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Der Heckenritter von Westeros - Das Urteil der Sieben

George R.R. Martin

 

Verlag Penhaligon, 2013

ISBN 9783641120139 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

DER HECKENRITTER

Der Frühlingsregen hatte den Boden aufgeweicht, daher fiel es Dunk nicht schwer, das Grab zu schaufeln. Er entschied sich für eine Stelle am Westhang eines flachen Hügels, da der alte Mann immer gern den Sonnenuntergang angeschaut hatte. »Wieder ein Tag vorbei«, pflegte er traurig zu sagen, »und wer weiß, was uns der Morgen bringen wird, was, Dunk?«

Nun, ein Morgen hatte Regen gebracht, der sie bis auf die Knochen durchnässte, und der Morgen danach nasse, böige Winde, der nächste Kälte und Fieber. Am vierten Tag war der alte Mann zu schwach gewesen, um zu reiten. Und nun war er tot. Noch vor wenigen Tagen hatte er beim Reiten gesungen, das alte Lied, das davon handelte, nach Möwenstadt zu gehen, um eine schöne Maid zu finden, aber statt von Möwenstadt hatte er über Aschfurt gesungen. Nach Aschfurt, um die Schöne Maid zu seh’n, he-ho, he-ho, dachte Dunk beim Graben traurig.

Als das Loch tief genug war, hob Dunk den Leichnam des alten Mannes hoch und trug ihn dorthin. Er war ein kleiner Mann gewesen, und dünn; ohne Halsberge, Helm und Schwertgürtel schien er kaum mehr zu wiegen als ein Sack voll Laub. Dunk war riesengroß für sein Alter, ein schlurfender, zerzauster, kräftiger Junge von sechzehn oder siebzehn Jahren (niemand war sich da ganz sicher), der über zwei Meter maß und gerade erst allmählich Fleisch auf die Knochen bekam. Der alte Mann hatte seine Stärke oft gelobt. Mit seinem Lob war er immer großzügig gewesen. Mehr hatte er auch nicht zu geben.

Dunk legte ihn in das Grab und blieb einige Zeit über ihm stehen. Der Geruch von Regen hing wieder in der Luft, und er wusste, er sollte das Loch zuschaufeln, ehe es zu regnen begann, aber es war schwer, Erde auf das müde alte Gesicht zu schaufeln. Es sollte ein Septon hier sein, um ein paar Gebete für ihn zu sprechen, aber er hat nur mich. Der alte Mann hatte Dunk alles beigebracht, was er über Schwerter und Schilde und Lanzen wusste, war aber nie besonders gut darin gewesen, ihm Worte beizubringen.

»Ich würde Euch Euer Schwert dalassen, aber das würde nur im Boden rosten«, rechtfertigte er sich schließlich. »Ich schätze, die Götter werden Euch ein neues geben. Ich wünschte, Ihr wärt nicht gestorben, Ser.« Er verstummte, da er nicht sicher war, was noch gesagt werden musste. Er kannte keine Gebete, jedenfalls keine vollständigen; der alte Mann hatte nie viel vom Beten gehalten. »Ihr wart ein wahrer Ritter und habt mich nie geschlagen, wenn ich es nicht verdient hatte«, brachte er schließlich heraus, »abgesehen von dem einen Mal in Jungfernteich. Es war der Junge vom Gasthof, der den Kuchen der Witwe gegessen hat, nicht ich, das habe ich Euch gesagt. Spielt jetzt aber keine Rolle mehr. Mögen die Götter Euch aufnehmen, Ser.« Er trat Erde in das Loch, dann füllte er es zielstrebig, ohne das Ding auf dem Grund noch einmal anzusehen. Er hatte ein langes Leben, dachte Dunk. Er muss näher an sechzig als an fünfzig gewesen sein, und wie viele Männer können das schon von sich sagen? Immerhin hatte er lange genug gelebt, um noch einmal einen Frühling zu sehen.

Die Sonne stand im Westen, als er die Pferde fütterte. Es waren drei; sein Fuchswallach mit dem Senkrücken, der Zelter des alten Mannes und Donner, sein Schlachtross, das er nur beim Turnier und in der Schlacht geritten hatte. Der große braune Hengst war nicht mehr so schnell und ausdauernd wie früher, hatte aber noch seine leuchtenden Augen und seinen wilden Kampfgeist und war wertvoller als alles andere, was Dunk besaß. Wenn ich Donner und den alten Fuchs und die Sättel samt Zaumzeug verkaufen würde, bekäme ich genug Silber, um … Dunk runzelte die Stirn. Das einzige Leben, das er kannte, war das eines Heckenritters, der von Festung zu Festung ritt, sich in die Dienste dieses und jenes Lords stellte, an ihren Kämpfen teilnahm und in ihren Hallen aß, bis der Krieg vorüber war, und dann weiterzog. Von Zeit zu Zeit fanden auch Turniere statt, wenn auch immer seltener, und er wusste, dass manche Heckenritter in strengen Wintern zu Räubern wurden, aber der alte Mann hatte das nie getan.

Ich könnte einen anderen Heckenritter suchen, der einen Knappen braucht, um seine Tiere zu versorgen und seine Brünne zu reinigen, dachte er, oder vielleicht könnte ich in eine Stadt gehen, nach Lennishort oder Königsmund, und der Stadtwache beitreten. Oder aber …

Er hatte die Habseligkeiten des alten Mannes unter einer Eiche aufgestapelt. In dem Leinenbeutel befanden sich drei Silberhirsche, neunzehn Kupferheller und ein gesplitterter Granat; der größte Teil seines weltlichen Besitzes hatte, wie bei den meisten Heckenrittern, aus seinem Pferd und seinen Waffen bestanden. Dunk besaß nun ein Panzerhemd aus Ketten, von dem er tausendmal den Rost abgekratzt hatte. Einen eisernen Halbhelm mit breitem Nasenschutz und einer Delle an der linken Schläfe. Einen Schwertgürtel aus rissigem braunem Leder und ein Langschwert in einer Scheide aus Holz und Leder. Einen Dolch, eine Rasierklinge, einen Wetzstein. Beinschienen und Halsberge, eine zweieinhalb Meter lange Kriegslanze aus gedrechseltem Eschenholz mit einer schrecklichen Spitze aus Eisen und einen Eichenschild mit einem zerschrammten Metallrand und dem Wappen von Ser Arlan von Hellerbaum: ein geflügelter Kelch, Silber auf Braun.

Dunk betrachtete den Schild, hob den Schwertgürtel auf und sah wieder den Schild an. Der Gürtel war für die knochigen Hüften des alten Mannes gemacht. Er würde ihm selbst nie und nimmer passen, so wenig wie die Halsberge. Er band die Scheide an ein Stück Hanfseil, knotete es um die Taille und zog das Langschwert.

Die Klinge war gerade und schwer, guter, in einer Burg geschmiedeter Stahl, der Griff aus weichem, über Holz gespanntem Leder, der Knauf aus glattem, poliertem schwarzem Stein. So schlicht es war, das Schwert lag ihm gut in der Hand, und Dunk wusste, wie scharf es war, da er es viele Nächte mit dem Wetzstein bearbeitet hatte, bevor sie sich schlafen legten. Es liegt mir so gut in der Hand wie ihm, dachte er bei sich, und in Aschfurt findet ein Turnier in der Aue statt.

Leichtfuß hatte einen weicheren Gang als der alte Fuchs, aber Dunk war dennoch wund und müde, als er vor sich das Gasthaus erblickte, ein hohes Fachwerkgebäude am Flussufer. Das anheimelnde gelbe Licht, das aus den Fenstern strahlte, sah so einladend aus, dass er nicht daran vorbeireiten konnte. Ich habe drei Silberhirsche, dachte er bei sich, genug für eine gute Mahlzeit und so viel Bier, wie ich trinken kann.

Als er abstieg, kam ein nackter Junge tropfend aus dem Bach und trocknete sich mit einem grob gewirkten braunen Mantel ab. »Bist du der Stallbursche?«, fragte Dunk ihn. Der Junge schien nicht älter als acht oder neun zu sein, ein Knochengestell mit blassem Gesicht, die nackten Füße bis zu den Knöcheln schlammverkrustet. Sein Haar war das Merkwürdigste an ihm. Er hatte keines. »Ich möchte, dass mein Zelter gestriegelt wird. Und Hafer für alle drei. Kannst du dich um sie kümmern?«

Der Junge sah ihn dreist an. »Ich könnte. Wenn ich wollte.«

Dunk runzelte die Stirn. »Das lasse ich mir nicht bieten. Ich bin ein Ritter, musst du wissen.«

»Ihr seht nicht wie ein Ritter aus.«

»Sehen alle Ritter gleich aus?«

»Nein, aber sie sehen auch nicht wie Ihr aus. Euer Schwertgürtel ist aus Seil.«

»Solange er die Scheide hält, genügt er. Und jetzt kümmere dich um meine Pferde. Du bekommst ein Kupferstück, wenn du es gut machst, und eine Ohrfeige, wenn nicht.« Er wartete nicht ab, wie der Stallbursche darauf reagierte, sondern wandte sich ab und drängte sich zur Tür hinein.

Er hatte damit gerechnet, dass das Gasthaus um diese Zeit brechend voll sein würde, aber der Schankraum war so gut wie leer. Ein junger Lord in einem edlen Damastmantel lag besinnungslos auf einem Tisch und schnarchte leise in einer Weinlache. Sonst war niemand da. Dunk sah sich unsicher um, bis eine stämmige, kleine Frau mit käseweißem Gesicht aus der Küche kam und sagte: »Setz dich, wohin du willst. Willst du Bier haben oder Essen?«

»Beides.« Dunk setzte sich in die Nähe des Fensters, in sicherem Abstand von dem schlafenden Mann.

»Wir haben gutes Lamm in einer Kräuterkruste und Enten, die mein Sohn geschossen hat. Was möchtest du?«

Er hatte seit einem halben Jahr oder länger nicht mehr in einem Gasthaus gegessen. »Beides.«

Die Frau lachte. »Nun, groß genug dafür bist du.« Sie zapfte einen Krug Bier und brachte ihn an seinen Tisch. »Möchtest du auch ein Zimmer für die Nacht?«

»Nein.« Dunk hätte nichts lieber gehabt als eine weiche Strohmatratze und ein Dach über dem Kopf, aber er musste sparsam mit seinen Münzen umgehen. Der Erdboden würde genügen. »Etwas zu essen, ein wenig Bier, und dann weiter nach Aschfurt. Wie weit ist das noch?«

»Einen Tagesritt. Reite an der Gabelung bei der ausgebrannten Mühle nach Norden. Versorgt mein Junge deine Pferde, oder ist er schon wieder abgehauen?«

»Nein, er ist da«, sagte Dunk. »Du scheinst keine Gäste zu haben.«

»Die halbe Stadt ist ausgeflogen, um sich das Turnier anzusehen. Meine beiden wären auch dort, wenn ich es dulden würde. Sie erben das Gasthaus, wenn ich einmal nicht mehr bin, aber der Junge würde lieber mit den Soldaten herumschwadronieren, und das Mädchen seufzt und kichert jedes Mal, wenn ein Ritter vorbeireitet. Ich schwöre, ich kann dir nicht sagen, warum. Ritter sind...