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Krieg ohne Fronten - Die USA in Vietnam

Bernd Greiner

 

Verlag Hamburger Edition HIS, 2013

ISBN 9783868545845 , 596 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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15,99 EUR


 

Einleitung


»Wenn wir uns daran gewöhnen, dergleichen hinzunehmen, gibt es nichts mehr, was wir nicht hinnehmen.«

(Jonathan Schell)1

Wahrscheinlich hatten die Zuschauer von CBS auf Nachrichten über Apollo 12 und die Rückkehr amerikanischer Helden von der zweiten Mondlandung gewartet. Und dann das: Walter Cronkite, die Nummer eins unter den Fernsehjournalisten und verschiedenen Umfragen zufolge der »vertrauenswürdigste Mann Amerikas«, kündigte am 20. November 1969 die Abendnachrichten als »möglicherweise jugendgefährdend« an. Was folgte, war eine langsame Kamerafahrt über eine Reihe von Farbfotos – von einem Armeefotografen in »My Lai (4)« aufgenommen, zeigten sie eine Gruppe erschossener Bauern auf einem Feldweg, Alte, Frauen, Kinder und Babys, Opfer der C Company, »Task Force Barker«, die am Morgen des 16. März 1968 mehrere Ortschaften in der Gemarkung Son My überfallen und innerhalb weniger Stunden an die 500 Zivilisten massakriert hatte.2 Vier Tage später strahlte CBS in der Walter Cronkite Show ein Interview aus, das Mike Wallace mit einem der Täter, Paul Meadlo, geführt hatte: »Nun, ich hatte meine Waffe auf Dauerfeuer gestellt, man nimmt dann einfach ein bestimmtes Areal unter Feuer. Deshalb und weil es so schnell geht, kann man nicht sagen, wie viele man erschossen hat. Ich habe vielleicht zehn oder 15 von ihnen erschossen.« – »Männer, Frauen und Kinder?« – »Männer, Frauen und Kinder.« – »Und Babys?« – »Und Babys. […] Wir hatten angefangen, sie zu erschießen, als uns jemand sagte, auf Einzelfeuer umzustellen, um unsere Munition zu sparen. Also schalteten wir auf Einzelfeuer und schossen noch ein paar Salven.« […] »Warum haben Sie das getan?« – »Warum ich das getan habe? Weil ich den Eindruck hatte, dass man mir das befohlen hatte. Und damals dachte ich, dass ich das Richtige tat, weil ich Kameraden verloren hatte. […] Als ich es getan hatte, fühlte ich mich gut, aber später am Tag hat es mich dann gepackt.« – »Sind Sie verheiratet?« – »Ja.« – »Kinder?« – »Zwei.« – »Wie alt?« – »Der Junge ist zweieinhalb, das Mädchen anderthalb.« – »Dann drängt sich doch die Frage auf, wie der Vater von zwei kleinen Kindern Babys erschießen kann.« – »Damals hatte ich das kleine Mädchen noch nicht, nur den kleinen Jungen.« – »Hm. Wie erschießt man Babys?« – »Keine Ahnung. Es kommt halt vor.« – »Was glauben Sie, wie viele Menschen wurden an diesem Tag erschossen?« – »Ich schätze an die 370.« […] »Und für wie viele Tote waren Sie verantwortlich?« […] »Kann ich nicht sagen. Einfach zu viele.« […] »Und Sie haben sich dabei nichts gedacht, haben nichts gefühlt?« – »Ganz oft, ganz oft.« – »Während Sie es getan haben?« – »Nicht während ich es getan habe. In der Situation selbst sah es so aus, als wäre es das Selbstverständlichste, was zu tun war. Keine Ahnung. Ich war, ich fühlte mich einfach erleichtert von all dem, was ich vorher dort drüben gesehen hatte.« – »Was heißt das?« – »Na ja, meine Kumpel wurden halt getötet oder verwundet und so weiter, wir bekamen einfach keine Genugtuung, es war zum größten Teil Rache.«3

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten amerikanische Medien das Leben und Sterben vietnamesischer Zivilisten ignoriert. Von wenigen, an zwei Händen abzuzählenden Ausnahmen abgesehen,4 spielten die im Bombenkrieg Getöteten oder von Bodentruppen Massakrierten in den Reportagen von Presse, Funk und Fernsehen keine Rolle – sie waren schlicht unsichtbar. »Wir haben das Entscheidende verpasst«, stellte Neil Sheehan von der New York Times im Rückblick auf seine jahrelange Berichterstattung selbstkritisch fest.5 Ob der traditionelle, auf eine Heroisierung amerikanischer Soldaten abgestellte Kriegsjournalismus den Ausschlag gab oder ob man sich einer im Februar 1962 vom Außen- und Verteidigungsministerium ergangenen Weisung verpflichtet fühlte, der zufolge Berichte über Opfer unter der Zivilbevölkerung »eindeutig dem nationalen Interesse zuwiderlaufen«,6 sei dahingestellt.7 »Die Politik ist genau so, wie sie von ihnen [den Militärs, B.G.] dargestellt wird«, behauptete die Washington Post Mitte August 1965 in einem mit »Zivilisierte Kriegführung« überschriebenen Artikel, der sich mit Einsätzen des Marine Corps beschäftigte und in einen Vergleich mit den Praktiken der deutschen Wehrmacht mündete. »Gott sei Dank geben sich Marines nicht dieser Art von Barbarei hin. […] Amerikaner sind dazu unfähig. […] Das amerikanische Militär weiß, wie wichtig es ist, Zivilisten zu schützen, wann immer es möglich ist.«8 Der Anlass für diese Verneigung vor dem »menschlichen, mitfühlenden und ritterlichen amerikanischen Kämpfer« war ein am 5. August 1965 bei CBS ausgestrahlter Film von Morley Safer, der Marines beim Niederbrennen eines Dorfes gezeigt hatte. Wie dem Dissidenten Safer erging es allen Journalisten, die von der fest gefügten Politik des mainstream abwichen. Als beispielsweise Harrison E. Salisbury kurz nach Weihnachten 1966 in der New York Times über die von US-Bombern in Nordvietnam angerichteten Verheerungen berichtete, bezichtigte ihn der zuständige Ressortleiter einer unverantwortlichen Parteinahme für Hanoi und konterte mit mehreren, die Politik Washingtons rechtfertigenden Artikeln.9 Selbst im Gefolge der »Tet-Offensive« vom Januar 1968 – als die Kämpfe in ihre blutigste Phase traten und Terrorakte gegen Zivilisten sprunghaft zunahmen – kam der Preis des Krieges in der Berichterstattung der Presse allenfalls beiläufig und im Fernsehen so gut wie nie zur Sprache.10

Stattdessen hielten die meisten Medien an ihrer von Anfang an verfochtenen Haltung fest, der zufolge in Vietnam ein Vorposten der freien Welt verteidigt wurde und verteidigt werden musste – ablesbar an einer im Februar 1968 durchgeführten Analyse von 39 Tageszeitungen, von denen keine einzige für einen Rückzug aus Vietnam plädierte.11 Ihre nach »Tet« lauter werdende Kritik richtete sich also nicht gegen die Ziele des Krieges, sondern gegen deren als unzulänglich empfundene Umsetzung seitens der Regierung Johnson. In anderen Worten: Es ging um die enttäuschte Erwartung eines Sieges, um falsche Versprechungen eines baldigen Endes der Kämpfe und um den Eindruck, dass die eigenen Opfer umsonst erbracht worden waren.12 Weil das Leid der anderen nicht interessierte, wurden die Protokolle des 1967 in Stockholm durchgeführten »Russell-Tribunals« und mit ihnen die Belege für eine das internationale Kriegsrecht regelmäßig verletzende Kriegführung ebenso übergangen wie das kurz darauf vorgelegte Memorandum »In The Name of America« – eine 420 Seiten starke, von der Organisation »Clergy and Laymen Concerned« herausgegebene und von 29 protestantischen, katholischen und jüdischen Geistlichen verfasste Dokumentation über Kriegsgräuel und Kriegsverbrechen in Vietnam. »Liberale wie Konservative«, so der Jurist Richard Falk über diesen Presseboykott, »verwendeten ihre Energien darauf, das Offensichtliche zu diskreditieren.«13 Im Anschluss an Clarence R. Wyatt lässt sich demnach festhalten, dass Vietnam der »journalistisch am intensivsten begleitete, aber am wenigsten verstandene Krieg« in der amerikanischen Geschichte war.14

Selbst das Massaker von »My Lai (4)« wurde anderthalb Jahre lang nicht zur Kenntnis genommen. Im Grunde hätten die in Südvietnam akkreditierten Journalisten leichtes Spiel gehabt. Soldaten verschiedener Einheiten kolportierten das Geschehen über Monate hinweg, Radio Hanoi verbreitete mehrfach einschlägige Meldungen, einige Reporter räumten im Nachhinein ein, informiert gewesen zu sein.15 Doch das Gros der Kriegsberichterstatter hatte sich, wie Peter Braestrup von der Washington Post meint, einem »Herdenjournalismus« verschrieben. Sie bestätigten sich gegenseitig in der Erwartung, dass im Gefolge von »Tet« der Krieg in den Städten entschieden würde, und verloren in der kurzatmigen Konkurrenz um die eindrucksvollsten »Saigon Stories« den Rest des Landes aus dem Blick. »Die Konkurrenz zwischen NBC und CBS erschien zeitweise wie ein Wettbewerb, wer dieselben Worte am lautesten an den Mann bringen konnte. […] Sie lieferten Neuigkeiten, aber keine Informationen.«16 Die wenigen Reporter, die nicht den wohlfeilen Nachrichten und dem schnellen, Karriere fördernden Erfolg hinterherjagten und stattdessen Kampftruppen bei Einsätzen begleiteten, hielten ebenfalls keine kritische Distanz zum Gegenstand ihrer Berichterstattung – teils, weil sie den...