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Der letzte Tag der Schöpfung - Roman - Mit einem Vorwort von Frank Schätzing - (Meisterwerke der Science Fiction)

Wolfgang Jeschke

 

Verlag Heyne, 2009

ISBN 9783641013967 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

Vorwort


von Frank Schätzing
Als mir angeboten wurde, das Vorwort zu Wolfgang Jeschkes Roman »Der letzte Tag der Schöpfung« zu schreiben, war meine erste Reaktion blankes Erstaunen. Ich erinnerte mich an den Titel, obwohl ich ihn nie gelesen hatte. Er repräsentierte damals neben den Werken Stanislaw Lems, Ray Bradburys und einiger weiterer eine Kategorie der Science Fiction, die etwas verkniffen als »ernstzunehmend« bezeichnet wurde. Aber lag das nicht ein Vierteljahrhundert zurück? Heilige Spiralgalaxis! Welch sinistren Plan verfolgte der Verlag? Wollte man mich etwa zurück ins Jahr 1981 transmittieren? Das Genre steckt voller Zeitreisegeschichten – wer seinen Planck gelesen hat und sich hinreichend in der Kosmographie von Paralleluniversen auskennt, weiß, dass man durch die Zeitalter purzelt, eh man sich versieht. Man würde mich also zum Kaffee einladen, heimlich scannen, in Moleküle zertrümmern, meine Bauanleitung in die beginnenden Achtziger irgendeines benachbarten Universums schicken und darauf hoffen, dass ich dort quantengesetzlich wieder zu einem vollständigen Frank Schätzing zusammengefügt werde, der Stein und Bein zu schwören bereit ist, er selber zu sein.
Zugleich war ich nostalgisch bewegt. Wolfgang Jeschke galt uns damals als der Obi-Wan Kenobi der deutschen Science Fiction, einer, der wispernden Respekt genoss. Als Teenager habe ich Zukunftsgeschichten verschlungen wie ein Schwarzes Loch, die Masse der absorbierten Seiten und Einbände dürfte sich rückblickend auf einige Zentner belaufen, und immer wieder tauchte der freundliche Herr mit dem Vollbart auf. Jeschke hatte eine trüffelfeine Nase für Autoren, er veröffentlichte einige der besten Anthologien aller Zeiten und ließ seine eigene Phantasie so virtuos über zukünftige Schauplätze pirouettieren, dass ihm das Feuilleton lange und nachdenkliche Artikel widmete. Damals beschloss ich, eines Tages auch Science Fiction zu schreiben und sie Wolfgang Jeschke – wem sonst!? – anzubieten, doch dann verschlang sich das Schwarze Loch irgendwie selber. Nachdem ich die Bekanntschaft hunderter Außerirdischer gemacht und begriffen hatte, dass die Weizenkörner im Spreu des Genres eher selten zu finden sind, verlor ich das Interesse an klassischer Science Fiction und wandte mich der kontemporären Kunst des Totschlags zu, die, wie man seit Agatha Christie weiß, von großer Ergiebigkeit ist.
Plötzlich wieder mit Jeschke konfrontiert zu sein, drehte die Zeit tatsächlich zurück. Ich war natürlich geehrt. Beruhigte mich über der Erkenntnis, dass man keineswegs beabsichtige, mich in Elementarteilchen zu zerlegen, sondern dem »Letzten Tag der Schöpfung« eine schicke Neuauflage widmete, was ich nur angemessen fand. Wie gesagt, ich hatte versäumt, das Buch beizeiten zu lesen, aber dass der Verfasser in den Olymp der raumfahrenden Rasse gehörte, war sternenklar, daran gab es nichts zu rütteln. Selbstverständlich würde ich ein Vorwort schreiben! Ich würde das Vergnügen haben, einzutauchen ins Zukunftsbild der frühen Jahre, als wir ernsthaft glaubten, die Mannschaft des schnellen Raumkreuzers Orion mit ihren Wirtschaftswunder-Trendfrisuren und den Taillen-Abnähern an Eva Pflugs Uniform repräsentiere das dritte Jahrtausend. Noch enthusiastischer wurde ich, als sich herausstellte, dass es sich beim »Letzten Tag der Schöpfung« tatsächlich um eine Zeitreisegeschichte handelte. Jeder ehrbare Science-Fiction-Fan der frühen Jahre liebt H. G. Wells und seine Zeitmaschine, aber richtig lustig wurde es eigentlich erst, als diverse Autoren den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auf so abenteuerliche Weise verbogen, dass Zeitreisen regelrecht in Mode kamen. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts fuhr man wohl physisch nach Mallorca oder an die Adria, tatsächlich aber erholte man sich in ferner Zukunft oder im Mittelalter oder am besten gleich im Paläozoikum, und selbstverständlich nahm man nicht den nächsten Flieger, sondern stürzte sich in Singularitäten, quetschte sich durch Zeitrisse und drückte auf hübsch blinkende Knöpfe. Zeitreisegeschichten, muss man leider sagen, sind der Science Fiction zum lustvollen Verhängnis geworden. Sie machten zwar den meisten Spaß, bezogen ihn jedoch fast sämtlich aus der konsequenten Umgehung der Naturgesetze, ungetrübt von jeglicher physikalischer Sachkenntnis – Hauptsache, die Reiseroute stimmte.
Ich habe »Der letzte Tag der Schöpfung« dann endlich gelesen, mit knapp dreißig Jahren Verspätung, in einem Rutsch, schlaflos. Was immer ich erwartet hatte, die naive Weltsicht der Anything-Goes-Generation, Altersflecken im Papier, patiniertes Was-wäre-wenn und besagte Vergewaltigungen der Physik – nichts davon ist mir begegnet. Dass eine Erzählung, die so lange zurück liegt, aktuelle Bezüge aufweist, mag man sich noch vorstellen. Dass sie sich jedoch liest, als sei sie eben erst geschrieben worden, hinterlässt einen Augen reibend. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich den Roman empfunden hätte, wäre er mir bei Erscheinen in die Finger gefallen, und war sofort entzückt, ihn damals verpasst zu haben. Denn mit Jeschkes hintersinniger Zeitreise verhält es sich wie mit einigen Bordeaux, die umso besser werden, je länger man sie liegen lässt. Und »Der letzte Tag der Schöpfung« ist heute zweifellos noch besser als zu Beginn der Achtziger! Er ist grandios!
Speziell vor dem Hintergrund der Bush-Administration gewinnt Jeschkes Abenteuergeschichte einen bitter ironischen Unterton, der die unilaterale Politik einer auf Ressourcen versessenen Weltmacht nachgerade prophetisch kommentiert. Die Idee des aberwitzig in Szene gesetzten Öldiebstahls – ob er gelingt, muss man unbedingt selber lesen! – ist zugleich die Chronik einer Intervention von reinster militärischer Blauäugigkeit, sie karikiert die neokolonialistische Haltung selbsternannter Freiheitshüter und den Kontrollwahn einer Menschheit, die gegenüber ihrer technologischen Entwicklung immer mehr ins moralische Hintertreffen gerät. Ob Jeschkes Rahmenbedingungen für eine Zeitreise physikalisch haltbar sind – reizvoll sind sie allemal -, spielt dabei keine Rolle. Die Reise, so spannend sie beschrieben wird, ist lediglich ein dramaturgisches Vehikel, sie nimmt sich weit weniger ernst, als man lange glaubt. Tatsächlich liegt hierin der besondere Charme von Jeschkes Erzählweise: Durchzogen von feinem Spott, gewinnt das Genre Distanz zu sich selbst, nimmt ganz nebenbei die unreflektierte Technikgläubigkeit der Politiker und Militärs auf die Schippe und wirft einen fast liebevoll ironischen und zugleich bitterbösen Blick auf den intelligenten Affen Mensch, wie er selbstherrlich in den dünnen Verästelungen seines Stammbaums thront. Dass im Buch ein Vertreter des zwanzigsten Jahrhunderts mit einer felligen Vorfahrin aus der Urzeit kopuliert, ist kein Zufall. Die Szene, erzählt von einem der Protagonisten, gehört zu den oft nur wenige Zeilen langen Miniaturen, die Jeschkes Roman zum wahren Vergnügen machen. Am Boden eines noch nicht existenten Mittelmeers werden neben Atomgranaten vor allem Seitenhiebe ausgeteilt, dass einem die Rippen schmerzen, oft vor unterdrücktem Lachen. An anderer Stelle wird ein Affenmensch standrechtlich vom Militär exekutiert, obwohl er doch gar nichts getan hat, außer einem Rivalen die Gurgel durchzubeißen. Bis zuletzt ist dem Verurteilten schleierhaft, was daran jetzt so schlimm war. Kabinettstücke dieser Art serviert Jeschke am laufenden Band: Affe entlarvt Affe, oder Mensch Mensch – je nachdem, wie man es lieber hätte.
Am Ende führt sich die Wissenschaft ad absurdum, entpuppt sich der kühne Traum von der Beherrschung der Zeit als Einbahnstraße, und die Helden werden zurückgeworfen auf ihr bloßes Menschsein. Zwischen Nukleargefechten, Kannibalismus und rapider Verelendung, inmitten eines völlig sinnfreien Stellvertreterkriegs, der fünf Millionen Jahre vor unserer Zeit ungehemmt von Genfer Konventionen und ähnlichen Lästigkeiten munter vor sich hin tobt, entwickelt sich so etwas wie eine neue Humanität. Der ganze Aufwand, um Truppen und Material in die Frühzeit zu schicken, findet seinen atomaren Niederschlag in der sattsam bekannten Zerstörung der Umwelt. Mit der Manipulation der Vergangenheit verliert die Zukunft zudem jede Gültigkeit – man kann auch sagen, der Job entledigt sich seiner Auftraggeber, einfach indem er durchgeführt wird. Was bleibt, sind Zeitreisende, die ihre Illusionen gegen die simple Erkenntnis tauschen, dass ein bisschen Freundschaft und ein Sonnenaufgang über Afrika womöglich zum Höchsten gehören, was Menschen je erreichen können. Und darin, man mag es glauben oder nicht, liegt tatsächlich etwas Tröstliches.
Sprachlich und dramaturgisch bietet »Der letzte Tag der Schöpfung« klassische Unterhaltung vom Besten. Bis zum Showdown zieht Jeschke alle Register des großen Abenteuerromans – und hier, nur hier, stellt sich tatsächlich so etwas wie Nostalgie ein, wenn die Gemeinschaft der Gestrandeten plötzlich an Filme wie Das dreckige Dutzend oder Der Flug des Phoenix denken lässt, an verschwitzte Männer unter brennender Sonne, die das Unmögliche vollbringen müssen. Da sind sie dann alle versammelt – John Wayne, Lino Ventura, John Huston und Lee Marvin -, bass verwundert, wer ihnen den Streich mit der blöden Zeitmaschine gespielt hat, und halten Ausschau nach Indianern, Nazis und anderen Lumpen. So ist »Der letzte Tag der Schöpfung« unterm Strich Science Fiction, Kriegsepos und Western in einem, sich zu allem bekennend, ohne je die Außenperspektive zu verlieren – etwa so, wie Papa sich zu seinen Kindern bekennt: stolz, mitunter belustigt und immer mit Nachsicht.
Wolfgang Jeschke, der von 1973 bis 2001 Herausgeber der Heyne SF-Reihe war, wurde für...