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'Die Eingeborenen machten keinen besonders günstigen Eindruck' - Tagebuch meiner Reise um die Erde 1892-1893

Franz Ferdinand von Österreich-Este, Frank Gerbert

 

Verlag Verlag Kremayr & Scheriau, 2013

ISBN 9783218008723 , 286 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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16,99 EUR


 

Ein Grantler auf großer Fahrt – Einführung zur Person und zur Weltreise Franz Ferdinands


Der Aufenthalt im Wilden Westen war der absolute Tiefpunkt der Tour. Die erhofften Grizzlybären wollten dem Erzherzog nicht vor die Büchse laufen, Cowboys legten in seiner Anwesenheit die Füße auf den Tisch, überall herrschte Rauchverbot, und auch das Essen bot dem hohen Touristen Anlass zur Kritik: „Eine andere Mehlspeise als der ewige Pudding scheint überhaupt nicht bekannt zu sein.“

Franz Ferdinand von Österreich-Este, dessen Namen wir in diesem Buch mit FF abkürzen (das war auch sein offizielles Monogramm), fühlte sich überdies von amerikanischen Journalisten verfolgt. Obwohl er grundsätzlich nicht mit ihnen sprach, schrieben sie respektlose Artikel über ihn. Was er am 19. September 1893 im „Spokane Daily Chronicle“ unter der Schlagzeile „FRANZ IS HERE“ lesen musste (oder besser gesagt, was ihm daraus übersetzt wurde, denn der Erzherzog verstand kein Englisch), machte ihn besonders wütend. Der Text, schreibt er in sein Tagebuch, strotze vor „böswilligen Unwahrheiten“. Allerdings unterlässt er es, diese zu benennen, sondern mokiert sich bloß über einige Details. Der Reporter habe es aber nicht geschafft, ihn zu ärgern, behauptet FF tapfer und widerlegt diese Behauptung wenige Zeilen später, indem er eine sehr unvorteilhafte Beschreibung der Stadt Spokane (Bundesstaat Washington) gibt: Zwischen „geschmacklosen, roth oder grün angestrichene Bauten“ erstreckten sich Straßen mit „ganz außerordentlichen Kothmengen“.

Durch die dankenswerte Hilfe von Jeanette Olson (vom Archiv der heutigen Tageszeitung „The Spokesman-Review“, einem Nachfolgeblatt des „Daily Chronicle“) bin ich in den Besitz des Artikels gelangt, der FF so echauffierte. Darin wird der Erzherzog zunächst als „großer, gut aussehender junger Mann“ und als wahrscheinlicher nächster Monarch von Österreich-Ungarn bezeichnet. Dann geht es zur Sache: Bevor er Anwärter auf die Krone geworden sei, habe FF ein vergnügungssüchtiges, leichtfertiges Leben geführt und sei in Wien als „so ziemlich der wildeste junge Offizier“ berüchtigt gewesen. Weiter: „Es wird behauptet, dass er sich gebessert habe, seit er Thronfolger wurde, und jetzt beklagen sich die Leute, dass er zu kalt und zu ungezogen (naughty) sei, um der Herrscher einer großen Nation zu sein.“

Für FF war es sicher ein Schock zu erfahren, dass sein schlechter Ruf bereits um die halbe Welt gedrungen war. Und womöglich hat er eine solche Beurteilung zum ersten Mal schwarz auf weiß vor Augen geführt bekommen – österreichische Zeitungen werden es nicht gewagt haben, ein Mitglied des Kaiserhauses in ein so schlechtes Licht zu rücken. Ob FF seine Charakterisierung tatsächlich unwahr fand oder sich vielmehr so ärgerte, weil sie zutraf, vermag ich nicht zu entscheiden. Er war zeit seines Lebens bei vielen unbeliebt, der amerikanische Artikel ist nicht der einzige Beleg dafür, dass sich dies bereits in seinen jüngeren Jahren (er war damals 29) so verhielt. Und was seine Vergnügungen anbetrifft, räumte der Erzherzog später selbst ein, seine Jugend mit „Wein, Weib und Gesang“ verbracht zu haben.

Aber nach dem überraschenden Suizid des Kronprinzen Rudolf 1889 wurde aus dem problematischen Jüngling FF (er war auch ein schlechter Schüler gewesen) der erste Anwärter für die Nachfolge seines Onkels, des bereits knapp 60-jährigen Kaisers Franz Joseph I.

FF, Jahrgang 1863, war der älteste Sohn des Erzherzogs Karl Ludwig von Österreich, eines jüngeren Bruders des Kaisers. Als er acht alt Jahre war, starb seine Mutter an Tuberkulose. 1875 machte ihn der kinderlose Franz V. von Österreich-Este – aus einer norditalienischen Nebenlinie der Habsburger – zu seinem Universalerben, unter der Bedingung, dass er seinen Adelsnamen annehme. Das tat FF ungern, weil er fürchtete, nun für einen, wie er sagte, „Katzelmacher“ gehalten zu werden, doch das Vermögen war wirklich riesig.

Mit dem Tod seines Cousins Rudolf erwachte schlagartig der Ehrgeiz des Thron-Reservisten; der Kaiser ließ ihn nun durch Schnellkurse in Staatsrecht und Politik für Höheres vorbereiten. Das eröffnete dem Emporkömmling sogar die Möglichkeit, eine ausgedehnte Bildungsreise für sich zu fordern, die seinen Machtanspruch manifestieren sollte. Auf sein Drängen hin gestattete und finanzierte ihm Franz Joseph I. eine Fahrt um die Erde – und das gar noch auf dem modernsten Schiff der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine, der „Kaiserin Elisabeth“. Mit gut 400 Mann Besatzung und einer etwa 20-köpfigen Reisegesellschaft FFs ging es, um nur einige Stationen zu nennen, über Indien nach Java, dann über Australien und einige Pazifik-Inseln sowie Hongkong und Kanton bis Japan. Dort musste er auf Passagierdampfer umsteigen, denn während seiner etwa einmonatigen Durchquerung Nordamerikas hätte es die „Elisabeth“ nicht schaffen können, Südamerika samt Kap Hoorn zu umrunden, um ihn in New York wieder an Bord zu nehmen.

Ich vermute, dass FF schon damals von der Ambition getrieben war, seine kaiserlichen Verwandten in mehrfacher Hinsicht zu übertreffen. Franz Joseph hatte 1869 eine Reise in den Orient unternommen, 1881 tat dies auch Rudolf. Für FF musste es dann schon eine Weltreise sein. Über ein Reisetagebuch Franz Josephs ist nichts bekannt, Rudolf verfasste ein Werk von über 300 Seiten – FF würde seinen Cousin weit übertrumpfen und 1100 Seiten vorlegen. Franz Joseph und Rudolf waren leidenschaftliche Jäger – FF wollte es zum Waidmann mit der höchsten Abschusszahl aller Zeiten bringen; wahrscheinlich sind die 274.899 von ihm im Laufe seines Lebens getöteten Tiere heute noch Weltrekord. Zwar trat er seinem Onkel auch in späteren Jahren mit jener Unterwürfigkeit gegenüber, die das Habsburger Protokoll verlangte, doch insgeheim schimpfte er über Franz Joseph, baute seine Militärkanzlei zu einer Art Gegenregierung aus, von der aus er k. u. k. Entscheidungsträger drangsalierte (er mischte sich auch in die Kulturpolitik ein, bekämpfte die moderne Malerei und Architektur) und konnte es nicht erwarten, beweisen zu dürfen, der bessere Kaiser zu sein. Doch der Monarch erwies sich als erstaunlich langlebig und wollte auch nicht zugunsten des Neffen abdanken, seit dieser nach bitterem Streit mit ihm durchgesetzt hatte, unter seinem Stand heiraten zu dürfen. So ehelichte der Thronfolger 1900 die aus niederem böhmischem Adel stammende Sophie von Chotek. Die „erlaubten“ Prinzessinnen hatten ihm alle nicht gefallen; außerdem wollte er Erbschäden vermeiden, weil, wie er formulierte, bei den Habsburgern „immer Mann und Frau zwanzigmal miteinander verwandt“ seien, mit dem Resultat, „dass von den Kindern die Hälfte Trottel und Epileptiker sind.“

Nur in Sachen Popularität konnte der Thronfolger nie auch nur entfernt in die Nähe Franz Josephs gelangen. FF hat oft betont, dass ihm Beliebtheit egal sei, dennoch darf man in seinem Reisetagebuch den Versuch sehen, nicht nur Klugheit und Führungsqualitäten zu demonstrieren, sondern auch Sympathien zu gewinnen: durch die Preisgabe seiner Jagd- und Sammelleidenschaft und durch die Schilderung einiger peinlicher Situationen. Auch das eine oder andere Scherzchen streut er ein sowie, recht häufig, erotisch getönte Bemerkungen über die Frauen der bereisten Völker, die er manchmal schön, manchmal zum Fürchten hässlich findet. Mit solchen – nach heutigen Begriffen – sexistischen Passagen buhlt er um das verständnisvolle Schmunzeln der männlichen Leser.

Natürlich berichtet FF nichts über Sexualkontakte auf der Reise, doch dass es solche gegeben hat, halte ich für eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich. Ein indirekter Hinweis auf das Thema, der aber nicht FF, sondern ganz allgemein die Seeleute der „Elisabeth“ betrifft, findet sich in einem „Vorfallenheitsbericht“ der Kriegsmarine (entdeckt vom Historiker Georg Rigele): Während das Schiff längere Zeit in Yokohama vor Anker lag, stieg die Anzahl der „venerisch Erkrankten“. Hintergrund ist wohl, dass die Japanerinnen unter europäischen Männern als freizügig und begehrenswert galten, was auch der Erzherzog in seinem Tagebucheintrag vom 3. August anspricht.

Die Nonchalance, mit der FF die exotischen Frauen taxiert, gründet ebenso auf Rassismus wie seine allgemeinen Einschätzungen der Völker. Befremdlich für heutige Leser sind beispielsweise seine Herabwürdigung der Inder und Chinesen. Wir, die wir die schrecklichen Folgen der Rassenlehre im 20. Jahrhundert kennen, sollten uns aber klarmachen, dass diese Denkungsart damals weit verbreitet und sogar politischer Usus war – der Kolonialismus jener Tage gründete ja auch auf der Vorstellung von der naturgegebenen Überlegenheit der Weißen. Immerhin zeigt sich FF in seinem Rassismus differenziert: Findet er das Äußere gefällig, ist er auch geneigt, den Menschen „Bildungsfähigkeit“ zuzusprechen, während Hässlichkeit Dummheit impliziert – eine trügerische, aber ebenfalls populäre Analogie.

Am erschreckendsten dürften heutige Leser jedoch die Jagdabenteuer FFs finden. Weniger die Großwildjagden sind verstörend, sondern sein Tötungsdrang gegenüber harmlosen oder gar possierlichen Tieren. Auch hier kann man anführen, dass sein Tun vor dem Hintergrund äußerst blutiger Adelsjagden nicht ganz ungewöhnlich war. Dennoch haben die Pirsch-Episoden seines Reisetagebuchs wohl schon damals seinen Ruf verdüstert, hinzu kamen in späteren Jahren Berichte über zynische Schlächtereien, bei denen er an einem Tag über 2000 Fasanen und an einem anderen fast 3000 Möwen abgeknallt haben soll (Gehilfen hatten seine Schnellschussgewehre nachzuladen und die Kadaver zu zählen) – alles,...