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Elfenmacht - Roman

Bernhard Hennen

 

Verlag Heyne, 2017

ISBN 9783641186012 , 576 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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13,99 EUR


 

DER LETZTE SCHRITT

Emerelle wich ein Stück zurück, und die Klinge verfehlte ihre Kehle nur um einige Fingerbreit. Grüne Augen funkelten sie aus dem Schatten des Helms an. Die Elfe gab vor zu straucheln, während sie vor der tanzenden Klinge weiter zurückwich. Es war nicht leicht, ihn zu reizen, aber wenn man es schaffte, ließ er alle Vorsicht fahren und wurde regelrecht zum Berserker. Nur dann war er ein respekteinflößender Gegner, und Emerelle liebte die Gefahr.

Aus dem Augenwinkel sah sie Satas angespanntes Gesicht. Die Koboldin war sich durchaus bewusst, dass dies hier keine Übungsstunde mehr war. Kreischend glitt Melianders Schwert über Emerelles Helm. Sie hatte sich nur um eine Winzigkeit zu spät geduckt. Der Stahl hatte ihren Helm kaum berührt und doch war ihr Kopf mit einem schmerzhaften Ruck nach hinten gerissen worden.

Emerelle packte die Klinge ihres Schwertes mit der behandschuhten Linken, riss die Waffe hoch, hakte die Parierstange hinter Melianders Klinge und drückte sie zur Seite. Dann versetzte sie ihm mit dem Knauf ihrer Waffe einen Stoß vor die Brust, der ihren Bruder von den Beinen riss. Sein Schwert fiel aufs Deck.

»Das reicht!« Sata schaffte es, sie erstaunlich laut anzuzischen, ohne auch nur ihre Meerschaumpfeife zwischen den schmalen Lippen hervorzuziehen. Mit ihren schwarzen Augen funkelte sie die beiden wütend an. Sata reichte ihnen kaum bis zum Knie, und dennoch hatte Emerelle einen gehörigen Respekt vor der Koboldin. Sie hatte das Sagen auf dem verwunschenen Himmelssegler, auf dem Emerelle und Meliander einen Großteil ihres bisherigen Lebens verbracht hatten. Einem Schiff, das mit dem Wind über den weiten Himmel trieb, ohne jemals irgendwo vor Anker zu gehen.

Manchmal des Nachts hörte Emerelle eine getragene, traurige Stimme durch die leichten Holzwände, die Blicke aussperrten, aber keine Geräusche. Sie sang ein Lied, dessen Worte Emerelle nicht verstand und das sie dennoch zutiefst berührte. Es war voller Melancholie, und so war auch die Stimmung an Bord. Ganz gleich, ob Andur, der Kentaur, oder Abrax, der Troll, Gylla, die Dryade, oder Fillipos, der Faun – sie alle trugen an einer Last, die sie hinter einer aufgesetzten Fröhlichkeit verbargen. Was sie bedrückte, hatte Emerelle in all den Jahren an Bord nicht herausfinden können. Es musste irgendeine nicht greifbare Bedrohung geben … Aber wer konnte dem Blauen Stern gefährlich werden? Dem Schiff eines Gottes?

Meliander nahm seinen Helm ab. Er wirkte zerknirscht. Ihrem Bruder setzte es viel mehr zu, wenn die kleine Tyrannin Sata wütend oder, schlimmer noch, enttäuscht war. »Tut mir leid«, murmelte er, wobei er kaum die Zähne auseinanderbekam. »Du hättest mich aber wirklich nicht …«

»… einen Bücherwurm mit Knoten im Hirn nennen dürfen?«, fiel ihm Emerelle ins Wort. »Ich sage immer, was ich denke. Und du gewöhnst dich besser daran, mit der Wahrheit umzugehen.«

Sein reumütiger Blick ließ ihren Ärger vergehen wie Nebel im Sonnenschein. Sie klopfte ihm auf die Schulter. »Ich wollte dich ärgern. Ich finde, wenn du aus dir herausgehst und nicht über jeden Hieb endlos nachdenkst, bist du ein wahrer Schwertmeister.«

Meliander lächelte verlegen, und seine schönen grünen Augen leuchteten auf. Natürlich war er kein Schwertmeister, jedenfalls nicht nach den überaus strengen Maßstäben, die Sata anlegte, aber das Lob tat ihm gut. Vielleicht, dachte Emerelle, konnte sie ihn so dazu bewegen, ein wenig mehr Zeit mit ihr auf dem Flugdeck zu verbringen, statt immer nur über seinen Büchern, Schriftrollen und Tontafeln zu hocken oder mit Fillipos halbe Nächte hindurch Flöte zu spielen.

»Wie schön, dass ihr beiden euch versteht, obwohl dein Bruder gerade eben erst versucht hat, dich zu enthaupten.« Sata deutete mit ihrem dürren Zeigefinger auf Meliander. »Du, junger Elf, wirst hier auf dem Flugdeck bleiben und schattenfechten, bis du kein Glied mehr zu regen vermagst.«

Meliander nickte zerknirscht.

»Und du, Emerelle …« Sata rammte ihr den Zeigefinger gegen das Knie. »Du musst endlich lernen, den Drachen in dir zu bändigen!«

Die Elfe seufzte. Sata sprach gern in solch übertriebenen Metaphern. Vielleicht fühlte sie sich ja größer, wenn sie große Worte machte.

»Zieh nicht so ein Gesicht, junge Dame!«, herrschte die Koboldin sie an, und in ihren schwarzen Augen lag eine Glut, die vermutlich selbst einen Troll erschreckt hätte. »Wenn du einen Gegner durch deine Reden zu unbedachten Taten verleitest, so ist das Unglück, das daraus erwachsen mag, aus deinem Geiste geboren, auch wenn ein anderer das Schwert führt. Hätte dich Meliander eben enthauptet, ich hätte nicht um dich geweint, sondern um ihn.«

»Du kannst weinen, Sata?« Seit vielen Monden schon war Emerelle der selbstgerechten Reden der Koboldin überdrüssig. Fast täglich gerieten sie beide in Streit. Ganz gleich, was Emerelle tat, Sata fand immer etwas daran auszusetzen. Also bemühte sie sich erst gar nicht mehr darum, der Alten zu gefallen. Wenn sie Streit wollte, den konnte sie bekommen!

»Ich werde dir helfen, deine innere Harmonie wiederzufinden, Emerelle. Nur wenn du mit dir selbst im Frieden lebst, kannst du das auch mit der Welt. Du musst lediglich …«

»Ja, ja …«

Zwei steile Falten bildeten sich über Satas Nasenwurzel. »Das genügt! Du gehst jetzt in die Bibliothek und wirst dort über folgenden Gedanken des Lehrmeisters Kong meditieren:

Jedem Albenkind stehen drei Wege offen, klug zu handeln.

Erstens durch Nachdenken: Das ist der edelste.

Zweitens durch Nachahmen: Das ist der leichteste.

Drittens durch Erfahrung: Das ist der bitterste.

Morgen werde ich mit dir erörtern, welchen Weg du für dich erwählen möchtest und warum.«

Emerelle bebte vor Zorn. »Ich lasse mir nichts mehr von dir sagen, du verdorrter kleiner Giftknochen.«

»Mir scheint, du benötigst mehr als nur den Rat weiser Schriften.« Die Koboldin hob Melianders Schwert auf. Die Waffe war ein ganzes Stück größer als sie und passte so gar nicht zu der zierlichen Gestalt der kleinen Koboldin. Sata trug ein hellgrünes, mit schreiend bunten Vögeln besticktes Kleid. Dazu eine rote Weste, auf die Hunderte von kleinen Muscheln genäht waren, die verschlungene Rankenmuster bildeten. Aus einer breiten scharlachroten Bauchbinde, die jedem Räuberhauptmann Ehre gemacht hätte, ragten drei der langstieligen Meerschaumpfeifen, in denen sie gern ihren nach Vanille duftenden Tabak rauchte. Ein weißer Schal, auf den goldene Schneeflocken gestickt waren, rundete ihre groteske Erscheinung ab. Obwohl ihre Kleidung weit geschnitten war, verbarg sie nicht, dass die Koboldin aus kaum mehr als Haut und Knochen bestand. Tiefe Falten rahmten ihren Mund und ihre Augen. Ihr dunkles, drahtiges Haar war zu einem Dutt gedreht, aus dem Knöchelchen von Vögeln ragten, die dummerweise geglaubt hatten, der Blaue Stern sei ein Ort, auf den man scheißen könnte.

Die dürren kleinen Finger der Koboldin vermochten den Schwertgriff kaum zu umspannen. Dennoch hob sie die Waffe zum Fechtergruß. »Bereit zu einer Lektion, Tochter der Nandalee?«

Emerelle presste trotzig die Lippen zusammen und nickte. Sie wusste, was kommen würde. Sie hatte einfach kein Talent zum Schwertkampf. Auch wenn sie nun schon Jahrzehnte übte und gelernt hatte, ihre Kampfeskunst mit Zaubern zu durchweben, vermochte sie nicht einmal diese knochige Koboldin zu besiegen. Sie wusste, wie das hier enden würde. Aber sie war zu stolz, um klein beizugeben.

»Sie hat es nicht so gemeint«, mischte sich Meliander ein. »Du weißt doch, wie sie ist. Manchmal geht ihr Temperament mit ihr durch. Du musst das nicht tun …«

Sata schüttelte wissend den Kopf. »Emerelle trägt ihr Herz auf der Zunge. Man kann sich immer darauf verlassen, dass sie meint, was sie sagt.« Die Koboldin sah sie mit ihren unheimlichen schwarzen Augen eindringlich an. »Tut es dir leid, mich einen verdorrten kleinen Giftknochen genannt zu haben? Möchtest du dich vielleicht entschuldigen?«

Emerelle berührte mit ihrer Klinge leicht das Schwert der Koboldin. »Man sollte sich niemals dafür entschuldigen, die Wahrheit gesagt zu haben.«

Satas schmale Lippen zuckten amüsiert. »Stimmt, man muss nur bereit sein, die Konsequenzen zu tragen.« Ohne Umschweife ging sie zum Angriff über.

Emerelle machte einen Satz zurück und parierte den ersten Hieb. Es war schwer, gegen eine so viel kleinere Kämpferin zu bestehen, wenn sie so schnell war wie Sata. Ihre Hiebe kamen in ungewohnter Höhe, und der Winkel, in dem die Elfe parierte, gab Sata die Möglichkeit, ihre erstaunliche Kraft noch effektiver einzusetzen. Mit Leichtigkeit stieß sie Emerelles Klinge beiseite, und es folgte ein wahrer Hagel von Hieben, die auf Emerelles Knie und ihre Fußknöchel zielten.

Die Elfe öffnete sich der Magie der Welt und sprach ein Wort der Macht, um einen Zauber zu weben, der bewirkte, dass sie sich widernatürlich bewegte. Wie stets, wenn sich ein Zauberweber gegen die Gesetze der Welt verging, reagierte das Goldene Netz. Es wandte sich gegen Emerelle, aber die junge Kriegerin ignorierte es. Schneller und schneller bewegte sie sich. Nun ging sie zum Angriff über. Doch Sata parierte die wütenden Streiche, die auf ihren Kopf und ihre Schultern zielten, mühelos.

Funken stoben von den Klingen, die zu fließenden silbernen Linien im Halbdunkel des Flugdecks verschwammen. Emerelle wurde sich dessen bewusst, dass sie zu schnell war. Sollte Sata einen Schlag nicht abwehren, würde Emerelle ihn nicht mehr...