, ohne den Gefesselten noch eines Blickes zu würdigen.
Als das schwankende Licht verschwunden war, stöhnte er auf, dann aber machte er sich ungeachtet der höllischen Schmerzen und der wieder aufbrechenden Wunden daran, zu dem Dolch zu kriechen. Sehen konnte er zwar nichts mehr, doch die Hitze, die das Metall ausströmte, konnte er wahrnehmen. Die rote Glut der Klinge mochte erloschen sein, doch in ihm glühte eine weit hellere - die der Rache. Sie gab ihm Kraft, letzte verzweifelte Kraft.
Dann hörte er das dumpfe Rumpeln und wusste, dass der Ausgang nun verschüttet war.

25. Mai 1842: Hochzeit
Der fünfundzwanzigste Mai des Jahres 1842 war ein leuchtender Frühlingstag. Im großen Salon im Bonner Stadthaus der Familie Gutermann hatte man sich versammelt. Ein kleiner Kreis der Angehörigen nur, denn der Anlass entbehrte nicht einer gewissen Delikatesse. Der Eheschließung zwischen einem Protestanten und einer Dame aus streng katholischem Haus lag zwar rechtlich gesehen kein Hindernis im Weg, seit die preußische Regierung die Religionsfreiheit geboten hatte, aber zum guten Ton gehörte es wahrhaftig noch nicht in allen Kreisen. Also hatte man auf die Trauung in der Kirche verzichtet und sich nach dem schlichten, bürokratischen Akt auf dem Standesamt im Haus der Braut versammelt. Hier würde sowohl der zur Familie gehörende Pastor als auch der mit dem Brautvater befreundete Pfarrer dem Paar den Segen spenden.
Dem Pastor gebührte in diesem Fall der Vortritt, denn er war der Onkel der Braut.
Vor ihm knieten also Mann und Frau, und er sprach mit angemessenem Ernst das Ehegelöbnis.
Carl Hendryk Mansel hatte bereits sein Ja mannhaft und entschlossen gesprochen, nun war sein zukünftiges Weib aufgefordert, die rechte Antwort zu geben.
»Hast du, Leonora Maria Gutermann, vor Gott dein Gewissen geprüft, und bist du frei und ungezwungen hierher gekommen, um mit diesem deinem Bräutigam die Ehe einzugehen?«
»Ja, das bin ich!«, sagte die Braut mit klarer Stimme. Ihre Haltung war so gefasst, wie man es sich nur wünschen konnte; sie neigte nicht zu Tränen oder Rührseligkeit.
»Bist du gewillt, deinen künftigen Gatten zu lieben, zu ehren und ihm zu gehorchen?«, lautete die nächste Frage, doch diesmal schob
sich das Kinn der Braut ein wenig vor, und der Tonfall, in dem sie antwortete: »Mit Gottes Hilfe, ja!«, gab zu einem plötzlichen Geraune Anlass. Den verdutzten Gesichtern der Anwesenden sah man an, dass sie zu mutmaßen begannen, der Allmächtige möge ihr dazu wohl großen Beistand zu leisten haben. Und der Bräutigam bezweifelte plötzlich, ob die Fassade der vollkommenen Dame, die er soeben zu ehelichen im Begriff war, möglicherweise Risse bekommen könnte, wenn es um Fragen des Gehorsams ging. Er wirkte einen Augenblick lang irritiert, setzte dann aber wieder eine gleichmütige Miene auf.
Auch Pastor Merzenich mahnte die Braut mit strengem Blick, fuhr aber unbeirrt in der Zeremonie fort und hatte sie nach wenigen weiteren Segensworten beendet.
»Und nun, lieber Hendryk, dürfen Sie die Braut küssen«, schloss er mit einem feinen Lächeln auf seinen hageren Zügen.
Doch dazu sollte es nicht kommen, denn gerade als der Bräutigam die leicht verkniffenen Lippen seiner jungen Frau berühren wollte, geriet er durch einen heftigen Stoß aus dem Gleichgewicht und strauchelte gegen den Tisch mit der Hochzeitstorte. Die Braut selbst klammerte sich an dem Pastor fest, der Kronleuchter klirrte und schwankte, das Porzellan auf der langen Tafel klapperte, und in den Aufschrei der Gäste und Bediensteten mischte sich ein dumpfes Grollen, das aus der Erde klang.
Nur wenige Sekunden indes dauerte das Ereignis, dann war der Spuk vorbei, und nur der hin und her pendelnde Leuchter erinnerte an das unerwartete Beben.
Gustav Gutermann, der Brautvater, hatte sich als erster gefasst. Er sank auf die Knie, zog den abgegriffenen Rosenkranz aus der Jackentasche und begann zu beten. Weitere Gäste fielen in seinen monotonen Singsang ein, und bald lagen fast alle auf den Knien und folgten seinem Beispiel.
Nicht jedoch Pastor Merzenich, nicht der protestantische Bräutigam.
Und nicht die Braut.
»Leonora!«, mahnte Gutermann zwischen zwei Ave Marias.
»Nein, Vater, ich werde daran nicht mehr teilnehmen. Ich bin gestern konvertiert.«
Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit fragte sich der frischgebackene Ehemann, was er da wohl für einen unüberlegten Schritt getan hatte.
Für alle anderen Anwesenden übertraf diese Offenbarung sogar noch das Erdbeben. Ein allgemeines Gemurmel wurde laut, und das gemeinsame Gebet war vergessen.
»Leonora!«, donnerte Gutermann, und die Angesprochene reckte das Kinn kampfbereit vor. Doch bevor sie etwas nicht Wiedergutzumachendes erwidern konnte, sprang Pastor Merzenich ein.
»Ich selbst habe es angeregt, Gustav, denn es ist für alle Teile besser, wenn die eheliche Gemeinschaft sich in Glaubensfragen einig ist. Leonora hat die christlichen Regeln meiner Konfession als für sich annehmbar erachtet und ist freiwillig und mit freudigem Herzen übergetreten. Sie ist eine erwachsene, mündige Frau, und du wirst ihre Entscheidung billigen müssen.«
Der Brautvater wollte zu einer Entgegnung ansetzen, die vermutlich die Stimmung weiter getrübt hätte, wäre in diesem Augenblick nicht die Hochzeitstorte umgekippt und zu Boden gestürzt. Das aufwändige Meisterwerk der Konditorkunst lag nun als ein unförmiges Häuflein Sahne, Biskuit und Erdbeeren auf dem kostbaren Perserteppich, und lediglich die zehnjährige Rosalie begrüßte diese Katastrophe mit einem freudigen Aufjauchzen. Sie sprang herbei, kniete auf dem Teppich und vergrub ihre Hände in dem süßen Trümmerhaufen. Nachdem sie sich Früchte und Krümel in den Mund gestopft hatte, lief sie mit sahneverschmierten Teigstücken zu der Braut und bot ihr den klebrigen Matsch mit einem strahlenden Lächeln an.
»Rosalie, bitte!«
Scharf wurde sie abgewiesen, doch ihr Lächeln erlosch dadurch nicht. Sie reichte ihre Gabe an den Bräutigam weiter, der nicht recht wusste, wie er sich verhalten sollte.
»Edith, schaff dieses Kind hier raus und sieh zu, dass es sich wäscht!«, ordnete Leonora mit strenger Stimme an.
Eine nicht mehr ganz junge Frau, deren schiefe Schulter ihr ein gedrungenes Aussehen gab, nahm Rosalie am Arm und sagte: »Lass deine Schwester in Ruhe. Du beschmutzt ihr schönes neues Kleid.«
»Die Erde hat gewackelt, Tante Edith. Und die Torte ist umgefallen.«
»Ja, das haben wir gesehen!«
»Hast du das auch gemerkt, Onkel? Die Erde hat gewackelt. Und die Torte ist umgefallen.«
»Ja, Kind. Aber nun geh mit deiner Tante.«
Rosalie machte ein paar Schritte, blieb dann aber vor dem Trauzeugen stehen, einem gut aussehenden Offizier, Freund des Bräutigams, und erklärte auch ihm, was geschehen war.
»Wirst du wohl sofort Tante Edith folgen!«, fauchte die Braut und schubste das Mädchen grob Richtung Tür.
Hendryk Mansel kamen die nächsten Zweifel, ob seine Wahl eine gute war. Denn im Umgang mit Kindern schien seine Angetraute nicht viel Geduld an den Tag zu legen. Er seufzte kaum hörbar. Manche Pläne sollte man vermutlich doch etwas gründlicher durchdenken.
»Ich glaube, es wäre für alle Beteiligten das Beste, wenn Sie auf weitere Geselligkeiten verzichteten und den Weg in Ihr Heim antreten würden«, murmelte der Pastor neben ihm. »Es hat genug Aufruhr gegeben.«
»Da haben Sie wohl Recht, Pastor. Frau Mansel, würden Sie sich zum Aufbruch bereit machen?«
»Natürlich, Herr Gemahl!«
In untadeliger Haltung verabschiedete sich Leonora von ihrer Familie, um dann ein letztes Mal ihr Zimmer aufzusuchen und das blauseidene Festtagskleid gegen ein tannengrünes Reisekostüm zu wechseln. Sie steckte eben die Haare fest, um eine passende grüne, rosa paspelierte Schute aufzusetzen, als ihre Cousine Edith in den Raum trat.
»Die Farbe steht dir nicht«, stellte sie trocken fest.
»Ich weiß. Aber es ist ein Geschenk meiner Stiefmutter.«
»Aha.« Edith nickte verstehend und meinte dann mit weiterhin nüchterner Stimme: »Das mit der Konvertierung war wohl unvermeidbar, aber das Erdbeben war überflüssig, Leonie!« Dabei knüpfte sie die breite Schleife unter dem jetzt nicht mehr trotzigen, sondern nur mädchenhaft spitzen Kinn der Braut zurecht.
Ein freudloses Lachen antwortete ihr.
»Keine gelungene Hochzeit, nicht wahr?«
»Nein, sicher nicht das rauschendste Fest. Aber du bist nun eine verheiratete Frau und kannst dein eigenes Leben leben.«
»Wir werden sehen. Danke, Cousine Edith!« Leonie umarmte die Buckelige und drückte sie eng an sich. »Ich habe Angst!«
»Ich weiß. Aber bedenke, es ist das kleinere Übel!«
Die junge Frau bezwang ihr undamenhaftes Zittern und straffte sich.
»En avant!«
Im Hof standen der Bräutigam und sein Trauzeuge, der Leutnant Ernst von Benningsen, neben der Reisekutsche, die bereits mit ihrem Gepäck beladen war. Der Offizier war ein gut aussehender, hochgewachsener Mann mit einem schmucken Backenbart, der jedoch nur zum Teil die Narben einer üblen Brandverletzung auf seiner Wange verbergen konnte. Hendryk Mansel, vielleicht sogar noch ein wenig größer als er, konnte ebenfalls als gut aussehender Mann gelten, doch gab ihm eine schwarze Klappe über dem rechten Auge ein seltsam verwegenes Air. Bei einem Blick in das spiegelnde Glas des Kutschfensters, in dem ihrer beider Gesichter zu sehen waren, murmelte er bitter: »Ein hübsches Paar geben wir ab!«
»Wir? Oder meinst du dich und deine Frau? Sie ist wahrhaftig der hübschere Teil dieser Verbindung, Hendryk.«
Der schnaubte kurz.
»Ihr Aussehen mag sein, wie es will, ich hoffe, sie besinnt sich wieder auf ihr Benehmen als Dame. Bisher hatte ich sie für recht angenehm erzogen gehalten, aber vorhin hat sie mich etwas enttäuscht.«
»Du bist ein kalter Hund, Hendryk. Gestehe einer Dame, so untadelig sie auch sonst sein mag, an ihrem Hochzeitstag - mit Erdbeben - ein wenig angegriffene Nerven zu. Sie hat trotz allem eine gute Haltung bewiesen, und du solltest dich auf deine besinnen. Es war schließlich deine Idee, um sie anzuhalten.«
Ein Schlag auf die Schulter ließ den Leutnant zusammenzucken, aber ein kleines Lachen milderte die Geste.
»Touché, mein Freund. Und nun leb wohl. Denn hier kommt die Braut. Wir sehen uns die nächsten Tage gewiss.«
Leonie nahm ihren Platz in Fahrtrichtung der Kutsche ein und legte die behandschuhten Hände ruhig im Schoß zusammen. Sie saß sehr aufrecht und vermied es, sich mit dem Rücken an das Polster zu lehnen, wie sie es von Kindheit an gelernt hatte. Ihr Gatte setzte sich ihr gegenüber, legte seinen Zylinder neben sich auf das Polster und machte es sich in etwas legererer Haltung bequem. Das Gefährt ruckte an, und man rollte auf die Straße. Die junge Braut hielt ihren Blick auf ihre Hände gerichtet und erwiderte nicht die Abschiedsrufe und das Winken ihrer Angehörigen.
»Ist alles zu Ihrer Bequemlichkeit, Madame?«, erkundigte sich Mansel höflich.
»Danke, ja.«
»Wir haben eine etwa drei- bis vierstündige Fahrt vor uns. Wünschen Sie unterwegs eine Pause einzulegen?«
»Danke, nein.« Dann aber fügte sie mit einem schuldbewussten Ausdruck hinzu: »Ich hoffe, Sie tragen es mir nicht zu sehr nach, dass die Feierlichkeit durch mein Verschulden nun ein schnelles Ende gefunden hat, Herr Mansel.«
»Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken darüber. Der Erdstoß hat Verwirrung angerichtet. Doch sollten Sie zukünftig ähnlich drastische Schritte wie einen Konfessionswechsel - eine Tatsache, die ich natürlich nicht bedauern kann - vornehmen, sollten Sie mich bitte vorab darüber informieren.«
»Selbstverständlich.«
Leonie wusste, sie wirkte wortkarg, und nach einigen Minuten besann sie sich auf die Kunst der Konversation.
»Steht zu befürchten, dass Ihr Haus in Köln Schaden durch das Erdbeben genommen hat, Herr Mansel?«
»Nein, ich denke, da kann ich Sie beruhigen. Dererlei tektonische Ereignisse sind in unseren Breiten sehr lokal begrenzt. Vermutlich hat man dort noch nicht einmal ein leises Vibrieren wahrgenommen.«
Ein winziges Aufblitzen in den Augen seiner Gattin überraschte ihn, mehr noch die nächste Frage.
»Auch der Bau der Eisenbahnlinie wird vermutlich nicht davon tangiert sein, möchte ich dann annehmen.«
»Nein, gewiss nicht. Es ist ja, außer der Vermessung der geplanten Trasse und allerersten Schachtungsarbeiten, noch nichts geschehen.«
»Was aber würde passieren, Herr Mansel, wenn die Gleise bereits lägen und eine Lokomotive führe mit hoher Geschwindigkeit darüber?«
»Bei dieser Stärke des Bebens, denke ich, würde man annehmen, wie auch in dieser Kutsche, es habe eine Unebenheit des Geländes vorgelegen. Kräftigere Beben allerdings könnten den Gleiskörper schädigen und womöglich die Wagen zum Entgleisen bringen. Aber ich will Sie nicht ängstigen, Madame. Derartige Beben sind hier nicht zu erwarten.«
»Ich ängstige mich nicht, es war reine Wissbegier. Verzeihen Sie meine Neugier.«
»Da gibt es nichts zu verzeihen, fragen Sie nur, was Sie wissen wollen.«
Da ihr Gegenüber sich ihr während ihrer kurzen Verlobungszeit als angenehmer Gesprächspartner empfohlen hatte, wagte Leonie also, weitere Fragen zum wissenschaftlichen Thema der Erdbebenkunde zu stellen, denn sie wusste, dass ihr Gatte, als Geodät und Geologe tätig, eine fundierte Kenntnis über diese Thematik besaß. Während des gelehrten Exkurses über neptunistische und vulkanologische Theorien der Erdgeschichte verlor sich dann auch allmählich ihre innere Anspannung.
Sie setzte schlagartig wieder ein, als sie schließlich ihr Heim in der Hohen Straße erreichten. Es war eines der vielen neuen Häuser, die in den vergangenen Jahren entstanden waren, seit Köln unter der preußischen Herrschaft, wenn auch zunächst zögerlich, einen beträchtlichen wirtschaftlichen Aufschwung genommen hatte. Es war, anders als die alten Stadthäuser mit ihren vorkragenden Obergeschossen, ein helles, dreistöckiges Gebäude, das wie so viele in der Nachbarschaft zur Straßenfront in jeder Etage drei große Fenster aufwies, im ersten Stock sogar einen hübschen Erker. Leonie hatte es bereits im April einmal in Begleitung ihrer Stiefmutter besucht, jedoch noch nicht alle Räume betreten.
Die Dämmerung hatte sich bereits breitgemacht, und das helle Licht der modernen Gaslampe empfing sie in der Eingangshalle.
Hier warteten auch die Haushälterin Jette und ihr Mann Albert auf die Frischvermählten. Mit einem tiefen Knicks, doch ohne Lächeln, hieß Jette die Hausherrin willkommen, Albert hingegen verband seine Verbeugung mit einem freundlichen Lächeln und sprach die passenden Glückwünsche aus.
»Bringen Sie das Gepäck nach oben, aber kümmern Sie sich noch nicht um das Auspacken, Albert. Wir werden uns sogleich zurückziehen. Es war ein anstrengender, langer Tag«, beschied ihn Mansel und wies seiner Frau den Weg zur Treppe.
»Sehr wohl, gnädiger Herr. Wünscht die gnädige Frau noch Ursels Dienste?«
»Nein, lassen Sie das Mädchen schlafen«, wehrte Mansel statt ihrer ab.
»Sie haben eine Zofe für mich eingestellt?«, fragte Leonie einigermaßen erfreut, als sie das Wohnzimmer betraten.
»So kann man es sehen. Ursel und ihr Bruder Lennard sind Mitglieder des Haushalts und haben gewisse Pflichten zu übernehmen. Aber ich muss Sie bitten, nicht zu viel zu erwarten. Sie sind noch sehr jung, wenngleich durchaus aufgeweckt und folgsam. Ursel wird sich um Ihre - mhm - Effekten kümmern, Lennard nehme ich in meine Obhut. Lernen Sie das Mädchen an, Ihnen zur Hand zu gehen.«
Sie nickte zustimmend. Ein junges Ding in einfachen Zofendiensten zu unterweisen sollte keine allzu schwierige Aufgabe sein. Müßig sah sie sich in dem Raum um. Anders als andere junge Paare hatten nicht sie und ihre Eltern das gemeinsame Heim eingerichtet, sondern Hendryk Mansel hatte dieses Haus samt seinem Inventar von einem plötzlich gescheiterten Kaufmann erworben und keinerlei Anlass gefunden, am Interieur Wesentliches zu ändern. Es war modern und praktisch möbliert, die Räume in gefälligen Farben gehalten. Man mochte das eine oder andere in ein besseres Licht rücken, ihm eine persönlichere Note geben, aber dazu würde es in den nächsten Wochen und Monaten Zeit genug geben.
Wenn sie denn die nächste Prüfung überstand.
»Wünschen Sie noch eine leichte Erfrischung? Ein Glas Wein vielleicht oder einen Likör?«
Ihr Gatte war höflich, natürlich. Aber Leonie stand nicht der Sinn danach, etwas zu sich zu nehmen.
»Danke, nein.«
»Dann werde ich Jette bitte, Ihnen die oberen Räume zu zeigen.«
»Ja, danke.«
Er läutete, und die Haushälterin erschien umgehend.
»Begleiten Sie die gnädige Frau nach oben, Frau Jette, und gehen Sie ihr zur Hand.«
»Natürlich, gnädiger Herr. Wenn ich bitten darf, gnädige Frau!«
Leonie folgte der Hausdame, die ihr voran mit einem Licht die Treppe emporstieg und dann eine der Türen öffnete.
»Das Schlafzimmer. Die linke Tür führt in Ihr Boudoir, die rechte zum Ankleidezimmer des gnädigen Herrn.«
Ein großes Bett, mit blütenweißer Wäsche bezogen, war bereits aufgeschlagen, ihre kleine Reisetasche ausgeräumt. In dem Boudoir fand sie ihr Nachthemd bereitgelegt und die Waschschüssel mit dampfendem Wasser gefüllt.
»Kann ich Ihnen noch bei irgendetwas behilflich sein?«
»Wenn Sie so gut wären, die Häkchen an meinem Kleid zu öffnen!«, bat Leonie und legte die Schute ab. Die kleine Handreichung war schnell getan, und als sie aus dem steifen Kleid stieg, entließ sie die Haushälterin mit einem kurzen Nicken. Das enge Mieder schnürte sie selbst auf und entledigte sich seiner mit einem leichten Seufzen. Der Druck auf ihre Rippen hatte nachgelassen, der Druck auf ihren Magen blieb. Sie setzte sich auf den Hocker vor dem Frisiertisch und legte den Kopf in die Hände. Es war ein langer, schwieriger Tag gewesen, doch er war noch nicht vorbei. Das Schlimmste stand ihr noch bevor. Sie wusste, was sie erwartete, und das Grauen schnürte ihr die Kehle zu. Hätte sie noch irgendeinen Glauben gehabt, hätte sie vielleicht beten können. Aber sie hatte nicht nur die katholische Kirche verlassen, sie hatte weit mehr Türen hinter sich zugeschlagen, als ihre Angehörigen wussten. Eine Weile saß sie wie versteinert da, dann aber hörte sie ihren Gatten in das Nachbarzimmer treten und noch einige Worte mit Albert wechseln. Mit großer Willensanstrengung riss sie sich zusammen und begann mit der Nachttoilette. Schließlich bürstete sie mit einigen energischen Strichen ihre langen, widerspenstigen Locken und flocht sie zu einem festen Zopf.
Sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Sie würde auch die Konsequenzen tragen. Wie immer diese aussehen mochten. Es mochte das kleinere Übel sein - ein Übel war es aber dennoch.
Als sie das Schlafgemach betrat, war Mansel in seinem Ankleideraum verschwunden. Zitternd legte sie sich unter die Decke und schloss die Augen. Vielleicht würde er so höflich sein, anzunehmen, der Schlaf habe sie bereits übermannt.
Er schloss wenig später die Tür hinter sich, ging zum Fenster, zog die Portieren zurück und öffnete es weit. Ein kühler Luftzug streifte Leonie, und unwillkürlich sah sie zu ihm hin.
»Ich schätze es, bei geöffnetem Fenster zu schlafen. Wenn Sie ein Problem darin sehen, Madame, empfehle ich Ihnen eine warme Nachthaube.«
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern löschte das Licht. Dann legte er sich in seine Hälfte des Bettes, zog die Daumendecke über sich und drehte ihr den Rücken zu.
Ganz allmählich ließ das Zittern nach, und Leonie entspannte sich ein wenig. Es schien, als wolle ihr Gatte ihr die Gnade eines Aufschubs erweisen und in dieser Nacht nicht auf der Erfüllung seiner ehelichen Pflichten bestehen.
Die Erschöpfung überwältigte sie und ließ sie in einen tiefen Schlummer fallen.
Als sie am Morgen erwachte, war das Fenster geschlossen und das Bett neben ihr leer.
Sein Alltag
Dringend rate ich daher, bei dem ersten Schatten von Unzufriedenheit über ein Betragen des Freundes nicht zu säumen, ohne Zutun eines Dritten, auf Erläuterung zu dringen.
Freiherr von Knigge: Über den Umgang unter Freunden
Hendryk Mansel hatte den Vormittag damit verbracht, die Baustelle zwischen Brühl und Bornheim zu inspizieren, wo derzeit die Schachtungsarbeiten für die neue Trasse der künftigen Eisenbahnlinie zwischen Bonn und Köln im Gange waren. Unzählige Arbeiter stachen Grassoden, stießen ihre Spaten in den steinigen Boden, schaufelten das Material in die bereitstehenden Schubkarren, die wieder von anderen im Laufschritt zu den aufzuschüttenden Wällen gefahren wurden. Eine Knochenarbeit, an der sich gelegentlich auch kräftige Frauen beteiligten. Manchmal sogar Kinder.
Er selbst prüfte die Landmarkierungen auf ihre Übereinstimmung mit dem Streckenplan, denn nicht immer konnte man davon ausgehen, dass der Vorarbeiter sie korrekt einhielt. Zudem wurde auch schon mal Schabernack getrieben - oder es war Böswilligkeit im Spiel. Nicht alle waren davon überzeugt, dass es sich bei der Eisenbahn um eine fortschrittliche Errungenschaft handelte, und in den vergangenen Jahren hatte er selbst einige unglaubliche Diskussionen erlebt. Gerade wieder hatte sich der Dorfpfarrer von Bornheim ihm gegenüber wortgewaltig gegen das Teufelswerk ausgelassen und sogar das leichte Erdbeben zum Anlass genommen, darin den Fingerzeig Gottes gegen den geplanten Verkehrsweg zu sehen. Mit stoischer Geduld hatte er dem aufgebrachten Pfaffen zugehört, seine Beschimpfungen über sich ergehen lassen und ihm dann mit kühler preußischer Manier anempfohlen, ein Schreiben an die Direktoren der Gesellschaft zu schicken. Er erfülle nur seine Pflicht als Vermesser und könne über himmlische Weisungen nicht entscheiden. Dann hatte er sich wieder auf den Bock seines Phaetons geschwungen und war nun im hellen Frühlingssonnenschein auf dem
Weg zurück nach Köln. Doch das lichte Grün der Bäume, die üppig schäumende Apfelblüte, den azurblauen Himmel mit seinen Federwölkchen nahm er nicht wahr. Seine Gedanken wanderten zum Beginn des Jahres zurück, als er die denkwürdige Entscheidung getroffen hatte, eine Vernunftehe einzugehen.
Seine Vermessungstätigkeit und seine dabei an den Tag gelegte Zielstrebigkeit bei der inzwischen fertiggestellten Strecke Aachen - Köln hatte Hendryk Mansel qualifiziert, auch den Auftrag der Bonn-Kölner Eisenbahngesellschaft anzunehmen. Man war durchaus angetan von seinen Kenntnissen und bot ihm ein recht anständiges Gehalt. Damit verbunden war sein endgültiger Umzug nach Köln, was seinen langfristigen Plänen entsprach.
Er enttäuschte auch hier seine Auftraggeber nicht, außer vielleicht darin, dass er ein wenig geselliger Typ war. Nur selten nahm er an den Veranstaltungen teil, die in regelmäßigen Abständen stattfanden, um einerseits das Projekt der Bürgerschaft vorzustellen, aber auch um Gelder und Aktionäre zu werben. Bei einer dieser Gesellschaften, einem Wohltätigkeitskonzert, um dessen Besuch er sich nicht hatte herumdrücken können, lernte er Leonora Gutermann kennen. Man hatte ihn ihr an jenem Januarnachmittag vorgestellt und dabei erklärt, sie sei die Tochter des Rentiers und Eisenbahnaktionärs Gustav Gutermann, eines jener Gäste, die es besonders zu hofieren galt. Er fand sie auf den ersten Blick nichtssagend, wenn nicht gar fade, aber von stiller Höflichkeit. Pflichtgemäß hatte er mit ihr Konversation betrieben und dabei einen nicht unangenehmen Eindruck von ihrer Bildung gewonnen. Er war nachdenklich nach Hause zurückgekehrt und hatte in der Folge weitere Geselligkeiten aufgesucht, denen sie ebenfalls beiwohnte. Zwei Dinge gaben schließlich den Ausschlag, dass er vorsichtig das Terrain sondierte. Zum einen klang in seinen Ohren das beharrliche Gerücht, Gutermann biete sein überreifes Fräulein Tochter auf dem Heiratsmarkt schon seit einiger Zeit wie sauer Bier an, und zum anderen gefiel ihm die ausgesucht kultivierte Contenance, die die junge Frau an den Tag legte. Sie verhielt sich freundlich, aber zurückhaltend, wenn nicht sogar ein wenig spröde, was ihm aber bei Weitem mehr entgegenkam als die romantischen Gefühlswallungen jüngerer Damen. Diskrete
Erkundigungen ergaben, Leonora habe das fünfundzwanzigste Lebensjahr schon erreicht, ohne jemals auch nur an eine Verlobung gedacht zu haben. Desgleichen erfuhr er, die Vermögensverhältnisse Gutermanns seien nicht so üppig, dass eine reiche Mitgift zu erwarten war. Aber dieser Punkt hatte für ihn wenig Relevanz. Auch in ihrem katholischen Glauben sah er keinen Hinderungsgrund.
Hendryk Mansel brauchte eine Ehefrau, aus den verschiedensten Gründen. Geld war keiner davon. Liebe auch nicht. Aber eine untadelige Dame, die seinem Haushalt vorstand und die Aufgaben in seinem Heim sorgfältig erledigte, würde seine Situation deutlich verbessern.
Also legte er an einem Sonntagvormittag im frühen März die korrekte Besuchskleidung an und sprach im Hause Gutermann vor.
Der Vater hatte Mühe, seine Begeisterung zu verbergen, die ihm der Antrag des verdienstvollen Geodäten entlockte, was Mansel mit heimlicher Belustigung registrierte. Es war ihm durchaus klar, Leonora hätte eine bessere Partie machen können. Unter strengen Gesichtspunkten galt er nämlich nicht als idealer Herr, da er für seinen Lebensunterhalt selbst zu arbeiten pflegte.
Auf die Reaktion der Tochter war er daraufhin milde gespannt. Würde sie sich ebenfalls erfreut zeigen oder trotzig ihre Einwilligung verweigern? Beides lag im Bereich des Möglichen.
Vielleicht hatte er sogar eine heftigere Regung erhofft, denn ihre kühle, höfliche Zusage wirkte seltsam ernüchternd auf ihn, wenngleich er nichts an ihrem Benehmen beanstanden konnte.
Man verkündete die Verlobung am Ostersonntag. In der Woche darauf hatte er das Haus gekauft und war von seiner kleinen Mietwohnung dorthin umgezogen. Zwei Tage später hatten sich Jette und Albert, die er bereits in Aachen schätzen gelernt hatte, eingefunden, um das Hauswesen in Ordnung zu halten.
Seine Arbeit ließ es nicht zu, allzu viel Zeit mit seiner Verlobten zu verbringen, was sie nicht einklagte, sondern nur einmal die Erlaubnis erbat, vor der Hochzeit noch einen Monat in Königswinter bei ihrem Onkel, dem Pastor Merzenich, verbringen zu dürfen.
Nun waren sie verheiratet. Zu ungünstigen Eindrücken, wie er sie von seiner Frau bei der Trauung gewonnen hatte, hatte es bisher keine weiteren Anlässe gegeben. Weder gab sie sich trotzig, noch widersprach sie seinen Wünschen oder stellte Forderungen. Vielleicht könnte ihr Ton den Kindern gegenüber etwas herzlicher sein, aber er war bereit, ihr da ein wenig Zeit einzuräumen.
Die Fortifikationsanlagen Kölns kamen allmählich in sein Blickfeld, und er zog die Taschenuhr hervor. Kurz vor vier - nun, er würde noch im Kontor vorbeischauen, und vielleicht ergab sich sogar noch eine Gelegenheit, sich mit Ernst auf einen Kaffee zu treffen.
Der Leutnant hat eine ausgesprochene Vorliebe für meine Gattin entwickelt, stellte er fest und wunderte sich ein wenig darüber. Denn hübsch war sie eigentlich wirklich nicht zu nennen. Sie fasste ihre hellbraunen Haare straff zusammen, was ihr ovales Gesicht sicher auf die richtige Weise betonte, aber ihre Lippen waren für das gängige Schönheitsideal zu breit. Möglicherweise gab sie ihnen deswegen häufig einen verkniffenen Zug. Ihre Figur war eher zierlich, jedoch schien sie wenig Wert auf die modisch eng geschnürte Taille zu legen. Immerhin hatte sie eine klare, reine Haut und lange, gebogene Wimpern, deren Spitzen golden schimmerten. Er hatte sie diesen Morgen eine Weile betrachtet, als sie, noch schlafend, neben ihm lag. Eigentlich waren auch ihre Augen ausdrucksvoll, von einem helleren Braun als das seine, doch sie hielt sie zumeist sittsam niedergeschlagen. Nur ihre Hände waren wirklich schön - langgliedrig, schmal und von gepflegter Zartheit.
Sie hatten ihn noch nie berührt.
Und das war ganz in seinem Sinne.
In den Räumlichkeiten, in denen die zwei Landvermesser, die Hen- dryk Mansel angestellt hatte, ihre Unterlagen erstellten, polterte der Oberbergamtsrat von Alfter herum. Als er Mansels ansichtig wurde, hielt er in seiner Tirade inne, die er auf die beiden Angestellten hatte herunterprasseln lassen, und hub zu einem neuen Thema an.
»Mensch, Mansel! Endlich erwischt man Sie mal. Wann immer man Sie braucht, heißt es hier, Sie seien unterwegs!«
»Guten Tag, Herr Oberbergamtsrat. Schön, Sie zu sehen. Was
et'et'
kann ich denn für Sie tun? Haben meine Leute Ihnen keine Auskunft geben können?«
»Doch natürlich. Gute Männer, die. Durchaus sachkundig. Aber man braucht auch Sie, Mansel.«
»Ich habe die Strecke kontrolliert. Sie wissen, wir hatten hin und wieder Probleme. Und dann war da das Erdbeben.«
»Klar, sicher doch, sicher doch. Aber das war ja nun wirklich kein Grund, sich vor der Soiree bei Jacobs zu drücken. Der Mann ist ein Pfeffersack, wie er im Buche steht. Wir brauchen solche Leute. Kapitalgeber, verstehen Sie?«
»Natürlich, Herr Oberbergamtsrat. Nur denke ich, es gibt größere Diplomaten als mich, um diesen Herrn von der Zeichnung von Aktien zu überzeugen.«
»Schon, schon. Aber er hat seine zweite Frau vorgestellt. Charmantes Persönchen, aber bisschen fremd hier. Stammt aus Ägypten. Da hätten Sie heimatliche Gefühle wecken können, Mansel. Sie haben doch einige Zeit dort verbracht!«
»Bedaure, nein. Meine Erfahrung mit dem Orient sammelte ich in Algerien, Herr Oberbergamtsrat.«
»Algerien! Ägypten! Muselmanische Länder allesamt und nicht sehr sauber, wie ich hörte. Aber egal, Sie haben sich wieder einmal gedrückt. Und ich verlange eine vernünftige Erklärung dafür!«
»Nun, ob es vernünftig war oder nicht, wird sich zeigen, Herr Oberbergamtsrat. Ich feierte just an diesem Tag meine Hochzeit. Ich sandte Ihnen kürzlich eine Anzeige!«
Der beleibte Amtsrat lief dunkelrot an, schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn und brüllte auf: »Mann Gottes, Junge, das habe ich glatt vergessen. Verdammt, wie konnte ich!« Ein donnernder Schlag auf seinen Rücken brachte Mansel fast aus dem Gleichgewicht, und die beiden Angestellten drehten sich feixend zum Fenster. »Meine allerherzlichsten Glückwünsche, mein Freund, meine allerherzlichsten. Auch an die werte Frau Gemahlin. Junge, warum sind Sie dann überhaupt hier? Sie sollten die süßen Tage der ersten Liebe mit Ihrem Weib verbringen und nicht auf staubigen Baustellen herumkriechen.«
»Nun, Frau Mansel ist eine sehr verständige Dame und versteht, dass mich gewisse Pflichten vom Haus fernhalten!«