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Ardistan - Karl May´s Gesammelte Werke Band 31

Karl May

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2013

ISBN 9783780215314 , 638 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

URMENSCHEN


 

 

Landung an fremden Gestaden


 

Als die Zeit der Abreise gekommen war, brachten wir unsere Pferde selbst an Bord, denn sie waren so wertvoll, dass wir sie keiner anderen Person anvertrauten. Auch Schakara war dabei, und Marah Durimeh begleitete uns, einfach, bescheiden, wie ein gewöhnliches Weib, von allen, die uns unterwegs sahen, mit Ehrerbietung und Liebe gegrüßt, doch unauffällig, in selbstverständlicher und ungekünstelter Weise. So war der Abschied auch. Sie stand am Ufer und grüßte mit der Hand, als das Schiff den Anker hob. Hierauf ging sie. Kurze Zeit später sahen wir sie auf dem Söller erscheinen. Da stand sie, bis wir sie nicht mehr sehen konnten. Dann verschwand auch der Palast, die Stadt, das dunkle Gebirge, das ganze, uns bekannt gewordene Sitara, und wir sahen nichts mehr, als nur die unendlich weite See, der wir auf Treu und Glauben überliefert worden waren.

Zu jeder anderen Zeit hätte ich mich um das Schiff, seine Bemannung und seine Einrichtung gewiss sehr eingehend gekümmert; jetzt aber hatte ich keine Zeit dazu. Ich musste jede Minute ausnutzen, um mich zu unterrichten. Die Bücher, die ich mitgenommen hatte, mussten mit Schakara wieder zurückgehen. Ich hatte sie also bis dahin durchzunehmen und las und las und schrieb und schrieb, um alles, was ich für wichtig hielt, zu notieren. Schakara half mir dabei. Als drei Tage vorüber waren, hatte ich einen dicken Stoß von Notizen, deren Wert gar nicht abzumessen war. Mit ihrer Hilfe war es mir möglich, mich in jeder Lage und an jedem Ort zurechtzufinden.

Es war uns während dieser drei Tage kein anderes Fahrzeug begegnet. Nun näherten wir uns dem Ziel unserer Fahrt. Wir durften erwarten, am Mittag des vierten Tages die Küste von Ardistan zu erreichen; aber auch da bekamen wir kein Schiff, nicht einmal einen Kahn, ein Boot zu sehen. Der Grund hiervon war, dass wir es vermieden, uns einem Hafen zu nähern. Unsere Landung musste in der größten Heimlichkeit geschehen, und darum wählten wir einen ganz einsamen Teil der Küste, die dort völlig unzugänglich zu sein schien; doch gab es eine Stelle, wo eine kleine, schmale Bucht zwar nicht erlaubte, den Anker zu werfen, aber doch Gelegenheit zum Ausbooten gab. Das Land fiel hier überall so schroff und so tief in die See hinab, dass kein Ankertau lang genug war, den Boden zu erreichen.

Kurz nach Mittag tauchte eine dunkle Linie vor uns auf, der wir uns bei gutem Wind näherten. Das war Ardistan, eine niedrige, aus Sumpf und Moor bestehende Küste.

Die Segel wurden so gestellt, dass sich die Schnelligkeit des Schiffes verminderte. Wir gingen bis auf eine halbe Seemeile an die Küste heran; dann wurde beigedreht. Wir lagen, wie vor Anker. Nun ging das große Boot zu Wasser mit den beiden, darin angebundenen Pferden. Sie verhielten sich ruhig. Übrigens saßen auch die Ruderer bei ihnen. Das Fallreep wurde niedergelassen; dann stiegen wir nach, Halef und ich, auch Schakara, die das Steuer führen wollte.

Es war der Pferde wegen kein leichtes Manöver; aber es gelang. An der Bucht standen einzelne Bäume, ganz nahe am Ufer. Das gab uns die Möglichkeit, das Boot derart zu befestigen, dass die Pferde ganz bequem und ohne Gefahr gelandet werden konnten. Sie waren gesattelt. Wir brauchten nur aufzusteigen. Hadschi Halef verabschiedete sich mit großem Redeschwall von Schakara. Dann reichte ich ihr die Hand. Sie sagte nichts, aber ihre Lippen zitterten, und ihre Augen waren feucht. Dann gab sie das Zeichen, das Boot vom Lande zu stoßen. Da legte sich nun das Wasser zwischen uns, die tiefe, die geheimnisvolle See! Als ob diese meine Gedanken auch die ihren seien, rief sie uns nun doch noch zu:

„Effendi, wenn dir eine Gefahr naht, die dir unbezwinglich erscheint, oder wenn die Tränen des Erdenleidens über dir zusammenfluten, so verliere nicht den Mut, sondern glaube mir, dass Marah Durimeh und Schakara dir immer nahe sind! Auf Wiedersehen!“

„Auf Wiedersehen!“, antwortete ich.

„Nasuf wussak – – auf Wiedersehen!“, rief auch Halef.

Dann schoss das Boot von der Küste ab, dem Schiff wieder zu. Wir beide standen am Land und schauten hinterdrein. Wir sahen das Boot anlegen; wir sahen, dass es aufgewunden wurde. Die ‚Wilahde‘ stellte die Segel wieder voll und drehte sich dann unter dem Druck des Windes von uns ab. Ein weißer Wimpel stieg bis zur Spitze des Hauptmastes empor. Das war der letzte Gruß. Neben mir erklang ein nicht ganz unterdrücktes Schluchzen. – Halef weinte.

„Lach mich nicht aus, Sihdi!“, sagte er. „Ich mag von dem Land Sitara nichts wissen, weil man da über mich lacht, aber heulen muss ich doch. Wozu hat man die Tränen? Doch nicht etwa, um sie immer darin stecken zu lassen? Die müssen heraus! Ich schelte zwar zuweilen auf die Bewohner dieses Landes, aber lieb sind sie mir doch! Besonders Marah Durimeh und Schakara! Da fährt das Schiff nun hin. Ich setze mich. Und ich sehe ihm nach, bis es verschwunden ist. Eher stehe ich nicht wieder auf.“

Er sprach diese Sätze einzeln und stoßweise aus, in weinerlichem Ton. Ich wusste wohl, wie tief er Schakara, unsere junge, edle Freundin, in sein Herz geschlossen hatte. Der Abschied von ihr ging ihm innerlich nahe. Er setzte sich wirklich auf den Boden nieder, obwohl dieser sehr feucht war, und schaute dem Schiffe so lange nach, bis es am fernen Horizont verschwand. Da stand er wieder auf und sagte:

„Nun ist es vorüber! Der Abschied tut zwar weh, aber wir sind doch keine Kinder, sondern Männer. Und vor allen Dingen wissen wir, dass ein unbekanntes Land und ein Leben voll reicher Abenteuer vor uns liegen. Da müssen wir uns zusammennehmen und tapfer vorwärts schauen, anstatt zurück auf das, was hinter uns liegt. Hast du alle deine Sachen beisammen, Sihdi?“

„Ja“, antwortete ich.

„Und die Abschriften von den Landkarten, Plänen und viel tausend Namen, die du angefertigt hast? Die hast du doch nicht etwa vergessen?“

„Nein.“

„Wo hast du sie?“

„Hier in der Brusttasche. Ich hatte mir den Panzerbrief gerade auf die Brust gebunden und zog die Jacke über die Weste. Die Abschriften lagen neben mir. Ich steckte sie eben ein, als Schakara kam, und da – – und – – und – – doch nein, ich irre mich! Ich steckte sie nicht ein, sondern ich wollte sie einstecken; da kam Schakara und unterbrach mich. Ich ließ die Abschriften liegen, und – – –“

„Und da liegen sie noch?“, fiel Halef schnell ein.

„Ja – – nein – – nein – – ja – – unmöglich! Es ist nicht denkbar! Sie sind zu wichtig, viel, viel zu wichtig! Ich kann und kann und kann sie nicht vergessen haben!“

Ich griff in die Brusttasche; da waren sie nicht. Ich suchte in allen anderen Taschen, vergeblich. Ich hatte sie liegen lassen, gewiss und wirklich liegen lassen! Diese Abschriften, die ich mir mit so großer Mühe gemacht hatte und die ich so unendlich notwendig brauchte! So etwas war mir noch nie im Leben passiert! Eine solche Gedankenlosigkeit hatte ich bisher für unmöglich gehalten! Mir wurde ganz schlimm. Ich setzte mich nun auch nieder, trotz der Feuchtigkeit des Bodens. Ohne diese Notizen war ich ganz außer Stande, mich in diesem fremden Lande und seinen Verhältnissen selbständig zu bewegen! Jeder Zufall könnte mir zum Meister und Gebieter werden! Soeben hatte Halef uns ‚Männer‘ genannt; aber nun ich diese Aufzeichnungen nicht bei mir hatte, glichen wir Kindern, die nur Fehler begehen können, wenn es ihnen einmal einfallen sollte, einen eigenen Entschluss zu wagen! Ich war im höchsten Grade zornig auf mich selbst und zugleich auch so verstimmt, wie wohl noch nie in meinem ganzen Leben. Dazu stellte sich Halef mit auseinandergespreizten Beinen gerade vor mich hin und sagte:

„So! Da sitzest du nun! Gerade wie vorhin ich! Es fehlt nur noch, dass dir die Tropfen ebenso über die Backen laufen wie mir! Du hast sie also vergessen – – doch vergessen?“

„Leider! Ja!“, gestand ich ein.

„Das dachte ich mir!“, fuhr er fort, „denn du bist stets vergesslich gewesen! Fürchterlich vergesslich, solange ich dich kenne!“

„Oho!“, widersprach ich ihm.

„Ja, ja!“, behauptete er. „Du hast zwar auch noch einige andere Fehler, mein lieber Sihdi, aber der größte unter ihnen war doch stets die Vergesslichkeit; sie wird es wohl auch bleiben! Du weißt es ebenso gut wie ich, dass ich mir alle Mühe gegeben habe, dich von dieser Gedankenlosigkeit zu befreien; aber einen Erfolg habe ich leider nicht gehabt. Dies ist zwar für einen so verständigen Mann, wie ich bin, kein Grund, dir zu zürnen oder dich etwa gar zu missachten, denn Fehler, die angeboren sind, können nicht geheilt werden; aber betrübend ist es doch jedenfalls für mich, dass gerade ich dazu berufen zu sein scheine, immer neue derartige Mängel an dir zu entdecken. Dass du diese Notizen auf dem Schiff liegen lassen konntest, ist für mich geradezu unbegreiflich. Ich suche nach den Gründen dieser deiner innerlichen Fehlerhaftigkeit. Du würdest sie wohl nicht finden; bei meinem bekannten Scharfsinn aber ist es für mich eine Kleinigkeit, sie schleunigst zu entdecken. Darf ich sie dir nennen, Sihdi?“

„Ja“, antwortete ich.

Wer mich und...