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Ewige Jugend - Commissario Brunettis fünfundzwanzigster Fall

Donna Leon

 

Verlag Diogenes, 2016

ISBN 9783257607154 , 336 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

{26}2


Am nächsten Morgen nutzte Brunetti ihre Kaf‌feepause in der Bar am Ponte dei Greci, um mit Vianello über die Gäste der Contessa Lando-Continui und vor allem über die Contessa selbst zu reden. Brunetti ließ sich darüber aus, wie die Contessa den Verfall der Stadt beklagt hatte – bis ein Gast sie zum Schweigen gebracht hatte, indem er sie mit Lob überschüttete.

»Wer widerspricht denn schon, wenn er gesagt kriegt, wie wunderbar er ist«, meinte Vianello dazu, eine Bemerkung, der Bambola hinterm Tresen mit verständnisvollem Kopfnicken zustimmte. Nach kurzem Überlegen fragte Vianello: »Wie stehen die beiden denn zueinander? Ist er ein Verwandter? Ein Angestellter?« Er nippte an seinem Kaf‌fee – die Brioche war längst gegessen – und fuhr dann fort: »Nur jemand, der etwas haben will, bauchpinselt einen so. Aber dazu müsste er sie sehr gut kennen.«

Darüber hatte Brunetti auch schon nachgedacht. Nur jemand, der uns näher kennt, weiß, für welche Vorzüge wir gern gelobt werden – und für welche nicht. Paola war taub für Komplimente über ihr Aussehen, ließ sich aber von jedem einwickeln, der ihre Schlagfertigkeit lobte. Und er selbst ließ sich nicht in seine Arbeit hineinreden, während jedes Lob für seine geschichtlichen Kenntnisse oder literarischen Vorlieben ihm Vergnügen bereitete.

»Er hat ihre Großzügigkeit hervorgehoben, ihre Generosität«, erklärte Brunetti, wobei man beim letzten Wort {27}die Gänsefüßchen hörte. Er hatte keine Ahnung, ob sie das Loblied verdiente. Abgesehen von dem, was am gestrigen Abend zur Sprache gekommen war, wusste er so gut wie nichts über die Aktivitäten der Contessa. Ja er wusste überhaupt wenig über sie. Generosität jedoch war eine Eigenschaft, die Venezianern, ob adlig oder nicht, selten nachgesagt wurde.

»Weißt du etwas über sie oder ihre Familie?«, fragte er.

»Lando-Continui«, murmelte der Ispettore. Er beobachtete, mit dem Rücken gegen die Theke gelehnt, die Passanten, die über die Brücke in Richtung griechische Kirche gingen. »In Mestre gibt es einen Notar Lando-Continui; bei dem war mein Cousin mal, als er seine Wohnung verkaufen wollte.« Nun begegneten sich Leute auf der Brücke, die einen verschwanden im Inneren von Castello, die anderen liefen Richtung bacino oder San Marco.

»Da war noch was, aber ich komme gerade nicht drauf«, sagte Vianello enttäuscht, und weil Pattas Sekretärin sicherlich fixer war als sein Gedächtnis: »Du könntest ja Signorina Elettra fragen, wenn es wichtig ist. Es gab da etwas Unerfreuliches, vor Jahren, aber ich komme einfach nicht drauf.«

»Ich kenne die Contessa schon länger«, sagte Brunetti, »aber wir haben immer nur über Nichtigkeiten geplaudert. Gestern Abend bekam ich zum ersten Mal einen deutlichen Eindruck von ihr. Sie ist gar nicht so steif, wie ich dachte. Allerdings«, fügte er hinzu, »ist sie frustriert.«

»Worüber?«

»Darüber, dass unsere schöne Stadt zur Kasbah verkommen ist«, säuselte Brunetti spöttisch. »Nicht mehr die {28}Stadt, in der ich als Kind gespielt habe.« Dann wieder mit normaler Stimme: »Man kennt das ja.«

»Klingt nicht viel anders als das, was wir selber auch sagen, oder?«, meinte Vianello, und Bambola wandte sich grinsend ab.

Brunetti unterdrückte eine leichte Verstimmung und sagte: »Schon möglich.« Hatten ihn die Klagen der Contessa etwa deswegen so genervt, weil er sich unbewusst darin wiedererkannte?

Er griff in die Tasche und legte zwei Euro auf den Tresen. Sergio, der Besitzer der Bar, hatte den Kaf‌feepreis auf einen Euro zehn angehoben, jedoch nicht für die Mitarbeiter der Questura. Die zahlten weiterhin nur einen Euro, »bis«, wie Sergio zu sagen pflegte, »der Euro wieder abgeschaff‌t wird und wir zur Lira zurückkehren und alles billiger wird«. Niemand in der Questura besaß den Mut, dies mit Sergio zu diskutieren, alle ließen sich den Vorzugspreis gefallen.

 

Zurück im Büro fand Brunetti auf dem Schreibtisch einen großen Umschlag vor, über dessen zugeklebte Lasche seine Kollegin Claudia Griffoni ihren Namen gekritzelt hatte.

Er riss ihn auf und zog sechs Plastikmappen mit den neuesten Berichten jener Beamten heraus, die befugt waren, bezahlte Informationen einzuholen. Brunetti wusste, andere Beamte unterhielten inof‌fizielle, durchaus nicht immer koschere Beziehungen zu Kriminellen und bezahlten sie mit Gefälligkeiten oder Zigaretten oder, fürchtete er, mit Drogen, die sie bei Razzien beschlagnahmt hatten. Die sechs Beamten hingegen – fünf Männer und eine Frau –, deren Berichte er alle zwei Monate las, bezahlten mit Geld {29}vom Innenministerium: Die Quittungen waren an die Berichte gehef‌tet, jeder Euro war sorgfältig verzeichnet, auch wenn die ausgewiesenen Beträge natürlich nicht auf ihre Angemessenheit überprüft werden konnten.

Nur schon die erste: eine Restaurantquittung über 63,40 Euro, darunter in Schönschrift »6,60 Euro Trinkgeld«. Siebzig Euro für die Information, dass afghanische Flüchtlinge auf Lastwagen aus Griechenland nach Italien gebracht wurden – was man auch gratis an jeder Straßenecke in Mestre oder aus Il Gazzettino erfahren konnte. Derselbe Beamte berichtete, ein Freund, Betreiber eines tabacchi in Mogliano, habe von einem (namentlich genannten) Kunden Schmuck zum Verkauf angeboten bekommen unter der Bedingung, dass dessen Herkunft ein Geheimnis bleibe. Preis: zwanzig Euro.

Die anderen hatten kaum Besseres zu bieten. Immerhin hatten nur wenige mehr als fünfzig Euro ausgegeben. Brunetti beschlich ein ungutes Gefühl bei der Vorstellung, dass Verrat für so wenig zu haben war.

Er ging nach unten in Signorina Elettras winziges Büro. Sie saß am Computer, beide Hände reglos über der Tastatur – wie eine Pianistin, die sich zum letzten Satz einer Sonate bereitmacht. Ihr Innehalten, bevor sie in die Tasten griff, zog sich in die Länge. Of‌fenbar war sie in einen Text auf dem Bildschirm vertieft. Als sie sich dann doch zu Brunetti umdrehte, schien sie ihn nicht zu erkennen. Endlich ließ sie die Hände sinken, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

Brunetti kam näher. »Probleme?«, fragte er, da Signorina Elettra immer noch nicht auf ihn reagierte.

{30}Sie blickte auf. Kein Lächeln. Nachdenklich legte sie den Zeigefinger an die Lippen, dann glitt ihre Rechte auf die Tasten. Sie tippte etwas, wartete, tippte weiter, sank zurück und starrte auf den Bildschirm.

Sie rührte sich so lange nicht, dass Brunetti die Geduld verlor: »Was Ernstes?«

Signorina Elettra musterte den Bildschirm mit ungewohnt argwöhnischem Blick, als habe der sie böse angeknurrt. Dann stützte sie die Ellbogen auf den Tisch und legte das Kinn in die Hände. Erst dann antwortete sie: »Schon möglich.«

»Geht das etwas genauer?«

»Unter den heutigen E-Mails an den Vice-Questore war eine mit einem Anhang. Der Absender war mir bekannt, die Adresse nicht. Also habe ich den Anhang nicht geöf‌fnet.«

Sie hielt inne. Da Brunetti keine Ahnung hatte, wovon sie überhaupt redete, beschränkte er sich auf ein knappes »Merkwürdig«. Er nahm an, dass dies eine passende Antwort war.

»Allerdings.«

»Was haben Sie stattdessen getan?«

»Was jeder tun würde«, sagte sie, was ihm auch nicht weiterhalf. Und dann: »Ich habe die Mail samt Anhang als gelesen markiert und gehoff‌t, damit wäre die Sache erledigt.«

Sie sah Brunetti forschend an, ob er ihr folgen könne; anscheinend verriet seine Miene zumindest einen Teil der Wahrheit. Also erklärte sie es ihm: »Damit können die in fremde Systeme eindringen: Wenn man so einen Anhang öf‌fnet.«

{31}»Woher kam die Mail?«, fragte Brunetti.

»Ich habe sie zu einer Adresse des Innenministeriums zurückverfolgt«, sagte sie.

Die Antwort machte ihn sprachlos. Herrgott, sie arbeiteten für das Innenministerium! Warum sollte dort jemand danach trachten, in ihr System einzudringen, wo jede von der Questura gesendete oder empfangene Mail oder SMS ohnedies dort erfasst und gespeichert wurde?

Während Signorina Elettra wieder in die Betrachtung des Bildschirms versank, dachte Brunetti über mögliche Motive nach. Dass ihre Korrespondenz und Telefonate dienstlich überwacht wurden, war nichts Neues: Er glaubte schon lange, dass sowieso jeder von irgendwem abgehört wurde. Wenn allerdings so viele Leute spionierten, statt zu arbeiten, erklärte dies vielleicht, warum es heutzutage so schwierig geworden war, etwas zum Abschluss zu bringen. Auch Brunetti hatte immer den heimlichen Lauscher im Hinterkopf, wenn er telefonierte, und den heimlichen Leser, wenn er eine Mail abschickte. Kein Wunder, dass man nichts mehr erledigt bekam, wenn man ständig neugierige Augen und Ohren berücksichtigen musste.

Aber Spionage auf diesem Niveau war doch hof‌fentlich die Sache von Experten? Eine Sekretärin im Büro eines Vice-Questore di Polizia in einer kleinen Stadt wie Venedig sollte nicht in der Lage sein, einen solchen Angriffsversuch zu bemerken, oder? Versierte Schnüff‌ler wären nicht so ungeschickt.

»Wissen Sie, aus welchem Büro das gekommen ist?«

Sie sah zum Fenster hinaus. Schließlich verneinte sie mit {32}einem widerwilligen Kopfschütteln: »Die Adresse war gefälscht.«

»Und die echte?«

»Keine Ahnung«, gab sie zu. »Ich habe alles einem Freund geschickt und ihn gebeten, sich das mal anzusehen.«

Dieser Freund...