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Sag, dass du mich liebst - Psychothriller

Joy Fielding

 

Verlag Goldmann, 2014

ISBN 9783641120207 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

KAPITEL 1

Der Tag fängt an wie immer. Bloß ein weiterer ungetrübt strahlender Oktobertag in Miami, der Himmel typisch blau und wolkenlos, die Temperatur soll bis zum Mittag auf über fünfundzwanzig Grad steigen. Nichts deutet darauf hin, dass sich heute wesentlich von gestern oder vorgestern unterscheiden wird, nichts lässt vermuten, dass der heutige Tag oder genauer gesagt der heutige Abend mein Leben für immer verändern wird.

Ich wache um sieben auf, dusche und ziehe mich an – schwarzer Faltenrock, weiße Baumwollbluse, ein klein wenig förmlicher als üblich –, bürste mein hellbraunes, langes welliges Haar, gebe einen Hauch Rouge auf die Wangen, strichele Mascara auf die Wimpern. Ich mache mir Kaffee, verschlinge einen Muffin und rufe um halb acht unten an, damit ein Angestellter vom Haus-Service meinen Wagen aus der Tiefgarage fährt.

Ich könnte den Oldtimer-Porsche auch selbst holen, doch den Männern vom Haus-Service gibt es einen Kick, ihn zu fahren, und seien es nur die dreißig Sekunden, die man braucht, um ihn von seinem Parkplatz im dritten Untergeschoss über die gewundene Rampe bis vor den Haupteingang des Gebäudes zu lenken. An diesem Morgen ist es Finn, der in seiner Uniform aus Khakihose und kurzärmeligem laubgrünem Hemd hinter dem Steuer beinahe gut aussieht. »Viel zu tun heute, Miss Carpenter?«, fragt er, als er mir den Fahrersitz frei macht.

»Nur ein weiterer Tag im Paradies.«

»Viel Vergnügen«, sagt er, schließt meine Tür und winkt mir hinterher.

Ich fahre zur Kanzlei Holden, Cunningham und Kravitz am Biscayne Boulevard, für die ich seit fast zwei Jahren als Ermittlerin arbeite. Die Firma beschäftigt circa dreihundert Angestellte, davon einhundertfünfundzwanzig Anwälte, und hat ihre Büros in den obersten drei Etagen eines imposanten Wolkenkratzers aus Marmor im Herzen des Finanzdistrikts der Stadt. Normalerweise trinke ich gern noch eine Tasse Kaffee und plaudere mit irgendjemandem, der gerade im Aufenthaltsraum ist, doch heute habe ich einen Termin vor Gericht, deshalb parke ich in der Tiefgarage, schließe meine lizenzierte Glock im Handschuhfach ein und winke für die kurze Fahrt zum Gerichtsgebäude des Miami-Dade County, 73 West Flagler Street, ein Taxi heran. In der Gegend gibt es praktisch keine Parkplätze, und ich kann es mir nicht leisten, meine Zeit mit der Suche nach einer freien Lücke zu verschwenden. Ich bin als Entlastungszeugin in einem Fall von Industriespionage geladen und freue mich darauf, in den Zeugenstand gerufen zu werden. Im Gegensatz zu vielen Kollegen in meiner Branche, die lieber unsichtbar bleiben, sage ich tatsächlich gern vor Gericht aus.

Vielleicht liegt es daran, dass ich in meinem Beruf als Ermittlerin meistens relativ einsam arbeite. Ich sammele Informationen, die bei der Verteidigung eines Mandanten vor Gericht nützlich sein können, beschatte untreue Ehegatten oder verdächtige Angestellte, beobachte Menschen, mache Fotos oder Videoaufnahmen von heimlichen Begegnungen, spüre potenzielle Zeugen auf und befrage sie, finde vermisste Erben und trage Fakten zusammen, von denen sich einige als relevant und vor Gericht zulässig erweisen, andere als lediglich voyeuristisch interessant, aber trotzdem nützlich. Wenn ich alle notwendigen Informationen beschafft habe, setze ich mich hin und schreibe einen Bericht. Hin und wieder werde ich wie heute als Zeugin vor Gericht aufgerufen. Dafür ist eine zumindest flüchtige Kenntnis der Gesetze von Vorteil, weshalb die Jahre, die ich an der University of Miami Kriminologie studiert habe, nicht völlig vergeudet waren, auch wenn ich keinen Abschluss gemacht habe. Laut der Website, bei der ich meine Lizenz als private Ermittlerin bekommen habe, muss man für meinen Job intelligent, gut informiert, hartnäckig, einfallsreich und diskret sein. Ich bemühe mich, all diese Kriterien zu erfüllen.

Am Gerichtsgebäude hat sich bereits eine lange Schlange vor den Metalldetektoren gebildet, der überfüllte Fahrstuhl braucht ewig bis in den einundzwanzigsten Stock. Heute erscheint es einem fast lächerlich, dass das achtundzwanzigstöckige Gebäude bei seiner Vollendung im Jahr 1928 nicht nur das höchste Gebäude in Florida, sondern südlich des Ohio war. Mit seiner Fassade aus weißem Kalkstein sticht es immer noch zwischen den überwiegend gesichtslosen Glaskonstruktionen hervor, die es überragen. Das Innere des Gebäudes ist dagegen weniger eindrucksvoll, die Halle wartet immer noch auf Mittel für die mehrfach verschobene umfassende Renovierung, und die Mehrzahl der Gerichtssäle macht einen so muffigen Eindruck, wie sie bisweilen riechen.

»Geben Sie Ihren Namen und Ihren Beruf an«, weist mich der Gerichtsschreiber an, als ich in den Zeugenstand trete und meine Absicht bekunde, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen.

»Bailey Carpenter. Ich arbeite als Ermittlerin für die Kanzlei Holden, Cunningham und Kravitz.«

»Wie geht es Ihnen, Bailey?«, fragt Sean Holden, nachdem ich Platz genommen habe. Sean ist nicht nur mein Chef, sondern auch einer der Gründer und Staranwälte der Firma, obwohl er erst zweiundvierzig ist. Ich beobachte, wie er sein blaues Nadelstreifenjackett zuknöpft, und mir fällt auf, was für ein stattlicher Mann er ist. Er ist nicht das, was man gemeinhin als gut aussehend bezeichnet, seine Gesichtszüge sind ein wenig derb, seine haselnussbraunen Augen zu klein und zu stechend, seine dunklen Haare ein bisschen zu lockig, seine Lippen eine Spur zu voll. Einfach ein bisschen zu viel von allem, was für gewöhnlich allemal genug ist, um die Gegenseite gehörig einzuschüchtern.

Der zur Verhandlung stehende Fall ist relativ einfach: Unser Mandant, Eigentümer einer erfolgreichen Bäckereikette, wird von einer ehemaligen Angestellten wegen unrechtmäßiger Kündigung verklagt. Er hat die Frau im Gegenzug verklagt, weil sie Firmengeheimnisse an seinen Hauptkonkurrenten verraten haben soll. Die Frau hat bereits ausgesagt, dass ihre Treffen mit dem fraglichen Konkurrenten, einem Mann, den sie und ihr Mann seit ihrer Kindheit kennen, vollkommen harmlos gewesen seien und nur der Planung einer Überraschungsparty zum vierzigsten Geburtstag ihres Mannes gedient hätten. Freiwillig hat sie weiter erklärt, dass sie eine ehrliche Frau sei, die das Vertrauen eines Arbeitgebers nie wissentlich hintergehen würde. Das war ihr Fehler. Zeugen sollten nie freiwillig irgendetwas sagen.

Sean stellt mir eine Reihe scheinbar harmlose Fragen zu meiner Tätigkeit, bevor er langsam zum Grund meiner Anwesenheit kommt. »Ihnen ist bekannt, dass Janice Elder unter Eid ausgesagt hat, sie sei, ich zitiere, ›eine ehrliche Frau, die zu einem solchen Betrug nicht fähig ist‹.«

»Ja, das ist mir bekannt.«

»Und Sie sind hier, um diese Aussage zu widerlegen?«

»Ich habe Beweise, die sowohl die Beteuerung ihrer Ehrlichkeit als auch die Aussage widerlegen, dass sie zu einem Betrug nicht fähig sei.«

Der Anwalt der Gegenseite springt sofort auf. »Einspruch, Euer Ehren.«

»Mrs Elder hat diesen Aspekt durch ihre Aussage selbst aufgeworfen«, stellt Sean fest, und der Richter lehnt den Einspruch knapp ab.

»Sie sagten, Sie haben Beweise, die sowohl die Beteuerung ihrer Ehrlichkeit als auch die Aussage widerlegen, dass sie zu einem Betrug nicht fähig sei?«, fragt Sean unter wörtlicher Wiederholung meines Satzes.

»Ja, die habe ich.«

»Und was sind das für Beweise?«

Ich blicke auf meine Notizen, obwohl ich sie in Wahrheit nicht brauche. Sean und ich sind meine Aussage tagelang durchgegangen, und ich weiß genau, was ich sagen werde. »Am Abend des 12. März 2013«, beginne ich, »bin ich Mrs Elder zum Doubleday Hilton Hotel in Fort Lauderdale gefolgt …« Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie Mrs Elder sich mit Panik in den Augen hastig mit ihrem Anwalt berät.

»Einspruch«, sagt ihr Anwalt wieder.

Wieder wird der Einspruch abgelehnt.

»Fahren Sie fort, Miss Carpenter.«

»Ich habe beobachtet, wie sie an der Rezeption eine Schlüsselkarte in Empfang genommen hat. Zimmer 214, gebucht von einem Mr Carl Segretti.«

»Was? Zum Teufel!«, ruft ein Mann, der auf der Bank direkt hinter Mrs Elder aufgesprungen ist. Es ist Todd Elder, Janice’ Mann, dessen gebräuntes Gesicht feuerrot angelaufen ist. »Du machst heimlich mit Carl rum?«

»Einspruch, Euer Ehren. Das hat absolut nichts mit dem anstehenden Fall zu tun.«

»Im Gegenteil, Euer Ehren …«

»Du verlogene kleine Schlampe!«

»Ruhe im Gerichtssaal.«

»Du hast meinen verdammten Cousin gevögelt?«

»Gerichtsdiener, entfernen Sie diesen Mann.« Der Richter schlägt mit dem Hammer auf seinen Tisch. »Die Verhandlung ist für eine halbe Stunde unterbrochen.«

»Gute Arbeit«, lobt Sean mich aus dem Mundwinkel, als ich beim Verlassen des Gerichtssaals an ihm vorbeigehe, während Mrs Elders hasserfüllter Blick in meinem Rücken brennt wie Säure.

Während ich im Flur warte, ob ich noch einmal in den Zeugenstand gerufen werde, checke ich die Nachrichten auf meinem Handy. Alissa Dunphy, seit drei Jahren Anwältin in der Kanzlei, bittet mich, das mögliche Wiederauftauchen eines gewissen Roland Peterson zu untersuchen, eines säumigen Vaters, der vor ein paar Monaten aus Miami geflohen ist, weil er keine Lust hat, seiner Exfrau mehrere hunderttausend Dollar zu zahlen, die er ihr und seinen Kindern an Unterhalt schuldet.

»Nun, das war eine ziemlich unangenehme Überraschung«, sagt eine Stimme hinter mir, als ich das Handy gerade in meine überdimensionierte Leinentasche stecke....