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Ripley's Game oder Der amerikanische Freund

Patricia Highsmith, Paul Ingendaay

 

Verlag Diogenes, 2013

ISBN 9783257600995 , 416 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

[9] 1

»Den perfekten Mord, den gibt es nicht«, sagte Tom zu Reeves. »Man kann sich einen ausdenken, aber das ist nur ein Gesellschaftsspiel. Natürlich kann man sagen, es gebe so viele ungelöste Mordfälle. Doch das ist etwas anderes.« Tom langweilte sich. Er ging vor dem großen Kamin auf und ab, in dem ein kleines Feuer anheimelnd prasselte. Daß er gespreizt und herablassend geklungen hatte, wußte er. Aber er konnte Reeves nun einmal nicht helfen und hatte ihm das auch schon gesagt.

»Ja, klar«, erwiderte Reeves. Er saß in einem der gelbseidenen Sessel, den schlanken Körper vorgebeugt, die Hände zwischen den Knien verschränkt: ein ausgemergeltes Gesicht, kurzes, hellbraunes Haar und kalte, graue Augen – kein angenehmes Gesicht, aber es könnte gut aussehen, wäre da nicht die zehn Zentimeter lange Narbe, die sich von der rechten Schläfe über die Wange fast bis zu seinem Mund hinabzog. Die Narbe war etwas dunkler gerötet als sein Gesicht; sie wirkte wie eine schlecht oder gar nicht genähte Wunde. Tom hatte nie danach gefragt, aber Reeves hatte einmal von sich aus erklärt: »Das war ein Mädchen, mit ihrer Puderdose. Ist das zu glauben?« (Nicht für Tom.) Er hatte Tom ein kurzes, trauriges Lächeln geschenkt, eines der wenigen, an das sich Tom von ihm [10] erinnern konnte. Und ein andermal: »Ein Pferd hat mich abgeworfen, hat mich ein paar Meter am Steigbügel mitgeschleift.« Das hatte Reeves jemand anderem erzählt, doch Tom war dabeigewesen. Tom tippte auf ein stumpfes Messer, bei irgendeinem heimtückischen Kampf.

Reeves Minot wollte, daß Tom ihm jemanden nannte oder an die Hand lieferte, der einen oder zwei »einfache Morde« begehen konnte, dazu vielleicht noch einen Diebstahl, ebenfalls einfach und ungefährlich. Er war aus Hamburg nach Villeperce gekommen, um mit Tom darüber zu reden, wollte über Nacht bleiben, morgen in Paris mit noch jemandem sprechen und dann nach Hamburg zurückkehren, wo er wohnte und wo er wohl weiter nachdenken wollte, falls er nichts erreicht hatte. Reeves arbeitete vor allem als Hehler; in letzter Zeit hatte er sich aber in Hamburg in der Halbwelt des illegalen Glücksspiels versucht, und diese wollte er nun schützen. Vor wem? Vor schweren Jungs aus Italien, die ihren Teil vom Kuchen wollten. Reeves vermutete, daß der eine Hamburger Italiener ein Fußsoldat der Mafia war, der als Minenhund vorgeschickt wurde, der andere womöglich ebenfalls, wenn auch für eine andere Familie. Und er hoffte, einen Eindringling oder beide auszuschalten und dadurch die Mafia von weiteren Vorstößen abzuschrecken; außerdem wollte er die Hamburger Polizei auf die Mafia-Gefahr aufmerksam machen und alles weitere, das heißt die Verdrängung der Mafia aus der Stadt, ihr überlassen. »Diese Hamburger sind anständige Jungs«, hatte Reeves beteuert. »Kann sein, daß sie etwas Ungesetzliches tun, wenn sie ein paar private Clubs betreiben, aber die sind an sich nicht illegal, und ihre Gewinne halten sich [11] in Grenzen. Nicht wie in Las Vegas, das durch und durch mafiaverseucht ist, direkt unter den Augen der amerikanischen Polizei!«

Tom schob die Glut mit dem Schürhaken zusammen und legte ein sauber gespaltenes Holzscheit nach. Kurz vor sechs: bald Zeit für einen Drink. »Wie wär’s mit –«

In diesem Moment kam Madame Annette, die Haushälterin der Ripleys, aus dem Flur herein, der zur Küche führte. »Pardon, Messieurs. Monsieur Tomme, hätten Sie jetzt gern Ihre Drinks, da der Herr doch keinen Tee wollte?«

»Vielen Dank, Madame Annette. Gerade hatte ich daran gedacht. Und bitten Sie doch Madame Héloïse dazu, ja?« Sie sollte die Stimmung ein bißchen auflockern. Bevor Tom um drei Uhr nach Orly gefahren war, um Reeves abzuholen, hatte er zu Héloïse gesagt, Reeves habe etwas mit ihm zu bereden; deshalb hatte sie den ganzen Nachmittag über im Garten gearbeitet oder war oben geblieben.

»Und Sie würden die Sache nicht selbst übernehmen?« drängte Reeves mit letzter Hoffnung. »Sehen Sie, da gäbe es keine Verbindung zu uns, genau das wollen wir, Sicherheit. Außerdem ist das Geld auch nicht schlecht: sechsundneunzigtausend Dollar.«

Tom schüttelte den Kopf. »Aber mit Ihnen bin ich gewissermaßen verbunden.« Verdammt, er hatte einige unbedeutende Aufträge für Reeves Minot erledigt, zum Beispiel gestohlene Kleinigkeiten weitergeleitet oder winzige Gegenstände, wie etwa Mikrofilmrollen, aus Zahnpastatuben herausgeklaubt, die Reeves präpariert hatte, ohne daß deren Überbringer etwas ahnten. »Was glauben Sie, wie viele dieser Räuberpistolen ich mir noch leisten kann? [12] Ich habe einen Ruf zu wahren, verstehen Sie?« Fast hätte er bei diesen Worten gelächelt, doch zugleich schlug sein Herz höher, denn das Gefühl war echt. Er richtete sich auf, dachte an das schöne Haus, in dem er wohnte, an das sichere Leben, das er jetzt führte, ganze sechs Monate nach der Derwatt-Episode – einer Beinahkatastrophe, der er heil entronnen war, mit nichts als dem Hauch eines Verdachts. Das Eis war dünn, ja, doch noch war er nicht eingebrochen. Tom hatte den englischen Inspector Webster und ein paar gerichtsmedizinische Fachleute in die Wälder um Salzburg begleitet, wo er die Leiche eines Mannes, angeblich des Malers Derwatt, verbrannt hatte. Warum er den Schädel zertrümmert habe, hatte die Polizei gefragt. Wenn Tom daran dachte, erschauerte er immer noch; er hatte es getan, um die oberen Zähne herausschlagen und im Wald verstreuen zu können. Der Unterkiefer hatte sich leicht vom Schädel lösen lassen. Tom hatte ihn in einiger Entfernung vergraben. Die Zähne des Oberkiefers dagegen… Die Männer von der Gerichtsmedizin hatten einige gefunden, aber kein Zahnarzt in London besaß Unterlagen zu Derwatts Gebiß, weil der Maler, so glaubte man, die letzten sechs Jahre in Mexiko gelebt hatte. »Das gehörte für mich zu der Verbrennung dazu, zu der Vorstellung, ihn zu Asche werden zu lassen«, hatte Tom erwidert. Der eingeäscherte Körper war Bernards Leiche gewesen. Ja, heute noch konnte er erschauern bei der Erinnerung an jenen gefährlichen Augenblick wie auch an das Grauen jener Tat, als er den verkohlten Schädel mit einem großen Stein zertrümmerte. Doch wenigstens hatte er Bernard nicht getötet. Bernard Tufts hatte Selbstmord begangen.

[13] Tom sagte: »Sie werden doch sicher unter all Ihren Bekannten jemanden finden, der das erledigen kann.«

»Ja, und das wäre dann die Verbindung – deutlicher als zu Ihnen. Leider sind die Leute, die ich kenne, sozusagen keine unbeschriebenen Blätter.« Reeves klang traurig, wie ein geprügelter Hund. »Sie dagegen kennen eine Menge angesehener Leute, Tom, Männer mit reiner Weste, die über jeden Verdacht erhaben sind.«

Tom lachte. »Und wie wollen Sie solche Leute für so etwas gewinnen? Manchmal denke ich, Reeves, Sie sind verrückt.«

»Nein, Sie wissen, was ich meine. Jemanden, der es für Geld macht, nur für Geld. Das muß kein Profi sein. Wir bereiten alles vor. Es wäre wie… wie ein Anschlag, in aller Öffentlichkeit. Wir suchen jemanden, der so aussieht, daß man ihm so etwas nie und nimmer zutraut, wenn man ihn verhört.«

Madame Annette schob den Barwagen herein. Der Eiskübel schimmerte silbern, die Räder des Wagens quietschten leise. Seit Wochen hatte Tom sie schon ölen wollen. Er hätte das alberne Hin und Her mit Reeves fortsetzen können, weil Madame Annette, Gott segne sie, kein Englisch verstand. Aber das Thema ödete ihn an, und er freute sich über die Unterbrechung. Madame Annette, eine Frau in den Sechzigern, kam aus der Normandie, hatte ein angenehmes Gesicht, einen kräftigen Körper und war als Haushälterin ein wahres Juwel. Tom konnte sich Belle Ombre ohne sie nicht mehr vorstellen.

Héloïse kam aus dem Garten herein, und Reeves stand auf. Sie trug weit ausgestellte Latzhosen mit rosa- und [14] dunkelroten Streifen. LEVI stand senkrecht auf jedem Streifen. Ihr langes, blondes Haar trug sie offen. Es schimmerte im Feuerschein. So rein, dachte Tom, verglichen mit dem, worüber sie gerade gesprochen hatten. Doch ihr Haar glänzte golden, und er mußte an Geld denken. Eigentlich brauchte er nicht noch mehr Geld, selbst wenn sie bald keine Derwatts mehr verkaufen konnten, weil es keine Bilder mehr gab. Tom bekam Prozente von den Verkäufen, war aber auch an Derwatt Limited beteiligt, einer Firma für Künstlerbedarf, und die würde weiterlaufen. Dann war da noch das bescheidene, langsam und stetig wachsende Einkommen aus den Greenleaf-Aktien, die er geerbt hatte – und zwar aufgrund eines Testaments, das er eigenhändig gefälscht hatte. Nicht zu vergessen der großzügige Zuschuß, den sein Schwiegervater Héloïse bewilligte. Bloß keine Gier. Tom war Mord zuwider, wenn er nicht unbedingt notwendig war.

»Haben Sie sich nett unterhalten?« fragte Héloïse auf englisch. Anmutig sank sie in das gelbe Sofa.

»Ja, danke«, sagte Reeves.

Sie sprachen auf französisch weiter, weil Héloïse im Englischen nicht so sattelfest war. Reeves konnte kaum Französisch, hielt sich aber ganz gut, zumal sie nur über Belanglosigkeiten redeten: über den Garten, den milden Winter, der schon vorbei schien, weil hier bereits die Osterglocken blühten, und das Anfang März. Tom schenkte Héloïse aus einem der Fläschchen vom Wagen Champagner ein.

»Und wie ist’s in Hambourg?« Héloïse versuchte es noch einmal auf englisch. Ihre Augen funkelten belustigt, [15] als sich Reeves auf französisch mit einer ganz konventionellen Antwort abmühte.

Auch in Hamburg sei es nicht allzu kalt. Außerdem...