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Sterben und sterben lassen - Kriminalroman

Georg Haderer

 

Verlag Haymon, 2014

ISBN 9783709935859 , 392 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

13.


Gernot Reindl, Pächter des Tischlerwirts, stand an der Zapfanlage und ließ seinen Blick über den Gastraum schweifen. Neben dem Stammtisch waren noch vier weitere Tische besetzt; nicht schlecht für einen Dienstag. Seit ein paar Wochen kamen die Leute wieder vermehrt zum Essen; seitdem er sich endlich dazu durchringen hatte können, den Josip zu entlassen und eine neue Köchin einzustellen. Hart für einen 55-jährigen mit drei Kindern, keine Frage; gerne hatte er es sicher nicht getan, aber wenn einer von Berufs wegen kochte, sollte es den Gästen eben auch schmecken. Und jetzt, mit der neuen, der Anke, die vorher sechs Jahre in Ischgl gewesen war und sich nach dem Wahnsinn jetzt nach was Ruhigerem umgeschaut hatte, da war das endlich so, wie er es sich vorgestellt hatte; ein Glücksgriff eben, die ging selber einkaufen, stellte die Karte zusammen, hatte aber nicht gleich von Anfang alles umgekrempelt, was ja auch nicht ideal ist in einem Ort, wo die Leute Wert auf Beständigkeit legen. Echt ein Glücksgriff, die Anke, anders konnte er es gar nicht ausdrücken.

»Was ist jetzt?«, kam es vom Stammtisch herüber, »wird das heute noch was mit unserem Bier?«

»Ja ja«, raunte Reindl, der tatsächlich die letzte Bestellung seiner Kartenrunde vergessen hatte. Zur Wiedergutmachung – oder im Sinne des Customer Relationship Managements, wie er beim letzten Fortbildungskurs gelernt hatte – stellte er neben die drei Biergläser und den Krug Wein vier Stamperl Hausbrand aufs Tablett. »Kommt der Wolfgang heute gar nicht?«, fragte er in die Runde, während er die Gläser abstellte.

»Gesagt hat er nichts«, erwiderte Spieler eins, legte die eben gemischten Karten ab und ließ seinen Tischnachbarn abheben. »Geh leck, jetzt hat der Hund schon wieder einen Kriten …«

»Dass er kommt oder dass er nicht kommt?«, setzte der Wirt nach.

»Nichts hat er gesagt, hab ich gesagt!«, die Männer fächerten die ihnen zugeteilten Karten auf. »Was ist los heute, Wirt? Vergesslich und begriffsstutzig, bist in deine neue Köchin verschossen?«

»Schlagwechsel«, kam es von Spieler zwei.

»Depp«, der Wirt räumte die alten Gläser ab und leerte den Aschenbecher. »Nachfragen wird man wohl noch dürfen.«

»Unter«, rief Spieler eins. »Hast du ihn die letzten Tage einmal gesehen?«

»In die Herz.«

»Seit vorletzter Woche schon nicht mehr, deswegen frag ich ja«, meinte der Wirt und verließ den Tisch.

»Die Gitti hab ich beim Spar getroffen, gestern«, brachte Spieler drei ein und warf eine Karte in die Tischmitte.

»Drei«, kam es von Spieler eins. »Und? Hat’s was gesagt, wie’s ihm geht?«

»Ja eh, hat’s gesagt … was ist? Geht’s mit?«

»Sicher … was für mich heißt, dass es ihm beschissen geht, weil sonst ist die Gitti eine, die nichts aus lässt, und wenn die einmal sagt: Ja, eh … das heißt schon was.«

»Sakra, hat der den Weli auch noch«, brummte Spieler vier, »na ja, ich möchte auch nicht in seiner Haut stecken … einen erschießen, und noch dazu einen von da, den Mann von der Thurner … nervlich war er nie der stärkste, der Wolfgang, und mit seiner Firma, wie lange das noch geht …«

»Und der gehört auch noch uns, danke, meine Herren«, Spieler eins sammelte die Karten ein, stapelte sie und gab sie an seinen Tischnachbarn weiter. »Ich hätte ja geglaubt, dass der schon lange nicht mehr auf die Jagd geht … schreibst du eh richtig, Karli, ein Dreier war das, gell!«

»Ist er auch nicht … Zehner … sicher fünf Jahre schon nicht mehr, frag ich mich eh, was den da geritten hat.«

»In die Eichel … wird’s ihm halt wieder einmal zu eng geworden sein daheim … meine Frau hat neulich gesagt, dass die überhaupt kurz vor der Scheidung stehen … die Gitti kann ja schon eine ganz schöne Giftspritze sein, wenn du mich fragst …«

»Milchspritze wohl eher, bei dem Balkon«, meinte Spieler drei, worauf das Stammtischlachen das ganze Lokal erfüllte.

»Und … kriegt er jetzt einen Prozess?«

»Ja was glaubst … fahrlässige Tötung, auf jeden Fall«, wechselte Spieler eins ins Hochdeutsch, »kann er froh sein, wenn er nicht sitzen geht!«

»Das macht den Thurner auch nicht wieder lebendig … Geht’s?«

»Hast du was?«, Spieler zwei musterte sein Gegenüber. »Na dann gemma halt … was muss der Depp da auch in aller Herrgottsfrüh im Wald herumlaufen.«

»Ja so ist es jetzt auch wieder nicht, dass man bei uns im Wald damit rechnen muss, erschossen zu werden«, Spieler drei wischte die Karten zusammen und begann mit dem Mischen. »Da hat schon noch der Jäger die Hauptverantwortung, möchte ich meinen.«

»Sicher, sicher … war ja nur so daher geredet, wegen dem Thurner, mit dem bin ich nie warm geworden. Komischer Vogel …«

»Aber die Sylvia, die wäre schon einmal was zum Bettwärmen.«

»Ass … das probierst du, dann schießt dich der Strommer nieder«, meinte Spieler vier und nickte ernsthaft, »kannst dich erinnern, damals, beim Maifest, wie ihr der Harald, in der Fetten, so nachgestiegen ist, zack, hat er eine Watschen picken gehabt … da versteht er keinen Spaß, der Onkel Luis.«

»In die Schell.«

»Ja, ganz sauber ist das nicht, das Verhältnisvon den beiden, wenn du mich fragst.«

»Ah, red nicht so gescheit daher«, Spieler eins leerte sein Bier und winkte dem Wirt. »Zuerst macht sich der Vater aus dem Staub, dann stirbt die Mutter so jung … da wärst du auch froh, wenn sich jemand so um dich kümmert.«

»Mir auch noch eins!«, rief Spieler zwei dem Wirt zu. »Ja, keine Frage, damals war das sicher die Rettung … aber seit sie in der Politik ist, sei mir nicht böse, da ist doch hauptsächlich er dahinter, wenn du mich fragst.«

»Reaktionäre Deppen seid’s ihr«, brachte Spieler vier ein, »kaum ist eine Frau in der Politik, muss gleich wer anderer dahinterstecken … ich finde die sehr sympathisch, verglichen mit den korrupten Bonzen bei den Schwarzen ist die ja eine Lichtgestalt …«

»Was Schöneres.«

»Ja! Und das weiß er, der Strommer!«, Spieler zwei kippte seinen Schnaps hinunter und schlug das leere Stamperl auf den Tisch. »In zehn Jahren ist die Gesundheitsministerin, spätestens, hat er zu mir gesagt, letztens, bei der … der Vernissage da …«

»Ja ja, warum nicht … jung ist sie, fesch, gescheit … der Strommer kennt Gott und die Welt …«

»Und hat das nötige Geld«, ergänzte Spieler vier.

»Hilft halt auch nicht immer«, meinte Spieler zwei, »beim Bosch hat er sich die Zähne ausgebissen, was ich gehört habe.«

»Ja, den wenn der Wolfgang erschossen hätte«, sinnierte Spieler eins, »da würde ihm keiner den Prozess machen.«

»Red nicht so saudumm daher«, mischte sich der Wirt ein und stellte die Getränke ab. »Solche Sprüche will ich da herinnen wirklich nicht hören.«

14.


Wo waren die Xanor? Wo waren diese beschissenen Tabletten! Frederik Bosch riss alle Schubladen auf, wühlte die vier Kartons durch, die er unter dem Küchentisch hervorgezogen hatte. Nichts. Die Zigarette, die der Bulle ihm gegeben hatte. Wo hatte er die halbgerauchte Zigarette hingetan? Er fand sie schließlich in seiner Hosentasche. Setzte sich auf die Matratze am Boden und rauchte sie in drei tiefen Zügen fertig. Er stand auf, ging zur Spüle und trank zwei Glas Wasser auf ex. Wunderbar kalt war das hier. Er wusch sich den kalten Schweiß von der Stirn, griff zur Fernbedienung und versuchte erneut, ein Bild auf den Fernseher zu bekommen. Was funktionierte nicht mit diesem Scheiß? Schneerauschen. Er ließ den Fernseher an. Starrte aus dem Fenster. Dunkelheit. Bis wieder irgendetwas den Bewegungssensor der Außenbeleuchtung auslöste. Ein Tier wahrscheinlich. Warum hatte er die Waffen in den Keller gebracht? Er stellte sich vor, dass es sich gut anfühlen müsste: die Hand um den Griff der Pistole, das Gewehr auf den Küchentisch zu legen. Aber jetzt in den Keller hinunter. Das traute er sich ebenso wenig, wie über den Hof zum Auto, um im Handschuhfach nach den Tabletten zu suchen. Wie spät war es? Halb eins. Er hätte sich den Computer kaufen sollen, wie er es vorgehabt hatte. Dazu so ein Internet, das man ohne Kabel sofort installieren kann. Oder zumindest ein paar DVDs. Bücher, Scheiße, schaffte er nicht. Wenn er schon bei Dan Brown nach einer halben Seite vergaß, was er gelesen hatte. Und der war wirklich Sonderschulniveau. Da brauchte er mit dem Dostojewski-Schinken, den ihm Jürgen gegeben hatte, gar nicht erst anfangen. Fuck, das einzige Geschenk, Abschied oder Willkommen, scheißegal, das einzige Geschenk, das er hatte, war von einem Pädophilen. Wenn man die beiden Waffen außer Acht ließ, die ihm Heinz da gelassen hatte. Aber ob das Überhaupt Absicht gewesen war? War ja zum Schluss auch nicht mehr ganz klar im Kopf gewesen, was er so gehört hatte. Scheiße, Heinz. Das Beste, was seiner Mutter je passiert war. Dass er mit dem Suff klargekommen ist. Ist ja echt kein Spaß, eine Alte zu haben, die sich jeden zweiten Tag vollkotzt oder anscheißt. Aber vielleicht hat sie sich mit ihm ja halbwegs in den Griff bekommen, war ja möglich, dass sie in den letzten Jahren noch einmal ein paar helle Momente gehabt hat. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, bei einem ihren raren Besuche, hatte sie schon eine Haut wie eine überreife Williamsbirne gehabt, Zirrhose im Endstadium, die Haut an den Händen wundgekratzt von zwischenzeitigen Entzugsversuchen, Zeige- und Mittelfingerkuppen braun vom Kettenrauchen, wie eine Sandlerin war sie...