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Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

Galileio Galilei, Dr. Heinz-Joachim Fischer

 

Verlag Edition Erdmann in der marixverlag GmbH, 2014

ISBN 9783843804387 , 648 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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24,99 EUR


 

HINFÜHRUNG


ICH SCHWÖRE AB, VERFLUCHE UND VERWÜNSCHE


»Io Galileo, fig.lo del q. Vinc.o Galileo di Fiorenza, dell’età mia d’anni 70 … Ich, Galileo Galilei, Sohn des verstorbenen Vincenzio Galilei aus Florenz,

70 Jahre alt,

schwöre ab, verfluche und verwünsche

mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben

besagte Irrtümer und Ketzereien:

nämlich, für wahr gehalten und geglaubt zu haben,

dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich

und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege.«

(Übersetzung aus dem Italienischen von Emil Strauss, 1891)

So steht es in dem Dokument der Römischen Inquisition vom 22. Juni 1633 über das Ende des Prozesses gegen Galileo Galilei, der vor 450 Jahren, am 15. Februar 1564, in Pisa geboren wurde. Allerdings – um der Aussagekraft gemäß dem vorherrschenden Verständnis und der Kürze willen –, vom Autor dieser Hinführung redigiert, journalistisch zugespitzt. So erscheint es als Galileis bedingungsloser, erzwungener Widerruf des hier veröffentlichten Buches, »Dialogo sopra i due massimi sistemi«, »Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme« von 1630/32.

Ich war tief bewegt, damals, als ich die Originalakten des Prozesses gegen Galileo Galilei vor mir sah. Josef Metzler, der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs (von 1984 bis 1995, 2012 gestorben), ein freundlich-bescheidener Ordenspriester aus Hessen, als Wissenschaftler international hoch angesehen, hatte als Hausherr höchstpersönlich mich durch die langen, unterirdischen Korridore geführt, an teils vergitterten und abgeschlossenen Regalen vorbei. Da lagen sie, die Dokumente, die einen historischen Einschnitt bedeuten: das Unrecht gegen einen Großen der europäischen Naturwissenschaft und zugleich der Beweis für den gigantischen, schier unverzeihlichen Irrtum der Römischen Kirche.

DEMONSTRATIVE GEGNERSCHAFT –
BESCHÄMTE ENTSCHULDIGUNGEN


Mit den obigen Worten endete ein Prozess vor der Inquisition der Römischen Kirche und es beginnt, grob gesagt, ein Krieg, zuerst unmerklich, später anschwellend. Ein intellektueller, ideologischer Kampf zwischen der forschenden Naturwissenschaft und der katholischen Kirche. Eine heftige Fehde, die noch immer, am Anfang des 21. Jahrhunderts, die einen sich empören lässt und in Gegnerschaft zur Kirche treibt, die anderen zu beschämten Entschuldigungen bringt und sie moderne Aufgeschlossenheit beteuern lässt. Ist beides 450 Jahre nach Galileis Geburt noch zeitgemäß? Das eine wie das andere? Der Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit gegen die älteste Kultur-Institution der Welt? Die Beteuerung, so erst wieder im Juni 2013 durch den neuen Papst Franziskus in seiner ersten Enzyklika, »Lumen Fidei. Das Licht des Glaubens«, (zusammen mit Benedikt XVI.). Die hochheilige Versicherung, dass Glauben und Forschen sich nicht widersprächen? Glaubwürdig »nach Galilei«?

Galilei hat mich fasziniert. Und ich bin ihm oft begegnet. Als römischer Zeitungskorrespondent, zuständig für Italien und den Vatikan, fand ich häufig seine Spuren. In Pisa, seinem Geburtsort mit der Elite-Hochschule, dem Schiefen Turm, auf dem die Fallgesetze sofort einleuchten, und dem pendelnden Leuchter im Dom. Im Schiffs-Arsenal von Venedig, wo man damals neue Techniken zur Verbesserung der Navigation dringend brauchen konnte. In der Universität von Padua, wo er recht und schlecht die besten Jahre seines Lebens, zwischen 36 und 54, als Mathematiklehrer verbrachte und auf den wissenschaftlichen Durchbruch hinarbeitete. Und schließlich in Florenz, wo er seit 1610 das wohl dotierte Amt eines Hof-Mathematikers der herrschenden Medici ausübt; wo seine letzte Villa im Vorort Arcetri steht; wo schließlich in der erhabenen Groß-Kirche von Santa Croce ein prachtvolles Grabmal von seinem unbestrittenen Ruhm kündet. Überall in Italien gilt er als säkularer Nationalheiliger, einer der großen Weltberühmten, der dem Land zur Ehre gereicht, ungeachtet kirchlicher Belange.

DOMINIKANER UND JESUITEN


Und natürlich stieß ich in Rom auf ihn. Da tritt der dramatische Moment noch näher, im Dominikanerkloster Santa Maria sopra Minerva neben der gleichnamigen Kirche in der Nähe des Pantheons. Hier war es – mit Schaudern lernte ich es –, dass Galilei auf den Knien seiner Überzeugung abschwören musste. Das Buch verleugnen, das er nach unzähligen Experimenten mit heißem Herzblut geschrieben hatte, damit eine neue Methode in der Physik begründend: »Dialogo sopra i due massimi sistemi. Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das Ptolemäische und Kopernikanische.« Dort im Kloster suchte der Dominikaner-Pater Ambrosius Eßer (1932–2010), Kirchenhistoriker und lange Jahre General-Relator für die vatikanischen Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Angehöriger jenes Ordens, der besonders eifrig die Inquisition betrieben hatte, mir den »Fall Galilei« mit den Zeitumständen und als Priester mit dem schwierigen Charakter Galileis zu erklären. Was alles zutrifft, doch den kirchlichen Grundirrtum nicht mindert.

Anders die Jesuiten, mit denen ich zu tun hatte. Ihre »Gesellschaft Jesu« war als Gemeinschaft von Ordenspriestern eine Generation vor Galilei, 1534, gegründet worden und schnell zur intellektuellen Avantgarde der Römischen Kirche aufgestiegen. Sie waren maßgeblich an den Prozessen gegen Galilei beteiligt, doch wussten es schon damals besser – dazu später mehr – und nahmen sich nun des Problems auf ihre, auf elegante Weise an. Sie ließen im »Germanicum«, dem Päpstlichen Kolleg für Theologiestudenten aus Mitteleuropa, im Dezember 1969 Bertolt Brechts »Leben des Galilei« aufführen; ich sah als Student den Wissenschaftshelden und die taumelnden Kirchendiener mit Staunen. Die Revision in der Kirche schritt nach dem Konzil (1962–1965) voran. Und so musste ich einige Jahre später als Vatikan-Korrespondent immer wieder über die Bemühungen der Römischen Kirche berichten, von Galilei und seinem Fluch loszukommen.

KLUGES NACHGEBEN – PÄPSTLICHER HOCHMUT


»Ich, Galileo Galilei schwöre ab, verfluche und verwünsche …« Dieser Widerruf steht auch am Anfang seines Weltruhms. Gleichgültig, ob er danach noch den nicht weniger bekannten Spruch gemurmelt oder sich nur gedacht hat, »Eppur si muove – Und sie bewegt sich doch!« Die Erde nämlich. Im Unterschied zur Sonne. Als ob er den beamteten Glaubenswächtern in Rom zum Trotz bedeuten wollte: »Ihr werdet schon sehen, wohin ihr kommt! Und ich bin euch mit dem Nachgeben des Klügeren für meine letzten Lebensjahre los. Denn ich muss noch so viel forschen.«

Darf man sich deshalb den knapp siebzigjährigen Galileo Galilei beim Verlassen des Inquisitionsklosters im Angesicht des Pantheon, bei der Abreise aus Rom als zufriedenen Mann vorstellen? Er hätte es, finde ich, zu Recht sein können. Darauf deutet auch ein bekanntes Porträt von 1636, drei Jahre später. Es stammt von keinem Geringeren als dem Flamen Justus Sustermans (1597–1681), dem Hofmaler der Medici, der Großherzöge der Toskana, einem der Besten seiner Zunft: Ein nun 72 Jahre alter Lebensweiser blickt uns aus wachen Augen an, kein geduckt Verfemter, sondern ein Sicherer, gewiss nicht ohne Alterskummer, doch mit sich im Reinen.

Papst Urban VIII. (1568, 1623–1644) im Vatikan, die Kardinäle in ihren neuen römischen Barockpalästen und die Inquisitoren im Kloster wären demnach zu Unrecht befriedigt gewesen. Ihr Irrtum, ihre versuchte Unterdrückung der Wahrheit sollte fürchterlich auf die Kirche zurückschlagen. Verraten dies nicht zwei Porträts des verantwortlichen Papstes, des Maffeo Barberini? Eines von Caravaggio, eines von Gianlorenzo Bernini. Ein hochintelligenter, ehrgeiziger Mann blickt an uns vorbei, hochmütig, sich stets überlegen dünkend, seiner Sache, selbst der theologischen, zu sicher; selbstzufrieden lässt er die Kirche auf ein Riff laufen.

FREIHEITSSTATUE DER MENSCHHEIT


So ist Galileo Galilei nicht als Philosoph oder Mathematiker, nicht als Physiker oder Astronom die leuchtende Symbolfigur des forschenden menschlichen Geistes geworden. Da steht er nur in einer Reihe mit anderen Bedeutenden. Der Fortschritt der Wissenschaft, so bemerkt Albert Einstein 1952 lakonisch, wäre »mit oder ohne Galileo« gekommen. Denn nicht nach ihm wird die »Kopernikanische Wende« vom geo- zum heliozentrischen Weltbild benannt, sondern nach einem Domherrn aus dem nördlichen Fürstbistum Ermland in Preußen, Nikolaus Kopernikus, der 100 Jahre vor ihm (1473–1543) lebte und als gläubiger Christ, im Frieden mit der Kirche, starb. Galilei ist auch nicht als politisch Verfolgter, als heldenhafter Widerstandskämpfer gegen die...