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Preussens Luise - Vom Entstehen und Vergehen einer Legende

Günter Bruyn

 

Verlag Siedler, 2009

ISBN 9783641010379 , 144 Seiten

Format ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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5,99 EUR


 

Umwertungen (S. 99-100)

»Das Deutsche Reich ist tot! Preußen folgt nach! – Mit harten Tritten ging Stein zur Türe. – Deutschland ist nicht tot! rief Frau von Berg zitternd in die verstört stehende Gesellschaft. Nun werdet ihr die Luise kennenlernen!« Nach dem »Fridericus« von 1918 erschien 1919 der zweite Band von Walter von Molos Romantrilogie »Ein Volk wacht auf« unter dem Titel »Luise«, ein Zeitroman in historischem Gewand. Die von Preußen verlorene Schlacht von Jena und Auerstedt, in deren Vorfeld obige Szene spielt, steht hier für den von Deutschland verlorenen Weltkrieg, und in Luise wird die Hoffnung auf Deutschlands Zukunft personifiziert. Ein Briefzitat von ihr wird als Motto vorangestellt: »Wir müssen durch: sorgen wir nur dafür, daß wir mit jedem Tag reifer und besser werden.«

Im Gegensatz zu der von den Hohenzollern geförderten Legende, die Luise als Mustergattin und -mutter zeigte, macht Molo aus ihr nach der Entmachtung der Hohenzollern eine Entwicklungsheldin, die sich, enttäuscht von der Flachheit und Leere des Lebens bei Hofe, von einer ungebildeten und unpolitischen Prinzessin zu einer Vorkämpferin für ein freies und einiges Deutschland mausert und damit zum Widerpart ihres feige zögernden Mannes und zur Parteigängerin Hardenbergs, Steins, Blüchers und eines zum Widerstand gegen Napoleon entschlossenen Volkes wird. Die letzten Romanseiten zeigen Luise auf der Flucht in der Kälte des ostpreußischen Winters.

In einem ärmlichen Quartier liegt sie, in einen Pelzmantel gehüllt, vor dem Kamin auf den Knien und betet das Vaterunser, wobei sie den Bitten »Und vergib uns unsere Schuld« und »Erlöse uns von dem Übel« eine auf den Mangel an Kriegsbereitschaft in Preußen und das Übel Napoleon bezogene aktuell-politische Bedeutung gibt. Die letzten Worte, mitsamt den das Pathos verstärkenden Absätzen und Pünktchen, sind dann diese: »Wie ein Heiligenschein floß das durchleuchtete Haar um ihr Haupt, wie Schlangen ringelte es sich über den offenstehenden Pelz zu den Brüsten, deren Weiße Luisens bekennende Finger umschlossen und bergend an sich preßten, als gewönne sie dadurch Kraft.

Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit ... in Ewigkeit ... Amen! Denn Dein ist das ... Reich? Luisens Augen glänzten auf, sie ... lächelten ins Flammenlicht. Denn Dein ist das ... Reich!? Dein ist ... das Deutsche Reich!? Frohlockend hob sie die Arme. Sie rang die Hände zum Sternenhimmel. Deutsch sein heißt Mensch sein! Oh Gott! Schaffe dies Deutschland!« Das zielte nicht nur auf eine Menschwerdung der Untertanen durch die Stein-Hardenbergschen Reformen, sondern auch auf eine menschliche Gemeinschaft im neuen Staat von 1919.

Aus der braven Luise der Hohenzollern war bei Walter von Molo, der sich später übrigens nie mit den Nationalsozialisten gemein machte, sondern in den zwölf Hitlerjahren konsequent die innere Emigration wählte, eine politisch aufbegehrende republikanische Deutsch- Nationale geworden – ein Beispiel von vielen für die literarische Nutzung von Mythen für Zwecke der Gegenwart. Ein Erfolg dieser Methode, wie ihn Molo damals erzielte, setzte voraus, daß die Mythe, die nuanciert oder völlig umgewertet wurde, zum allgemein bekannten Bildungsgut gehörte, und das war kurz nach dem Ende des Kaiserreiches bei der Königin Luise durchaus noch der Fall.