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Scoop

Evelyn Waugh

 

Verlag Diogenes, 2013

ISBN 9783257603521 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

[11] 1

Bereits als junger Mann hatte sich John Courteney Boot, wie sein Verleger behauptete, »einen festen und beneidenswerten Platz in der zeitgenössischen Literatur gesichert«. Von seinen Romanen wurden im Erscheinungsjahr fünfzehntausend Stück verkauft, und sie wurden von Leuten gelesen, deren Ansicht John Boot schätzte. Wenn er nicht gerade an einem Roman schrieb, sorgte er dafür, dass sein Name in intellektuellen Kreisen mit nicht besonders einträglichen, aber schicken Arbeiten über Geschichte und Reisen im Gespräch blieb. Die vom Autor handsignierten Erstausgaben wurden manchmal für einen oder zwei Schilling über dem Ladenpreis weiterverkauft. Acht Bücher waren von ihm erschienen – angefangen mit dem Leben Rimbauds, das er als Achtzehnjähriger verfasst hatte, und zuletzt mit Zeitverschwendung, einer betont bescheidenen Schilderung einiger entsetzlicher Monate bei den Indianern Patagoniens. Von den Leuten, die bei Lady Metroland verkehrten, konnten sich die meisten an drei oder vier Titel seiner Bücher erinnern. Er hatte eine Menge reizender Freundinnen, von denen die entzückende Mrs Algernon Stitch am höchsten angesehen war.

Wie alle ihre Bekannten kam auch John Boot gewöhnlich mit seinen Problemen zu ihr, wenn er selbst nicht [12] weiterwusste. Zu diesem Zweck durchquerte er eines beißend kalten Junimorgens den Park und sprach in ihrem Haus – einer prachtvollen Schöpfung Nicholas Hawksmoors, die sich bescheiden in einer Sackgasse hinter dem St James’s Palace versteckte – vor.

Algernon Stitch stand unten in der Diele. Die Melone hatte er auf dem Kopf; seine Rechte, unter die er eine rote, fürstlich verzierte Aktentasche geklemmt hatte, tauchte aus dem linken Mantelärmel auf; die andere Hand vergrub sich eigenwillig in der Brusttasche. Aber noch mehr behinderte ihn der Regenschirm unter seinem linken Arm. Er sprach undeutlich, denn er hatte das zusammengefaltete Morgenblatt zwischen den Zähnen.

»Komme nicht hinein«, schien er zu sagen.

Der Mann, der John die Tür geöffnet hatte, kam Stitch zu Hilfe, nahm ihm Regenschirm und Aktentasche ab und legte sie auf den Marmortisch, nahm auch den Mantel und half seinem Herrn beim Hineinschlüpfen. John reichte ihm die Zeitung.

»Danke. Danke vielmals. Sehr liebenswürdig. Sie wollen wohl Julia besuchen, wie?«

Von hoch oben erklang eine feine, doch äußerst durchdringende Stimme und schwebte die majestätische Kurve der großen Treppe hinab.

»Algy, versuch bitte, nicht zu spät zum Essen zu kommen! Die Kents kommen heute!«

»Sie ist oben«, sagte Stitch. Er hatte jetzt den Mantel an und sah von Kopf bis Fuß ganz wie ein englischer Kabinettsminister aus: groß, hager, mit einer langen, schmalen Nase und langem, schmalem Schnurrbart – das ideale [13] Vorbild für ausländische Karikaturisten. »Sie ist noch nicht aufgestanden«, sagte er.

»Ich habe heute Morgen Ihre Rede gelesen. Sie war ausgezeichnet.« John war immer höflich zu Stitch, wie jedermann; die Leute von der Labour Party liebten ihn.

»Rede? Ich? Ach so! Ja, liest sich’s gut? Mir kam es scheußlich vor. Trotzdem danke! Besten Dank! Sehr verbunden!«

Und damit begab sich Stitch ins Kriegsministerium, und John ging nach oben zu Julia.

Wie ihr Gatte gesagt hatte, war sie noch im Bett, obwohl es bereits nach elf Uhr war. Ihre sonst lebhaften Gesichtszüge waren mit Paste bedeckt und starr und bedrohlich wie eine Aztekenmaske. Doch sie ruhte nicht. Miss Holloway, ihre Sekretärin, saß mit Heften, Rechnungen und Briefen neben ihr. Mit der einen Hand unterschrieb Mrs Stitch Schecks; in der andern hielt sie den Telefonhörer und diktierte Einzelheiten für die Kostüme eines Wohltätigkeitsballetts. Ein eleganter junger Mann stand auf einer Stehleiter und malte Schlossruinen an die Zimmerdecke. Josephine, das achtjährige Stitch-Wunderkind, hockte am Fußende des Bettes und erledigte ihr Tagespensum Vergil. Brittling, Mrs Stitchs Dienstmädchen, las ihr die Schlüsselworte für das heutige Kreuzworträtsel vor. Seit halb acht mühte sie sich schon damit ab.

Josephine ließ ihr Heft fallen und sprang auf, um John zu treten, als er hereinkam: »Raus mit dir!«, rief sie stürmisch und versetzte ihm eins auf die eine und dann – »Raus mit dir, Boot!« – auf die andere Kniescheibe. Es war ein alter Scherz zwischen den beiden.

Mrs Stitch wandte ihrem Besucher die Tonmaske zu, in der nur die Augen ihren Willkommensgruß andeuteten.

[14] »Kommen Sie nur rein!«, sagte sie. »Ich muss gleich los! Wofür hat Mrs Beaver zwanzig Pfund bekommen?«

»Die waren für Lady Jeans Hochzeitsgeschenk«, sagte Miss Holloway.

»Ich muss wahnsinnig gewesen sein! Wegen des Löwenkopfs auf dem Brustharnisch des Zenturio – über dem Tor eines Hauses in der Nähe von Salisbury, es heißt Twisbury-Manor, ist ein sehr schöner – kopieren Sie den so getreu wie möglich – rufen Sie Country-Life an und bitten Sie um alte Ausgaben. Vor zwei Jahren haben sie eine Fotografie davon gedruckt. Arthur, Sie malen zu viel Efeu auf das Türmchen – die Eule hebt sich nicht deutlich genug ab, wenn Sie sie nicht auf den nackten Stein malen. Und an der Eule ist mir besonders gelegen. ›Munera‹, Liebling, wie ›Hoppsassa‹ – das Neutrum hat im Plural immer ein kurzes a. Das hört sich wie ein Anagramm an – versuchen Sie’s mal mit ›Terrakotta‹! Wie schön, dass Sie da sind, John! Wo haben Sie nur die ganze Zeit gesteckt? Sie können mitkommen, ich will Teppiche kaufen – ich habe ein neues Geschäft in Bethnal Green entdeckt, es gehört einem sehr interessanten Juden, der kein Wort Englisch spricht. Seine Schwester erlebt dauernd die unglaublichsten Dinge. Warum soll ich Viola Chasms Armenviertel besuchen? Ist sie etwa in meiner Musterirrenanstalt gewesen?«

»Doch, ja, Mrs Stitch.«

»Das kostet mich also zwei Guineen. Zeitverschwendung fand ich wundervoll! Wir haben es in Blackewell laut vorgelesen. Der Abt ohne Kopf ist köstlich!«

»Der Abt ohne Kopf?«

»Nicht in der Verschwenderei. Auf Arthurs [15] Deckengemälde. Ich habe es dem Premier ins Schlafzimmer gelegt.«

»Hat er’s gelesen?«

»Hm, ich glaube kaum, dass er viel liest.«

»›Terrakotta‹ ist zu lang, Madame, und ein ›r‹ kommt auch nicht vor.«

»Versuchen Sie mal ›Hottentott‹! Irgend so ein Wort muss es sein. Anagramme kriege ich immer nur hin, wenn ich sie sehen kann. Nein, ›Twisbury‹ – davon haben Sie doch sicher schon gehört?«

»Floribus Austrum«, leierte Josephine herunter, »perditus et liquidis immisi fontibus apros: Blumen dem Südwind gab ich Verlor’ner dahin und die lauteren Quellen dem Eber … apros heißt Eber, aber das ergibt eigentlich keinen Sinn.«

»Das machen wir morgen! Ich muss jetzt ausgehen. Passt ›Hottentott‹?«

»Ich hab kein ›h‹, Madame«, erwiderte Brittling völlig niedergeschlagen.

»Oje! Ich werd’s mir in der Badewanne überlegen. Bloß zehn Minuten, ja? Warten Sie hier, und plaudern Sie ein wenig mit Josephine!«

Und schon war sie aus dem Bett und im Badezimmer, Brittling hinter ihr her. Miss Holloway raffte die Schecks und Zeitungen zusammen. Der junge Mann auf der Leiter pinselte emsig weiter. Josephine wälzte sich ans Kopfende des Bettes und starrte ihn an.

»Furchtbar banal, nicht wahr?«

»Mir gefällt es sehr.«

»Wirklich? Ich finde alles, was Arthur macht, banal. Ich habe Ihr Buch Zeitverschwendung gelesen.«

[16] »So, so.« John war nicht in der Stimmung für Kritik.

»Ich fand es furchtbar banal.«

»Du findest anscheinend alles banal.«

»Es ist ein neues Wort, und ich habe erst kürzlich gelernt, es richtig anzuwenden«, bemerkte Josephine würdevoll. »Es trifft nämlich fast auf alles zu: auf Vergil, auf Miss Brittling und auf meine Schule.«

»Wie läuft’s in der Schule?«

»Ich bin bei weitem die Beste meiner Klasse, obwohl ein paar von den Mädchen und zwei der Mittelklasse-Jungen älter sind als ich.«

Wenn Mrs Stitch zehn Minuten sagte, dann meinte sie auch zehn Minuten. Pünktlich auf die Sekunde war sie wieder da, zum Ausgehen bereit. Seit die Paste von ihrem hübschen Gesicht verschwunden war, strahlte es voller Leben.

»Josephinchen, hat Mr Boot dich gelangweilt?«

»Ach, es ging schon. Ich habe die Unterhaltung geführt.«

»Zeig ihm mal, wie gut du den Premierminister nachmachen kannst!«

»Nein.«

»Dann sing ihm dein neapolitanisches Lied vor!«

»Nein.«

»Mach einen Kopfstand. Nur einmal, für Mr Boot!«

»Nein.«

»Ein Jammer! Aber jetzt müssen wir sofort aufbrechen, wenn wir nach Bethnal Green fahren und vor dem Mittagessen zurück sein wollen. Der Verkehr ist verheerend.«

Algernon Stitch war in einem düsteren und ziemlich altmodischen Daimler ins Amt kutschiert worden. Julia fuhr selbst; sie hatte immer das neueste Modell eines [17] Serienkleinwagens, zweimal jährlich funkelnagelneu, immer glänzend schwarz lackiert, immer winzig klein und blitzblank, ein richtiger Zwergen-Leichenwagen. Sie fuhr über die Bordsteinschwelle und brauste den Bürgersteig entlang, bis ein Polizist an der Ecke von St James’s sich ihre Nummer aufschrieb und sie auf die Straße zurückdirigierte.

»Das dritte Mal in dieser...