dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Das Alte Testament verstehen - Die Hermeneutik des ersten Teils der christlichen Bibel

Achim Behrens

 

Verlag Edition Ruprecht, 2012

ISBN 9783846901359 , 188 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

14,99 EUR


 

2 | Geschichtliche Stationen der Fragestellung


2.1 | Das Alte Testament im Neuen


2.1.1 | Voraussetzungen


Die LXX ist die Sprach- und Gedankenwelt für die neutestamentliche Christusverkündigung.

Eine ganze Reihe der bis heute diskutierten Möglichkeiten, einen Zusammenhang zwischen AT und NT sachgerecht zu begründen, findet sich in ähnlicher Form bereits im Neuen Testament selbst. Dabei ist zu beobachten, dass die neutestamentlichen Schriftsteller zum Teil ganz unterschiedliche Akzente in der Art und Weise setzen, wie sie ihre Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus an die Heilige Schrift Israels zurückbinden. Alle Autoren des NT aber sehen sich in einer Kontinuität zum Glauben Israels. Das spätere „Alte Testament“ ist von Anfang an ihre heilige „Schrift“ und zwar wohl überwiegend in der Gestalt der griechischen Übersetzung, die für die Diasporajuden in Alexandrien entstand, die sog. Septuaginta (LXX). Dieses Buch liefert die Sprach- und Gedankenwelt, um das Zeugnis von Jesus als dem Messias in Worte zu fassen. Die LXX ersetzt den Hebräischen Gottesnamen JHWH (sprich: Jahwe, die Vokale werden im Hebräischen nicht geschrieben) durch den Begriff kyrios (in der Lutherbibel immer: HERR); dies wird eine der zentralen neutestamentlichen Bezeichnungen für Jesus. Vorausgesetzt wird, dass der Gott Israels der Vater Jesu Christi ist. Derselbe Gott, der schon durch die Propheten geredet hat, hat nun „durch den Sohn“ gesprochen (vgl. Heb 1,1). Weil diese „Selbigkeit“ Gottes geglaubt und bezeugt wird, kann das AT selbstverständlich zur Verkündigung der Offenbarung Gottes in Christus gebraucht werden.

Dies impliziert eine Voraussetzung, die wohl alle Autoren der neutestamentlichen Schriften gemeinsam teilen, bei aller Vielfalt und Unterschiedlichkeit des jeweiligen Umgangs mit dem Alten Testament im Einzelnen. Diese Voraussetzung lässt sich paradigmatisch an der Geschichte der Emmausjünger im Lukasevangelium zeigen. In Lk 24,13–35 wird von zwei Jüngern berichtet, die sich nach der Kreuzigung Jesu von Jerusalem in ihr Heimatdorf Emmaus aufmachen. Sie sind angesichts des Todes ihres Rabbis Jesus mutlos. An dieser Stelle wird nichts von einer Stärkung ihres Glaubens durch einen Rückbezug auf die Bibel, also das später so genannte Alte Testament berichtet. Dann tritt der Auferstandene zu ihnen, gibt sich aber nicht zu erkennen. Christus überzeugt die beiden verzagten Jünger nicht durch den Hinweis auf das Wunder der Auferstehung, sondern legt ihnen ihre Heilige Schrift aus:

„Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war.“ (Lk 24,25–27 nach der Lutherübersetzung von 1984)

Die Propheten oder Mose und alle Propheten sind dabei Chiffren für die ganze Schrift. Eine andere Bezeichnung gab es offenbar noch nicht. Es wird nicht berichtet, dass die Exegese Jesu sich hier auf bestimmte Bibelstellen bezieht. Es ist das Alte Testament insgesamt, das von Christus zeugt. Dies allerdings erkennen die Jünger erst in der Begegnung mit dem Auferstandenen. Eine unmittelbare Reaktion wird nicht einmal berichtet. Erst als sie Jesus in der Mahlgemeinschaft erkannt hatten und dieser daraufhin wieder verschwand, entdeckten diese ersten Christen auch ihr neues Verhältnis zur Heiligen Schrift:

„Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?“ (Lk 24,32)

Vom Glauben an Christus her lesen Christen das Alte Testament.

Die Begegnung mit dem Auferstandenen verändert den Blick auf die Heilige Schrift. Bei allem differenzierten Umgang der verschiedenen neutestamentlichen Schriftsteller, der gleich nachzuzeichnen ist, scheint dies eine hermeneutische Grundkonstante für den christlichen Umgang mit dem Alten Testament von Anbeginn an zu sein: Die alten Texte werden im Lichte des Glaubens an Christus gelesen und von daher auch als Texte rezipiert, mit denen dieser Glaube interpretiert und zur Sprache gebracht werden kann. Eine christliche Lektüre der Hebräischen Bibel oder des Alten Testaments kommt also immer schon vom Glauben an Christus her, lässt sich von Christus die „Schrift öffnen“, um dann das Christusgeschehen mit den Worten der Schrift zur Sprache zu bringen und in die Geschichte des Glaubens an denjenigen Gott einzuordnen, von dem auch die Bibel Israels erzählt. Auch hier liegt ein hermeneutischer Zirkel vor, dessen Initiativimpuls aber das „neutestamentliche“ Evangelium ist. Nie haben Christen versucht, das Alte Testament „für sich“ zu verstehen oder unter Absehung des Evangeliums darauf zu befragen, ob eine „nur“ historische Exegese dieser Schriften „objektiv“ oder notwendig bei Jesus von Nazareth als dem Christus landen müsse. Die Fragerichtung ist immer umgekehrt: Von ihrem Glauben an Jesus Christus herkommend lesen Christen das Alte Testament. Dieser Gedanke wird im Folgenden immer mit und neu zu bedenken sein.

2.1.2 | Der Umgang Jesu mit der Schrift


Jesus hat nichts Schriftliches hinterlassen; alle Jesusworte des NT sind uns von anderen, den Evangelisten und ihren Quellen, überliefert. Bei Äußerung darüber, was Jesus selbst – also unter Absehung von den erkennbaren theologischen Tendenzen in den Schilderungen der Evangelisten – gesagt habe, ist also Vorsicht geboten. Es lässt sich aber festhalten, dass Jesus als Jude in Kenntnis der religiösen Tradition und mit der Begabung zur Schriftgelehrsamkeit aufwuchs. Für seine Verkündigung der Gottesherrschaft knüpfte er auch an alttestamentliche Traditionen an (vgl. Mt 11,5 und Lk 7,22 mit Jes 35,5f.; 61,1). Der „Titel“ Menschensohn, der wahrscheinlich als Selbstbezeichnung Jesu gelten kann, greift auf Dan 7 zurück. Jesu Antwort auf die Frage nach dem höchsten Gebot besteht in einer Kombination zweier alttestamentlicher Texte, Dtn 6,4f. und Lev 19,18: „Du sollst Gott von ganzen Herzen lieben und deinen Nächsten wie dich selbst“ (vgl. Mk 12,28–34).

Altes Testament

Dtn 6,4–5:

„Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“

Lev 19,18:

„... Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der Herr.“

Neues Testament

Mk 12,29–31:

„Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: ‚Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften‘. Das andre ist dies: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘. Es ist kein anderes Gebot größer als diese.“

Jesus greift die „Schrift“ auf, verkündigt aber selbst Gottes Willen mit Autorität.

So greift Jesus für die Verkündigung seiner guten Botschaft vom Kommen des Gottesreiches auf die Worte der Schrift, vor allem der Tora zurück. Jesus geht aber mit den Worten der Überlieferung in großer Souveränität um, wie vor allem an den sog. Antithesen der Bergpredigt zu erkennen ist. Dort greift Jesus mit den Worten „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist ...“ meist Gebote der Tora auf, um dann mit „ich aber sage euch ...“ fortzufahren (vgl. Mt 5,21ff., 27ff., 33ff. u.ö.). Dabei radikalisiert Jesus die Gebote der Tora, indem er klar macht, dass Gottes Wille nicht bloß auf die Erfüllung des Buchstabens, sondern auf die Intention und die Willenskraft des Menschen zielt, der göttliche Anspruch an den Menschen also ein umfassend-ganzheitlicher ist. So gilt von den Geboten der Tora einerseits, dass kein bisschen durch Jesu Verkündigung hinfällig wird (vgl. Mt 5,17–20), zugleich aber werden die alten Worte in den Dienst einer neuen Verkündigung gestellt, zielen auf eine „bessere Gerechtigkeit“ (Mt 5,20). Jesus steht zugleich in Kontinuität und Diskontinuität zur biblischen Überlieferung seiner Zeit. Auch für Jesus ist „die Schrift“ normative Überlieferung des Glaubens, aber er interpretiert sie vom Willen Gottes angesichts des kommenden Gottesreiches neu und nimmt dabei selbst Autorität in Anspruch.

2.1.3 | Die Passion Jesu im Lichte der Schrift


Markus schildert die Passion Jesu vor einem alttestamentlichen Hintergrund.

Der Grundbestand der Überlieferung der Evangelien ist die Schilderung der Passion Jesu, vom Einzug in Jerusalem (Mk 11 parr.) bis zu den Berichten der Auferstehung (Mk 16,1-8 parr.). Im Ablauf und in vielen Einzelheiten stimmen die einzelnen Evangelien hier überein, nicht nur die Synoptiker (Matthäus, Markus und Lukas), sondern auch Johannes. Es ist nicht ganz klar, auf wen die Art und Weise des Passionsberichts ursprünglich zurückgeht. Manches spricht dafür, dass es in den christlichen Gemeinden einen zusammenhängenden Bericht von Leiden, Tod und Auferstehen schon gab, bevor das erste Evangelium verfasst wurde. Vielleicht war es auch der Evangelist Markus,...