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Psychoanalyse und Zen-Buddhismus - Psychoanalysis and Zen Buddhism

Erich Fromm, Rainer Funk

 

Verlag Edition Erich Fromm, 2015

ISBN 9783959120449 , 50 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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5. Prinzipien des Zen-Buddhismus


Auf den vorstehenden Seiten habe ich eine kurze Skizze der Freudschen Psychoanalyse und ihrer Weiterentwicklung in der humanistischen Psychoanalyse gegeben. Ich habe über die Existenz des Menschen und die Frage, die sie aufwirft, gesprochen sowie über das Wesen des Wohl-Seins, das als Überwindung von Entfremdung und Getrenntheit definiert wurde, und über die spezielle Methode, mit der die Psychoanalyse versucht, ihr Ziel zu erreichen, indem sie in das Unbewusste eindringt. Ich habe die Frage behandelt, was das Wesen des Unbewussten und des Bewusstseins ist und was „Wissen“ und „Bewusstwerden“ in der Psychoanalyse bedeuten, und schließlich habe ich die Rolle des Psychoanalytikers bei dem Vorgang besprochen.

Um die Vorbedingungen für eine Diskussion der Beziehungen zwischen der Psychoanalyse und dem Zen zu schaffen, müsste ich eigentlich eine systematische Übersicht über den Zen-Buddhismus geben. Glücklicherweise ist das nicht notwendig, da Dr. Suzukis Vorträge in diesem Buch[19] (sowie seine anderen Veröffentlichungen) genau das Ziel verfolgen, ein Verständnis des Wesens des Zen zu vermitteln, soweit das mit Worten überhaupt möglich ist. Ich muss jedoch von denjenigen Prinzipien des Zen sprechen, die eine direkte Beziehung zur Psychoanalyse haben.

Das Wesentliche am Zen ist der Gewinn von Erleuchtung (Satori). Wer dieses Erlebnis nicht gehabt hat, kann Zen niemals vollkommen verstehen. Da ich selbst Satori nicht erlebt habe, kann ich über Zen nur am Rande und nicht so darüber sprechen, wie man es eigentlich sollte – aus dem Reichtum des Erlebnisses heraus. Aber das ist nicht deshalb, wie C. G. Jung gemeint hat, weil Satori „eine Art und einen Weg der Erleuchtung bezeichnet, welche nachzufühlen dem Europäer fast unmöglich ist“ (C. G. Jung, 1939). In dieser Hinsicht ist Zen für den Europäer nicht schwieriger als Heraklit, Meister Eckhart oder Heidegger. Die Schwierigkeit liegt an der ungeheuren Anstrengung, die zur Erlangung des Satori erforderlich ist; diese Anstrengung ist mehr, als die meisten Menschen auf sich zu nehmen bereit sind, und deshalb ist Satori sogar in Japan selten. Jedoch, wenn ich auch über Zen nicht als Autorität sprechen kann, hat mir das Glück, dass ich Suzukis Bücher kennengelernt, eine ganze Anzahl seiner Vorträge gehört und auch sonst alles über den Zen-Buddhismus gelesen habe, was mir zugänglich war, wenigstens eine ungefähre Vorstellung vermittelt, worin [VI-335] Zen besteht, eine Vorstellung, die, wie ich hoffe, mich befähigt, den Versuch eines Vergleichs zwischen dem Zen-Buddhismus und der Psychoanalyse zu wagen.

Was ist das Hauptziel des Zen? Mit Suzukis Worten:

Zen ist seinem Wesen nach die Kunst, in die Natur seines Seins zu blicken, und es zeigt den Weg von der Knechtschaft zur Freiheit. (...) Wir können sagen, dass das Zen alle Energien freisetzt, die in jedem von uns richtig und natürlich aufgespeichert, aber unter normalen Bedingungen verkrampft und verzerrt sind, so dass sie keinen angemessenen Kanal zur Betätigung finden. (...) Es ist deshalb das Ziel des Zen, uns davor zu bewahren, geisteskrank oder verkrüppelt zu werden. Das verstehe ich unter Freiheit, dass man allen schöpferischen und wohlwollenden Impulsen, die in unseren Herzen schlummern, freien Spielraum lässt. Im allgemeinen sind wir der Tatsache gegenüber blind, dass wir alle notwendigen Fähigkeiten besitzen, die uns glücklich und anderen gegenüber liebevoll machen. (D. T. Suzuki, 1956, S. 3.)

Wir finden in dieser Definition eine Anzahl wesentlicher Aspekte des Zen, die ich gerne hervorheben möchte: Zen ist die Kunst, in die Natur seines Seins zu blicken, es ist ein Weg von der Knechtschaft zur Freiheit, es setzt unsere natürlichen Energien frei, es bewahrt uns davor, geisteskrank oder verkrüppelt zu werden, und es zwingt uns, unserer Fähigkeit zum Glücklichsein und zur Liebe Ausdruck zu verleihen.

Das höchste Ziel des Zen ist das Erlebnis der Erleuchtung, Satori genannt. Dr. Suzuki hat es in diesen Vorträgen und seinen anderen Veröffentlichungen so genau beschrieben, wie dies überhaupt möglich ist. Ich möchte hier einige Aspekte hervorheben, die für den westlichen Leser und vor allem für den Psychologen von besonderer Bedeutung sind. Satori ist keine abnorme Geistesverfassung, es ist kein Trancezustand, in der die Wirklichkeit verschwindet. Es ist kein narzisstischer Gemütszustand, wie man ihn bei manchen religiösen Erscheinungen beobachten kann. Es ist höchstens „der vollkommen normale Zustand des Geistes“. Wie Joshu erklärte: „Zen ist euer tägliches Denken“, und: „es hängt von der Art, wie eine Türangel angebracht ist, ab, ob die Tür nach innen oder nach außen aufgeht“. Satori hat auf den Menschen, der es erlebt, eine eigenartige Wirkung.

Alle deine geistigen Kräfte wirken in einem neuen Grundton, beglückender, friedvoller, freudiger als je zuvor. Die Tonart des Lebens ist geändert. Es liegt etwas Verjüngendes im Besitz des Zen. Die Frühlingsblumen lachen heiterer, der Bergstrom rinnt kühler und klarer zu Tal. (D. T. Suzuki, 1934, S. 97°f.; dt.: S. 136.)

Offensichtlich ist Satori die wahre Erfüllung des Zustandes des Wohl-Seins, den Dr. Suzuki im oben zitierten Absatz beschrieben hat. Wenn wir versuchen, die Erleuchtung mit psychologischen Ausdrücken zu beschreiben, möchte ich sagen, sie sei ein Zustand, in dem der Mensch mit der Wirklichkeit in sich und außerhalb seiner vollkommen übereinstimmt, ein Zustand, in dem er sich ihrer vollkommen bewusst ist und sie vollkommen erfasst. Er ist sich ihrer bewusst – das heißt, weder sein Gehirn noch irgendein anderer Teil seines Organismus, sondern er, der ganze Mensch. Er ist sich ihrer bewusst, und zwar nicht als eines Objektes, das er mit seinem Denken erfasst, sondern ihrer, der Blume, des Hundes, des Menschen, in ihrer oder seiner vollen Realität. Wer erwacht, ist für die Welt offen und aufnahmefähig, und er kann offen und aufnahmefähig sein, weil er aufgehört hat, an sich als an einem Ding festzuhalten, und [VI-336] weil er dadurch leer und aufnahmebereit geworden ist. Erleuchtung bedeutet „das volle Erwachen des ganzen Menschen zur Wirklichkeit“.

Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass der Zustand der Erleuchtung kein Zustand der Dissoziation oder Trance ist, in dem man glaubt, erwacht zu sein, während man in Wirklichkeit tief schläft. Der westliche Psychologe wird natürlich geneigt sein zu glauben, dass Satori nur ein subjektiver Zustand, eine Art selbstinduzierter Trance sei, und selbst ein Psychologe, der dem Zen so anteilnehmend gegenübersteht wie Dr. Jung, verfällt in den gleichen Fehler. Jung schreibt:

Auch die Einbildung ist ein psychischer Vorgang, weshalb es völlig irrelevant ist, ob eine „Erleuchtung“ „wirklich“ oder „eingebildet“ genannt wird. Der, welcher eine Erleuchtung hat oder zu haben vorgibt, meint auf alle Fälle, erleuchtet zu sein. (...) Selbst wenn er löge, wäre seine Lüge eine seelische Tatsache. (C. G. Jung, 1939.)

Das entspricht natürlich Jungs allgemeiner relativistischer Einstellung in Bezug auf die „Wahrheit“ religiöser Erfahrungen. Im Gegensatz zu ihm glaube ich, dass eine Lüge niemals eine „geistige Tatsache“ oder irgendeine andere Tatsache ist, außer, dass sie eine Lüge ist. Wie dem aber auch sein mag, Jungs Einstellung wird ganz gewiss nicht von Zen-Buddhisten geteilt. Im Gegenteil, es ist für sie von höchster Bedeutung, zwischen dem echten Satori-Erlebnis, in dem wirklich ein neuer Gesichtspunkt gefunden wird und das daher wahr ist, und einem Pseudoerlebnis zu unterscheiden, das hysterischer oder psychotischer Natur sein kann und in dem der Zen-Schüler überzeugt ist, dass ihm Satori zuteilwurde, während ihm der Zen-Meister klarmachen muss, dass es nicht der Fall ist. Genau das ist eine der Funktionen des Zen-Meisters, wachsam zu sein, dass der Schüler wirkliche und eingebildete Erleuchtung nicht verwechselt.

Für die Wirklichkeit hellwach zu sein bedeutet, wieder in psychologischen Begriffen gesprochen, dass man eine vollkommen „produktive Orientierung“[20] erlangt hat. Das heißt, dass man sich zur Welt nicht rezeptiv, ausbeutend, hortend oder in der Weise des Marketing-Menschen in Beziehung setzt, sondern schöpferisch und tätig (im Sinne Spinozas). Im Zustand voller Produktivität gibt es keine Schleier, die das Ich vom Nicht-Ich trennen. Das Objekt ist kein Objekt mehr; es steht nicht mehr mir gegenüber, sondern ist bei mir. Die Rose, die ich sehe, ist kein Objekt für mein Denken, so wie wir sagen: „Ich sehe eine Rose“, und damit nur feststellen, dass das Objekt, eine Rose, zu der Gattung „Rose“ gehört, sondern in der Bedeutung: „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.“

Der Zustand der Produktivität ist gleichzeitig der Zustand der größten Objektivität; ich sehe das Objekt ohne Entstellung durch meine Gier und Angst. Ich sehe es, wie es ist, nicht wie ich will, dass es ist oder nicht ist. Bei dieser Art der Wahrnehmung gibt es keine parataktischen Entstellungen, sondern sie ist vollkommen lebendig, und es besteht eine Synthese zwischen Subjektivität und Objektivität. Ich erlebe intensiv – und doch bleibt das Objekt das, was es ist. Ich erwecke es zum Leben – und es erweckt mich zum Leben. Das Satori erscheint nur dem geheimnisvoll, der sich nicht bewusst ist, in welchem Ausmaß seine Wahrnehmung der Welt rein gedanklicher oder parataktischer Natur ist. Wenn man sich dessen bewusst ist, ist man sich...