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Auge des Mondes - Roman

Brigitte Riebe

 

Verlag Diana Verlag, 2009

ISBN 9783641015541 , 305 Seiten

Format ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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3,99 EUR

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ERSTES BUCH BASTET

eins


Nachts gehörten die flachen Dächer von Per-Bastet den Katzen, und auch tagsüber schienen die einstmals so scheuen Tiere die Stadt mehr und mehr in Besitz zu nehmen, so dreist trieben sie sich inzwischen überall herum. Nur auf dem Markt wurden sie immer verjagt, obwohl es dort so verführerisch roch. Unverrückbar blieb er Domäne der Frauen, die alle unverschämten Bettler und Räuber in Tiergestalt verscheuchten. Die ersten Händlerinnen erschienen jeden Morgen sehr früh, um sich die besten Plätze zu sichern. Kaum hatte Re seine Nachtmeerfahrt beendet und stieg als glühender Sonnenball am östlichen Horizont neu empor, begannen sie schon emsig den staubigen Boden zu fegen und ihre Waren auszulegen: manche auf leinenen Tüchern, andere auf Binsenmatten, wieder andere in Körben, die ebenfalls aus Papyrus geflochten waren, der hier im Delta verschwenderisch wie Unkraut wucherte.
Mina kannte jede von ihnen, ebenso wie das, was sie Tag für Tag feilzubieten hatten: je nach Jahreszeit Zwiebeln, Bohnen, Linsen und Hirse, dazu die grünen, frischen Lauchstangen, Gurken, Dill, Koriander, Bockshornklee und glutrote Safranfäden, die zwar sündhaft teuer, aber dennoch äußerst begehrt waren. Andere offerierten Feigen, Datteln und Granatäpfel oder schichteten kleine Kuchen aus Mehl und Honig zu klebrigen Kegeln auf, während breitfüßige Bäuerinnen sich bemühten, ihre aufgebrachten Hühner- und Entenscharen, die sich aufführten, als ahnten sie bereits, dass ihr Ende nicht mehr lange auf sich warten ließ, in den überfüllten Käfigen zu beschwichtigen.
Am späteren Vormittag gesellten sich dann die Wunderfrauen dazu, mit duftenden Kräutergirlanden um den Hals, sich brüstend, mit ihren geheimen Rezepturen jeder nur denkbaren Unpässlichkeit den Garaus machen zu können: Von Tinkturen für Glatzköpfige, die neu sprießenden Haarwuchs verhießen, über verschiedenste Fruchtbarkeitszauber bis hin zu Medizin gegen Schlaflosigkeit und Impotenz reichte ihr Repertoire.
Danach wurde es Zeit für den Schlangenbeschwörer, einen dünnen, verwahrlosten Kerl mit verfilzten Haaren, begleitet von einer alten Kobra, die längst ihre Giftzähne verloren hatte und mit ihrem matten Schlängeln gerade noch furchtsamen Mäusen Angst einflößen konnte. Wie von Zauberhand waren mit einem Mal auch die Akrobaten da, die sich als lebende Menschenpyramiden mit halsbrecherischen Kunststücken aufeinanderstapelten.
Bis zuletzt schließlich das Häuflein der Geschichtenerzähler eintrudelte, unter denen Mina als ungekrönte Königin galt. Sie brauchte kein Krokodil wie Sedi, der Aufschneider, der einen einäugigen Kaiman abgerichtet hatte, um mit seiner Hilfe die Schrecken des Krokodilgottes Sobek heraufzubeschwören; ebenso wenig hatte sie es nötig, sich stark riechender Essenzen zu bedienen, deren Dämpfe die weißhaarigen Zwillingsschwestern aus ihren verbeulten Räucherbecken aufsteigen ließen, um genügend Zuhörer anzulocken. Mina verließ sich ganz auf die Kraft der Sprache, für sie seit jeher die stärkste und machtvollste aller Waffen.
Sie wusste, worauf es ankam, vertraute ihrem Gespür für den richtigen Einsatz. Zu früh zu beginnen konnte bedeuten, dass die weibliche Aufmerksamkeit noch auf den Erwerb von Lauch und Zwiebeln gerichtet war, zu spät, dass die Frauen sich in Gedanken bereits wieder an der heimischen Kochstelle eingefunden hatten.
Meistens überlegte sie nicht einmal, womit sie anfangen solle, sondern überließ es der Geschichte, schwerelos aus ihrem Inneren aufzusteigen, wo sie ein riesiges Reservoir als ihren kostbarsten Schatz hütete. Sie begann leise, fast beiläufig, als spreche sie zu sich selber, eine vielfach erprobte Methode, um erste Neugierige anzulocken. Kaum hatten sie einen aufmerksamen Kreis um die Erzählerin gebildet, hob sie die Stimme und ließ ein paar Bewegungen einfließen. Ein zweiter Kreis formte sich, dann ein dritter, bis schließlich eine dichte Traube von Zuhörerinnen Minna eng umschloss. Dann erst steigerte sie Tempo, Spannung und Mimik. Wenn nun endlich alle Mina fasziniert anstarrten und kaum noch zu schlucken wagten, aus Furcht, das Wichtigste zu verpassen, dann kreiste das Glück wie starker, würziger Wein in ihrem Kopf.
Das Ende kam eigentlich immer zu schnell, egal, wie geschickt sie es auch hinausgezögert hatte. Sie sah es an den Gesichtern, die plötzlich wieder verdrossen waren, an der Unwilligkeit, mit der die Menschen sich zerstreuten, als würden sie am liebsten weiterhin Schulter an Schulter beisammenstehen und atemlos alles in sich aufsaugen. Dann überfiel auch Mina Müdigkeit, der Beginn einer großen Ruhe, die langsam durch ihren Körper rieselte. Diese Schlacht war erfolgreich geschlagen. Jetzt galt es durchzuatmen, bevor sie sich für die nächste rüstete.
Das waren die guten Momente, die sich bis in ihre Träume stahlen, doch gelegentlich ging es auch weniger erfreulich zu. So auch heute, nachdem schon der Tagesanbruch so unerträglich schwül gewesen war, als hätten die Tränen der Isis bereits den großen Fluss steigen lassen. Dabei waren es noch gute drei Wochen bis zum Neujahrsfest, wo mit achet die Jahreszeit der Überschwemmung einsetzen würde und die Bauern ihre Feldarbeit beenden mussten, um nicht in den Fluten des Nils zu ertrinken. An den Ufern traf man gerade die letzten Vorbereitungen: Dämme wurden verstärkt, Bewässerungsgräben gereinigt, neue Auffangbecken ausgehoben. Allerdings war bislang die erfrischende Brise ausgeblieben, die Mensch und Tier sonst bei der Arbeit friedlich stimmte.
Stattdessen machte die drückende Feuchte heute alle mürrisch und gereizt, wozu auch noch das schrille Katzengeschrei beitrug, das von der nah gelegenen Tempelanlage herüberdrang. Es mussten Aberdutzende sein, die sich dort auf engem Raum empörten, so zumindest hörte es sich an. Wieso führten sie sich so auf, wo doch ohnehin alles nach ihrem Willen lief?
Schon den Kleinsten in Per-Bastet war geläufig, wie sehr die Tempelkatzen als geliebte Kreaturen der Bastet von der Priesterschaft verwöhnt und verhätschelt wurden. Sie tränkten und fütterten sie verschwenderisch, bürsteten und streichelten sie und begruben sie sogar mit ihrem Lieblingsspielzeug, während draußen in den Gassen der Stadt Menschen verhungerten, um die man sich sehr viel weniger scherte.
Minas frühere Zuneigung zu diesen geschmeidigen Fellwesen war seit einiger Zeit verflogen, genau genommen, seit die Göttin ihr so hartnäckig die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches verweigert hatte. Seitdem waren ihr Katzen gleichgültig geworden, manchmal sogar lästig, und mehr und mehr überkam sie das beklemmende Gefühl, als würden sie sich buchstäblich über Nacht vermehren.
Sie zog die Stirn kraus, hob ihre Stimme um eine Nuance, was die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlte, war aber noch immer nicht zufrieden. Sie hatte sich für Lüge und Wahrheit entschieden, was sie freilich schon nach den ersten Sätzen bereute, denn der Funke wollte heute nicht recht zünden. Doch jetzt war es zu spät, um noch etwas daran zu ändern. Für Liebesgeschichten war sie wahrlich nicht in Stimmung, und die wundervollen alten Verse über Isis und Osiris, die sie so liebte, waren für sie schon lange tabu. Weshalb diese Kostbarkeiten an Leute verschwenden, die sich bereitwillig unter der Perserherrschaft duckten, als sei Kemet nicht einst ein freies, stolzes Reich gewesen?
Es kostete Kraft, jetzt nicht einfach mittendrin aufzuhören, obwohl sie spürte, wie entfernt sie heute von ihrer sonstigen Meisterschaft war. Vielleicht lag es ja an dem Fremden, der mittendrin aufgetaucht war und jetzt ganz selbstverständlich zwischen all den Frauen stand, bewegungslos, als seien seine Füße im Boden verwurzelt. Selten genug, dass sie hier auf dem Markt einen Mann unter ihrer Zuhörerschaft hatte, und einer wie er war ihr bislang noch gar nicht untergekommen.
Er gehörte, das hatte sie auf den ersten Blick erkannt, zu den verhassten Persern, die hier in Per-Bastet immer zahlreicher wurden, seit Darius sich zum Pharao über das Schwarze Land aufgeschwungen hatte. Mittelgroß und kräftig, trug er nicht den üblichen Schurz wie jeder vernünftige Einheimische, sondern trotz der Schwüle ein bodenlanges, blaues Gewand mit breiten Borten an Kragen und Saum. Seine männlichen Gesichtszüge waren bartlos, was für einen Perser außergewöhnlich war. Eine markante Nase, die ihm gut stand, dichtes, nackenlanges Haar, leicht gelockt, bei dem das Silber bereits den Kampf gegen ein mattes Braun gewonnen hatte. Die feingliedrigen Hände hielt er ineinander gefaltet, geschmückt von einem auffallenden Ring mit einem silbergefassten Lapislazuli. Seine Augen konnte sie nicht sehen, weil er den Blick hartnäckig gesenkt hielt. Um seine Mundwinkel aber spielte wie ein ständiger Schatten ein kleines Lächeln, das Mina fast in den Wahnsinn trieb.
Lachte er sie aus? Oder grinste er lediglich, weil er so gut wie kein Wort verstand?
Auch die umstehenden Frauen schien...