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Im Namen der Toten - Inspector Rebus 16 - Kriminalroman

Ian Rankin

 

Verlag Manhattan, 2009

ISBN 9783641012847 , 592 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Freitag, 1. Juli 2005

1


Anstelle eines Schlussgesangs ertönte Musik. The Who, »Love Reign O’er Me«. Rebus erkannte es in dem Moment, als Donnerschläge und prasselnder Regen die Kapelle erfüllten. Er saß in der ersten Bank; Chrissie hatte darauf bestanden. Er hätte lieber weiter hinten gesessen, sein üblicher Platz bei Begräbnissen. Chrissie saß neben ihrem Sohn und ihrer Tochter.
Einen Arm um sie gelegt, tröstete Lesley ihre Mutter, als der die Tränen kamen. Kenny starrte geradeaus und sparte sich seine Gefühle für später auf. Morgens im Haus hatte Rebus ihn nach seinem Alter gefragt: Er wurde im nächsten Monat dreißig. Lesley war zwei Jahre jünger. Bruder und Schwester sahen ihrer Mutter ähnlich, was Rebus daran erinnerte, dass die Leute dasselbe von Michael und ihm gesagt hatten: Ihr seid eurer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Michael... Mickey, um genau zu sein. Rebus’ jüngerer Bruder, im Alter von vierundfünfzig tot in einer Kiste mit polierten Griffen, Schottlands Sterblichkeitsrate wie die eines Landes der Dritten Welt. Lebensstil, Ernährung, Gene – jede Menge Theorien. Der ausführliche Obduktionsbericht war noch nicht fertig. Massiver Schlaganfall, hatte Chrissie Rebus am Telefon gesagt und ihm versichert, Mickeys Tod sei »ganz plötzlich« gekommen – als würde es dadurch besser.
Plötzlich bedeutete, dass Rebus sich nicht mehr hatte verabschieden können. Es bedeutete, dass seine letzten Worte an Michael ein Witz über dessen geliebte Raith Rovers gewesen waren, am Telefon, drei Monate zuvor. Ein blau-weißer Raith-Fanschal war neben den Kränzen auf dem Sarg drapiert worden. Kenny trug eine Krawatte, die seinem Vater gehört hatte, mit dem Wappen der Raith Rovers darauf – irgendein Tier, das eine Gürtelschnalle hielt. Rebus hatte nach dessen Bedeutung gefragt, aber Kenny hatte nur die Achseln gezuckt. Als Rebus’ Blick an der Kirchenbank entlangwanderte, sah er, wie der Platzanweiser eine Geste machte. Alles erhob sich. Chrissie ging, von ihren Kindern flankiert, den Mittelgang hinunter. Der Platzanweiser sah zu Rebus hinüber, aber der blieb, wo er war. Setzte sich wieder, damit die anderen wussten, dass sie nicht auf ihn zu warten brauchten. Das Stück war erst gut zur Hälfte vorbei. Es war das letzte auf Quadrophenia. Michael war großer Who-Fan gewesen, während Rebus die Stones lieber mochte. Er musste allerdings zugeben, dass Alben wie Tommy und Quadrophenia etwas gelang, was die Stones nicht schafften. Daltrey schrie gerade, er könne einen Drink gebrauchen. Dem konnte Rebus sich nur anschließen, aber da war noch die Rückfahrt nach Edinburgh.
Man hatte den Veranstaltungsraum eines örtlichen Hotels gemietet. Alle seien willkommen, hatte der Pfarrer von der Kanzel herunter gesagt. Man würde Whisky und Tee ausschenken und Sandwiches servieren. Es würde Anekdoten und Erinnerungen geben, Lächeln, Augenbetupfen, gedämpfte Geräusche. Die Bedienung würde sich aus Rücksicht auf die Trauergemeinde leise bewegen. Rebus versuchte, sich im Kopf Sätze zurechtzulegen, Worte, die als Entschuldigung dienen sollten.
Ich muss zurück, Chrissie. Die Arbeit.
Er könnte lügen und die Schuld auf den G8-Gipfel schieben. Morgens im Haus hatte Lesley gemeint, er sei sicher eifrig mit den Vorbereitungen beschäftigt. Da hätte er ihr sagen können, ich bin anscheinend der einzige Polizist, den sie nicht brauchen. Aus allen Teilen des Landes wurden Polizeibeamte zusammengezogen. Allein aus London kamen fünfzehnhundert. Nur für Detective Inspector John Rebus schien man keine Verwendung zu haben. Jemand muss die Stellung halten – das waren die Worte, die DCI James Macrae benutzt hatte, während sein Assistent hinter ihm süffisant lächelte. DI Derek Starr hielt sich eindeutig für Macraes Thronerben. Eines Tages würde er das Polizeirevier am Gayfield Square leiten. John Rebus, kaum mehr als ein Jahr vor seiner Pensionierung, stellte keine ernsthafte Bedrohung dar. Starr selbst hatte genau das schon einmal formuliert: Niemand würde es Ihnen übelnehmen, wenn Sie es langsam angehen ließen, John. Das würde jeder in Ihrem Alter machen. Vielleicht, aber die Stones waren älter als Rebus; Daltrey und Townshend auch. Und immer noch produktiv, immer noch auf Tour.
Das Stück ging jetzt zu Ende, und Rebus erhob sich wieder. Er war allein in der Kapelle. Warf einen letzten Blick auf den purpurroten Samtschirm. Vielleicht stand der Sarg noch dahinter; vielleicht war er bereits in einen anderen Teil des Krematoriums geschoben worden. Er dachte an seine Jugend zurück, zwei Brüder, die in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer Singles aus dem Laden unten in der Kirkcaldy High Street hören. »My Generation« und »Substitute«, und Mickey fragt, warum Daltrey bei dem ersten Titel stottert, worauf Rebus antwortet, er habe irgendwo gelesen, dass es von den Drogen komme. Die einzige Droge, die die Brüder sich damals genehmigten, war Alkohol, den sie schluckweise aus den Flaschen in der Speisekammer stibitzten, eine Dose mit widerlichem Stout, die sie öffneten und nach dem Lichtausmachen zusammen tranken. Er erinnerte sich, wie sie an der Kirkcaldy-Promenade stehen, aufs Meer hinausschauen und Mickey »I Can See For Miles« singt. Aber konnte das überhaupt sein? Die Platte kam 1966 oder 1967 raus, als Rebus Soldat war. Musste wohl bei einem Urlaub zu Hause gewesen sein. Ja, Mickey mit seinen schulterlangen Haaren, der versuchte, wie Daltrey auszusehen, und Rebus mit seinem Armeekurzhaarschnitt, der Geschichten erfand, um das Soldatenleben aufregend erscheinen zu lassen, Nordirland noch vor sich …
Damals waren sie einander nah gewesen. Rebus hatte immer Briefe und Postkarten geschickt, und sein Vater war stolz auf ihn gewesen, stolz auf seine beiden Jungs.
Eurer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten.
Er trat hinaus, die Zigarettenschachtel schon geöffnet in der Hand. Um ihn herum standen andere Raucher. Sie nickten ihm zu, scharrten mit den Füßen. Trauergäste studierten die verschiedenen Kränze und Karten, die man neben der Tür aufgereiht hatte. Darauf waren bestimmt die üblichen Wörter wie »Anteilnahme«, »Verlust« und »Trauer« zu lesen, die Familie »immer in unseren Gedanken«. Keine namentliche Erwähnung von Michael. Der Tod hatte sein eigenes Protokoll. Die jüngeren Trauergäste sahen auf ihren Handys nach, ob sie SMS bekommen hatten. Rebus holte seins aus der Tasche und schaltete es an. Fünf entgangene Anrufe, alle von derselben Nummer. Rebus kannte sie auswendig, drückte die Knöpfe und hielt sich das Handy ans Ohr. Detective Sergeant Siobhan Clarke ging sofort ran.
»Ich habe den ganzen Morgen versucht, Sie zu erreichen«, beschwerte sie sich.
»Ich hatte es ausgeschaltet.«
»Wo sind Sie überhaupt?«
»Immer noch in Kirkcaldy.«
Ein tiefer Atemzug am anderen Ende. »Verdammt, das hatte ich total vergessen, John!«
»Kein Problem.« Er beobachtete, wie Kenny seiner Mutter die Autotür aufhielt. Lesley gab Rebus mit einer Geste zu verstehen, dass sie sich auf den Weg zum Hotel machten. Das Auto war ein BMW, offenbar ging es Kenny als Maschinenbauingenieur nicht schlecht. Er war nicht verheiratet; hatte eine Freundin, die es aber nicht geschafft hatte, zur Beerdigung zu kommen. Lesley war geschieden, Sohn und Tochter machten gerade mit ihrem Vater Ferien. Rebus nickte ihr zu, als sie hinten einstieg.
»Ich dachte, das wäre erst nächste Woche«, sagte Siobhan gerade.
»Rufen Sie vielleicht an, um ein bisschen zu prahlen?« Rebus steuerte auf seinen Saab zu. Siobhan war die letzten zwei Tage zusammen mit Macrae in Perthshire gewesen, wo sie sich über die Sicherheitsvorkehrungen für den Gipfel informieren ließen. Macrae und der Assistant Chief Constable von Tayside waren alte Kumpel. Alles, was Macrae wollte, war, sich einmal richtig umzuschauen, und den Wunsch erfüllte sein Freund ihm gern. Die Regierungschefs der G8 würden im Gleneagles Hotel am Rand von Auchterarder zusammenkommen, mit nichts als endloser Wildnis und kilometerlangen Sicherheitsabsperrungen um sich herum. Die Medien hatten die schauerlichsten Geschichten verbreitet. Berichte über dreitausend US-Marines, die zum Schutz ihres Präsidenten in Schottland einträfen. Geheimpläne von Anarchisten, wonach Straßen und Brücken mit entwendeten Lastwagen blockiert werden sollten. Bob Geldof hatte zur Belagerung Edinburghs durch eine Million Demonstranten aufgerufen. Sie würden, wie er versicherte, in den Gästezimmern, Garagen und Gärten der Einwohner unterkommen. Boote würden nach Frankreich geschickt, um Protestierende herbeizuschaffen. Gruppen mit Namen wie Ya Basta und Black Bloc hätten es darauf abgesehen, Chaos zu verbreiten, während die People’s Golfing Association den Kordon durchbrechen wolle, um auf dem berühmten Golfplatz von Gleneagles ein paar Löcher zu spielen.
»Ich verbringe zwei Tage mit DCI Macrae«,...