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Arbeit der Zukunft - Möglichkeiten nutzen - Grenzen setzen

Reiner Hoffmann, Claudia Bogedan

 

Verlag Campus Verlag, 2015

ISBN 9783593432144 , 520 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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26,99 EUR

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Gestaltungsanforderungen an die
Arbeit der Zukunft: Elf Thesen
Reiner Hoffmann
Die Debatte über die Zukunft der Arbeit ist keineswegs neu, sie durchzieht die gesellschaftspolitischen und gewerkschaftlichen Diskurse seit vielen Jahrzehnten. Bereits in den 1950er Jahren prognostizierte Hannah Arendt, dass der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehen würde. Ralf Dahrendorf griff die These in den 1980er Jahren auf: Er sagte das Ende der Arbeitsgesellschaft vorher und erklärte die Gewerkschaften zu Dinosauriern der Industriegesellschaft. Auch Jürgen Habermas und André Gorz konstatierten das Ende der arbeitsgesellschaftlichen Utopie, den 'Abschied vom Proletariat' und 'Wege ins Paradies'.
Natürlich war die Debatte auch geprägt von enormen Rationalisie-rungsschüben und einer hohe Massenarbeitslosigkeit. Das von den Ge-werkschaften verfolgte Ziel, Vollbeschäftigung wiederherzustellen, wurde keinesfalls mehr selbstverständlich von der gesamten Gesellschaft geteilt. Die Diskurse in der damals aufkommenden Umweltbewegung und der Partei 'Die Grünen' beförderten die Diskussion über Alternativen zur Erwerbsarbeit.
Angesichts eines hohen Beschäftigungsstandes in Deutschland hat in-zwischen erneut ein Perspektivenwechsel stattgefunden. Statt über die Be-freiung von der Arbeit zu debattieren, geht es um die Befreiung in der Arbeit. Das unterstellt aber zugleich: Arbeit - oder genauer: Erwerbsarbeit - hat eine Zukunft. Deshalb heißt das vorliegende Buch 'Arbeit der Zukunft'. Wie diese genau aussehen wird, lässt sich heute nicht mit Sicherheit sagen. Zu viel hängt von politischen Kräfteverhältnissen, gesellschaftspolitischen Diskursen und den sogenannten Megatrends (wie Globalisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel) ab, die sich nur schwer antizipieren lassen.
Aber manches liegt doch auf der Hand: Die Erfahrungen der internationalen Finanzmarktkrise haben gezeigt, dass wir durchaus nicht auf dem Weg in eine schöne neue, 'reine' Dienstleistungsgesellschaft sind - und dies auch nicht wünschenswert ist. Natürlich wird sich der wirtschaftliche Strukturwandel erheblich auf die zukünftige Branchenzusammensetzung auswirken, es wird zu einer weiteren 'Verflüssigung' der Branchenstrukturen kommen. Und natürlich werden vor allem produktionsorientierte Dienstleistungen einen wichtigen Stellenwert einnehmen; Industrie und Dienstleistungen werden sich immer stärker verzahnen.
Dennoch wird Erwerbsarbeit auch weiterhin in hohem Maße von der industriellen Wertschöpfung abhängen. Nicht umsonst hat die EU-Kom-mission im letzten Jahr das politische Ziel einer Reindustrialisierung Europas weit nach oben auf die politische Agenda gesetzt - und in Deutschland ist der Anteil industrieller Wertschöpfung mit 25 Prozent schon jetzt im europäischen Vergleich außerordentlich hoch. Industriearbeit wird ihren hohen Stellenwert für die Arbeit der Zukunft behalten.
Bevor ich die Gestaltungsanforderungen an die Arbeit der Zukunft formuliere, gilt es zunächst, auszuloten, welche Kernanforderungen wir an Arbeit stellen, was also für uns Gute Arbeit ausmacht.
1. These: Gute Arbeit ist
menschengerecht gestaltete Arbeit.
Es bedeutet in der Tat eine erhebliche Anstrengung, Arbeit zu 'Arbeit mit menschlichem Antlitz' zu machen, wie das bereits 1944 die Erklärung von Philadelphia über die Ziele und Zwecke der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gefordert hatte. Die Arbeitsforschung ist dafür ein zentraler Hebel, weshalb sie schnellstens ausgebaut werden muss. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat die Investitionen in die Arbeits- und Humanisierungsforschung für 2015 noch einmal aufgestockt. In den Folgejahren sollen die Mittel weiter erhöht werden. Damit wird eine gewerkschaftliche Forderung aufgegriffen.
Wir wollen und werden die Chancen und Potenziale der Arbeit der Zukunft nutzen. Gleichzeitig muss Arbeit besser gestaltet werden, um Psychostress und Leistungsdruck am Arbeitsplatz zu mindern, Qualifizierung zu stärken und die Arbeitszeit im Sinne der Beschäftigten zu flexibilisieren.
Neben entwicklungs- und persönlichkeitsfördernden Aspekten der Ar-beitsgestaltung und der Erhöhung der Arbeitsqualität besteht besonderer Forschungs- und Handlungsbedarf zu gesundheitsförderlichen Arbeitsbe-dingungen. Die Befunde deuten darauf hin, dass in den letzten Jahren vor allem die Zahl psychischer Erkrankungen infolge von zunehmendem Stress und unzureichenden Anstrengungen bei der Gestaltung von Arbeitsaufgaben, Arbeitsmitteln und Arbeitsorganisation sowie sozialer Arbeitsbedingungen drastisch angestiegen ist.
Wenn wir über menschengerecht gestaltete Arbeit sprechen, dürfen wir uns nicht auf Deutschland und Europa beschränken. Die Globalisierung von Wertschöpfungsketten geht in vielen Fällen mit der Ausbeutung von Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern in Entwicklungsländern einher, wie wir dies in jüngerer Zeit besonders dramatisch in der Textilindustrie erlebt haben.
Arbeitsgestaltung und Gute Arbeit in anderen Weltregionen sind auch ein Anliegen der deutschen Gewerkschaften.
2. These: Gute Arbeit braucht
Qualifizierungs- und Entwicklungschancen.
Bildung und Qualifizierung sind schon seit Jahren Topthemen in der öf-fentlichen Debatte. Und das aus gutem Grund: Die erreichten Bildungsabschlüsse sind ein zentraler Platzanweiser in unserer Gesellschaft. Noch immer gilt die Faustregel: Je höher der Bildungsabschluss, desto besser sind die Chancen auf Teilhabe am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft. Liegt die Arbeitslosenquote von Akademikern bei 2,5 Prozent, sind bei den An- und Ungelernten 20 Prozent arbeitslos. Und dieser Trend wird sich noch verschärfen: Der Einsatz neuer Technologien (Stichwort Industrie 4.0), der Abbau von Hierarchien im Betrieb, die Verlagerung koordinierender Aufgaben auf die ausführende Ebene - all das stellt höhere Anforderungen an die Beschäftigten.
Bildungsabschluss, Qualifizierung und Gute Arbeit hängen also zusammen. Das Recht auf eine gute Bildung und Ausbildung ist zentral, wenn es darum geht, den Menschen ein Leben und eine Arbeit in Würde zu bieten. Deshalb haben wir im Dezember 2014 gemeinsam mit Bund, Ländern und Wirtschaft die 'Allianz für Aus- und Weiterbildung' geschmiedet. Sie ist die entscheidende Grundlage für die Stärkung der dualen Ausbildung in diesem Land. Wir können es nicht hinnehmen, dass rund 260.000 junge Menschen in Maßnahmen für den Übergang von der Schule zur Ausbildung stecken - oftmals ohne Aussicht auf einen Berufsabschluss. Die neue Allianz steht für einen Paradigmenwechsel: weg von den zahllosen Maßnahmen im Parallelsystem hin zu betrieblicher Ausbildung, bei Bedarf mit professioneller Begleitung.
Bildung ist das Fundament für Gute Arbeit und für die Arbeit der Zu-kunft, die sich über verschärften Wettbewerbsdruck in globalen Märkten behaupten muss. Dazu gehören auch deutlich größere Anstrengungen, um das Konzept eines lebensbegleitenden Lernens zu realisieren. Wenn die Halbwertszeit technologischer Innovationen immer kürzer wird, dann sind auch Qualifikationen immer schneller überholt. Daher ist der Ausbau der Weiterbildung über die gesamte Erwerbsbiografie dringend voranzutreiben - im Rahmen von Tarifverträgen und gesetzlichen Bil-dungszeiten.
Bildung und Bildungspolitik dürfen aber nicht auf die ökonomischen Verwertungsbedingungen reduziert werden. Gute Bildung ermöglicht auch die demokratische und kulturelle Beteiligung am gesellschaftlichen Leben und hat somit immer auch eine emanzipatorische Dimension.
3. These: Gute Arbeit ist mitbestimmte Arbeit.
Mitbestimmung ist die Grundlage dafür, dass auch in der digitalen Arbeitswelt individuelle Wünsche, soziale Interessen und ökonomischer Erfolg im Zusammenwirken mit den Tarifverträgen auf Augenhöhe ausbalanciert werden. Keiner soll auf eine betriebswirtschaftliche Kennziffer reduziert werden. Wirtschaften ist kein Selbstzweck. Mitbestimmung macht die Arbeitnehmerin und den Arbeitnehmer zur Bürgerin und zum Bürger im Betrieb. Mitbestimmung stärkt den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft.
Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten machen den Unterschied. Ohne die Übernahme von Verantwortung in Wahl- und zugleich Ehrenämtern würden die bürgernahen Institutionen, auch Betriebe und Unternehmen, nicht funktionieren. Hier werden Interessen ausgeglichen, Konflikte auf das Machbare hin bearbeitet und die Arbeits- und Lebenswelt ganz konkret gestaltet. Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter geben unserem Zusammenleben das demokratische Gesicht gegenüber den Arbeitgebern. Das ist die zivilisatorische Leistung von Mitbestimmung.
Gute mobile Arbeit, wachsende Digitalisierung und Vernetzung in der Arbeitswelt, Datenschutz sowie Stress und psychische Belastungen sind wichtige Themen der nahen Zukunft. Aber bei allen Anforderungen an die neue Flexibilität bleibt der Schutz ein leitendes Motiv für das Engagement in der betrieblichen und unternehmensbezogenen Mitbestimmung. Denn am Druck auf das Arbeitsleben der Menschen und damit an ihrem - rechtlich abgesicherten - Schutzbedürfnis hat sich durch den Strukturwandel der Arbeitswelt nichts geändert.
In Zukunft wird es weniger als bisher um Sicherung des beruflichen Status quo gehen, sondern vor allem um Beteiligung, die den Einzelnen in beruflichen Veränderungspassagen unterstützt und seine Position auf dem Arbeitsmarkt auch jenseits des gegenwärtigen Betriebs schützt. Gerade in einer sich verändernden Arbeitswelt können und müssen mit den Mitteln des Betriebsverfassungsgesetzes Tarifvertrag und Tarifautonomie wieder stärker zur Geltung gebracht werden. Wo heute der Mindestlohn gilt, muss für die (Neu-)Gründung und Verbreitung von Betriebsräten gesorgt werden. Wer sollte besser über die Einhaltung und die praktische Ausgestaltung gesetzlicher und tariflicher Normen wachen?
Die zivilisatorische Kraft von Mitbestimmung und Gewerkschaften wird sich daran messen lassen müssen, ob sie 'Gute Arbeit für ein besseres Leben' für möglichst viele gestalten kann. Denn die Einkommenssicherung durch eigener Hände Arbeit wird der Dreh- und Angelpunkt einer funktionierenden und beteiligungsorientierten Bürgergesellschaft bleiben.
Mit der 'Offensive Mitbestimmung' des DGB wollen wir unseren Gestaltungswillen unterstreichen: Keiner soll beim radikalen Wandel der Arbeitswelt durch Digitalisierung ins Bodenlose fallen. Mitbestimmung stellt dafür das gesellschaftspolitische Fundament und die Instrumente zum konkreten (Aus-)Handeln bereit. Die aktuellen Themenfelder wie Vereinbarungen zur Stressvermeidung, zu Möglichkeiten für betriebliche Weiterbildung oder zum Datenschutz sind auch für die Arbeit der Zukunft zentrale Herausforderungen.
Mitbestimmung hat sich der neuen Arbeitswelt angepasst und sich modernisiert. Das traditionelle Stellvertretermodell ist häufig differenzierteren Vertretungsformen gewichen: mehr direkter Beteiligung und der Öffnung der betrieblichen Mitbestimmung für unterschiedliche Interessenslagen der Beschäftigten. Die Gewerkschaften sind davon überzeugt:
-Nur mitbestimmte Arbeit ist Gute Arbeit.
-Gute Unternehmensführung ist mitbestimmte Unternehmensführung.
-Mitbestimmung ist aktive Demokratisierung in der Wirtschaft, die über Arbeitsplätze und Betriebe hinaus wirkt.
Deshalb verknüpfen die Gewerkschaften die Arbeit der Zukunft mit der 'Offensive Mitbestimmung'. Der mitbestimmungspolitische Stillstand in der Politik, sei es in Deutschland oder Europa, muss überwunden werden. Beteiligung und Mitbestimmung müssen zu einem gesellschaftspolitischen Thema werden, für das sich viele engagieren.
4. These: Gute Arbeit muss tariflich geschützt
und gestaltet werden.
Ein weiterer Schwerpunkt für die Arbeit der Zukunft liegt in der Stärkung der Tarifautonomie und Tarifbindung. Diese bleibt auch nach den begrüßenswerten gesetzlichen Regelungen eine zentrale Herausforderung. Es muss Schluss sein mit der täglichen Tarifflucht der Arbeitgeber: Viele organisieren sich nicht mehr in den Arbeitgeberverbänden, oder sie entscheiden sich für eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT). Der Unfug dieser OT-Mitgliedschaften muss beendet werden.
Wie also muss eine Tarifpolitik aussehen, die zunehmend durch freiwillige Unterbrechungen gekennzeichnete Erwerbsbiografien ohne Verlust an Lebensqualität ermöglicht? Und vor allem: Wie gelingt eine Wiederbelebung der Tarifautonomie in den vielen Niedriglohnbranchen? Immerhin gibt es bereits viele erfreuliche Stützungsmaßnahmen, die von der Großen Koalition beschlossen wurden, um einer Prekarisierung entgegenzuwirken, wie die Erleichterung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen aus öffentlichem Interesse, die Öffnung des Arbeitnehmerentsendegesetzes mit der Möglichkeit, höhere Branchenmindestlöhne für alle Wirtschaftszweige abzuschließen, und die geplante Neuregelung, um Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen zu vermeiden. Alle diese Ansätze sind ausbaufähig.
Die Neugestaltung der Tarifpolitik ist auch entscheidend für alters- und alternsgerechtes Arbeiten im Betrieb. Wie wichtig dieses Thema ist, zeigt die wachsende Zahl von Demografie-, Gesundheits- und Qualifizierungstarifverträgen. Diese Tarifverträge behandeln Fragen der alters- und alternsgerechten Arbeitsgestaltung und einer lebensphasenorientierten Personalarbeit. Sie wurden zunächst in einigen Industriebranchen abgeschlossen, nun aber auch immer häufiger im Dienstleistungsbereich.
'Gute Arbeit ist menschengerecht gestaltete Arbeit', 'Gute Arbeit braucht Qualifizierungs- und Entwicklungschancen', 'Gute Arbeit ist mitbestimmte Arbeit', 'Gute Arbeit muss tariflich geschützt und gestaltet werden': Mit diesen vier Thesen habe ich abgesteckt, was Arbeit überhaupt ausmacht - heute und in Zukunft gleichermaßen.
Und was sind die besonderen Gestaltungsanforderungen an die Arbeit der Zukunft? Dazu sieben weitere Thesen: