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GötterFunke 1. Liebe mich nicht

Marah Woolf

 

Verlag Dressler Verlag GmbH, 2017

ISBN 9783862720361 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

Meine Erinnerungen setzten sich nur stückchenweise zusammen, wie bei einem Puzzle. Da waren Schemen neben dem Auto gewesen und dann ein Aufprall und wahnsinnige Schmerzen. Ich rieb über meine Arme und betastete meine Beine. Alles war dort, wo es sein musste, und sogar die Schmerzen waren verschwunden. Vorsichtig richtete ich mich auf und kam auf die Knie, bevor meine zitternden Beine es mir erlaubten, aufzustehen. Ich machte einen ersten Schritt, und es fühlte sich an, als liefe ich über Götterspeise. Nebel umgab mich und machte mir das Atmen schwer. Ich wedelte mit den Armen. Der weiße Dunst hob und senkte sich, als ließe er sich von mir dirigieren. Ich stand in einer Art Dampfsauna, nur die Hitze fehlte. Mit den Fingern strich ich über meinen Körper. Mein T-Shirt und meine Hose waren verschwunden. Trotzdem war ich nicht nackt, trug aber auch keine Kleidung. Licht umhüllte mich wie ein schimmernder Stoff. Als wäre es eine zweite Haut, schmiegte es sich um meinen Körper.

»Musste das sein?« Eine Stimme durchschnitt die Stille und hallte wie ein Echo in meinem Kopf nach. Sie klang besorgt, aber der Nebel versperrte mir die Sicht auf den Sprecher. Ich wollte nach ihm rufen, doch aus meiner Kehle kam nur ein Krächzen.

»Ich trage keine Schuld daran«, verteidigte sich eine zweite Stimme. »Da hat sich jemand anders einen Scherz erlaubt.«

»Das war kein Scherz!«, schnaubte der erste Sprecher. Ich hörte ihn jetzt deutlicher und der Klang seiner Stimme war tröstlich. Meine Angst verschwand. Er würde mir helfen. Wo auch immer ich mich befand und was auch geschehen war, er würde dafür sorgen, dass es wieder in Ordnung kam.

Etwas Flauschiges strich an meinem Bein entlang. Als ich nach unten schaute, sah ich in graue Wolfsaugen. Das Tier war schneeweiß und in den viel zu menschlichen Augen stand ein seltsamer Ausdruck. Eigentlich hätte ich mich vor ihm fürchten müssen, doch ich spürte keine Angst. Es fühlte sich richtig an, dass er bei mir war. Ich kniete mich neben das Tier und legte die Arme um seinen Hals. Mein Gesicht vergrub ich in dem seidigen Fell. Ein beruhigendes Brummen vibrierte durch den Körper des Tiers und übertrug sich auf mich.

Bilder flackerten vor meinem inneren Auge auf. Ich hörte das Kreischen von Metall, sah einen Baum herabstürzen und spürte den Aufprall. Erschrocken richtete ich mich wieder auf. Stechender Schmerz raste durch meine Schläfen. Der Wolf knurrte warnend und stützte mich, als ich schwankte.

»Robyn muss hier irgendwo sein«, erläuterte ich ihm und krallte eine Hand in sein Fell. »Kannst du mich zu ihr bringen?«

Das Tier legte den Kopf schief und musterte mich. Der Dunst um uns herum hob sich und ich schrak zusammen. Ein Körper mit seltsam verdrehten Gliedern lag zu meinen Füßen. Ungläubig musterte ich ihn. Ein Wimmern entwich mir und die Bewegung spiegelte sich im Gesicht des leblosen Wesens. Unkontrolliert begann ich zu zittern. Das war ich selbst! Trotz des nach hinten geneigten Kopfs, trotz des Schmutzes, der die Wangen bedeckte, erkannte ich mein blasses Gesicht und mein rotes Haar. Wie Schlingpflanzen wand es sich um meinen Hals. Dann sah ich das Blut. Es war überall und versickerte beunruhigend schnell in dem moosbedeckten Boden. Unwillkürlich strich ich über die Wangen meines unverletzten Ichs und musterte meine Hände. Sie waren sauber, durchscheinend. Ich wich zurück. Meine Füße berührten nicht den Boden unter mir. Ich schwebte. Als ich aufkeuchte, krampfte sich mein anderes Ich zusammen, als spürte es den Schock ebenfalls. Ich musste hier weg. So weit weg, wie ich konnte. Aber einem Traum konnte man nicht entfliehen. Man musste aufwachen.

Eine Hand legte sich auf die Stirn meines verletzten Körpers. »Sie lebt«, stellte eine Mädchenstimme erstaunt fest, als wäre es unmöglich, dass in diesem kaputten Etwas noch Leben war. Die Umrisse ihres Gesichts verschwammen vor meinen Augen. »Aber nicht mehr lange«, setzte sie bedauernd hinzu.

Meine Kraft, oder was immer mich in der Nähe meines Körpers hielt, verließ mich, und ich kniete mich auf den Waldboden. Tränen liefen mir über die Wangen. Ich griff nach meiner eigenen leblosen Hand. Noch war sie warm, aber eine Kälte, die aus dem Körper zu kommen schien, verwandelte das Blut in meinen Adern in Eiswasser. Einer der Finger bewegte sich noch schwach.

»Heile sie!«, verlangte eine Männerstimme in meinem Rücken. Der Wolf neben mir brummte zustimmend. Er wich mir nicht von der Seite. Sein heißer Atem wärmte meinen Nacken.

»Sie ist dem Tode geweiht. Ihre Seele hat den Körper bereits verlassen. Ich kann ihr nicht mehr helfen«, antwortete ein zweiter Mann. Wer tummelte sich hier alles, und warum taten sie nichts, um Robyn und mir zu helfen?

Einen so schrägen Traum hatte ich noch nie gehabt. Meine Seele hatte meinen Körper verlassen? Wovon redete der Kerl?

»Wir haben nicht viel Zeit. Du hilfst ihnen!«, forderte auch das Mädchen.

Ich strich meinem Körper das Haar aus dem Gesicht und das Blut und den Schmutz von der Wange. Als ich wieder aufschaute, fixierte mich ein Paar grüner Augen von der Seite. Ein Junge saß neben mir. Aber obwohl er so nah war, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Da waren nur Schemen.

»Deine Zeit ist noch nicht gekommen«, erklärte er, und mir stockte der Atem. »Hab keine Angst. Ich bin bei dir.«

Er sah mich. Und mit mich meine ich nicht meinen kaputten Körper, sondern diesen losgelösten Teil. Meine Seele?! Warme Finger fuhren über meine schimmernde Haut, die unter dieser Berührung zu kribbeln begann. Er durfte mich nicht so anschauen. Diese Augen und die Sorge darin paralysierten mich fast. Dabei konnte ich mich um mich selbst kümmern. Dazu brauchte ich keinen grünäugigen Jungen. Ich versuchte, den Blick von ihm zu lösen.

»Du kannst mir vertrauen. Alles wird gut.« Seine Zuversicht legte sich um mich wie ein wärmendes Tuch. Woher er seinen Optimismus nahm, war mir schleierhaft.

Langsam nickte ich, und er lächelte so strahlend, dass sich kleine Grübchen in seinen Wangen zeigten. Komisch, dass ich das bemerkte, wo ich doch sein Gesicht nicht richtig erkennen konnte. Aber das hier war ein Traum, rief ich mir ins Gedächtnis. In einem Traum galten andere Regeln, da durfte ich mir die kleine Schwäche erlauben, die Grübchen eines Jungen zu bewundern. Trotzdem sollte ein Lächeln nicht so eine Wirkung auf mich haben, dagegen war ich doch sonst immun.

»Sie kommen beide in die engere Wahl«, erklärte das Mädchen gerade. Offensichtlich hatte ich während des viel zu intensiven Blickkontakts die Hälfte des Schlagabtauschs verpasst. Wovon sprach sie?

»Sie passen perfekt.«

Der Junge mit den grünen Augen schüttelte den Kopf, als würde auch er nicht verstehen, wovon sie sprach. Damit waren wir schon zwei.

»Es tut mir leid«, flüsterte er, bevor er meinen Körper sanft auf seinen Schoß hob. Selbst der körperlose Teil von mir fühlte den Schmerz, der meine Glieder erfasste. Er raste durch jede einzelne Zelle. Mein Kopf kippte nach hinten und vorsichtig bettete er ihn an seine Schulter. So verrückt das klang, aber ich war neidisch auf meinen Körper.

»Schhh«, flüsterte der Junge in mein schmutziges Haar. »Es wird alles gut. Du musst zurückwollen. Ihr seid immer noch verbunden.« Wieder fixierten mich seine Augen. »Du darfst dich nicht aufgeben.« Er nahm die Hand meiner Seele in seine. Jetzt war es kein harmloses Kribbeln mehr, die Berührung durchfuhr mich wie ein Stromschlag. Schockiert sah er mich an.

»Tue deine Pflicht!«, forderte er den anderen auf, der irgendwo hinter mir stehen musste. Ich konnte mich nicht umdrehen, die grünen Augen hielten mich fest.

Belustigtes Lachen ertönte. »Dein Wunsch ist mir Befehl. Wenn Hades sie nicht will, kann sie ebenso gut noch bleiben. Auf eine mehr oder weniger kommt es nicht an. Deine Schöpfung vermehrt sich schließlich wie Unkraut.«

Der uncharmante Sprecher umrundete mich und legte meinem Körper die Finger an die Schläfen. Wohlige Wärme durchströmte mich. Sie breitete sich in meinem Inneren aus, bis mein Blut in Flammen zu stehen schien. Glühend pulsierte es durch meine Adern. Als er losließ und zurücktrat, bäumte ich mich auf. Die Arme meines Beschützers schlossen sich fester um mich. Er murmelte Worte in mein nasses Haar, die ich nicht verstand, die mich aber beruhigten. Nach einer gefühlten Ewigkeit ebbte der Schmerz ab. Meine Seele wurde durchsichtiger und durchsichtiger. Ich löste mich praktisch auf und konnte nichts dagegen tun. »Hab keine Angst. Alles wird gut«, hörte ich seine Stimme in meinem Kopf. »Du musst dich nicht fürchten. Ich bin da.«

Ein würziger, wilder Duft kroch in meine Nase. Ich vergrub das Gesicht im T-Shirt meines Retters und vernahm ein leises Lachen. Ich hoffte, er würde mich nicht loslassen. So mies der Traum begonnen hatte, jetzt wünschte ich, er würde noch eine Weile andauern.

 

Erschrocken fuhr ich auf. Im Radio lief Countrymusik. Diesen Sender konnte unmöglich Robyn eingestellt haben. Mein Nacken schmerzte, und meine Muskeln fühlten sich an, als wäre ich einen Marathon gelaufen.

Robyn schlief neben mir. Ihr fast weißblondes Haar lag ordentlich geflochten über ihrer Schulter. Ich blinzelte erleichtert. Gott sei Dank! Der Albtraum war vorbei. Das Auto parkte unversehrt in einer der unzähligen Haltebuchten entlang der einsamen Straße. Immerhin regnete es nicht mehr. Ich öffnete die Tür und atmete die frische Luft ein. Der Wind hatte sich gelegt. Altes Laub und Tannennadeln zerbröselten unter meinen Füßen, als ich ausstieg. Es raschelte im Unterholz und ich zuckte zusammen. Ein Kaninchen sprang aus dem...