dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Glücklich in Thailand

Ursula Spraul-Doring

 

Verlag Heller Verlag, 2014

ISBN 9783929403589 , 272 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

10,99 EUR


 

Arzt mit Leib und Seele


 

Dr. Issara, ein untersetzter, drahtig wirkender, älterer Thai mit elastischem Gang, praktiziert im Süden Thailands.

 

„Wer rastet, der rostet.“ Ist das nicht ein deutsches Sprichwort? In Thai haben wir etwas Entsprechendes, es heißt wörtlich übersetzt: „Wenn du nichts tust, wirst du faul und ungenießbar.“

 

Ich liebe Sprichwörter, ich habe eine Sammlung in allen Sprachen. Alle treffen irgendwie die Wahrheit. Manche sagen auch etwas über ein bestimmtes Volk aus, aber die meisten kann man auf die ganze Menschheit übertragen. Fast jeden Tag lerne ich ein Sprichwort auswendig, das hält das Gedächtnis auf Trab. Dieses Jahr wurde ich 75 Jahre alt. Da ist es wichtig, dass man sich fit hält, denn ich praktiziere noch immer.

 

Ich habe vier Kinder. Die Älteste ist eine Tochter. Wasana war immer sehr klug. Ich wollte, dass sie in der Chulalongkorn Universität in Bangkok Medizin studiert, so wie ich. Dort werden nur die Besten genommen, und sie war sehr gut in der Schule. Aber sie hatte ihren eigenen Willen. Und Doktor werden wie ihr Vater, das wollte sie überhaupt nicht. Für sie ist es wichtig, neben dem Beruf auch ein Privatleben zu haben. Da war ich kein gutes Beispiel.

 

Ein einschneidendes Erlebnis für sie war ein Picknick in unserem großen Garten, etwa eine Stunde Autofahrt von hier. Es war ihr zehnter Geburtstag. Die ganze Familie saß auf Matten im Schatten eines Durian-Baumes und fing gerade an, die köstlichen Gerichte auszupacken, die meine Frau vorbereitet hatte. Ich hatte nicht so häufig Zeit, mit der Familie zu picknicken. Aber meine Tochter hatte sich das zu ihrem Geburtstag gewünscht. Es gab Hähnchenschlegel und Klebereis, scharfen Papayasalat und gebratenen Fisch, Garnelensuppe und Tintenfischsalat. Für den Nachtisch hatten die Kinder Obst geerntet. Es war eine fröhliche Stimmung, und meine Tochter war richtig glücklich. Da kam eine Frau angerannt. „Herr Doktor, Herr Doktor, kommen Sie schnell, mein Mann ist umgefallen und röchelt nur noch!“

 

Selbstverständlich ließ ich alles liegen und stehen und folgte der Frau. Ich hörte, wie Wasana wütend hinter mir herheulte.

An diesem Tag erkannte sie, dass ein Arzt nie ein Privatleben hat, dass er immer und überall seinen Patienten zur Verfügung steht, selbst am Geburtstag der Tochter.

 

In vielen Gesprächen habe ich ihr klar zu machen versucht, dass es nicht nur Pflicht ist, für die Patienten da zu sein, sondern auch Freude. Doch sie dachte immer an ihre arme Mama, die oft nachts allein im Bett lag, weil der Papa zu Kranken musste. Und sie dachte an sich und ihre Brüder, die ständig um die Zeit des Papas betteln mussten. Immer waren die Patienten wichtiger. Mir hat das nie etwas ausgemacht, und ich bin meiner Frau dankbar, dass sie Verständnis für meine Arbeit hatte und die Familiensorgen häufig alleine trug. Mich macht es glücklich, anderen helfen zu können, das war schon immer so.

 

Nach meinem Studium in Bangkok trat ich meine erste Stelle als Assistenzarzt in Phattalung an. Das liegt im tiefen Süden. Dort habe ich viel gelernt, ich kam in allen Abteilungen herum. Zu dieser Zeit waren die Kommunisten noch im Untergrund, es gab häufig Schießereien, und ich habe so manche Kugel herausoperiert. Die Kommunisten waren keine richtigen Kommunisten, sondern sozial engagierte Menschen, meist linksgerichtete Studenten, die gegen die damalige Regierung kämpften. Sie wurden der Einfachheit halber Kommunisten genannt. Sie lebten in Höhlen im Dschungel.

 

Die Kommunisten bekamen keine ärztliche Hilfe. Sie konnten nicht ins Krankenhaus kommen, das stand ja unter Polizeibewachung. Ich durfte auch nicht zu ihnen in ihre Höhlen, um sie zu behandeln. Diese Verstecke hätten sie nie preisgegeben. Ich sah nur tote Kommunisten, junge Männer wie ich. Einmal war sogar ein Kommilitone darunter. Bewirkt haben sie etwas, aber, ob es sich dafür gelohnt hat, zu sterben? Sie wurden von der Polizei gebracht, und ich musste den Tod feststellen und den Totenschein ausfüllen. Das war meine traurigste Arbeit.

 

Verletzte Soldaten, Polizisten oder Zivilisten mussten oft operiert werden. Am schlimmsten waren die Bauchschüsse. Die Patienten verloren meistens viel Blut, zum Glück hatten wir immer genügend Blutreserven für Transfusionen vorrätig. Immer wieder mussten wir zerfetzte Darmteile herausschneiden und die unverletzten Teile zusammennähen. Damals war ein Provinzkrankenhaus noch nicht so gut ausgestattet wie heutzutage. Wir hatten zwar schon die wichtigsten Apparate, aber all die modernen Geräte gab es noch nicht. Da kam es auf Handarbeit und das ärztliche Können an.

 

Und die Leute waren so ungebildet! Die jungen Mädchen wurden schwanger und wussten nicht, wie das passierte. Es gab viele Quacksalber, zu denen man die Mädchen heimlich brachte, damit sie eine Abtreibung vornahmen. Aber dutzendfach ist der Fötus nicht abgegangen, und wenn das Mädchen fast verblutet war, haben sie es im Krankenhaus abgeliefert. Was habe ich da Bäuche aufgeschnitten! Auch bei schwierigen Geburten brachten sie die Frauen erst, wenn sie fast verblutet waren. Da war ich froh, wenn ich wenigstens die Mutter retten konnte!

 

Jeden Tag kamen Patienten mit Schlangenbissen. Wenn sie schnell genug bei mir waren, konnte ich sie meistens retten. Ich wusste zwar nicht genau, welche Schlange gebissen hatte. Aber es gibt nur drei Varianten, wie Schlangengift wirkt: entweder durch Neurotoxine – also Nervengift – oder durch Hämatoxine – also Blutgift – oder beides gleichzeitig.

 

Das Nervengift, das die Kobra oder Königskobra injiziert, wirkt hauptsächlich auf das zentrale Nervensystem. Es lähmt einen Teil des Gehirnes, welcher für verschiedene Lebensfunktionen notwendig ist. Die Lunge erhält nicht mehr den Befehl zu arbeiten, und der Patient erstickt. Außer ein Serum zu spritzen, mussten wir deshalb auch etliche Male künstlich beatmen. Ob die Kobra oder die Königskobra gefährlicher ist, kann ich nicht sagen. Die Kobra ist viel kleiner, aber ihr Gift ist zehnmal konzentrierter. Die Königskobra ist riesig, sie kann bis fünf Meter lang werden, sich aufrichten und einen Menschen in den Hals beißen.

 

Die meisten Patienten wurden von Vipern gebissen, die das Blutsystem vergiften. Bisse der malaysischen Mokassin-Viper, einer unscheinbaren, grau-braun-schwarz gefärbten Schlange, kamen am häufigsten vor. Ihr Gift wirkt zwar langsam, kann aber ohne Behandlung tödlich sein. Die Bauern, die ihre gebissenen Kollegen brachten, wussten schon, dass der Patient möglichst nicht bewegt werden durfte, um seinen Kreislauf nicht unnötig anzuregen. Sie hatten gelernt, dass man sofort einen Ring abstreifen oder einen Schuh ausziehen musste, je nachdem, wo sich der Biss befand. Denn die Bissstellen schwollen schnell an und schmerzten sehr stark. Doch durften die Bauern dem Opfer auf keinen Fall Aspirin geben, auch wenn es noch so sehr nach Schmerzmitteln schrie, denn dadurch würde das Blut verdünnt und das Gift sich noch schneller im Körper verteilen. Sie flößten ihm deshalb Paracetamol ein, aber meistens waren die Schmerzen so stark, dass es nicht allzu viel nutzte. Der Patient blutete aus Mund, Nase, Harnröhre, erbrach Blut und starb ohne Behandlung an seinen inneren Blutungen.

 

Die Bauern fingen Fische in den gefluteten Reisfeldern. Sie wateten barfuß im Schlamm und griffen die Fische mit bloßen Händen. Dadurch fühlte sich so manch eine Viper gestört und biss zu. Gegen Hämatoxine gab es ein sehr wirksames Gegenserum, das wir vom Pasteur-Institut in Bangkok bezogen. Manchmal ging das Serum allerdings aus, dann mussten wir uns mit Bluttransfusionen behelfen. Viele Male setzten wir auch Cortison ein, vor allem gegen einen Allergieschock.

 

Häufig waren die Schlangenbisse auch nicht von giftigen Schlangen. Aber es war wichtig, die Wunden richtig zu versorgen. Seeschlangen, die Nervengift und Blutgift gleichzeitig übertragen kamen in unserem Gebiet zum Glück nicht vor.

 

Das war eine harte Zeit, damals in Phatthalung. Wenig Verdienst und viel Arbeit, oft zwanzig Stunden ohne Pause! Wir waren nur fünf Ärzte und ständig im Einsatz. Aber ich habe dort viel gelernt und unzähligen Menschen das Leben gerettet. Das hat mich mit großer Zufriedenheit erfüllt. Ja, damals war ich richtig glücklich.

 

Mein Hobby war das Zaubern. Ich habe schon in meiner Studienzeit damit angefangen, aber später, als ich in der Phang Nga Provinz lebte, wurde ich ein richtiger Profi. Das Zaubern hat mir großen Spaß gemacht. Ich übte viel, zuhause oder im Krankenhaus während des Bereitschaftsdienstes. Bei meinen Auftritten konnte ich mein Publikum total verblüffen. Zum Beispiel reichte mir eine Zuschauerin ein Schmuckstück, das ich verschwinden und erst am Ende der Vorstellung ganz woanders wieder auftauchen ließ. Oder ein Gast zerriss eine Zeitung, und ich zauberte sie wieder ganz. Ich schluckte Rasierklingen und zog sie anschließend aus dem Magen heraus. Natürlich hatte ich auch viele Tricks mit Münzen und Karten auf Lager. Wir waren eine ganze Gruppe von Zauberern, und ich organisierte die Vorführungen sonntags im Stadttheater von Phang Nga.

 

Das Geld, das ich dabei einnahm, stellte ich der Königsmutter für ihre Projekte zur Verfügung. In den 70er Jahren gründete Somdet Phra Si Nakha Rinthra Barom Ratcha Chonnani, wie...