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Aus einem anderen Jahrtausend - Roman

Arthur C. Clarke

 

Verlag Heyne, 2014

ISBN 9783641126698

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

5,99 EUR


 

II

Vorbereitungen

 

23

Auf Sendung

 

»Bestimmt gibt es nur wenige Leute, die nicht wissen, dass es nur noch vier Jahre dauert, bis ein Jahrhundert seit der Titanic-Tragödie verstrichen ist«, sagte Marcus Kilford. »Die meisten von uns kennen bereits die Pläne, das Wrack zu heben. Erneut freue ich mich, heute Abend drei wichtige Repräsentanten dieses Projekts begrüßen zu können. Ich spreche abwechselnd mit ihnen, und anschließend haben Sie die Möglichkeit, im Studio anzurufen und Fragen zu stellen. Zur gegebenen Zeit wird die Telefonnummer am unteren Bildschirmrand eingeblendet.

Der Herr links von mir ist der berühmte Unterwasser-Techniker Jason Bradley – seine Begegnung mit dem Riesenkraken bei einer Bohrstation von Neufundland ist inzwischen Legende. Derzeit arbeitet er für die International Seabed Authority und überwacht die Operationen am Wrack.

Neben ihm sitzt Rupert Parkinson, der im vergangenen Jahr fast den American Cup nach England gebracht hätte – nehmen Sie mir das bitte nicht übel, Rupert. Seine Firma will den Bug des Wracks heben, den größeren Teil des auseinandergebrochenen Schiffes.

Rechts von mir sehen Sie Donald Craig, Geschäftspartner der Nippon-Turner Corporation, die zur größten Medienkette der Welt geworden ist. Er wird uns berichten, wie das Hecksegment geborgen werden soll. Es sank zuletzt und nahm viele der Menschen mit, die in jener unvergesslichen Nacht vor sechsundneunzig Jahren starben.

Mr. Bradley, könnte man Sie als eine Art Schiedsrichter bezeichnen, der sicherstellt, dass bei dem Wettrennen dieser beiden Gentlemen niemand mogelt?«

Kilford hob die Hand, um dem Protest seiner beiden anderen Gäste zuvorzukommen.

»Ich bitte Sie, meine Herren! Sie bekommen Gelegenheit, sich zu äußern. Überlassen Sie Jason das Wort.«

Da ich jetzt als Diplomat verkleidet bin, sollte ich versuchen, dieser Rolle gerecht zu werden, dachte Bradley. Kilford provoziert uns – das gehört zu seinem Job. Also sei ganz cool.

»Ich sehe kein Wettrennen darin«, antwortete er vorsichtig. »Beide Gruppen halten sich an einen Zeitplan, der die Bergung des Wracks Mitte April 2012 vorsieht.«

»Vielleicht direkt am 15.? Und beide Teile?«

Das war eine heikle Angelegenheit, die Bradley nicht in aller Öffentlichkeit erörtern wollte. Er hatte die hohen Tiere der ISA davon überzeugt, dass auf keinen Fall ein Fotofinish erlaubt werden durfte. Zwei große Bergungsmissionen konnten unmöglich gleichzeitig stattfinden, wenn die Entfernung weniger als einen Kilometer betrug. Es bestand immer die Möglichkeit, dass alles in einer Katastrophe endete, und dadurch hätten sich die Risiken enorm vergrößert. Wenn man versuchte, zwei schwierige Arbeiten zur gleichen Zeit zu erledigen, so forderte man einen Fehlschlag geradezu heraus.

»Wissen Sie«, fuhr Bradley ruhig fort, »so etwas lässt sich nicht in einigen Stunden erledigen. Die ›Titanic‹ hat den Grund innerhalb weniger Minuten erreicht, doch es dauert Tage, um sie an die Meeresoberfläche zurückzubringen. Vielleicht sogar Wochen.«

»Wenn Sie mir einen Hinweis gestatten …«, warf Parkinson ein und sprach sofort weiter. »Wir haben nicht die Absicht, unseren Teil des Wracks an die Oberfläche zu bringen. Es soll ständig unter Wasser bleiben, damit keine Korrosion erfolgt. Wir planen keine spektakuläre Fernseh-Show.« Er vermied es, den Blick auf Craig zu richten, doch die Studiokamera war weniger taktvoll.

Donald tut mir leid, dachte Bradley. Kato hätte hier seinen Platz einnehmen sollen – er und Parky wären einander ebenbürtig gewesen. Er stellte sich vor, wie beide versuchten, den anderen als Narren dazustellen, natürlich auf eine überaus höfliche Art und Weise. Jason bedauerte es, Donald nicht helfen zu können – er mochte ihn, brachte ihm fast väterliche Gefühle entgegen. Aber er musste einen freundlich neutralen Standpunkt vertreten.

Donald Craig rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, bedachte Parkinson mit einem beleidigten Blick. Kilford schmunzelte zufrieden.

»Nun, Mr. Craig? Sie wollen doch filmen, wie das Heck im Innern eines großen Eisbergs aus dem Wasser kommt, oder?«

Genau darin bestand Katos Absicht, obgleich er es nie in der Öffentlichkeit zugegeben hatte. Wie dem auch sei: Ein solches Vorhaben konnte im elektronischen globalen Dorf nur wenige Mikrosekunden lang geheim bleiben.

»Nun, äh …«, begann Donald unsicher. »Wenn wir unseren Teil tatsächlich an und über die Oberfläche bringen, so wird er dort nicht lange bleiben …«

»Aber lange genug, um einen spektakulären Film zu drehen, stimmt's?«

»… weil wir ihn kurze Zeit später unter Wasser fortschleppen, so wie Sie Ihren Teil, Rupert – bis er seine letzte Ruhestätte in Tokio-on-Sea erreicht. Eine Korrosionsgefahr besteht nicht: Der größte Teil des Stahls befindet sich im Eis, und überall liegt die Temperatur dicht unterm Gefrierpunkt.«

Donald zögerte kurz, und ein dünnes Lächeln umspielte nun seine Lippen.

»Übrigens …«, fuhr er zuversichtlicher fort. »Ich habe gehört, dass Sie ein Fernsehspektakel planen. Was ist mit dem Gerücht, Taucher zum Wrack zu bringen, sobald es eine zugängliche Tiefe erreicht hat? Wie viele Meter wären das, Mr. Bradley?«

»Kommt darauf an, was die Taucher atmen. Dreißig Meter mit normaler Luft. Hundert oder mehr mit verschiedenen Mischungen.«

»Unter diesen Voraussetzungen wären sicher Tausende von Sporttauchern bereit, für einen Besuch zu bezahlen – bevor der Bug in den Gewässern von Florida eintrifft.«

»Danke für den Vorschlag, Donald«, erwiderte Parkinson liebenswürdig. »Wir ziehen ihn in Erwägung.«

»Nun, da wir jetzt das Eis gebrochen haben – ha-ha! –, sollten wir in die Einzelheiten gehen. Donald, Rupert: Bitte erklären Sie uns, wie weit Sie mit Ihren Projekten sind. Ich erwarte natürlich nicht, dass Sie Geheimnisse verraten. Im Anschluss daran bitte ich Jason um einen Kommentar – wenn er dazu bereit ist. Da C vor P kommt, fangen Sie an, Donald.«

»Nun, äh … das Problem mit dem Heck besteht darin, dass es in einem sehr schlechten Zustand ist. Indem wir es in Eis packen, können wir es als eine Einheit behandeln. Und natürlich schwimmt Eis – was Kapitän Smith damals im Jahre 1912 vergessen zu haben schien.

Meine Freunde in Japan haben eine recht wirkungsvolle Methode entwickelt, um Wasser zu gefrieren; sie verwenden dabei elektrischen Strom. Die Temperatur am Grund beträgt fast null Grad, und das bedeutet, es ist nur eine geringe zusätzliche Abkühlung notwendig.

Kabel mit neutralem Auftrieb und die thermoelektrischen Elemente haben wir bereits hergestellt. Unsere Unterwasser-Roboter installieren sie in wenigen Tagen. Wir verhandeln noch immer, was die Elektrizität betrifft, aber wahrscheinlich können die Verträge bald unterschrieben werden.«

»Und wenn ihr Tiefsee-Eisberg entstanden ist – was dann?«

»Nun, darüber möchte ich derzeit noch nicht sprechen.«

Donald wich der Antwort keineswegs aus, was die Anwesenden im Studio jedoch nicht wissen konnten. Die Einzelheiten waren ihm schlicht und einfach unbekannt, und einmal mehr fragte er sich, was Kato während ihres letzten Gesprächs gemeint hatte. Bestimmt hat er sich einen Scherz erlaubt, dachte Craig. Es ist nicht gerade höflich, seine Geschäftspartner im Unklaren zu lassen …

»Wie Sie meinen, Donald. Möchten Sie einen Kommentar dazu abgeben, Jason?«

Bradley schüttelte den Kopf.

»Nur folgenden: Es ist ein verwegener Plan, aber unsere Wissenschaftler haben keinen Fehler darin gefunden. Außerdem lässt sich eine gewisse poetische Gerechtigkeit nicht leugnen.«

»Rupert?«

»Der Meinung bin ich auch. Eine gute Idee. Ich hoffe nur, es klappt alles.«

Irgendwie gelang es Parkinson, aufrichtiges Bedauern in Hinsicht auf das Scheitern zu vermitteln, mit dem er offenbar rechnete. Er zeigte dabei ein erstaunliches Schauspieltalent.

»Jetzt sind Sie dran. Wie weit ist das Parkinson-Projekt?«

»Wir benutzen nichts Exotisches, sondern schlichte Technik! Da im Bereich der ›Titanic‹ ein Druck von vierhundert Atmosphären herrscht, hat es keinen Sinn, Luft hinabzupumpen. Deshalb verwenden wir hohle Glaskugeln – sie haben in jeder Tiefe den gleichen Auftrieb. Millionen von ihnen werden zu Bündeln zusammengepackt. Einige davon bringen wir vielleicht an bestimmten Stellen im Wrack unter, mit Hilfe von ROVs. Entschuldigung: Das Kürzel steht für Remote Operated Vehicles. Nun, weitaus die meisten Glaskugel-Bündel befestigen wir an einem Hebegerüst, das wir von oben herablassen.«

»Und wie soll das Gerüst mit dem Wrack verbunden werden?«, warf Kilford ein.

Er scheint sich sehr gründlich auf diese Talkshow vorbereitet zu haben, dachte Bradley anerkennend. Die meisten Laien hätten so etwas als selbstverständlich hingenommen, ohne diesem Punkt besondere Beachtung zu schenken. Doch es handelte sich um den wichtigsten Aspekt der ganzen Operation.

Rupert Parkinson lächelte breit.

»Donald hat seine kleinen Geheimnisse, und uns geht es nicht anders. Wir führen bald einige Tests durch, und Jason hat sich freundlicherweise bereit erklärt, sie zu beobachten – nicht wahr?«

»Ja«, bestätigte Bradley. »Wenn wir ›Marvin‹ rechtzeitig von der amerikanischen Marine bekommen. Leider verfügt die ISA nicht über eigene Tiefseeboote. Wir arbeiten noch daran.«

»Eines Tages...