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Kinder aus alkoholbelasteten Familien - Entwicklungsrisiken und Chancen

Martin Zobel

 

Verlag Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2017

ISBN 9783840928307 , 280 Seiten

3. Auflage

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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28,99 EUR


 

2. Alkoholkonsum in der Schwangerschaft (S. 61-62)

Den meisten werdenden Müttern ist bekannt, dass Alkohol einen schädigenden Einfluss auf das werdende Leben haben kann. Gleichzeitig gehen viele Schwangere aber davon aus, dass geringe Mengen an Alkohol die Entwicklung des Fötus nicht beeinträchtigen und nehmen Alkohol zu sich. Dies geschieht zum Teil aus Unkenntnis über das Bestehen einer Schwangerschaft als auch aus Unkenntnis über die potentiell schädigende Wirkung bereits geringer Mengen Alkohol. Zudem wird Alkohol in der Schwangerschaft oft als besonders wohlschmeckend und angenehm in der Wirkung empfunden (Löser & Bierstedt, 1998). Vor allem Frauen, die bereits Kinder haben, neigen verstärkt zu Alkoholkonsum in der Schwangerschaft (Stutts et al., 1997). Zwar werden die negativen Auswirkungen des Alkoholkonsums auf den Fötus schon seit Jahrhunderten beobachtet und dokumentiert, eine systematische Erforschung des Phänomens erfolgte jedoch erst in neuerer Zeit, sodass ein entsprechendes medizinisches Symptombild erst vor etwa 30 Jahren definiert werden konnte: Demnach nimmt Alkohol bei den vorgeburtlichen Schadstoffen insofern eine Sonderstellung ein, als dass keine andere Substanz die Entwicklung des Kindes so häufig und nachhaltig schädigt. Die massive Schädigung des Fötus durch den Alkoholkonsum der werdenden Mutter spiegelt sich in dem klinischen Bild der Alkoholembryopathie, auch „Fetales Alkohol- Syndrom“ (FAS) genannt, wider. Alkoholkonsum in der Schwangerschaft ist die häufigste Ursache einer geistigen Entwicklungsverzögerung beim Kind, doppelt so häufig wie das Down-Syndrom und fünfmal häufiger als Spina bifida (Jones & Bass, 2003).

2.1 Historie

Die schädigende Wirkung des Alkohols auf den Embryo wird schon in der Bibel im Buch der Richter beschrieben: „Und der Engel des Herrn erschien der Frau und sprach zu ihr: Siehe, Du bist unfruchtbar und hast keine Kinder, aber Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. So hüte Dich nun, Wein oder starkes Getränk zu trinken und Unreines zu essen“. Der Engel erscheint wenig später auch dem Mann: „Der Engel des Herrn sprach zu Manoah: Vor allem, was ich der Frau gesagt habe, soll sie sich hüten: Sie soll nicht essen, was vom Weinstock kommt, und soll keinen Wein oder starkes Getränk trinken und nichts Unreines essen“ (Buch der Richter, 13, 3-4 und 13-14). Aus wissenschaftlicher Sicht wurde das Erscheinungsbild der Alkoholembryopathie (AE) erstmals 1899 von Sullivan benannt, der bei chronisch alkoholkranken Frauen eine erhöhte Rate an Fehlgeburten und bei den überlebenden Kindern vermehrt Epilepsien feststellte. Auch andere Autoren erkannten bereits zu Anfang des Jahrhunderts die schädigende Wirkung des Alkohols in der Schwangerschaft (Pearson & Elderton, 1910; Elderton & Pearson, 1910). Die Ergebnisse blieben seinerzeit allerdings ungenutzt und gerieten wieder in Vergessenheit. Erst etwa 60 Jahre später wurde die Alkoholembryopathie 1968 von dem französischen Arzt Lemoine und seinen Mitarbeitern wiederentdeckt, jedoch nicht einer internationalen Öffentlichkeit vorgestellt. Unabhängig davon kamen die amerikanischen Forscher Jones und Smith (Jones & Smith, 1973; Jones et al., 1973) wenig später zu den gleichen Schlussfolgerungen. Sie prägten die Bezeichnung „Fetales Alkohol-Syndrom“ und machten die Störung international bekannt. Diese Arbeiten lösten eine Welle von Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet aus, die zu weiteren standardisierten Diagnosekriterien führten und entsprechende Prävalenzstudien möglich machten.

2.2 Einfluss des Alkohols auf den Embryo

Die Kinder erfahren im pränatalen Stadium den Alkohol in etwa gleich hoher Konzentration wie die Mutter, da er ungehindert die Plazenta passieren kann. Alkohol und dessen Metabolit Azetaldehyd wirken als toxische Substanz beim Embryo in mehrfacher Hinsicht, sodass die Kinder bei der Geburt in der Regel kleinwüchsig, untergewichtig und kleinköpfig sind. Die teratogene (fruchtschädigende) Wirkung des Alkohols führt zu spezifischen Fehlbildungsmustern, insbesondere im Gesicht (Abb. 3) und an verschiedenen Organen. Das Gehirn ist dabei durch die Einwirkungen des Alkohols am stärksten betroffen, da es beim Embryo das größte Organ ist und am empfindlichsten auf Alkohol reagiert (Eustrace et al., 2003). Die Gefährdung des Embryos für die schädigenden Effekte des Alkohols ist bei der Empfängnis und in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft am höchsten, da dies die Zeit der Organentwicklung, der Organdifferenzierung und des größten Wachstums darstellt (Jones & Bass, 2003). Grundsätzlich wirkt Alkohol aber in allen Perioden schädigend auf den Fötus ein. Overholser (1990) unterscheidet insgesamt fünf kritische Perioden für die negative Wirkung des Alkohols:

• die Zeit vor der Empfängnis (Ei und/oder Sperma können durch chronischen Alkoholabusus geschädigt sein);
• die ersten drei Wochen nach der Empfängnis (kritisch für die frühe Entwicklung und den Aufbau des Neuralrohrs);
• die vierte bis neunte Woche (kritisch für Missbildungen und mentale Retardierungen);
• die zehnte Woche bis zur Geburt (kritisch für Größenwachstum und Funktionsausbildungen) und
• die Stillzeit (der Alkoholgehalt der Muttermilch entspricht der Blutalkoholkonzentration der Mutter).

Wenn die Mutter zu Beginn der Schwangerschaft Alkohol zu sich genommen hat, können weitere Schäden durch ein Absetzen des Alkoholkonsums im Laufe der Schwangerschaft zumindest vermindert werden.